Sergei Brin und Larry Page haben am 4. September 1998 Google als Unternehmen ins Leben gerufen. Die Geschäftsidee des Start-Ups, das in den ersten Wochen in einer Garage im Silicon Valley residierte, war clever: Neben den Suchtreffern gibt es kleine Werbeanzeigen, die thematisch zur Suche passen. Den Preis für die beste Anzeigenposition regelt ein automatisches Bieterverfahren. Damit ließ sich nicht nur schnell, sondern auch viel Geld verdienen. Doch die Google-Gründer wollten sich von der Konkurrenz aus IBM, Microsoft oder Apple unterscheiden. Man wollte die Welt verbessern. Das inoffizielle Firmenmotto: Nicht böse sein – „Don’t be evil“. Der Slogan richtete sich nicht nur an die Kunden, sondern vor allem an die eigenen Mitarbeiter – das haben die Gründer auch beim Börsengang betont. Sie seien bereit, auch auf Gewinne zu verzichten (vgl. dazu den Beitrag „Don’t be evil“ von Marcus Schuler). Was daraus geworden ist, wissen wir alle: Aus dem ehemaligen Start-Up ist ein milliardenschwerer Konzern geworden, der seit Jahren angesichts seiner krakenhaften Expansion mit einer damit einhergehenden enormen Konzentration globalen Marktmacht zunehmend kritisch beobachtet wird. Und wie auch Apple mal in den Anfangstagen mit dem Image des kreativen und irgendwelchen besseren Motiven verpflichteten Außenseiters gegen den damaligen Riesen IBM werbewirksam zu Felde gezogen ist (vgl. die berühmte Super Bowl-Werbung von Apple im Jahr 1984), hat sich auch Google zu einem „klassischen“ und mit allen harten Bandagen kämpfenden gewinnmaximierenden Konzern transformiert.
Das gilt auch für den Umgang mit den eigenen Leuten, wobei man gerade am Beispiel von Google die maximale Ambivalenz der neuen Giganten der Digitalökonomie als Arbeitgeber studieren kann: Auf der einen Seite gilt das Unternehmen als einer der beliebtesten Arbeitgeber, von einem der im Vergleich zu anderen Unternehmen und Branchen überschaubaren wenigen Jobs haben viele geträumt und tun es auch heute noch angesichts vieler Rahmenbedingungen für den einzelnen Mitarbeiter (allerdings gab es schon vor Jahren immer wieder kritische Berichte: »Lässig, kauzig, ein großer Abenteuerspielplatz: Internetgigant Google pflegt ein besonderes Image und lockt damit viele Bewerber. Doch Einsteiger sind verblüffend schnell wieder draußen. Fungiert die Firma bloß als Drehtür?« so die Fragestellung in dem Artikel Rein, raus, tschüs aus dem Jahre 2013). Auf der anderen Seite zeigt Google eben auch die Merkmale, die wir von anderen Vertretern wie Amazon & Co. kennen: Mitbestimmung über Betriebsräte oder gar Verhandlungen mit Gewerkschaften? Das ist bzw. wäre Teufelszeug. Das kommt nicht in die US-amerikanische Tüte.
Und wenn es dann doch einmal Bewegung in der Belegschaft in diese Richtung geben sollte, dann greifen die Unternehmen zu Mitteln, die wir für viele andere auch unter Begriffen wie „Union Busting“ kennen: Google holt sich Hilfe von gewerkschaftsfeindlicher Beratung, so war beispielsweise ein Artikel von Larissa Holzki aus dem November 2019 überschrieben: »Der Techkonzern zahlt für Berater, die sich auf die Verhinderung von Mitarbeiterorganisationen spezialisiert haben. Die Kritik der Mitarbeiter wächst.« Und weiter: »Wie auch in den anderen riesigen Techkonzernen gibt es bei Google keine Betriebsräte, Mitarbeiter sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Als Missstand wurde das bisher nicht gewertet. Im Gegenteil: Der Suchmaschinenanbieter gehört zu den am besten bezahlenden Unternehmen der Welt. Als prägend für eine offene Unternehmenskultur gilt eine wöchentliche Konferenz, bei der Mitarbeiter Kritik äußern und Fragen an das Management stellen können. Doch die Zeiten scheinen sich zu ändern.« In dem Artikel wird der Soziologe Philipp Staab zitiert: „Die Anti-Gewerkschaftsarbeit ist in den USA so alt wie die Gewerkschaftsbewegung selbst.“ Er kann bestätigen, das gewerkschaftliche Organisation bei den Techriesen wie Google lange Zeit kein Thema war. „Interessant ist zu beobachten, dass mit der zunehmenden Kritik von außen offenbar auch intern die Kritik am Unternehmen Google zunimmt.“
Aber am Beginn des Jahres 2021 kann man festhalten: Es hat wohl nichts genutzt, dass man sich die Beratungssöldner ins Haus geholt hat.
»Mitarbeiter von Google und dessen Mutterkonzern Alphabet wollen sich in einer Gewerkschaft organisieren. „Wir schließen uns zusammen – Zeitarbeiter, Lieferanten, Auftragnehmer und Vollzeitbeschäftigte -, um eine einheitliche Arbeitnehmerstimme zu schaffen“, kündigten Parul Koul and Chewy Shaw, zwei führende Mitglieder der Bewegung, am Montag in einem Gastbeitrag in der „New York Times“ an«, berichten Alexander Demling und Larissa Holzki im Handelsblatt vom 5. Januar 2021 unter der Überschrift „Gewerkschaft für Google-Mitarbeiter“.
Die Bedeutung dieser neuen Entwicklung muss man eben auch sehen vor dem angesprochenen Hintergrund, dass Google lange als Paradies für Mitarbeiter galt. Kostenlose Restaurants, Massagestudios, Büchereien und Wäschereien machen ein Leben außerhalb des Google-Campus fast überflüssig, worauf auch Demling und Holzki hinweisen: »Widerspruch von Mitarbeitern war ausdrücklich erwünscht, in einer freitäglichen Vollversammlung namens TGIF („Thank God It’s Friday“) stellten sich die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin lange Zeit den Fragen ihrer Angestellten. Doch Mitarbeiter kritisieren zunehmend, dass ihre Meinung bei der Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Herkunft, bei unternehmenspolitischen Entscheidungen und ethischen Fragen bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz nicht gehört würde. Mehrere Mitarbeiter, die öffentlich Widerspruch erhoben, sollen entlassen worden sein – zuletzt die Forscherin Timnit Gebru, die sich in einer Publikation kritisch mit KI-Modellen auf Basis großer Datensätze auseinandersetzen wollte.«
Ein wichtiges Datum in der Emanzipationsgeschichte der Google-Beschäftigten war ein Streik im November 2018, »an dem nach Angaben der Organisatoren an verschiedenen Standorten weltweit etwa 20.000 Beschäftigte von Google und anderen Alphabet-Firmen teilnahmen, zum Beispiel Waymo, Hersteller von autonomen Fahrzeugen, und dem Medizinforschungsunternehmen Verily. Im Zentrum der Kritik standen damals Millionen-Dollar-Zahlungen an zwei Führungskräfte, denen sexuelle Belästigung von Mitarbeitern vorgeworfen wurde.«
Und nun erfahren wir: »226 Beschäftigte hätten sich der Bewegung bereits angeschlossen und bei der Gewerkschaft „Communications Workers of America“ registriert. Das sei der erste Schritt auf dem Weg zu einer eigenen anerkannten Gewerkschaft nach US-Recht.«
➔ Am 4. Januar 2021 hat die CWA diese Pressemitteilung veröffentlicht: Google Workers, Demanding Change at Work, Are Launching a Union With the Communications Workers of America: »oday, workers at Google and other Alphabet companies are announcing the creation of the Alphabet Workers Union with support from the Communications Workers of America (CWA)—the first of its kind in the company’s history. It will be the first union open to all employees and contractors at any Alphabet company.«
Screenshot der Website der Alphabet Workers Union (06.01.2021)
Man sollte diesen Schritt nicht unterschätzen: »Es geht vor allem auch um eine Riesenbranche, in der die Gewerkschaften bisher kaum Fuß fassen konnten. Insofern hat die Gründung einer Gewerkschaft beim Google-Mutterkonzern Alphabet, dem Herzen der Onlineökonomie, bis nach Deutschland Ausstrahlungskraft«, so Simon Poelchau in seinem Beitrag Im Zeitalter der Digitalisierung. Ob das auch tatsächlich hier bei uns in Deutschland Wirkungen entfalten wird, muss abgewartet werden.
Dass es sich bei der Gründung der AWU um einen neuen Entwicklungsschritt handelt, macht Alex N. Press in seinem Artikel Google’s New Union Will Put an Unconventional Organizing Model to the Test deutlich. Er weist darauf hin, dass es auch schon vor der AWU-Gründung Bestrebungen von Teilen der Beschäftigten im Alphabet-Konzern gab, sich zu organisieren:
»The union — named after Google’s parent company — is not the first at the trillion-dollar tech behemoth. Eighty contract workers at Google’s Pittsburgh office voted to unionize in 2019. That same year, more than two thousand cafeteria workers at the company’s headquarters in Mountain View, California did the same. Security guards at Google have been organized since 2017.«
Was ist dann das Neue?
»But a union that includes white-collar workers who are directly employed by Google is new. Also new is the union’s wall-to-wall approach, encompassing temps, vendors, and contractors, or “TVCs,” alongside direct employees, a good strategy given that TVCs make up over half of Google’s workforce.«
»Tech companies like Google work hard to keep their companies union-free.« Und Alex Press verweist darauf: »… hostility to unions is foundational to the industry — it was a major reason Silicon Valley became tech’s epicenter, rather than the East Coast.«
Es geht also neben dem ganzheitlichen Ansatz einer kollektiven Interessenvertretung ganz unterschiedlicher Beschäftigtengruppen vor allem auch um das Vordringen gewerkschaftlicher Organisation in den „white collar“-Kernbereich der Tech-Unternehmen:
»White-collar workers at crowdfunding site Kickstarter and the app developer Glitch recently unionized, but the Alphabet Workers Union is the first such effort to go public at one of the FAANG (Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google) companies.«
Allerdings muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass wir möglicherweise die mittel- bis langfristig wirksame Geburtsstunde einer umfassenden Organisierung in den Tech-Unternehmen erleben, aber derzeit muss man mit Blick auf die Zahlen von einer embryonalen Entwicklung sprechen. Zu Beginn des Jahres 2021 mit der öffentlichkeitswirksamen Bekanntgabe der Gewerkschaftsgründung sieht es so aus: »… the Alphabet Workers Union represents 227 people. That number raises a question. When TVCs are included, well over two hundred thousand people work at Google. What does a two-hundred-person union mean in that context?«, fragt sich Alex N. Press.
Er weist darauf hin, dass wir hier mit dem Phänomen der „Minderheits-Gewerkschaft“ konfrontiert werden: »“Minority unions” are unions that do not represent the majority of workers, and do not act as exclusive bargaining agents with employers. This approach is nothing new. Before the passage of the National Labor Relations Act (NLRA) in 1935, which codified workers’ right to union elections and exclusive representation by a union with majority support, minority unionism was common practice. Even without company recognition or a contract, such unions had shop stewards tackling workplace problems and pressuring the boss to redress them … Minority unions aren’t simply relics of the past either. The difficulty of winning union recognition from employers in the United States has led many workers … to organize in such formations. Minority unions aren’t as powerful as a bargaining unit, but when conditions make such a unit impossible, they are better than nothing, offering additional protections and serving as a structure for collective action.«
In einer Stellungnahme machte Alphabet bereits deutlich, sich auch künftig lieber „direkt mit all unseren Beschäftigten“ zu befassen als mit der neu gegründeten Arbeitnehmervertretung, so der Hinweis in diesem Artikel: Google-Mitarbeiter gründen Gewerkschaft.
Den Beschäftigten bei Alphabet, die sich organisieren wollen, stehe ein „schwerer Kampf“ bevor, so die nicht überraschende Prognose von Alex Press. Und das auch deshalb, weil hier zahlreiche Merkmale zusammen kommen, mit denen sich auch die Gewerkschaften in Deutschland herumschlagen müssen:
»The company has immense resources for fighting unionization and … is willing to break the law to do so. The workforce is dispersed across the country and around the world, which makes organizing much more difficult. The majority of the workforce are TVCs, not directly employed by Google, meaning they can’t legally belong to a recognized bargaining unit that deals with the company — a more traditional union would exclude these workers, substantially weakening its leverage and standing, while deepening divisions between TVCs and direct employees. Most direct employees are highly paid, adding another potential source of division.«
Wir werden genau hinsehen müssen, ob der nun öffentlich gewordene Versuch des Aufbaus gewerkschaftlicher Strukturen in diesem Konzern erfolgreich sein wird. Die US-Gewerkschaftsbewegung hatte im vergangenen Jahr eigens die „Communication Workers of America Union’s Campaign to Organize Digital Employees“ (CODE-CWA) ins Leben gerufen. Die Initiative soll gezielt den Einfluss von Gewerkschaften bei den Tech-Unternehmen in den USA erhöhen. Das ist durchaus vergleichbar mit Bestrebungen, die wir auch in Deutschland aus den Reihen von ver.di oder der IG Metall beobachten.
Noch einen Blick zurück auf die „tollen Arbeitgeber“, bei denen man doch nun wirklich keine Gewerkschaft braucht, so die Selbstdarstellung. Dazu gehört auch Amazon, ein global aufgestellter Konzern, der sich bekanntlich seit Jahren in Deutschland einen Stellungskrieg mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di liefert. Aus den USA wird berichtet: »Auch beim Internet-Versandriesen Amazon wird es bald eine gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung in den USA geben. Kurz vor Weihnachten hatte die zuständige Aufsichtsbehörde im US-Bundesstaat Alabama grünes Licht für die Wahl einer gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmervertretung im dortigen Verteilzentrum gegeben. Dort arbeiten 5000 Mitarbeiter. Auch Amazon sträubt sich gegen Gewerkschaften und hatte im Dezember behauptet, dass die Mehrheit der Beschäftigen das Unternehmen als „guten Arbeitgeber“ empfinde.«
Das mit den „guten Arbeitgebern“ ist so eine Sache. Eines muss man allerdings Google bzw. Alphabet lassen: Der Anspruch „Don’t be evil“, gleichsam der Geist der ersten Stunde, den hat man bereits zu den Akten gelegt. Bereits 2018 musste man zur Kenntnis nehmen: Google verabschiedet sich von „Don’t be evil“: Google hat den eigenen Verhaltenskodex für das Unternehmen modifiziert, ohne dies explizit kenntlich zu machen. Mit der Änderung der Google-Unternehmensstruktur, bei der Alphabet zum Dachkonzern wurde, wurde der Leitspruch in „do the right thing“ („Mach das Richtige“) geändert. Der Google-Leitspruch wurde aber weiter genutzt – bis er 2018 aus dem Verhaltenskodex entfernt wurde. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.