Ungleiche Verteilung der Lasten in der Corona-Pandemie: „Die“ Frauen als Verliererinnen in der Krise? Der Blick auf einige Studien aus den letzten Monaten

Um es gleich an den Anfang des Beitrags zu stellen und damit auch die Anführungszeichen in der Überschrift zu erläutern: Eine simple Gegenüberstellung von „die“ Frauen als Verliererinnen versus „die“ Männer als zumindest weniger bis kaum oder gar nicht negativ Betroffene wäre eine nicht zulässige Vereinfachung, mehr noch eine grobschlächtige, falsche Polarisierung, die sich auch in anderen Bereichen gesellschaftlich höchst umstrittener Debatten als nicht nur substanzlos, sondern kontraproduktiv erwiesen hat. Man denke hier an die Gegenüberstellung von „den“ jungen Menschen versus „den“ Alten (und der damit einhergehenden Konstruktion eines „Generationenkonflikts“, in dem argumentiert wird, dass „die“ Alten auf Kosten „der“ Jungen leben) oder die auf wackeligen Durchschnittsgrößen basierende Homogenisierung einer überaus heterogenen Gruppe von über 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern mit der Ableitung, dass es „den“ Rentnern gut geht (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag „Die meisten sind gut versorgt“ und gleichzeitig: Die Altersarmut wird weiter wachsen. Kein Widerspruch vom 24. November 2020). Letztendlich kann man an den genannten wenigen Beispielen erkennen, dass es oftmals ganz andere Ungleichheiten sind, die dann teilweise an den Merkmalen Geschlecht, Alter oder Lebensabschnitt gespiegelt werden, aber bei einer genaueren Inaugenscheinnahme erkennt man, dass die eigentlichen Ungleichheiten auch in den vermeintlich einheitlichen Gruppen stark variieren.

Vor diesem Hintergrund schauen wir uns einmal Aussagen an, mit denen das Thema Frauen und die Folgen der Corona-Krise beschrieben werden: »Wir erleben eine entsetzliche Retraditionalisierung. Die Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen ist wie in alten Zeiten: eine Rolle zurück. Sie ist entsetzlich – sie entsetzt uns –, weil Frauen heute ganz andere Vorstellungen von ihrem Leben haben als früher.«

Das sind Worte der Soziologin Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Das Zitat ist einem Beitrag entnommen, der im Mai 2020 veröffentlicht wurde – wobei hier hervorzuheben ist, dass es dabei (wie auch bei anderen Veröffentlichungen) um die Folgen der ersten Welle der Corona-Pandemie geht, also das, was im Frühjahr 2020 mit dem wochenlangen „härteren“ Lockdown (im Vergleich zu dem „weicheren“ Teil-Lockdown einiger weniger Bereiche im November/Dezember in der zweiten Welle) verbunden war:

➔ Jutta Allmendinger (2020): Zurück in alte Rollen. Corona bedroht die Geschlechtergerechtigkeit, in: WZB Mitteilungen, Heft 168, 2020. S. 45-47

Und sie bezieht sich dabei auch auf Studien: »Die in den vergangenen Wochen unabhängig voneinander erhobenen Daten des WZB …, des Sozio-oekonomischen Panels SOEP und der Mannheimer Corona-Studie zeigen eine Realität unter dem Brennglas: die Lebenssituation vieler Familien mit kleinen Kindern in Deutschland. Und fördern eine Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern zutage, die der unserer Eltern und Großeltern entspricht und die wir nicht mehr für möglich gehalten hätten.« Und weiter:

»Was ist passiert? Mütter, die sich nach der Geburt ihrer Kinder in meist jahrzehntelanger Teilzeit ihrer Erwerbsarbeit widmen, ziehen sich aus dem Arbeitsmarkt zurück. Über 20 Prozent von ihnen reduzieren ihre Arbeitszeit, die ohnehin schon kürzer als die der Männer ist. Gleichzeitig erhöht sich die Zeit, die sie für die Betreuung der Kinder aufwenden, für die Hausarbeit oder die Pflege von Familienangehörigen. All das ist zunächst kein Alarmzeichen. Es ist eine unvermeidbare Reaktion auf die in Corona-Zeiten geschlossenen Kitas, Schulen, Sportvereine und die ausbleibenden Einladungen von Freundinnen und Freunden ihrer Kinder. Infrastrukturen brechen weg, die Kinder brauchen Aufmerksamkeit und Anregung. Alarmierend ist aber die Tatsache, dass weit überwiegend Mütter diesen Rückzug aus dem Arbeitsmarkt vornehmen, sich um Kinder und Küche kümmern. Väter treten deutlich seltener zurück, bleiben bei ihrem Arbeitsleben auch dann, wenn sie im Homeoffice arbeiten oder in Kurzarbeit sind. Ein Beispiel aus der Wissenschaft zeigt, wie folgenreich diese Ungleichheit sein kann: Während Forscher seit dem Beginn der Pandemie deutlich mehr Studien zur Veröffentlichung bei wichtigen Fachzeitschriften einreichen, ist ein solcher Anstieg bei Forscherinnen nicht zu verzeichnen. Sie geraten daher ins Hintertreffen – denn Veröffentlichungen sind die Währung für beruflichen Erfolg in der Forschung.«

Die „Retradionalisierung“ hat sich dann in der Berichterstattung über die (möglichen) Folgen der Corona-Krise fortgeschrieben und taucht als Topos einer als Tatsache daherkommenden geschlechterungerechten Entwicklung an vielen Stellen wieder auf.

Eine „Retraditionalisierung“ oder vielleicht „nur“ die Fortschreibung schon vor Corona bestehender Ungleichheiten?

Wie eine Bestätigung der These von Allmendinger lesen sich dann solche Meldungen: Corona-Pandemie verfestigt alte Rollenbilder: »Frauen leisten nach eigenen Angaben mehr unbezahlte Familienarbeit als Männer in der Corona-Krise. Fast jede zweite Frau fühlt sich am Limit der Belastbarkeit … Die Hauptlast der Sorgearbeit lastet seit Beginn der Pandemie wieder vor allem auf den Frauen. Das zeigt eine neue Umfrage unter Haushalten in Deutschland zur Frage, wie die Haus- und Familienarbeit verteilt ist. Obwohl Millionen Beschäftigte wegen der Corona-Krise zu Hause sind – sei es wegen Kurzarbeit oder weil sie aus dem Homeoffice arbeiten –, dominiert wieder stärker die klassische Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen.« Bei der angesprochenen Umfrage geht es um diese Studie:

➔ Barbara von Würzen (2020): Traditionelle Rollenverteilung in Corona-Krise belastet die Frauen, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Dezember 2020

»Homeschooling, kochen, betreuen: Die Corona-Pandemie stellt Familien vor große Herausforderungen. Neue Umfrageergebnisse zeigen, dass die Verteilung der Aufgaben zuhause vorwiegend klassischen Rollenbildern zwischen Mann und Frau folgt. Während in der Wahrnehmung der Männer Kinderbetreuung und Hausarbeit gerecht aufgeteilt sind, leiden viele Frauen unter der Krisensituation«, erfahren wir bei der Bertelsmann-Stiftung unter der Überschrift Corona: Traditionelle Aufgabenverteilung im Haushalt belastet Frauen stark. Die Ausgangsfrage war: Bringt die Corona-Krise in deutschen Haushalten den Rollentausch – oder einen Rollback?

Auf der Basis einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos ist man zu den folgenden Befunden gekommen:

➞ In der Corona-Krise lastet die Haus- und Familienarbeit zum überwiegenden Teil auf den Schultern der Frauen. So geben 69 Prozent der Frauen an, dass sie die generelle Hausarbeit erledigen, während das unter den Männern gerade einmal elf Prozent von sich behaupten.
➞ Ähnlich verhält es sich bei der Kinderbetreuung und beim Homeschooling: Während laut Auskunft der Frauen jeweils mehr als die Hälfte von ihnen die hier anfallenden Aufgaben übernimmt, sind es bei den Männern nur 13 und 15 Prozent.

Nun kann man natürlich mit Blick auf die Ausgangsfrage, ob es einen Rollentausch oder einen Rollback gegeben habe durch Corona, die These vertreten, dass hier „nur“ die bereits vor Corona vorhandenen Ungleichheiten zu Tage gefördert wurden. Dazu aus den Umfrageergebnissen:

»Jede zweite Frau ist der Auffassung, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie ungleichmäßig zwischen ihr und dem Partner aufgeteilt gewesen seien. Von den Männern äußern immerhin 39 Prozent dieselbe Meinung. Insofern hat die Corona-Krise weniger einen Rückfall in traditionelle Rollen verursacht, sondern scheint vielmehr ans Licht zu bringen, dass die traditionelle Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in Deutschland bisher so gut wie gar nicht aufgebrochen war.«

In diesem Kontext durchaus passend der Hinweis auf diese Veröffentlichung aus dem Juni 2020:

➔ Manuela Barišić und Valentina Sara Consiglio (2020): Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Was es sie kostet, Mutter zu sein, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Juni 2020

Die beiden Autorinnen verweisen ebenfalls auf Ungleichheiten, die bereits vor Corona bestanden und kritisch diskutiert wurden: »Bereits vor der Coronakrise bestand in Bezug auf die Geschlechter auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Lebensverlauf eine doppelte Einkommensungleichheit: jene zum Nachteil der Frauen ganz allgemein und jene zwischen kinderlosen Frauen und Müttern.« Mit Blick auf die Folgen der Corona-Krise konstatieren die beiden: »Erste Befunde zu den Auswirkungen der Coronakrise auf dem deutschen Arbeitsmarkt deuten darauf hin, dass sich bestehende Ungleichheitsdynamiken in doppelter Hinsicht verschärfen werden – nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch innerhalb der Gruppe der Frauen. Dabei ist eines sicher: Insbesondere Mütter werden das Nachsehen haben, denn die nachfolgende Analyse zeigt, dass Kinder Mütter schon vor der Krise bis zu zwei Drittel ihres Lebenserwerbseinkommens kosteten.«

»Die aktuelle Krise trifft insbesondere Sektoren wie das Gastgewerbe, in denen Frauen im Verhältnis zu Männern überrepräsentiert und damit stärker von Arbeitsplatzverlust betroffen sind … Darüber hinaus werden knapp 60 Prozent der als systemrelevant eingestuften Berufe von Frauen ausgeübt. Viele die- ser Berufe werden allerdings unterdurchschnittlich bezahlt und sind gesellschaftlich wenig anerkannt … Neben dem höheren Anteil an Frauen im Dienstleistungssektor – der im Vergleich zur Industrie weniger tarifgebunden ist – sind Frauen in Deutschland häufiger als Männer geringfügig beschäftigt … Damit kommt ihnen keine oder weniger Absicherung durch das Kurzarbeitergeld bzw. die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch Arbeitgeber zugute … Darüber hinaus zeigt sich, dass die Hauptlast der Kita- und Schulschließungen von Müttern getragen wird … Ferner erhalten viele Frauen auch in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen aufgrund der steuerlichen Schlechterstellung als Zweitverdienerin weniger Kurzarbeitergeld als gleich viel verdienende Männer. Dabei sorgt das Ehegattensplitting seit vielen Jahrzehnten dafür, dass die Anreize für verheiratete Frauen, eine Beschäftigung aufzunehmen oder eine bestehende Beschäftigung auszuweiten, geschmälert werden – mit entsprechenden Folgen für ihre Arbeitsmarktbeteiligung und die Aufteilung der Fürsorgearbeit innerhalb der Familie.« Barišić/Consiglio (2020: 2) bilanzieren und beziehen sich dabei explizit auf die Retradionalisierungsthese von Allmendinger: »Vor dem Hintergrund dieser ersten Erkenntnisse zeichnet sich ab, dass die Krise auf dem Arbeitsmarkt vor allem eines ist: weiblich.«

Man kann in der Expertise von Barišić/Consiglio (2020: 2) auch Hinweise darauf finden, dass wir es mit einer krisenbedingten Zuspitzung bereits vorher bestehender Ungleichheitsstrukturen zu tun haben: So »deutet vieles darauf hin, dass sich die Ungleichheitsdynamiken nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen Frauen – jenen mit Kindern und jenen ohne Kinder – weiter manifestieren und verstärken werden.« Und an anderer Stelle schreiben sie: »Die Betrachtung des Gender Lifetime Earnings Gaps sowie der Motherhood Lifetime Penalty offenbart nicht nur das Ausmaß der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, sondern auch die immensen Einkommenseinbußen, denen sich Frauen ausgesetzt sehen, wenn sie sich für Kinder entscheiden. Reduzierte Arbeitszeiten, vermehrte Fürsorgearbeit und ein geringeres Kurzarbeitergeld sowie Arbeitsplatzverluste – bedingt durch die aktuelle Krise – werden diese Ungleichheiten weiter manifestieren und verstärken.« (S. 8). Vgl. zu den Ungleichheiten zwischen den Frauen in Abhängigkeit von der Frage Kinder versus Kinderlosigkeit auch den Beitrag Der jährliche K(r)ampf um die Anteilswerte: Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern und das große Fallbeil für viele Frauen auf dem Arbeitsmarkt vom 19. März 2019.

➔ Das vor Corona bestehende Ungleichheitsstrukturen in der Krisenbewältigung besonders konturiert und teilweise verstärkt werden, kann man auch an einem anderen im Fokus der Aufmerksamkeit stehenden Thema illustrieren: dem Homeoffice. Die Heimarbeit, für viele gezwungenermaßen in der ersten Welle mit dem umfangreicheren Lockdown als dann in der zweiten Welle, hat aber nicht nur (und zwar unabhängig von Corona) systematische Ungleichheitsstrukturen (beispielsweise die soziale Selektivität der Teilhabe an dieser Beschäftigungsform), sondern auch die Ambivalenz der Bewertung von Homeoffice ist bei Frauen mit Kindern erkennbar stärker ausgeprägt als bei Männern (und darunter auch Väter) aufgrund der Tatsache, dass die praktische Herstellung der vielbeschworenen Vereinbarkeit von Beruf (zu Hause) und Kindern (auch zu Hause) im Regelfall den (erwerbstätigen) Müttern zugeschrieben und von diesen auch übernommen wird. Zu den Ungleichheitsstrukturen beim Homeoffice vgl. auch bereits den Beitrag Dann macht doch Heimarbeit … Ungleiches Arbeiten zu Hause (nicht nur in viralen Zeiten) vom 18. März 2020, also vor dem Lockdown, der am 23. März begann.

Die besondere Betroffenheit vieler (aber nicht aller) Frauen hinsichtlich negativer Arbeitsmarkteffekte wird auch in anderen Studien herausgestellt, so beispielsweise in dieser Ausarbeitung:

➔ Bettina Kohlrausch und Aline Zucco (2020): Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt. Weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit. WSI-Policy Brief 40, Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2020

»Im Gegensatz zur Finanzkrise 2008/2009, in der Männer stärker vom Beschäftigungsrückgang betroffen waren, trifft es in der aktuellen Krise Wirtschaftssektoren wie das Gastgewerbe, in denen Frauen stärker repräsentiert sind. Außerdem zeigen erste Zahlen zu den Zugängen zur Arbeitslosigkeit allgemein und zum Beschäftigungsrückgang bei MinijoberInnen, dass Frauen momentan stärker von Arbeitsplatzverlust betroffen sind als Männer.« So diese Veröffentlichung aus dem DIW:

➔ Anna Hammerschmid, Julia Schmieder und Katharina Wrohlich (2020): Frauen in Corona-Krise stärker am Arbeitsmarkt betroffen als Männer. DIW aktuell Nr. 42, Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), 15.05.2020

➔ In der Arbeit von Hammerschmid et al. (2020) findet man bei den Schlussfolgerungen diesen Passus: »Im Zusammenspiel mit der Tatsache, dass Frauen auch die Hauptlast der zusätzlichen Sorgearbeit aufgrund des eingeschränkten Kita- und Schulbetriebes tragen, lässt sich folgern, dass Frauen von der Corona-bedingten Wirtschaftskrise in besonderem Maße betroffen sind. Deswegen sollten sämtliche staatliche Maßnahmen wie Rettungspakete, Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung nach der Wirtschaftskrise einem Gender-Budgeting unterworfen werden. Damit sollten die sich abzeichnenden langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern abgefedert werden.« (S. 7).

➔ In einer neuen Studie hat die Kasseler Politikwissenschaftlerin Claudia Wiesner einen kritischen Blick geworfen auf das angesprochene große Konjunkturpaket der Bundesregierung aus dem Sommer dieses Jahres hinsichtlich der Verteilungsstruktur zwischen den Geschlechtern: »Das ist ein Konjunkturpaket für Männer«, so ist ein Interview mit ihr überschrieben: »Nur ein kleiner Teil der Gelder aus dem Konjunkturpaket kam Frauen zugute, bemängelt Politikwissenschaftlerin Claudia Wiesner. Dabei werden Frauen in der Pandemie besonders belastet.« Sie argumentiert, »das Geld kommt vor allem bei Männern an, und das liegt an unseren Strukturen. Zum Beispiel verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt ungefähr ein Fünftel weniger als Männer. Das führte in der Krise dazu, dass Frauen weniger Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld bekamen, weil ihr Nettolohn kleiner ist. Frauen arbeiten außerdem häufiger in prekären Beschäftigungsverhältnissen, und sie haben etwa als Pflegekräfte das größere Infektionsrisiko. Sie haben auch im Lockdown stärker als die Männer die Totalausfälle in der Kinderbetreuung aufgefangen.« Wiesner habe ausgerechnet, »dass von den 167,4 Milliarden Euro an Konjunkturmaßnahmen gerade einmal 6,95 Milliarden Euro an Branchen und Bereiche gehen, die eher Frauen zugutekommen.« Zum sicher diskussionsbedürftigen methodischen Vorgehen kann man dem Interview entnehmen: »Ich habe die Summen, die in bestimmte Branchen fließen, in Beziehung zu den Frauenanteilen gesetzt. In den 6,95 Milliarden Euro – und das sind nur 4,2 Prozent des Gesamtpakets! – stecken zum Beispiel jene 1,9 Milliarden Euro, die an soziale Einrichtungen und an den Kulturbereich gehen. Dort arbeiten vorwiegend weibliche Beschäftigte. Demgegenüber stehen in dem Paket jede Menge Investitionsanteile. Die kommen vorwiegend Männern zugute, weil Investitionen vor allem in die Branchen Bau und IT fließen. Und der Frauenanteil in diesen Branchen liegt zwischen einem und fünfzehn Prozent.« Die Berechnungen und die Argumentation von Wiesner im Original:

➔ Claudia Wiesner (2020): Das Konjunkturpaket der Bundesregierung und seine Auswirkungen auf Frauen und Männer. i3 – Kasseler Diskussionspapiere – Ideen, Interessen und Institutionen im Wandel Nr. 9, Kassel: Universität Kassel, Dezember 2020

Ebenfalls in die Richtung einer Unwucht zwischen der Begünstigung von Männern und Frauen argumentierend, aber vorsichtiger hinsichtlich einer Quantifizierung der Anteile als Wiesner ist diese im September 2020 von der Forschungsgruppe Gender Economics im DIW veröffentlichte Arbeit:

➔ Julia Schmieder und Katharina Wrohlich (2020): Gleichstellungspolitische Antworten auf die Arbeitsmarktwirkungen der COVID-19-Pandemie, Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), September 2020

Die beiden Autorinnen kommen insgesamt zu der Einschätzung, dass sich bestehende Gender Gaps am Arbeitsmarkt nicht wesentlich verändert haben, Frauen in der aktuellen Krise aber stärker betroffen sind. »Der Gender Care Gap, also der unterschiedliche Zeitaufwand, den Frauen und Männer für unbezahlte Sorgearbeit aufbringen, war vor der Corona-Krise sehr stark ausgeprägt und hat sich seither vermutlich nicht stark verändert. Es deutet zwar einiges darauf hin, dass auch Männer einen Teil der zusätzlichen Betreuungsarbeit übernommen haben, insgesamt leisten aber Frauen nach wie vor den deutlich höheren Anteil an der Sorgearbeit.«

Exkurs: Hat man aus den Erfahrungen mit der ersten Welle Konsequenzen gezogen?

So gut wie alle Studien, die sich mit den Erfahrungen beschäftigen, die in und mit der ersten Corona-Welle gemacht wurden, berichten von den besonderen Belastungen vor allem der Frauen, die oftmals neben ihrer Erwerbstätigkeit die Kinder versorgen mussten und dabei dann mit geschlossenen Schulen und Kitas konfrontiert wurde. Dazu als ein weiteres Beispiel aus der Studien-Landschaft:

➔ Mathias Huebener, C. Katharina Spieß, Nico A. Siegel und Gert G. Wagner (2020): Wohlbefinden von Familien in Zeiten von Corona: Eltern mit jungen Kindern am stärksten beeinträchtigt, in: DIW Wochenbericht, Nr. 30+31/2020

In der Zusammenfassung heißt es: »Die zur Eindämmung des Corona-Virus angesetzten Maßnahmen brachten große Einschränkungen des alltäglichen Lebens mit sich. Vielfach wurde öffentlich diskutiert, inwiefern diese Einschnitte das Wohlbefinden der Bevölkerung, insbesondere das von Eltern, beeinflusst haben. Bisher gibt es kaum empirische Hinweise, welche Effekte etwa die Schließungen von Kindertageseinrichtungen und Schulen auf die Zufriedenheit von Eltern haben. Befragungsdaten, die vor und während der Corona-Pandemie erhoben wurden, zeigen: Die Zufriedenheit mit dem Leben im Allgemeinen und auch die mit dem Familienleben sowie der Kinderbetreuung ist im Mai und Juni dieses Jahres insbesondere bei Frauen mit jungen Kindern im Haushalt deutlich geringer. Vorher bestehende Gruppenunterschiede in der Zufriedenheit, beispielsweise differenziert nach dem Alter der Kinder oder der Bildung der Eltern, haben sich verkleinert. Die daraus resultierende relative Abnahme der Zufriedenheit ist am größten für Personen mit Kindern unter sechs Jahren sowie für Mütter und Personen mit Abitur. Vor allem Befragte mit Kita- und Schulkindern bewerten die Corona-Maßnahmen als große Einschränkung … Für künftige Pandemien oder ähnliche Krisensituationen ist dringend zu empfehlen, familien- und bildungspolitische ExpertInnen dauerhaft in Krisenstäben zu verankern, damit die Belange der Familien von vornherein mitbedacht werden.«

Mit Blick auf die Bedeutung der öffentlichen Infrastruktur in Form von Schulen und Kitas müssen wir für die zweite Welle zur Kenntnis nehmen, dass man offensichtlich die Flaschenhals-Funktion dieser Einrichtungen erkannt und insofern berücksichtigt hat, dass die Schulen und Kitas unbedingt offen gehalten (werden sollen). Das auch (und manche werden meinen vor allem) aufgrund der Tatsache, dass viele berufstätige Mütter ansonsten nicht mehr regulär zur Arbeit gehen könnten, denn der Urlaub ist aufgebraucht und die ansonsten privat organisierten Betreuungsarrangements, beispielsweise über die Großeltern, funktionieren in diesen Zeiten nicht mehr so wie früher oder eben gar nicht. Andere Stimmen im wissenschaftlichen Diskurs betonen lieber Aspekte wie das angeblich oder tatsächlich gefährdete Kindeswohl bei einem Lockdown, der auch die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen betreffen würde – oder Bildungsökonomen melden sich zu Wort, die schwerwiegende Schäden an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und den lebenslangen Einkommensperspektiven der heutigen Kinder und Jugendlichen meinen beziffern zu können (vgl. dazu beispielsweise die Studie von Ludger Wößmann (2020): Folgekosten ausbleibenden Lernens: Was wir über die Corona-bedingten Schulschließungen aus der Forschung lernen können, in: ifo Schnelldienst, Heft 6/2020 oder aus Österreich die Arbeit von Julia Bock-Schappelwein und Ulrike Famira-Mühlberger (2020): Ökonomische Folgen von Schulschließungen, Wien, November 2020). Aber es ist sicher keine zu gewagte These, wenn man davon ausgeht, dass es vor allem darum geht, die Wirtschaft am Laufen zu halten und dafür braucht man die genannten Einrichtungen.

➔ An dieser Stelle der Hinweis auf eine neue Studie, in der die Frage untersucht wurde, warum die Länder unterschiedlich mit Schulschließungen (und der Wiedereröffnung von Schulen) umgegangen sind: Zu Beginn der Corona-Pandemie haben viele Länder die Schulen zeitweise geschlossen. Wie schnell sie wieder geöffnet wurden, hing auch von den jeweils vorherrschenden Vorstellungen ab, ob und wieviel Mütter arbeiten sollten, so Natalie Nitsche vom Max-Planck-Institut für Demografische Forschung. Das berichtet der Deutschlandfunk nach einem Interview mit der Wissenschaftlerin: Schulschließungen wegen Corona: Einstellung gegenüber arbeitenden Müttern spielt eine Rolle. Natalie Nitsche hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Ansgar Hudde untersucht, inwiefern Gender-Ideologie im internationalen Vergleich die Wiedereröffnung von Schulen nach den Corona-Lockdowns beeinflusst hat. „Wir haben herausgefunden, dass die Einstellungen arbeitenden Müttern gegenüber eine maßgebliche Rolle dafür gespielt haben, wie schnell die Schulen wieder geöffnet wurden.“ Die Studie zeigt, dass in Gesellschaften, in denen die Berufstätigkeit von Müttern stärker befürwortet wird, die Schulen signifikant früher wieder geöffnet wurden als in Ländern, in denen diese nicht so stark unterstützt wird. Man sei „überrascht ob der Deutlichkeit der Ergebnisse.“ Nietzsche verwies darauf, dass es beim Thema Schulschließungen in der Corona-Pandemie keine gesicherte Faktenlage dazu gebe, ob diese sinnvoll seien oder nicht. Das berge die Gefahr, dass aus dem Bauch heraus entschieden werde.

➔ Ansgar Hudde and Natalie Nitsche (2020): Countries Embracing Maternal Employment Have Opened Schools Sooner after COVID-19 Lockdowns, 11.09.2020

Zum Abschluss dieses Beitrags: Bereits ganz am Anfang der Corona-Krise, im März 2020, wurde diese Arbeit veröffentlicht:

➔ Titan Alon et al. (2020): The Impact of COVID-19 on Gender Equality. Discussion Paper No. 163, Bonn/Mannheim: Collaborative Research Center Transregio 224, March 2020

Darin findet man diese Einschätzung, die sich mit vielen anderen Befunden, die mittlerweile zu Tage gefördert wurden, deckt:

»The economic downturn caused by the current COVID-19 outbreak has substantial implications for gender equality, both during the downturn and the subsequent recovery. Compared to “regular” recessions, which affect men’s employment more severely than women’s employment, the employment drop related to social distancing measures has a large impact on sectors with high female employment shares. In addition, closures of schools and daycare centers have massively increased child care needs, which has a particularly large impact on working mothers. The effects of the crisis on working mothers are likely to be persistent, due to high returns to experience in the labor market.«

Aber die Autoren sehen auch mögliche positive Entwicklungslinien in der Zukunft: »Beyond the immediate crisis, there are opposing forces which may ultimately promote gender equality in the labor market. First, businesses are rapidly adopting flexible work arrangements, which are likely to persist. Second, there are also many fathers who now have to take primary responsibility for child care, which may erode social norms that currently lead to a lopsided distribution of the division of labor in house work and child care.«

Das könnte so kommen. Aber der Konjunktiv lässt natürlich auch andere Szenarien offen.