Hängt nun ein Damoklesschwert über der Fleischindustrie oder wird sie (wieder) vom Haken gelassen?

Ein paar Tage der intensiven Berichterstattung über die seit vielen Jahren skandalösen Arbeitsbedingungen für einen immer größer gewordenen Teil der Beschäftigten in der deutschen Fleischindustrie liegen hinter uns. Die Aufregung im Umfeld Hunderter Corona-Infektionen unter den Werkvertragsarbeitnehmern hat das Thema bis in den Bundestag gespült und dort hat der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) markige Ankündigungen gemacht: Kern des Übels sei „diese Art von Sub-Sub-Sub-Unternehmertum“ in der Branche. Und der Minister kündigte an, bei der nächsten Sitzung des Corona-Kabinetts am 18. Mai ein Konzept für Konsequenzen vorzulegen.Man dürfe jetzt nicht bei der Empörung stehen bleiben. Dazu dieser Beitrag vom 15. Mai 2020: Jetzt aber: „Wir werden aufräumen mit diesen Verhältnissen“, sagt der Bundesarbeitsminister. Und meint die Zustände in der Fleischindustrie. Man darf gespannt sein. Entscheidend wird sein, ob wir gespannt sein dürfen, das etwas herauskommt. Dazu hat sich zwischenzeitlich auch der nordrhein-westfälische Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) geäußert, denn auch er hatte Konsequenzen aus den Skandalen gefordert.

»NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) will Verstöße gegen die Arbeitszeit in Schlachthöfen härter bestrafen. Statt bislang maximal 15.000 Euro sollten es künftig 30.000 Euro sein, schlug er in einem Schreiben an die Bundesregierung vor«, so diese Meldung des WDR: Laumann: Höhere Bußgelder bei Verstößen in Schlachthöfen. Was natürlich voraussetzt, dass man solche Verstöße durch Kontrollen und eine erforderliche Beweisführung überhaupt ans Tageslicht fördert. Dazu soll es eine „digitale Arbeitszeiterfassung“ geben – dass es die offensichtlich noch nicht gibt, wirft eine weiteres Schlaglicht auf die gegenwärtigen Zustände. Dass bei den Kontrollen generell ziemlich viel nicht funktioniert, kann man auch dieser Forderung des Ministers entnehmen: »Zudem sollten die behördlichen Kontrollbefugnisse in Sachen Unterbringung ausgeweitet werden, so dass künftig auch privat vermietete Wohnungen überprüft werden können. Laumann sprach sich für ein Bundesgesetz aus, das die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Fleischindustrie verbessert.« Dazu muss man wissen: Im föderalen Deutschland kann der Bund zwar Arbeitsschutzverordnungen erlassen, für die Einhaltung und Kontrolle sind allerdings die Länder zuständig.

Beide Minister, also Heil und Laumann, wollen die Regelungen zu Werkverträgen ändern und künftig klare Verantwortungsketten bei den Konstruktionen der Zusammenarbeit von Firmen mit Sub-Unternehmen verankern. Laumann hält Werkverträge zwar generell durchaus für ein sinnvolles Instrument im Wirtschaftsleben. „Aber es geht nicht, dass Unternehmen ihr Kerngeschäft an Werkvertragsnehmer auslagern können und dann alle Verantwortung von sich wegschieben.“ Man stelle sich vor, so der Landesarbeitsminister, VW übernähme künftig nur den Vertrieb sowie die Logistik und die Autos würden von Werkvertragsfirmen zu Billiglöhnen gebaut. „Genau dies ist in der Schlachtindustrie geschehen und genau dies ist die Wurzel des Übels“, so wird er in diesem Artikel zitiert: Arbeitsminister wollen Werkverträge in der Fleischindustrie erschweren.

Eine ungewöhnliche Allianz – oder nur eine klassische Vorwärtsverteidigung?

Von 1.033 Westfleisch-Mitarbeitern waren zuletzt 268 positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Zur Bekämpfung der Missstände in der Fleischindustrie bahnt sich nun eine ungewöhnlich daherkommende Allianz an. Westfleisch-Chef Clemens Tönnies habe dem Minister Laumann in einem Brief vorgeschlagen, die in der Branche üblichen Werkverträge für die gesamte Fleischindustrie gesetzlich abzuschaffen, so dieser Artikel: Werkverträge der Fleischindustrie in der Kritik. »Tönnies konkretisierte am Freitagabend in einer Stellungnahme, er spreche sich für ein Verbot nur einer besonderen Form des Werkvertrags aus, nämlich der Verträge mit einer sogenannten A1-Entsendung, also ohne deutschen Arbeitsvertrag und ohne deutsche Sozialversicherung.«

Man muss solche Meldungen auch immer vor diesem Hintergrund lesen: »Gewerkschafter Ortwin Bickhove-Swiderski lebt seit 40 Jahren in Coesfeld. „Hier wird ein Schweinestall nach dem anderen gebaut.“ Westfleisch habe gerade beim Stadtrat einen Antrag gestellt. Die Zahl der wöchentlich 35.000 Schlachtungen nur am Standort Coesfeld will das Unternehmen auf 55.000 erhöhen. Vor dem Hintergrund, dass es laut Verwaltungsgericht vor Verstößen nur so wimmelte, klingt das fest bizarr.« (Quelle: Katja Goebel: Was muss sich in der Fleischindustrie ändern?).

»Blicken wir zurück: Im Juli 2014 hat sich die Fleischwirtschaft in einem Verhaltenskodex selbst verpflichtet, soziale Standards bei der Unterbringung ihrer Arbeitnehmer einzuhalten. Im September 2015 folgte eine weitere Selbstverpflichtung gegen Sozialdumping. Alle Arbeitnehmer sollten bis Juli 2016 in sozialversicherungspflichtige Anstellungen übernommen werden. Die sechs Großen der Branche haben unterschrieben. Ein Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach damals von einem „Riesenfortschritt“. 2017 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft“. Damals regierte dieselbe große Koalition wie heute – die Kanzlerin übrigens seit 2005 ununterbrochen«, so Norbert Lehmann in seinem Kommentar Die große Heuchelei über die Arbeit am Schlachtband. »Was also soll das gespielte Aufschrecken? Wenn der SPD-Mann Heil im Archiv seines Sozialministeriums stöbern würde, fände er ganze Aktenordner voller Beschwerden der Gewerkschaften. Er würde zahllose Leitungsvorlagen seiner Beamten zum Thema nachlesen können. Er fände auch Briefe aus Frankreich, Belgien und Dänemark an die EU-Kommission. Die Regierungen unserer Nachbarländer beklagen sich seit Jahren über eine Verzerrung des Wettbewerbs in der Schlachtbranche durch Lohndumping und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.«

Und der Widerstand formiert sich bereits

“Es ist zu befürchten, dass ein pauschales Verbot von Werksvertragskonstruktionen die Corona-Situation in den Betrieben und Unterkünften nicht verbessert”. Mit diesen Worten wird der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, in diesem Artikel zitiert: Bauernverband kritisiert Verbot für Werkverträge in Schlachthöfen. Warum diese Abwehr?

»Ein Beschlussvorschlag des Arbeitsministeriums für das so genannte “Corona-Kabinett” am kommenden Montag sieht ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen vor. Künftig solle das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft “nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein”, heißt es in der Beschlussvorlage. Damit seien Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht mehr möglich.«

Allerdings »sind die Pläne innerhalb der Bundesregierung aber umstritten. In einigen Unions-geführten Ministerien sollen erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit bestehen. Eine so weitgehende Einschränkung der Wirtschaft beim Einsatz von Werksverträgen sei womöglich rechtlich unzulässig, hieß es in Regierungskreisen.«

Und auch die Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner (CDU) hat sich zwischenzeitlich wieder zu Wort gemeldet und darauf hingewiesen, dass man doch eher auf eine Selbstverpflichtung der Unternehmen setzen sollte. Als wenn das in der Vergangenheit an irgendeiner Stelle in diesem Bereich geholfen hätte.

Man hat schon in Umrissen vor Augen, wohin das alles führen wird bzw. führen könnte. Aber man kann auch diesen Beitrag erneut beenden mit diesem Zitat aus dem vorangegangenen Blog-Beitrag: »Man darf gespannt sein«. Gespannt sein auf das, was da aus der Politik an konkreten Lösungsvorschlägen kommen soll/darf.