Am 1. März ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Deutschland in Kraft getreten. Es »schafft den Rahmen für eine gezielte und gesteigerte Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern. Ziel ist, dass diejenigen Fachkräfte zu uns kommen können, die unsere Unternehmen vor dem Hintergrund des großen Personalbedarfs und leerer Bewerbermärkte dringend benötigen«, so das Bundesinnenministerium. Nun leben wir bekanntlich nicht auf einer Insel, sondern um uns herum gibt es zahlreiche andere Länder, die ebenfalls gerne Fachkräfte aus anderen Ländern hätten. Beispielsweise unsere Nachbarn in Österreich.
Und wie sich die Meldungen gleichen: »Der Fachkräftemangel entpuppe sich zusehends als Wachstumshemmnis, 88 Prozent der Betriebe spürten die Knappheit an Personal … 40 Prozent der Unternehmen beklagen demnach bereits Umsatzeinbußen, weil sie offene Stellen nicht besetzen können.« Das hätte auch in einem Artikel über Deutschland stehen können, bezieht sich aber auf Österreich. Die Zahlen wurden von der österreichischen Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) zitiert. Und dagegen muss man was machen: »Die Regierung will den Fachkräftemangel in Österreich lindern und hat dazu ein paar Maßnahmen ventiliert, um den Zuzug von Personen aus Drittstaaten in den heimischen Arbeitsmarkt zu erleichtern.«
Nun könnte der eine oder andere eher naive Zeitgenosse auf den Gedanken verfallen, man werde die Arbeitsbedingungen für diese offensichtlich stark nachgefragten Arbeitskräfte verbessern, aber man wird bereits bei der Überschrift des Artikels, der hier zitiert wird, stutzig: Auch schlechter bezahlte Ausländer sollen nach Österreich dürfen. Wie das jetzt? Da muss man genauer nachlesen:
»Angesetzt wird in erster Linie bei der Rot-Weiß-Rot-Karte, deren Beantragung künftig rascher und unbürokratischer erfolgen soll – Stichwort: Digitalisierung. Zudem sollen auch englischsprachige Anträge berücksichtigt werden. Die häufige Überschreitung der achtwöchigen Frist für die Genehmigung soll dann tatsächlich eingehalten werden. Schramböck nannte es „absurd“, dass die Anträge derzeit über die diplomatischen Vertretungen Österreichs im Ausland via Postweg erledigt werden müssten.« Das kommt uns in Deutschland aber sowas von bekannt vor, wenn wir an die Diskussionen und Versprechungen denken, die um das erwähnte Fachkräfteeinwanderungsgesetz kreisen.
Also, bis zu dieser Stelle kann man ja folgen, es soll alles irgendwie digitaler und damit (hoffentlich) schneller werden. Aber es geht weiter und wir kommen zum entscheidenden Punkt:
»Wesentliche Neuerung bei der Rot-Weiß-Rot-Karte ist die Absenkung der Gehaltsuntergrenzen, die Bürger aus Drittstaaten vorweisen müssen, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Statt 60 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage sollen künftig 50 Prozent ausreichend sein. In absoluten Zahlen bedeutet das eine Reduktion von 3.200 auf 2.685 Euro an Einkommen.« Und: Für (ausländische) Absolventen einer österreichischen Universität oder Fachhochschule wird das bisher erforderliche Minimumgehalt gänzlich wegfallen. Angekündigt wurde außerdem, das derzeitige Punkteschema als Nachweis für Qualifikationen zu überprüfen. »Ziel sei, künftig zu einer realitätsnäheren Betrachtung zu gelangen. „Dabei soll explizit auf eine tätigkeitsbezogene Berufserfahrung im Punktesystem abgestellt werden“, heißt es dazu im Ministerratsvortrag. Auch sollen Englischkenntnisse künftig Deutschkenntnissen gleichgestellt werden, wenn in Unternehmen Englisch gesprochen wird.«
Diese „Erleichterungen“ bleiben nicht ohne kritische Resonanz, was sich dann in solchen Artikeln niedergeschlagen hat: Lohndumping: Regierung senkt Mindestlöhne für ausländische Fachkräfte um 500 Euro, um mal ein Beispiel herauszugreifen, wo der häßliche Vorwurf – Lohndumping – schon in der Überschrift markiert wird:
»In Österreich gibt es derzeit 45 Mangelberufe – also Berufe, in denen das Angebot an Fachkräften zu klein ist. Dort dürfen Fachkräfte aus dem EU-Ausland angeworben werden: Das sind etwa Pflegerinnen, Dachdecker oder Augenoptikerinnen. ÖVP und Grüne haben jetzt … eine alte Forderung aus schwarz-blauen Zeiten beschlossen: Facharbeiter aus dem Ausland sollen billiger nach Österreich geholt werden – ihr Mindestlohn wurde um 500 Euro gesenkt. Das bringt den gesamten Arbeitsmarkt unter Druck und fördert einen Billiglohn-Sektor.«
Fachkräfte aus dem EU-Ausland »mussten bisher mindestens 3.080 brutto verdienen, wenn sie mit über 30 Jahren nach Österreich kamen – damit kein Lohndruck am heimischen Arbeitsmarkt entsteht und ausländischen Facharbeitern anständige Löhne gezahlt werden.«
»Konkret hat die Regierung das Mindesteinkommen für über 30-jährige hochqualifizierte Zuwanderer von 3.222 Euro brutto auf 2.685 Euro brutto gesenkt. Das sind nur 1.847 Euro netto. Zum Vergleich: Das mittlere Einkommen in Österreich liegt bei 3.000 Euro brutto. Das Gehalt eines Hochqualifizierten aus dem Ausland darf künftig zehn Prozent darunter liegen.«
„Wer die Mindesteinkommensgrenzen für Fachkräfte und Spezialisten aus Drittstaaten um mehr als 500 Euro senkt, dem geht es nicht um die besten, sondern die billigsten Köpfe.“ Mit diesen Worten wird Ingrid Reischl vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) zitiert. Dabei sind es oft gerade die niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen, die das Arbeiten in Mangel-Berufen unattraktiv machen. Beispiel: »In Tirol ist etwa der Bedarf an Köchen und Kellnern besonders hoch. Eine Vollzeitstelle bringt dort rund 1.590 Euro brutto. Viele Stellen sind nur saisonal ausgeschrieben und beinhalten 6-Tage-Wochen.« Und dem will man nun mit einer Absenkung der Löhne für wohlgemerkt qualifizierte Einwanderer begegnen?
Seit 2011 gibt es in Österreich die Rot-Weiß-Rot-Karte. Mit ihr können Fachkräfte aus Drittstaaten (also nicht-EU-Ländern) 24 Monate in Österreich arbeiten. Ein Kriterium, um die Karte und damit eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, ist ein Mindestgehalt. Und das nicht ohne einen guten Grund: Hochqualifizierte Fachkräfte aus Weißrussland, Indien oder Tunesien sollten nicht weniger verdienen als ihre österreichischen Kollegen.
Mit Blick auf die nun beschlossenen Änderungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte muss ergänzt werden, dass es nicht bei den bereits erwähnten 45 Mangelberufe bleiben soll: »Die bundesweite Liste für Berufe, zu deren Ausübung Personen aus Drittstaaten nach Österreich kommen dürfen, wurde um elf auf 56 erweitert. Unter anderen kamen Maurer und Pflegehelfer hinzu.« Angereichert wird das um eine sogenannte Regionalliste, mit der dem Fachkräftebedarf in den Bundesländern Rechnung getragen wird. Da tun sich dann ganz neue Arbeitsmarktbereiche auf:
»In Oberösterreich sind somit beispielsweise auch Fleischer, Kellner, Buchhalter und Bäcker Mangelberufe, auch Verkäufer und Verkäuferinnen können nunmehr in den westlichen Bundesländern aus Drittstaaten geholt werden. Mancherorts, in der Steiermark, in Kärnten, Tirol und Vorarlberg sind sogar Friseure und Friseurinnen knapp, die nun beispielsweise aus Serbien oder der Ukraine geholt werden können.« Vgl. dazu detailliert die Fachkräfteverordnung 2020 mit den 56 Mangelberufen und denen auf der Regionalliste.
Darüber berichtet Andreas Schnauder. Die Regierung will »mehr Personen aus Nicht-EU-Ländern über die Senkung der Einkommensgrenzen nach Österreich locken«. Das muss man erst einmal sacken lassen. Und nicht nur Schnauder fragt sich mit Blick auf die Absenkung der Mindestgehälter: Kampf gegen Fachkräftemangel: Geht es in Wahrheit nur um Lohndumping? Nach Gernot Mitter von der Arbeiterkammer »diene die Absenkung der Einkommensgrenzen vor allem dazu, in diesem Sektor an billige Arbeitskräfte zu gelangen. Mit Fachkräftemangel habe das nichts zu tun. Denn um die genannten 2.685 Euro erhalte man keine qualifizierten IT-Leute oder andere Spezialisten.«
Und die seit einiger Zeit am österreichischen Arbeitsmarkt ablaufenden Veränderungen sind enorm: »In Österreich werden schon drei von vier neuen Jobs mit Migranten besetzt … diese Entwicklung (hat) dazu geführt, dass der Anteil ausländischer Beschäftigter von knapp 18 Prozent im Jahr 2015 auf mittlerweile 22 Prozent gestiegen ist. Dazu kommen die massiv zunehmenden Entsendungen, bei denen beispielsweise Baufirmen aus Slowenien oder Montagebetriebe aus Ungarn für die Abarbeitung von Aufträgen temporär Mitarbeiter aus ihren Ländern nach Österreich schicken. Die Entsendungen sind im Vorjahr laut Finanzministerium auf fast 240.000 Fälle gestiegen.«
Nun hofft man wieder einmal und wie in so vielen anderen Ländern auch, dass man weiterhin Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland bekommen kann und diese zugleich auch noch günstiger für die Arbeitgeberseite.
Und welche Bedeutung hat nun die Rot-Weiß-Rote-Karte? Als man die Karte 2011 eingeführt hat, rechnete man mit 8.000 Fachkräften pro Jahr. Tatsächlich waren es aber nur 2.000 Personen. Das ist selbst für das im Vergleich zu Deutschland kleine Österreich ein fast schon putzige Größenordnung, wenn man bedenkt, dass derzeit angeblich gut 70.000 offene Stellen nicht besetzt werden können. Nun also die Erweiterung bei den Berufen und zugleich die Absenkung der Mindestlöhne – das wird sicher auf große Resonanz stoßen bei den Menschen in Nicht-EU-Länder, die auch die entsprechend nachgefragten Qualifikationen haben. Natürlich nicht. Aber es hat eine Absenkungsbewegung bei den als Eintrittshürden konzipierten Mindestgehältern begonnen, die sich ohne Gegenbewegung weiter verstärken wird, womit wir dann tatsächlich wieder beim Lohndumping angekommen wären.