»Die Zahl überschuldeter Privatpersonen in Deutschland ist erstmals seit 2013 leicht zurückgegangen. Auch die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen in Deutschland, sinkt geringfügig.« Das meldet wir Wirtschaftsauskunftei Creditreform unter der Überschrift SchuldnerAtlas Deutschland 2019. Wenn man das in konkreteren Zahlen braucht: »Zum Stichtag 1. Oktober 2019 betrug die Überschuldungsquote bundesweit exakt 10 Prozent. Damit sind weiterhin über 6,9 Millionen Bürger überschuldet und weisen „nachhaltige Zahlungsstörungen“ auf. Das sind rund 10.000 Personen weniger als im vergangenen Jahr (minus 0,1 Prozent).«
Der Blick auf einen längeren Zeitraum verdeutlicht: »Deutschlandweit bleiben rund vier Millionen Menschen in einer harten und damit tieferen Überschuldungsspirale gefangen. Von 2006 bis 2019 stieg die Zahl der Überschuldungsfälle insgesamt um 611.000 (plus 18 Prozent).«
In Summe schieben die Betroffenen einen Schuldenberg von 202 Milliarden Euro vor sich her. Mit Blick auf die Ursachen: Über 80 Prozent der Überschuldungsfälle entfallen auf die „Big Six“: Arbeitslosigkeit, Erkrankung/Sucht/Unfall, unwirtschaftliche Haushaltsführung, Trennung/Scheidung/Tod, eine gescheiterte Selbstständigkeit und ein längerfristiges Niedrigeinkommen.
Zugleich zeigen die Daten erneut, warum sich die Sorgenfalten vertiefen, wenn man auf die älteren Menschen schaut. Bereits im vergangenen Jahr musste man zur Kenntnis nehmen: »Während die Zahl der jüngeren Verschuldeten erfreulicherweise zurückging, ist die Zahl der verschuldeten über Siebzigjährigen rasant gestiegen. Das sei gefährlich, denn allein mit ihrer Rente hätten die meisten kaum eine Chance, ihre Schulden wieder loszuwerden. Nicht nur wegen der steigenden Mieten.«
Und: „Die Überschuldung kommt nicht mehr nur vom Rand. Also von denen, die am Rand dahin leben oder vegetieren, sondern durchaus aus der Mitte unserer Gesellschaft. Ein nachhaltiger Rückgang der Probleme in 2019, den halten wir nicht für möglich.“ So die Worte von Henning Rödl von der Creditreform, die in diesem Beitrag vom 15. November 2018 zitiert wurden: Zu viele Schulden. Nein, nicht in Griechenland oder Italien, sondern mitten unter uns. Zum SchuldnerAtlas 2018 und den Ausstrahlungen der Altersarmut. Nun also die Fortsetzungsgeschichte, mit beunruhigenden Befunden. Dazu schreibt die Creditreform selbst:
»Auffällig und besorgniserregend bleibt die Entwicklung der Überschuldung in den älteren Bevölkerungsgruppen: So stieg die Zahl überschuldeter Personen und die Überschuldungsquote in den drei Personengruppen ab 50 Jahren 2019 überdurchschnittlich an. Dabei hat die Zahl überschuldeter Personen ab 70 Jahren mit rund 45 Prozent wiederum überdurchschnittlich zugenommen (2018: + 36 Prozent). Die Überschuldungsquote dieser Altersgruppe steigt um 0,90 Punkte auf 2,95 Prozent, verbleibt aber weiterhin deutlich unter den Vergleichswerten der jüngeren Altersgruppen. Allerdings ist der Anstieg im Mehrjahresvergleich 2013 / 2019 mit 243 Prozent deutlich überdurchschnittlich – von vergleichsweise niedrigem Niveau aus. Die Gesamtzahl aller überschuldeter Personen hat sich im gleichen Zeitraum „nur“ um rund fünf Prozent erhöht.« (Creditreform (2019): SchuldnerAtlas. Überschuldung von Verbrauchern. Jahr 2019, S. 17).
Die Altersüberschuldung nimmt weiter deutlich zu und die Beobachter sprechen von einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Vor allem in der Altersgruppe ab 70 Jahren: Gut 380.000 Personen aus diesem Kreis gelten mittlerweile als überschuldet, das sind 44,5 Prozent beziehungsweise 118.000 Verbraucher mehr als noch im Vorjahr, wo das Plus ebenfalls schon bei 69.000 Fällen lag.
Für die Schuldnerberater ist das schwierig: „Wenn ältere Menschen zu uns kommen, kommen die oft erst, wenn es gar nicht mehr geht.“ So Cornelia Hansel, Schuldner- und Insolvenzberaterin bei der Verbraucherzentrale Sachsen, die von Grit Bode in ihrem Beitrag Zahl verschuldeter Rentner steigt zitiert wird. Das ist auch perspektivisch ein Problem: Bei jüngeren Menschen könne Armut eine vorübergehende Lebensphase sein. Ein neuer Job, eine neue Ausbildung brächten Chancen, sich aus der schwierigen Situation herauszuarbeiten. Ältere Menschen hätten weniger Möglichkeiten, wieder auf den grünen Zweig zu kommen.
»Das ist ja noch lange nicht das Ende, sondern erst die Spitze des Eisbergs, denn die gesetzliche Rente reicht seit langem nicht mehr aus für die Kosten, die in der Gesellschaft entstehen.« So die Worte von Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Sachsen. »Die unterbrochenen Erwerbsbiographien der letzten Jahre und die geringen Einkommen werden das in Zukunft noch weiter verschärfen, sagt Richter und ergänzt, dass damit eine riesige Welle auf uns zukommen werde.«
Und tatsächlich scheint der „Nachschub“ aus den jüngeren Kohorten der älteren Menschen „gesichert“: »Und auch bei den 60- bis 69-Jährigen ist die Zahl der Betroffenen in den vergangenen zwölf Monaten sprunghaft gestiegen: um 85.000 Fälle oder umgerechnet 15,3 Prozent auf 640.000 Konsumenten. Zuwachs gibt es zudem noch bei den 50- bis 59-Jährigen. In dieser Altersgruppe gelten mittlerweile 1,23 Millionen Verbraucher als überschuldet,« so Carsten Dierig in seinem Artikel So hart schlägt die Armut bei den Alten zu. Und das strahlt dann aus: »Die Betroffenen müssen sich daher für ihren Lebensunterhalt etwas dazuverdienen und gehen im Rentenalter weiterhin arbeiten, wie es bei Creditreform heißt – häufig im Rahmen sogenannter atypischer oder geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse. Noch dazu zieht es immer mehr ältere Verbraucher für die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln zu den Tafeln. Nach Angaben von Tafel Deutschland jedenfalls ist die Zahl der dort registrierten Senioren mit Rente oder Grundsicherung binnen eines Jahres um 20 Prozent gestiegen.«
Und es gibt klar erkennbare Zusammenhänge mit der Rentenpolitik, die ja gerade in diesen Tagen im Umfeld der Diskussion über die sogenannte „Grundrente“ im Mittelpunkt vieler Medienberichte steht. Dazu Dierig:
»Ursachen für den starken Trend zu Altersarmut und Altersüberschuldung gibt es Experten zufolge gleich mehrere, angefangen beim Anwachsen des Niedriglohnsektors bis hin zu Änderungen in den Erwerbsbiografien. Als Hauptgrund aber hat Creditreform die Rentenreformen der vergangenen 20 Jahre ausgemacht. Die nämlich hätten fast durchweg auf eine Reduktion des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Rente gezielt, um den Beitragssatz zu stabilisieren.«
Und Dierig verweist mit Blick auf das unterste Netz gegen Altersarmut, also die Grundsicherung im Alter, darauf, dass hierzulande mehr als eine Million Rentner Anspruch auf staatliche Unterstützung haben, aber nur 566.000 Senioren beziehen tatsächlich auch die Grundsicherung im Alter.
Und auch das lieget nahe: „Wohnen ist zumindest in deutschen Großstädten zum Armutsrisiko, in jedem Fall zum Überschuldungsauslöser geworden“, heißt es im Schuldneratlas von Creditreform. Als bedenklich gilt dabei schon eine Mietbelastung in Höhe von 30 Prozent des Haushaltseinkommens, problematisch wird es dann ab 40 Prozent.