Der Bundesfinanzminister und Vizekanzler des Landes, Olaf Scholz (SPD), ist offensichtlich Feminist. Er hat zahlreiche Stimmen gehört, die sich über die angeblich ungerechte volle Umsatzbesteuerung beim Verkauf von Tampons beschweren. Ein klarer Fall von Frauendiskriminierung, denn die Männer brauchen das nicht.
Scholz ist Politprofi und als solcher hat er erkannt, dass man sich hier profilieren kann durch die wohlfeile Inaussichtstellung, dass Tampons in Zukunft genau so behandelt werden wie Hundefutter, denn das wird bereits mit dem abgesenkten Mehrwertsteuersatz von nur 7 Prozent gepampert – übrigens die humanoiden, also echten Pampers gehen zum vollen Satz über die Ladentheke, da gibt es keine Reduktion. Egal, ein Hashtag wie #pinktax trendet bestimmt, hat sich der ansonsten spröde daherkommende Hanseat wohl gedacht.
Nun solle hier gar nicht darum gehen, eine steuerliche Entlastung bei diesem Hygieneartikel in Frage zu stellen – letztendlich zeigt das nur ein weiteres Mal, was für ein letztendlich nur noch skurriles Durcheinander wir haben, wenn es um das Sammelsurium an voll, abgesenkt oder gar nicht mit der Mehrwertsteuer belasteten Waren und Dienstleistungen geht. Dazu zahlreiche nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis zu nehmende Beispiel in diesem Beitrag vom 8. September 2019: Ein Erste-Hilfe-Kurs oder ein Integrationskurs dient der „Freizeitgestaltung“. Da kommt jetzt die Umsatzsteuer oben drauf. Aus den niederen Niederungen des Steuerrechts. In diesem Beitrag aber ging es im Kern um eine ganz andere Nummer: Die Bundesregierung plant Steuererhöhungen. Nein, nicht beim Spitzensteuersatz in der Einkommenssteuer oder in Form einer Finanztransaktionssteuer. Sondern bei Maßnahmen der Weiterbildung, die bislang von der Umsatzsteuer befreit waren. Was genau ist geplant? Dazu aus dem Beitrag ein Zitat: »Geht es nach dem Willen von Scholz, sollen künftig Bildungsangebote für Erwachsene, die nichts mit dem Beruf zu tun haben, umsatzsteuerpflichtig werden. Dazu gehören zum Beispiel Erste-Hilfe-Kurse zum Erwerb des Führerscheins, Computerkurse für Senioren, Schulungshilfen für Menschen mit Behinderung, Integrationskurse, Vortragsreihen für Diabetes-Kranke oder Fortbildungsangebote für ehrenamtlich Tätige. Bislang sind derartige Angebote steuerfrei. Wird die Umsatzsteuer künftig fällig, steigen die Gebühren für die Teilnehmer.« Die Details, wo man das steuerrechtlich versteckt hat und was die angeblichen Hintergründe sind, kann man dort nachlesen.
»Die Dachorganisation der Volkshochschulen läuft Sturm. Der Grund: Sie befürchtet, dass wegen bevorstehenden Änderungen im Steuerrecht viele Kurse teurer werden könnten«, so dieser Artikel: Volkshochschulen mit Steuer-Sorgen. Natürlich haben sich die Betroffenen zu Wort gemeldet: Keine neuen Steuern für die Weiterbildung!, so ist eine Pressemitteilung auf der Seite der Volkshochschulen überschrieben. »Volkshochschulen und die anderen Träger der öffentlich verantworteten Weiterbildung vor Ort verfolgen mit Sorge die im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2019 geplanten Neuregelungen in § 4 Nr. 21a UStG.« Dabei handelt es sich neben dem Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV), um die Arbeit und Leben (DGB/vhs), der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE), der Katholischen Erwachsenenbildung Deutschland – Bundesarbeitsgemeinschaft (KEB Deutschland), dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) und dem Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum.
Und die haben allen Grund zur Sorge, denn: »Mit dem Wegfall des bisherigen § 4 Nr. 22a UStG drohen auf breiter Linie neue steuerliche Belastungen für Bürgerinnen und Bürger. Denn mit der Neufassung verbindet sich eine Einschränkung der Steuerbefreiung von Angeboten der Weiterbildung. Eine höhere Besteuerung des Kursangebots hätte unmittelbare Folgen für die Weiterbildungspraxis überall im Land: Volkshochschulen und die anderen Träger wären gezwungen, die Preise für ihre Angebote anzuheben.«
In ihrer ausführlichen Stellungnahme begründen die Träger der öffentlich verantworteten Weiterbildung, warum die beabsichtigte erhebliche Verkürzung der Steuerbefreiungsregelungen auf die berufliche Verwertbarkeit von Weiterbildungsangeboten nicht überzeugen kann – vor allem die sehr enge Auslegung des Merkmals „berufliche Verwertbarkeit“ ist der Kern des Problems. Das wurde bereits am Ende meines Beitrags vom 8. September 2019 kritisch hervorgehoben: »Und schlussendlich könnte man jetzt wirklich mal darüber nachdenken, was man offenbar alles für ein „reines Privatvergnügen“ hält. Fortbildungen für pflegende Angehörige sind aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive alles andere als ein reines Privatvergnügen – die pflegenden Angehörigen stabilisieren das deutsche Pflegesystem, das ohne sie wohl kaum (übrigens aus den lohnbezogenen Beiträgen) finanzierbar wäre und in Minuten zusammenbrechen würde, wenn nur ein Teil der pflegenden Angehörigen das Handtuch schmeißen würde. Und selbst den Erste-Hilfe-Kurs, der verpflichtend ist, um einen Führerschein machen zu dürfen, kann man mit guten Argumenten angesichts der arbeitsmarktlichen Bedeutung eines Führerscheins hinsichtlich der Zuordnung als reines Privatvergnügen anders definieren.«
Das würde alles erhebliche Folgen haben, wenn es so durchkommt: »Bei strenger Auslegung des Kriteriums der beruflichen Verwertbarkeit könnten leicht rund zwei Millionen vhs-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer erheblich stärker zur Kasse gebeten werden, nämlich beispielsweise jene, die Bildungsangebote zur Förderung ihrer Gesundheit besuchen, wenn nicht anerkannt wird, dass solche Kurse mittelbar auch die berufliche Leistungsfähigkeit stärken. Aus Sicht der Volkshochschulen ist eine Trennung von beruflicher und allgemeiner Weiterbildung längst überholt und in der Praxis kaum möglich«, so die Volkshochschulen unter der Überschrift Allgemeinbildung muss steuerfrei bleiben. Die hier genannte Zahl an Teilnehmern, die finanziell deutlich stärker belastet werden könnten, muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass wir rund 900 Volkshochschulen in Deutschland haben, mit rund 700.000 Veranstaltungen und rund neun Millionen Teilnahmen pro Jahr.
Und im Lichte der allgemeinen Sonntagsreden über die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements und der politischen Bildung ist es wirklich mehr als begründungsbedürftig, hier eine steuerliche Zusatzbelastung zu installieren: »Auch Hunderttausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern politischer Weiterbildungsangebote könnten höhere Kursgebühren drohen, wenn man ihren Kursbesuch als reines Privatinteresse einstuft und die Qualifizierung für mehr gesellschaftliche Mitwirkung, für ehrenamtliches Engagement und damit für die Stärkung des Gemeinwesens vor Ort nicht als umsatzsteuerbefreiendes Kriterium wertet.«
Man kann nur hoffen, dass diese Neuregelung – versteckt übrigens im Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BR-Drucksache 356/19 vom 09.08.2019 – nicht so aus dem parlamentarischen Verfahren rauskommt, wie es reingegeben wurde.
Aber wie dem auch immer sein wird – abschließend noch ein auch kritischer Blick auf die Weiterbildung, die sich für viele als eine „black box“ darstellt. Immerhin handelt es sich hier um den nach den Schulen größten Bildungsbereich unseres Landes. Der allerdings äußerst heterogen ist, mit vielen ganz unterschiedlichen Angeboten und Anbietern.
»Zur geschätzten Größe liegt mittlerweile eine sehr solide Untersuchung vor: Danach sind in der Weiterbildung rund 691.000 Personen tätig, davon 260.000 sozialversicherungspflichtig und knapp 400.000 Honorarkräfte. Zum Vergleich: an den öffentlichen Schulen sind knapp 1,1 Millionen, in den Kitas 643.000 und an den Hochschulen auch etwas mehr als 460.000 Personen tätig – alles offizielle Zahlen. Damit ist die Weiterbildung der zweitgrößte Bildungsbereich und eben nicht das Anhängsel aus Volkshochschulen und ein paar Bildungsträgern.« Das sagt Roland Kohsiek, der bis Ende 2016 Leiter des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung im Ver.di-Landesbezirk Hamburg war, ihn einem Interview: „Die Situation ist durchgängig prekär“.
Bei der angesprochenen Untersuchung handelt es sich um diese Veröffentlichung:
➔ Roman Jaich, Roland Kohsiek und Hans-Jürgen Sattler (2018): Branchenreport Weiterbildung. Abschlussbericht im Auftrag des ver.di-Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung, Berlin 2018
Es gibt ein Problem mit prekärer Beschäftigung und schlechter Bezahlung. Dazu Kohsiek: »Und das nicht nur bei den Sprachlehrern. Die Bezahlung und der Status der Beschäftigten sind zentrale Merkmale und Schlüsselprobleme der Branche. Honorarbeschäftigung überwiegt – quer durch alle Marktsegmente. Im Sprachschulmarkt und bei der Nachhilfe, die mittlerweile ein Milliardenmarkt ist, gibt beinahe ausschließlich Honorarkräfte. Und selbst da noch deutliche Unterschiede: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zahlt für die Lehrkräfte in den Kursen „Deutsch als Fremdsprache“ und „Deutsch als Zweitsprache“ immerhin 35 Euro pro Unterrichtsstunde. Die durchschnittliche Vergütung liegt quer über alle Bereiche deutlich darunter. Bei einer Nachhilfeeinrichtung in Berlin wird 7,50 Euro pro Unterrichtsstunde bezahlt.« Auf die Frage, wie der letztgenannte Betrag überhaupt möglich sei, liegt er doch unter dem Mindestlohn, antwortet Kohsiek: »Trickreich – sie zahlen 7,50 Euro für eine Unterrichtsstunde mit 45 Minuten, das wird formal umgerechnet auf eine Zeitstunde mit 60 Minuten.« Außerdem handelt es sich eben in diesem Bereich um (Schein-?)Selbstständige. »Und bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sieht es nicht besser aus. In dem einen Bereich mit relativ vielen fest Angestellten, bei der Weiterbildung für Erwerbslose, mussten wir mit den Hartz-Gesetzen von 2003 und 2004 einen gnadenlosen Einbruch der Gehälter hinnehmen. Neueinstellungen bewegten sich danach um 2.000 Euro pro Monat für eine Vollzeitstelle und darunter. Erst mit dem Mindestlohntarifvertrag konnte seit 2012 die Spirale nach unten aufgehalten und mittlerweile wieder Anstiege erreicht werden.«
Kommen wir zum Ende wieder zurück zu den Volkshochschulen. Die haben eigentlich Grund zu feiern, denn in diesem Jahr wird ihre Idee 100 Jahre alt. 1919 gilt als Geburtsjahr der Volkshochschulen in Deutschland. Rund um solche Jubiläen gibt es bekanntlich immer gerne Sonntagsreden. Schon im Februar fand der offizielle Festakt in der Frankfurter Paulskirche statt, in der 1849 die erste Deutsche Nationalversammlung getagt hatte. Dort sprachen auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle und CDU-Vorsitzende und Volkshochschul-Präsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. „Ein Schlüssel zum Status activus des Staatsbürgers ist Bildung“, sagte Voßkuhle. „Wer hundert Jahre im Dienste der Menschen und der Demokratie hinter sich gebracht hab“, so Kramp-Karrenbauer, „braucht sich vor den nächsten hundert Jahren nicht zu fürchten.“ Das berichtet Anima Müller in ihrem Artikel mit der bezeichnenden Überschrift Hungrige Geister und leere Kassen: »Trotz hundertjährigem VHS-Jubiläum ist nicht allen nach feiern zu Mute: Die Lehrkräfte sind oft prekär beschäftigt, die Finanzierung stagniert.«
Etwa 188.000 Volkshochschullehrer in Deutschland arbeiten in Vollzeit, die allermeisten als Selbstständige. Anders als ihre Kollegen an Schulen oder Berufsschulen sind sie aber auf Honorarbasis beschäftigt. Dafür brauchen sie einen akademischen Abschluss, Fortbildungen, Berufserfahrung in der Erwachsenbildung. Ihre Honorare aber liegen deutlich unter dem, was im normalen Schulbereich verdient werden kann: VHS-Lehrkräfte kommen im Schnitt auf circa 1.500 Euro. Müller zitiert als Beispiel Hedwig Schulte:
»Wenn Hedwig Schulte ein Deutschkurs wegbricht, bekommt sie kein Geld. Auch wenn das nicht ihre Schuld ist. „Das ist dann mein persönliches Pech“, sagt sie. Schulte arbeitet als freie Deutschlehrerin an der Volkshochschule Düsseldorf. Dort unterrichtet sie in 20 Stunden pro Woche Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, leitet Alphabetisierungs- und Integrationskurse. Ein anspruchsvoller Job: häufig wechselnde Klassen, vielfältige Hintergründe und Leistungsgrade der Teilnehmenden … Um ihre Kosten zu decken, arbeitet Schulte im Schnitt für 4 bis 6 Auftraggeber pro Jahr. Ausfälle habe sie einkalkuliert, aber oft erfährt sie von ihnen erst kurzfristig, sagt sie.«
»Das Honorar für die Lehrkräfte errechnet sich aus den abgehaltenen Kursstunden. Im Schnitt sind das 20 bis 25 Euro – die Vergütungen variieren jedoch in verschiedenen Ländern, Schulen und Fächern, da die Volkshochschulen meist in Trägerschaft der Kommunen liegen. Diese können dann darüber entscheiden, die Lehrkräfte besser zu bezahlen – müssen das aber aus eigener Finanzkraft stemmen. Mit 35 Euro besser vergütet werden die Integrationskurse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bezahlt. An diesem Satz orientieren sich die Volkshochschulen etwa in Berlin. Im August hatte der Senat die Honorare für alle Lehrkräfte angeglichen. An der Düsseldorfer VHS sind es zurzeit 24 Euro für DaZ und DaF-Kurse, bald soll noch einmal erhöht werden – das Ergebnis hartnäckiger Forderungen von Lehrkräften wie Hedwig Schulte.«
Seit etwa 30 Jahren unterrichtet die Deutschlehrerin Ruth Janßen an der Düsseldorfer Volkshochschule und ist wie Schulte im Bündnis der DaZ- und DaF-Lehrkräfte organisiert, außerdem ist sie Sprecherin der dortigen VHS-Lehrkräfte. „Die 24 Euro reichen uns längst nicht“, sagt sie. Denn die Honorarkräfte haben auch hohe Ausgaben: »Sozial- und Rentenversicherung müssen sie selbst tragen. Sie haben keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – längere Ausfälle können sie in den Ruin treiben. Nach allen Abgaben bleibt von den 24 Euro nur knapp die Hälfte übrig.«
Was wird gefordert? »Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert 57 Euro pro Stunde für VHS-Kräfte. Das DaZ- und DaF-Lehrkräfte-Bündnis hat zum Jubiläum im März eine Petition an das Bildungsministerium gestartet. Darin fordert es unter anderem feste Anstellungen für längerfristig Beschäftigte und Vergütungen von 60 Euro pro Stunde, orientiert am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD E 12).«
„Volkshochschulen haben eine hohe Bereitschaft, ihre Lehrkräfte fair zu bezahlen und sozial besser abzusichern – aber oft fehlen die finanziellen Mittel dafür“, wird die Pressesprecherin vom Deutschen Volkshochschul-Verband, Simone Kaucher, zitiert. Die Trägerschaft der Kommunen verhindere eine bundesweite Honorarordnung. Die wäre dringend notwendig.
Und Anima Müller kommt an Ende ihres Artikels wieder auf das Ausgangsthema dieses Beitrags zu sprechen: »Nur 5,6 Prozent der Menschen ohne formalen Berufsabschluss und nur 7,7 Prozent der von Armut gefährdeten Menschen besuchten im vergangenen Jahr eine Weiterbildung. Nun könnten auch noch Zehntausende VHS-Kurse teurer werden – da die Bundesregierung beschlossen hat, die Umsatzsteuerbefreiung für viele Kurse aufzuheben. Das dürfte vor allem Menschen mit weniger Geld von der Teilnahme an VHS-Kursen abhalten. Also genau jene, für die Volkshochschulen gegründet wurden.«