Der Bundesgesundheitsminister bietet 14 Euro Mindestlohn in „der“ Pflege. Ist das jetzt viel oder wenig? Es wäre eine Frechheit, wenn man sich das genau anschaut

Das Bundeskabinett hat im Juni einen Gesetzentwurf für höhere Löhne in der Alten- und Krankenpflege auf den Weg gebracht. Ziel ist es, dass möglichst in der gesamten Pflegebranche künftig Tariflöhne gezahlt werden. Gelingt dies nicht, sollen die geltenden Mindestlöhne in der Pflege angehoben und in Ost und West vereinheitlicht werden. Das Gesetz soll im Herbst vom Bundestag verabschiedet werden. Der Entwurf eines Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) vom 17. Juni 2019 verdient eine genauere Analyse und Einordnung, für die es einen eigenen Beitrag geben wird. Aber beim Thema Mindestlohn in der Pflegebranche gibt es nun einen ersten Aufschlag, der hier unter die Lupe genommen werden soll.

Nun muss man wissen, dass wir hier nicht über den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn sprechen, der derzeit bei 9,19 Euro brutto pro Stunde liegt, sondern über einen Branchen-Mindestlohn. Es geht dabei um spezielle Mindestlöhne, welche sich aufgrund von Tarifverträgen, die auf Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt wurden, sowie auf Grundlage von Rechtsverordnungen nach § 11 Arbeitnehmer-Entsendegesetz für die Pflegebranche und § 3a Arbeitnehmerüberlassungsgesetz für die Leiharbeitsbranche ergeben.

Hinzu kommt, wie in der Abbildung beschrieben, dass der Mindestlohn für die Pflegebranche in einem zu den anderen Branchen abweichenden Verfahren von einer eigenen Kommission festgesetzt wird, denn in der Pflegebranche haben wir die Rahmenbedingung, dass hier die beiden großen Kirchen als Anbieter von Pflegediensten eine bedeutsame Rolle spielen, zugleich aber für sich die Sonderbestimmungen des „dritten Weges“ in Anspruch nehmen, wo es keine „normalen“ Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften gibt.

Die derzeit gültige Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (3. PflegeArbbV) umfasst die folgenden Bereiche (nicht), erläutert das zuständige Bundesarbeitsministerium: »Die Verordnung gilt für Pflegebetriebe. Dies sind Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder ambulante Krankenpflegeleistungen für Pflegebedürftige erbringen („Über­ wiegensprinzip“). Pflegeleistungen überwiegen dann, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebes oder der selbstständigen Betriebsabteilung in der Summe mehr als 50 % ihrer tatsächlichen Arbeitszeit mit Pflegeleistungen bzw. vor- oder nachbereitenden Tätigkeiten befasst sind. Keine Pflegebetriebe im Sinne der Verordnung sind Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser.« Es geht also primär um die ambulante und stationäre Altenpflege, ergänzt um die ambulanten Krankenpflegedienste, nicht aber um die Krankenhäuser und die dortige Pflege.

Auch bedeutsam: »Privathaushalte als Arbeitgeber sind nicht vom Pflegemindestlohn erfasst. Soweit also Pflegekräfte unmittelbar durch den Haushalt der pflegebedürftigen Person beschäftigt werden, findet der Pflege­ mindestlohn keine Anwendung. Denn ein Privathaushalt stellt keinen „(Pflege-)Betrieb“ im Sinne der Verordnung dar. Grund­ sätzlich sind in Privathaushalten aber die Regeln des allgemeinen Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz zu beachten.« Und wie sieht es mit den expandierenden Pflege-WGs aus? Hier muss man differenzieren: »Gemeinschaftliche Wohnformen, in denen Pflegekräfte zur Deckung des Pflegebedarfs von den zu pflegenden Bewohnern selbst beschäftigt werden, sind in der Regel keine (Pflege-)Betriebe im Sinne von § 10 Arbeitnehmer-Entsendegesetz und damit auch nicht im Sinne der Verordnung. Hier handelt es sich meist um die bloße Deckung von Eigenbedarf. Ein Pflegebetrieb im Sinne der Verordnung kann jedoch dann bestehen, wenn der Betreiber einer gemeinschaftlichen Wohnform der Arbeit­geber der Pflegekräfte ist und sich seinerseits vertraglich gegenüber den Mitgliedern der Wohngruppe/Wohngemeinschaft zur Erbringung einer Pflegeleistung verpflichtet hat. Steht also eine unternehmerische Tätigkeit im Vordergrund, gilt bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Pflegemindestlohn. Insbesondere gelten dann auch die Regelungen zum persönlichen Anwendungsbereich wie etwa die Einbeziehung der Gruppen von Alltagsbegleiterinnen und -begleitern, Betreuungskräften, Assistenzkräften und Präsenzkräften (§ 1 Absatz 4 der Verordnung). Ist die Wohngemeinschaft als „Privathaushalt“ organisiert, ist der Pflege­mindestlohn nicht einschlägig. Hier gilt dann aber der allgemeine Mindestlohn.«

Und noch eine wichtige Hintergrund-Information: Der „Pflege-Mindestlohn“ bezieht sich (eigentlich) auf die Pflegehilfskräfte, nicht auf die Pflegefachkräfte, was aber oftmals miteinander vermengt wird. Denn die Pflegefachkräfte sollten – selbstverständlich und eigentlich – mehr als den Mindestlohn bekommen.

Nun aber wieder zurück zum Vorstoß des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der diese Tage ja auch schon als möglicher Nachfolger für die als EU-Kommissionspräsidentin nominierte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen gehandelt wird und der dann eine andere große Baustelle des Landes bearbeiten darf. Und offensichtlich will er noch mal zu punkten versuchen auf seiner (bisherigen) Baustelle Pflege, denn mit dem Versprechen, endlich eine bessere Vergütung in der Altenpflege durchzusetzen, hat er sich ja in den vergangenen Monaten (gemeinsam mit seinen Ministerkollegen Giffey und Heil) publikumswirksam in Szene zu setzen versucht.

»Gesundheitsminister Spahn will, dass Pflegefachkräfte mindestens 2500 Euro im Monat verdienen. Wer für die steigenden Kosten aufkommen soll, beantwortet er im ARD-Interview jedoch nicht«, berichtet Nadine Bader in ihrem Beitrag Spahn will 14 Euro Pflege-Mindestlohn. Aber wen genau meint der Herr Minister hier? Offensichtlich nicht die Pflegehilfskräfte, für die der derzeitige Branchen-Mindestlohn die Lohnuntergrenze darstellt, folgt man der aktuellen Berichterstattung. Offensichtlich geht es hier um einen „Branchen-Mindestlohn Pflege II“. Denn:

»Dem ARD-Hauptstadtstudio nannte Spahn erstmals eine Summe, wie hoch der Mindestlohn für Pflegefachkräfte seiner Meinung nach sein müsste: „Gute 14 Euro – und das ist immer noch wirklich ein Mindestlohn. Gleichwohl muss man auch da sagen, gerade in der Altenpflege verdienen Zigtausende zum Teil deutlich weniger als diese 2500 Euro“, sagt Spahn … Spahn spricht sich dafür aus, beim Mindestlohn künftig zwischen Pflegefachkräften und Hilfskräften zu differenzieren. Denkbar wäre aus seiner Sicht auch, den Mindestlohn regional zu unterscheiden. Von der Erhöhung profitieren würden vor allem Altenpfleger in Ostdeutschland.« Genauer: Altenpflegefachkräfte in Ostdeutschland. Dies kann man auch an diesen Daten ablesen:

Tatsächlich lag das am Median gemessene durchschnittliche Bruttomonatsentgelt für eine Vollzeittätigkeit bei den Altenpflegefachkräften – nicht bei den Hilfskräften – ausweislich der BA-Daten in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt unter dem Wert, der sich ergeben würde, wenn man von einem Mindestlohn in Höhe von 14 Euro pro Stunde ausgeht.

Nun sollte man allerdings, dass die in der Tabelle ausgewiesenen Beträge Median-Werte sind, das bedeutet: 50 Prozent der Arbeitskräfte verdienen mehr, 50 Prozent aber eben auch weniger als den Median-Wert. Relevant ist dann natürlich die Streuung der Werte um den Median-Wert herum.

Was würde denn ein Mindestlohn von 14 Euro, mit denen der Minister jetzt hantiert, konkret bedeuten?

Bei einer 40 Stunden-Woche wären das 2.427 Euro brutto pro Monat. Unter der Annahme einer Pflegekraft in der Steuerklasse 1 würde sich daraus derzeit ein Nettomonatseinkommen in Höhe von 1.622 Euro ergeben. Von dem Bruttomonatsentgelt werden 487 Euro an Sozialabgaben sowie 317 Euro Steuern abgezogen. Summa summarum reduziert sich bei einer Abgabenlast von 33,13 Prozent der Brutto-Mindeststundenlohn von 14 Euro auf einen Netto-Mindeststundenlohn von 9,36 Euro.

Fazit: Wenn man den Vorschlag von Spahn mit den 14 Euro auf die Pflegefachkräfte bezieht, dann ist das nicht viel, sondern ein Witz – bzw. eine bodenlose Frechheit, wenn man berücksichtigt, dass seit langem gefordert wird, die gegenüber der Krankenhauspflege im Schnitt um 20 bis 30 Prozent niedriger liegenden Vergütungen der Altenpflegefach- und eben auch -hilfskräfte in einem ersten Schritt mindestens auf das heute bereits erreichte Krankenhausniveau anzuheben. Tatsächlich würden bei Umsetzung des Spahn’schen Vorschlags einige Fachkräfte ein paar Euro mehr bekommen können, gerade in Ostdeutschland, aber eben nur ein paar Euro. Viele andere würden leer ausgehen. Zugleich wäre ein derart tief angesetzter Pflegemindestlohn – wohlgemerkt für Fachkräfte! – angesichts der strukturellen Bedingungen in der Altenpflegebranche, die vor allem als tarifvertragliches Niemandsland zu bezeichnen ist, ein vergiftetes „Geschenk“ für die Pflegekräfte. Denn viele nicht-tarifgebundenen Betreiber von Pflegeheimen und Pflegediensten verwenden den Mindestlohn nicht als absolute Lohnuntergrenze, sondern als Referenzlohn und damit je nach Wettbewerbssituation in manchen Regionen sogar als (scheinbar staatlich legitimierte) Lohnobergrenze.

Nun ist es ja auch so, dass der Bundesgesundheitsminister für die Frage des Branchen-Mindestlohns in der Pflege gar nicht zuständig ist, vielmehr sein SPD-Kollege im Arbeits- und Sozialministerium, Hubertus Heil. Von diesem gibt es bislang noch keine Reaktion auf den Vorstoß von Spahn. Aber vielleicht war der auch gar nicht so gemeint, wie er jetzt diskutiert wird, also ernsthaft. Möglicherweise ging es dem Herrn Spahn lediglich darum, erneut sein Beinchen in der öffentlichen Debatte zu heben, auf dass sich der Eindruck verfestigt, der tut doch was für die Pflegekräfte, auch wenn er eigentlich gerade nichts tut außer anzukündigen. Sollte der Vorschlag hingegen wirklich ernst gemeint sein, dann wäre das ein trojanisches Pferd für die anstehenden Verhandlungen über eine Veränderung des Pflegemindestlohns. Und dass es zu diesen Verhandlungen überhaupt kommen kann, würde voraussetzen, dass eine neue Kommission eingesetzt wird, die dann – offensichtlich – neben dem bestehenden einen zweiten (oder mehrere?) davon abweichende Pflege-Mindestlöhne zu vereinbaren hätte. Wir dürfen gespannt sein.

Aber vielleicht geht es bei der ganzen Debatte auch nur darum, die eigentlich im Entwurf eines „Pflegelöhneverbesserungsgesetzes“ vorgesehene prioritäre Variante einer allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelung für die Altenpflegebranche debattenmäßig zu beerdigen, weil man weiß, dass das angesichts der Verhältnisse in der Branche sowieso nicht kommen wird und man dann auch gleich auf die als Ersatzlösung formulierte Mindestlohnlösung fokussieren kann. Sollte das so sein, dann wären die nun konkretisierten 14 Euro nichts weiter als eine bodenlose Frechheit. Aber wie heißt es immer: Versuchen kann man es ja mal.