Stiefkind Altenpflege: Noch eine Studie belegt die unterdurchschnittliche Entlohnung und fordert eine „umfassende Aufwertung“

In diesem Blog wurde und wird seit langem auf das Problem hingewiesen, dass die Altenpflegekräfte deutlich besser vergütet werden müssen – das ist ein wichtiger Baustein, um den absehbaren Kollaps des Systems zu vermeiden. Vgl. dazu nur als ein Beispiel den Beitrag Zwischen Gottes Lohn und „marktgerechter“ Vergütung: Was Hilfs- und Fachkräfte in der Pflege verdienen und warum die Altenpflege (auch) entgeltmäßig eine Großbaustelle werden muss vom 22. August 2018. Und nein, man muss an dieser Stelle nicht mit dem Argument kommen, dass den Pflegekräften mehr Geld „gar nicht so wichtig sei“, sondern vielmehr Wertschätzung und mehr von ihnen. Dass die personelle Unterausstattung der meisten Pflegedienste und Pflegeheime offensichtlich ist und dringend einer Verbesserung bedürfen (beispielsweise über verbindliche Personalschlüssel, die mittel- und langfristig sukzessive angehoben werde), ist dermaßen zwingend, dass man schon gar nicht mehr darüber berichten möchte.

Und zum Thema Vergütung der Altenpflegekräfte wurde nun eine neue Studie veröffentlicht: Michaela Evans und Christine Ludwig haben die repräsentative Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit für die Jahre 2017 und 2012 ausgewertet. Da sind auch die Verdienste der Pflegekräfte verzeichnet.

»Gemessen an Verantwortung, Anforderungen und notwendigen Qualifikationen sind Pflegeberufe relativ niedrig bezahlt – trotz einiger Verbesserungen in letzter Zeit. Besonders stark zurück liegt die Bezahlung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern: Während sich die Verdienste von Fachkräften der Gesundheitspflege in Krankenhäusern im Bereich des mittleren Lohns aller Berufsgruppen in Deutschland (rund 3200 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitstelle) bewegen, kamen Fachkräfte in der Altenpflege 2017 im Mittel (Median) auf lediglich rund 2740 Euro brutto für eine Vollzeitstelle. Das entspricht nur etwa 85 Prozent des mittleren Verdienstes für alle Berufe. Hilfskräfte in der Altenpflege verdienen in Vollzeit im Mittel lediglich rund 1940 Euro pro Monat – knapp 61 Prozent des Medianverdiensts aller Vollzeitbeschäftigten.« So aus einer Meldung der Hans-Böckler-Stiftung, die unter der Überschrift Altenpflege liegt bei den Löhnen besonders weit zurück – Umfassende Aufwertung dringend nötig gegen Fachkräftemangel veröffentlicht wurde.

Hier erst einmal der Link zur neuen Studie, die aus dem Institut Arbeit und Technik (IAT) stammt und von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde:

➔ Michaela Evans und Christine Ludwig (2019): Zwischen Aufwertung, Abwertung und Polarisierung. Chancen der Tarif- und Lohnpolitik für eine arbeitspolitische „High-Road-Strategie“ in der Altenpflege. Working Paper Forschungsförderung Nr. 128, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, 2019

»Die Auswertung erlaubt auch einen Blick auf die unteren 20 Prozent der Verdienste in den verschiedenen Pflegetätigkeiten. Hier liegen beispielsweise die Einkommen der Altenpflegehelfer und -helferinnen in der ambulanten Pflege für eine Vollzeitstelle unter 1.560 Euro im Monat und damit im Bereich des Allgemeinen Mindestlohns.« Das muss auch in Verbindung mit der Tatsache gesehen werden, »dass 67 Prozent der Hilfskräfte in der Altenpflege in Teilzeit arbeiten.«

Man muss sich die Beträge vor Augen führen, die für diese so wichtige Arbeit gezahlt werden: Der „Bruttomedianverdienst“ über alle Berufe und Tätigkeiten in Deutschland hinweg lag im Jahr 2017 bei 3209 Euro monatlich für eine Vollzeitbeschäftigung. Bruttomedianverdienst bedeutet, dass 50 Prozent der Beschäftigten weniger verdienen und 50 Prozent mehr. »Für Fachkräfte reichen (die mittleren Verdienste) von … 3.252 Euro in Krankenhäusern über 2.821 Euro in Pflegeheimen bis zu 2.471 Euro in der ambulanten Pflege, wobei ein Fünftel der Fachkräfte in der ambulanten Pflege in Vollzeit sogar weniger als 2.000 Euro brutto verdient.«

Zwar sind die Löhne in der Altenpflege zwischen 2012 und 2017 etwas stärker gestiegen als im Mittel aller Berufsgruppen. Die Altenpflegeberufe haben im Vergleich zum Gesamtmedian trotzdem nur moderat aufgeholt und liegen – Fach- und Hilfskräfte zusammengenommen – weiter unter 80 Prozent.

Dieser Aspekt der Studie wurde bereits in diesem Beitrag aus dem vergangenen Jahr thematisiert: Zwischen Gottes Lohn und „marktgerechter“ Vergütung: Was Hilfs- und Fachkräfte in der Pflege verdienen und warum die Altenpflege (auch) entgeltmäßig eine Großbaustelle werden muss vom 22. August 2018. Dort findet man diese Abbildung:

Erst seit 2016 steigen die Bruttoarbeitsentgelte in der Altenpflege für die Fachkräfte stärker als die in der Krankenhauspflege oder für alle Beschäftigten – allerdings, das sollte hier unbedingt hervorgehoben werden, von einem deutlich geringeren Niveau.

Und noch ein weiterer Hinweis aus der neuen Studie dockt an Ausführungen in diesem Blog an: »So verdienen Altenpflegekräfte, die in Krankenhäusern arbeiten, deutlich besser als in Senioreneinrichtungen oder der ambulanten Pflege – auch, weil in Kliniken häufiger ein Tarifvertrag gilt.« Auf die daraus resultierenden möglichen Sogeffekte in die Krankenhäuser hinein wurde bereits in dem Beitrag Die Angst der Krankenkassen-Funktionäre vor einer Stärkung der Pflege in den Krankenhäusern vom 29. Juni 2018 hingewiesen, verbunden mit einem Blick auf die derzeit noch überschaubaren Zahlen von Altenpflegefachkräften in den Kliniken. Aber nachdem die Kliniken, die bei der Einstellung von Pflegekräften budgetbedingt bislang immer zurückhaltend waren, seitens der Bundesregierung insofern einen Schub bekommen haben, als dass die Aufwendungen für Pflegekräfte vollständig refinanziert werden sollen, ist die Aussicht, dass nun aktiv nach lebenden Pflegekräften auch in den Pflegeheimen und den Pflegediensten gesucht werden wird, nicht von der Hand zu weisen.

In der Studie wird das so formuliert: »Die Einführung der Generalistik wird den Wettbewerbsdruck auf pflegespezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmärkten künftig verstärken. Insbesondere von den Krankenhäusern sind Sogeffekte auf die regionalen Fach- und Arbeitskräftemärkte wahrscheinlich, wobei nicht nur über horizontale und vertikale Entwicklungschancen, sondern auch über Verdienstchancen Anreize gesetzt werden.« (S. 47)

Was tun? So lautet ja die immer wiederkehrenden Frage bei solchen Analysen. Und die wird auch der neuen Studie gestellt:

Der Ausarbeitung von Evans/Ludwig (2019) kann man die folgenden Hinweise entnehmen: »In der jetzigen Phase geht es insbesondere um die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen durch die Einführung flächendeckender und verlässlicher lohn- und tarifbezogener Mindeststandards. Die Ergebnisse zur Lohnverteilung legen nahe, dass eine zeitnahe Anhebung der unteren Verdienste in der Altenpflege geboten ist.« (S. 46).

Das klingt eher reichlich defensiv angesichts des tatsächlichen Bedarfs in den Heimen und ambulanten Diensten und der Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern in anderen Branchen. Eher defensiv geht es weiter: »Vor dem Hintergrund der Ergebnisse muss es perspektivisch Ziel der Tarif- und Lohnpolitik sein, die relative Verdienstsituation der Pflegekräfte in der Altenpflege insgesamt zu verbessern und sich dem Verdienstniveau der Pflegekräfte in der stationären Akutversorgung anzunähern.« (S.50). Das hört sich ein wenig so an, als wenn wir noch ein paar Jahre alle Zeit der Welt haben, um schrittweise Verbesserungen umzusetzen. An dieser Stelle hätte man sich deutlichere und konkretere Empfehlungen gewünscht.