Seit vielen Jahren wird auch in diesem Blog immer wieder über die Praktiken beim Billigflieger Ryanair berichtet. Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man zu dem Befund kommt, dass dieses Unternehmen gleichsam stellvertretend für Lohndumping auf dem Rücken der Beschäftigten steht. Am 25. März 2017 wurde in einem längeren Beitrag unter der Überschrift Das moderne Prekariat sitzt nicht (nur) in sozialen Brennpunkten. Sondern auch im Cockpit und fliegt über den Wolken ausführlich darüber berichtet, wie das irische Unternehmen einen Teil seiner Piloten als angeblich Selbstständige fliegen lässt, um erhebliche Kosten zu sparen: »Das ausgeklügelte System aus britischen Personaldienstleistern, Hunderten von „irischen“ Pilotenfirmen und europäischen „Betriebsstätten“ ist auch für die Behörden nur schwer zu durchschauen.« Diese seit Jahren diskutierte und beispielsweise von der Staatsanwaltschaft Koblenz auch verfolgte undurchsichtige Praxis richtete sich nicht nur gegen Piloten, sondern auch gegen die Flugbegleiter.
So wurde im Oktober 2017 über Recherchen des ZDF-Politikmagazins Frontal 21 und der Tageszeitung WELT berichtet: »Die Piloten der Billigfluggesellschaft Ryanair klagen über Lohndumping. Bei Flugbegleitern ist es noch schlimmer. Europas Marktführer für Billigflüge, Ryanair, beschäftigt seine rund 700 in Deutschland stationierten Flugbegleiter offenbar zu rechtswidrigen Konditionen. Das ist das Ergebnis von Prüfungen durch Arbeitsrechtler … Konkret geht es um Formulierungen in den Arbeitsverträgen der Flugbegleiter, die mit deutschem Arbeitsrecht nicht vereinbar sind. Festgehalten ist in den Verträgen zum Beispiel, dass das Kabinenpersonal unbegrenzt unbezahlten Zwangsurlaub akzeptieren müsse. Zudem dürften Angestellte jederzeit ohne Angabe von Gründen gekündigt werden«, berichtete Anette Dowideit damals unter der Überschrift Ryanair soll seine Flugbegleiter illegal beschäftigen. Ryanair argumentiert dagegen, es gelte irisches Arbeitsrecht, da die Flugbegleiter überwiegend in der Luft arbeiteten und dort in irischen Flugzeugen – obwohl deutsche Städte als Dienstorte in den Verträgen stehen.
Das hätte das Unternehmen wohl gerne so, aber: »Die Vertragsgestaltung sei „eindeutig“ illegal, sagt etwa Arbeitsrechtler Peter Schüren, Professor an der Universität Münster. „Wer dauerhaft in Deutschland arbeitet, für den kann kein ausländisches Arbeitsrecht im Arbeitsvertrag vereinbart werden, das den zwingenden Arbeitnehmerschutz nach deutschem Recht unterläuft – das ist europäisches Recht.“ … Zum selben Ergebnis kommt auch der Bremer Rechtsprofessor Wolfgang Däubler, der die Verträge im Auftrag der Bundestagsfraktion der Linken analysiert hat. Das Bundesarbeitsministerium kommentierte den konkreten Fall nicht, machte aber deutlich: „Sollten den Arbeitnehmern Rechte vorenthalten werden, die ihnen nach dem internationalen Privatrecht zustehen, ist dies nicht akzeptabel.“«
In der damaligen Berichterstattung des Politikmagazins Frontal 21 (vgl. dazu: Discountpreise bei Ryanair. Billig auf Kosten der Mitarbeiter) wurde auch ein Zeuge für die Vorwürfe vor der Kamera interviewt: »So erzählt es auch Enrico Ursi, Flugbegleiter bei Ryanair. Ursi ist Italiener, 33 Jahre alt, verheiratet, er hat zwei Kinder und wohnt mit seiner Familie in Süddeutschland. Laut Arbeitsvertrag ist seine Heimatbasis Baden-Baden. Obwohl er seit fünf Jahren in Deutschland lebt, pocht Ryanair darauf, dass sein Arbeitsvertrag irischem Recht unterliege. Das hat für Ursi Folgen. Die Kündigungsfrist beträgt maximal acht Wochen, er muss unbezahlten Zwangsurlaub nehmen und gegenüber dem Ryanair-Betriebsarzt eine Schweigepflichtentbindung akzeptieren.« Zwischenzeitlich müssen wir von den Folgen des mutigen Auftritts berichten: »Einem Betroffenen, der in dem Bericht namentlich aufgetreten war, dem Italiener Enrico Ursi, kündigte Ryanair danach.«
Und auch in der Berichterstattung im Herbst 2017 taucht ein ganz bestimmtes, in Irland ansässiges Unternehmen auf, das auch jetzt wieder Schlagzeilen macht: Crewlink. Auf der Website des Unternehmens wird man mit dieser Botschaft empfangen: „As an official recruitment partner with Ryanair, Crewlink specialises in Recruiting and Employing Airline Cabin Crew for Europe’s leading low-fares airline.“
»Rund die Hälfte aller in Deutschland stationierten Ryanair-Flugbegleiter ist nach Schätzung der Flugbegleitergewerkschaft Ufo beim Personaldienstleister Crewlink angestellt – laut Gewerkschaftsschätzungen handelt es sich um 350 Beschäftigte. Wie aus vorliegenden Arbeitsverträgen hervorgeht, verleiht das Unternehmen schon seit 2012 dauerhaft in Deutschland Flugbegleiter an Ryanair.«
Und was sagte Crewlink zu den Vorwürfen? »Der in Irland ansässige Personaldienstleister Crewlink schreibt auf Anfrage: Es stimme nicht, dass er seit Jahren ohne gesetzliche Grundlage in Deutschland Flugbegleiter an Ryanair vermiete – er überlasse Mitarbeiter nach irischem Recht und habe deshalb keine Genehmigung gebraucht.«
Das Unternehmen und die skizzierte Praxis werden wir gleich wieder aufrufen.
Aber vorher noch ein Blick zurück in den Herbst des vergangenen Jahres, denn da war Ryanair mal wieder in den Negativ-Schlagzeilen, nicht nur wegen der zahlreichen Flugausfälle aufgrund eines offensichtlichen Pilotenmangels, der natürlich mit den desaströsen Arbeitsbedingungen zu tun hat, sondern auch, weil das Unternehmen dem aufbegehrenden Kabinenpersonal überall Steine in den Weg legt, wo es nur geht, beispielsweise bei dem an sich selbstverständlichen Ansinnen, einen Betriebsrat zu gründen. Und da taucht er auf, der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), hier in der Pose des Retters der Arbeitnehmer: Heil eilt dem Flugpersonal zu Hilfe, so ist eine der Meldungen aus dem Herbst 2018 überschrieben: »Im Tarifstreit bei Ryanair können Flugbegleiter und Piloten auf die Unterstützung der Bundesregierung zählen. Arbeitsminister Heil will die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in der Luftfahrtbranche stärken – per Gesetz.« Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wolle Piloten und Flugbegleitern per Gesetz die Gründung eines Betriebsrats unabhängig von Tarifverträgen ermöglichen. „Das bedeutet, dass wir im bestehenden Betriebsverfassungsgesetz auch für Flugpersonal die Möglichkeit schaffen, einen Betriebsrat zu gründen, sofern dieser nicht durch einen Tarifvertrag zustande kommt“, wurde der SPD-Politiker zitiert. Hintergrund: Speziell für den Luftverkehr gab es im Betriebsverfassungsgesetz eine Sonderregelung, dass Betriebsräte nur in Zusammenhang mit einem Tarifvertrag gegründet werden dürfen.
Das war inmitten der nur als historisch zu bezeichnenden ersten Verhandlungen zwischen Ryanair und den Gewerkschaften. Auch damals wurde auf eine Besonderheit hingewiesen: Die Verhandlungen »betreffen rund 1000 Flugbegleiter von Ryanair in Deutschland, wobei 700 davon als Leiharbeiter nicht bei der Airline angestellt sind.« Also nochmal deutlich höhere Werte als in den Berichten aus dem Herbst 2017.
Und natürlich weiß der Herr Minister von der Kraft der beeindruckenden Bilder – und dem Erbgut seiner Partei als Interessenvertreterin der Arbeitnehmer, das dringend einer Auffrischung bedarf, folgend, eilte er medienwirksam zu den streikenden Ryanair-Personal: „Ausbeutung darf in Deutschland kein Geschäftsmodell sein“, forderte der Minister bei einem Treffen mit Ryanair-Mitarbeitern am Flughafen in Frankfurt am Main gemeinsam mit Verdi-Chef Frank Bsirske. Durch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes soll die Gründung eines Betriebsrates auch dann möglich sein, wenn dieser nicht durch einen Tarifvertrag zustande kommt.«
Da hat er zwischenzeitlich auch Wort gehalten (vgl. dazu beispielsweise diese Meldung der Gewerkschaft ver.di: Bundestag sichert Betriebsratsgründung im Luftverkehr – Bsirske: Großer Erfolg für ver.di und die Beschäftigten von Ryanair vom 30.11.2018). Aber die Ausbeutung war ja schon vorher – nach den gewichtigen Vorwürfen dazu auch noch auf deutschem Boden illegalerweise – vorhanden. Das wird der Arbeiterminister Heil sicher intensiv verfolgen, um Unternehmen wie Ryanair endlich die rote Karte zu zeigen. Und vor allem wird er dafür Sorge tragen, dass das in Zukunft unterbunden wird, denn: „Ausbeutung darf in Deutschland kein Geschäftsmodell sein“ (O-Ton Hubertus Heil).
Hätte man denken können – aber immer wieder wird man mit dem Vorwurf konfrontiert, dass so mancher Politiker gerne links blinkt und gleichzeitig rechts abbiegt. Und zuweilen fällt das jemanden auf und dann gibt es unangenehme Berichte:
»Der Billigflieger beschäftigte illegal Flugbegleiter. In Italien gab es dafür eine Millionenstrafe. In Deutschland dagegen halfen die Behörden jetzt, das Modell zu legalisieren«, so Anette Dowideit in ihrem neuen Artikel Deutsche Behörden erlauben Ryanair billige Leih-Flugbegleiter. Und hier taucht er wieder auf, der irische Personaldienstleister Crewlink. Über den schon vor Jahren kritisch berichtet wurde. Aber jetzt werden wir Zeugen einer irgendwie typisch deutschen Entwicklung – in den Worten von Anette Dowideit:
»Viel ist nicht darüber bekannt, was sich zuletzt abspielte zwischen den Verantwortlichen des Billigfliegers Ryanair, der von ihm beauftragten irischen Leiharbeitsfirma Crewlink Ireland Ltd. und deutschen Behörden. Nur dies: Irgendwann zwischen Oktober 2018 und diesem Februar sandte ebenjene Firma, Crewlink, mehrere Rechtsanwälte zu einem Treffen mit der Düsseldorfer Agentur für Arbeit – sie ist nämlich dafür zuständig, irische Firmen für den deutschen Arbeitsmarkt zuzulassen. Bei diesem Treffen war noch jemand anwesend: ein Vertreter des Bundesarbeitsministeriums.
Vor und nach dem Termin telefonierte man zudem sechs Mal miteinander, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Linken-Sprechers für Gewerkschaftspolitik, Pascal Meiser.
Die deutsche Administration war demnach daran beteiligt, ein umstrittenes Beschäftigungsmodell von Ryanair für seine Flugbegleiter zu leaglisieren. Das irische Prinzip: Anstatt die Flugbegleiter selbst anzustellen, borgt sich die Airline welche von der Leiharbeitsfirma. Das geschah bisher zu irischen statt zu strengeren deutschen Regeln – was zum Beispiel deutlich kürzere Kündigungsfristen bedeutete.«
Wie bitte, wird sich der eine oder andere fragen. Ausbeutung darf doch in Deutschland keine Geschäftsmodell sein, so der zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Und dann sowas?
»Bei dem Treffen im Oktober ging es laut offizieller Auskunft um die „Erteilung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung“ für Crewlink. Kurzum: die Genehmigung, hierzulande als Leiharbeitsfirma tätig zu sein. Dass die Gespräche fruchteten, lässt sich auf einer öffentlichen Liste der Bundesagentur für Arbeit nachlesen. Dort stehen alle Firmen, die in Deutschland Arbeitskräfte ausleihen dürfen.
Noch im Oktober stand Crewlink nicht drauf, jetzt schon. Der Vorgang ist auch aus einem anderen Grund brisant: Ryanair leiht nämlich schon seit Jahren Kabinenpersonal auf diese Weise von Crewlink und einer zweiten Firma aus. Die Flugbegleitergewerkschaft UFO schätzt, dass so rund 700 von 1000 Flugbegleitern in Deutschland zum Einsatz kommen. Ryanair spart dadurch Sozialversicherungsbeiträge und Bonuszahlungen, die festangestellte Mitarbeiter wiederum erhalten.«
Also dass das jetzt gleichsam legalisiert wird, ist schon ein starkes Stück. Aber zumindest die jahrelange missbräuchliche Inanspruchnahme wird doch sicher ganz heftig verfolgt werden, denn die eigentlich erforderliche Erlaubnis hatte das Unternehmen in der Vergangenheit definitiv nicht. Und andere Länder mit dem gleichen Problem haben darauf auch reagiert, wie man das als gesetzestreuer Bürger auch erwartet:
»In Italien machte Ryanair es bis vor Kurzem ähnlich, und auch dort besaß die Leiharbeitsfirma nicht die erforderliche Erlaubnis. Die italienische Arbeitsaufsichtsbehörde verhängte deshalb jetzt allein für das untersuchte Jahr 2014 Nachzahlungen in Höhe von 9,2 Millionen Euro gegen Ryanair.«
Geht doch. Also bestimmt auch in Deutschland. »Rechtlich gesehen müsste die illegale Beschäftigung in Deutschland dieselben Konsequenzen haben. Das bestätigte das Bundesarbeitsministerium auf eine weitere Anfrage Meisers. In der Antwort hieß es: „Bei Nichtvorliegen der erforderlichen Erlaubnis gelten die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgesehenen Sanktionen.“«
Jetzt aber. Denkt man so naiv. Denn Dowideit berichtet in ihrem Artikel dem staunenden Leser: »Trotz dieser Feststellung drohen Ryanair in Deutschland aber wohl keine Konsequenzen. Der für solche Rechtsverstöße zuständige Zoll ermittele nicht, teilte das Bundesfinanzministerium mit. Meiser wirft den deutschen Behörden deshalb „mutwillige Untätigkeit“ vor.«
Die bei diesem Thema passende Formulierung „bodenlose Frechheit“ kann man auch dieser Reaktion des Bundesarbeitsministeriums auf die Frage, warum die illegale Beschäftigung nicht geahndet, sondern das umstrittene Arbeitsmodell nun legalisiert wird, entnehmen:
»Das Bundesarbeitsministerium teilt dazu ausweichend mit, die nun erteilte Erlaubnis gelte „nur für die Zukunft“ und sage nichts über mögliche Rechtsverstöße der Vergangenheit aus. Eine ausländische Leiharbeitsfirma müsse man auf deren Antrag hin zulassen, wenn sie glaubhaft mache, dass sie „voraussichtlich deutsches Recht einhalten“ werde.«
Solche Formulierungen sollte sich der Bürger für andere Fälle merken: Ich werde voraussichtlich deutsches Recht einhalten und dann bekomme ich eine Genehmigung.
Und was sagt Ryanair? Von dem Unternehmen kommt nur ein Satz: „Ryanair und die von ihm beauftragten Agenturen halten sich komplett an alle EU-Gesetze.“
Man darf gespannt sein, wie uns der sozialdemokratischen Arbeitsminister diese Gestaltung zu erklären versuchen wird.
Foto: © Stefan Sell