Unabhängig von der Frage, wie man die Ergebnisse bewertet: in der Altenpflege hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge getan. Man denke hier nur an die sogenannten Pflegestärkungsgesetze der letzten Großen Koalition und die derzeitigen Aktivitäten der neuen alten Regierung, Stichwort Finanzierung von 13.000 neuen Pflegestellen oder die Bemühungen der Konzertierten Aktion Pflege. Aber wie man es auch dreht und wendet, die Finanzierungsfrage pendelt als Damoklesschwert über allen wichtigen und richtigen Vorschlägen, die auf reale Verbesserungen in der Altenpflege gerichtet sind, also beispielsweise die unbedingt erforderliche flächendeckende und verbindliche Anhebung der Vergütung der Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Altenpflege sowie die gesetzgeberische Verankerung von verbindlichen Personalschlüsseln, die dann schrittweise und ebenfalls verbindlich anzuheben wären, um klare Signale auszusenden, dass man einen verlässlichen Kampf gegen den Pflegenotstand aufgenommen hat.
Man muss nun wirklich keine umfangreiche Studie machen, die belegen würde, dass ein solches Vorgehen erhebliche zusätzliche Finanzmittel erforderlich macht. Allein die Anhebung der Löhne der in der Altenpflege beschäftigten Pflegekräfte „nur“ auf das höhere Niveau der in den Krankenhäuser beschäftigten Pflegekräfte würde zu zusätzlichen Ausgaben in einer Größenordnung von etwa 5,9 Milliarden Euro führen. Auch die gesetzlich verbindliche und dann auch noch verbesserte Ausgestaltung von Pflegepersonalschlüsseln müsste gegenfinanziert werden.
Aber selbst wenn wir das als Zukunftsmusik einordnen – bereits das derzeitige Konzert an pflegepolitischen Maßnahmen (hier vor allem die tatsächlichen Leistungsverbesserungen der Pflegebedürftigen sowie die Ausweitung der Personengruppe, die als Pflegebedürftige nach SGB XI Leistungen finanziert bekommen können) im Zusammenspiel mit fundamentalen Entwicklungen wie der Verschiebung der Pflegearrangements und der nachfrageseitig aus demografischen Gründen wachsenden Zahl an Pflegebedürftigen führt zu einem permanenten Druck auf das gegebene Finanzierungssystem. Das nun ist dadurch charakterisiert, dass es ein Mischsystem aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen ist, in dem die Pflegeversicherung nach SGB XI als Teilleistungsversicherung eben nur einen Teil der Pflegekosten übernimmt. Hinzu kommen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen und ggfs. ihrer Angehörigen sowie die Leistungen der Sozialhilfe nach SGB XII. Die Angehörigen spielen eine bedeutsame Finanzierungsrolle, wenn man bedenkt, dass die große Mehrheit der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt wird und eben nicht in den in der öffentlichen Diskussion immer im Mittelpunkt stehenden Pflegeheimen.
Das führt dann schon seit längerem dazu, dass trotz aller systematisch eingebauten Deckelungen die Ausgabenentwicklung in der umlagefinanzierten sozialen Pflegeversicherung zu einem permanenten Druck auf die Einnahmenseite führt, der sich regelmäßig in Beitragssatzerhöhungen niedergeschlagen hat. Dazu ausführlicher dieser Beitrag, dem auch die Abbildung entnommen wurde: Die „Beitragstreppe“ in der Pflegeversicherung wird steiler und die Systemfragen immer drängender. Diesseits und jenseits der nächsten Beitragssatzanhebung (13. Oktober 2018):
Aber schon mit Blick auf die Gegenfinanzierung der steigenden Ausgaben in der Pflegeversicherung aufgrund der bereits beschlossenen Maßnahmen und damit ohne Berücksichtigung der angesprochenen und dringend notwendigen zusätzlichen Verbesserungen kann und muss man davon ausgehen, dass die letzte, erst zum Anfang dieses Jahres vorgenommene deutliche Anhebung der Beitragssätze zur Sozialen Pflegeversicherung nicht ausreichen werden. Wohlgemerkt, die anstehenden weiterreichenden Verbesserungen sind da noch gar nicht eingepreist. Vgl. dazu ausführlicher die Argumentation in dem Beitrag Jetzt ist aber wirklich alles gut bis 2022 bei der Finanzierung der Pflege. Daran kann und muss man zweifeln vom 9. Dezember 2018.
Und zunehmend berichten die Medien über ein Heißlaufen des bestehenden Finanzierungsmischsystems in der Pflege, vor allem hinsichtlich der Finanzierung der stationären Altenpflege. Dabei geht es um die mittlerweile stark steigenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Dazu zuletzt hier ausführlicher mit entsprechenden Nachweisen der Beitrag Die zunehmende Privatisierung des Pflegerisikos am Beispiel steigender Eigenanteile der Pflegebedürftigen und schrumpfender Teilleistungen aus der Pflegeversicherung vom 2. Februar 2019.
Die manifeste Überforderung vieler Betroffener ebnet den Weg für ein Aufgreifen einer seit vielen Jahren geführten Debatte über eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung hinsichtlich ihres Leistungsportfolios. Dazu muss man nur verstanden haben, dass zum einen die Pflegeversicherung noch nicht einmal eine Teilkaskoversicherung ist, sondern nur eine gedeckelte und vor allem eine nur nachlaufend und dann auch noch beregnzt dynamisierte Teilleistungsversicherung bezogen auf die Pflegekosten (die wiederum nur einen Teil der für die Betroffenen relevanten Gesamtkosten darstellen). Allein das führt zu einer Entwertung des Leistungsanteils der Pflegeversicherung. Hinzu kommt bei der Pflegeheimunterbringung, dass erhebliche Kostenanteile, beispielsweise für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten, vollständig und alleine von den betroffenen Pflegebedürftigen zu tragen sind.
Vor diesem Hintergrund wird nun schon seit längerem eine Reformdiskussion geführt, die man so zusammenfassen kann wie in der Überschrift dieses Beitrags vom 16. Oktober 2018: Von der Teilleistungs- über eine „echte“ Teilkasko- zu einer „Fast“-Pflegevollversicherung? Oder doch den Blick über den Beitragstopf hinaus richten? Zumindest der erste Schritt eines Umbaus der bestehenden Teilleistungs- zu einer „echten“ Teilkaskoversicherung gibt es nun auch im politischen Raum Bewegung:
» Die Länder Hamburg, Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein werben für eine „Weiterentwicklung“ der Pflegeversicherung. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hat vor zwei Wochen zentrale Inhalte der Entschließung vorgestellt, der sich nun drei weitere Länder anschließen. Danach sollen die Kosten der Behandlungspflege von Heimbewohnern künftig von den Krankenkassen finanziert, soll eine Obergrenze für den Eigenanteil von Pflegebedürftigen eingezogen und ein Bundeszuschuss aus Steuermitteln als weitere Finanzierungssäule etabliert werden.« Das berichtet die Ärzte Zeitung unter der Überschrift Vier Länder werben für Finanzreform. Schauen wir uns das einmal genauer an.
Der Antrag der Länder Hamburg, Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein „Entschließung des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung“ ist als Bundesrats-Drucksache 106/19 vom 01.03.2019 veröffentlicht worden. Er soll am 15. März 2019 im Bundesrat auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Der Antrag der vier Länder beinhaltet diese drei Kernpunkte:
➞ Die Kosten für die Behandlungspflege von Heimbewohnerinnen und – bewohnern werden aus der Krankenversicherung finanziert.
➞ Das bisherige System der Pflegeversicherung wird so geändert, dass für den Eigenanteil der Pflegebedürftigen an den erforderlichen Pflegeleistungen eine Obergrenze gesetzlich festgelegt wird und die Pflegeversicherung alle darüber hinausgehenden und erforderlichen Pflegekosten trägt.
➞ Das Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität bei der Finanzierung von Pflegeleistungen wird neu ausbalanciert. Begrenzte und kalkulierbare Eigenbeiträge der Pflegebedürftigen und die paritätischen Beiträge zur Pflegeversicherung werden ergänzt durch einen dynamisierten Zuschuss aus dem Bundeshaushalt an den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung. In einem ersten Schritt orientiert sich die Höhe des steuerfinanzierten Zuschusses am Wert der Leistungen, die die Pflegeversicherung derzeit vordringlich im gesamtgesellschaftlichen Interesse erbringt.
Zur Begründung wird seitens der Antragsteller vorgetragen:
»Die mit den Pflegestärkungsgesetzen II und III umgesetzte Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und entsprechenden Leistungen in fünf Pflegegraden haben insbesondere für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen die Unterstützung durch Leistungen der Pflegeversicherung deutlich verbessert. Vorrangig ist der Personenkreis größer geworden, der auf Leistungen der Pflegeversicherung vertrauen kann.
Die gewünschte Entwicklung aus besseren Leistungen und mehr Pflegepersonal mit besserer Bezahlung wird jedoch dazu führen, dass die Kosten der Pflegedienste und Pflegeheime und in der Folge die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen im heutigen Leistungssystem der Pflegeversicherung rapide steigen werden. Denn die Pflegeversicherung ist bisher noch nicht einmal eine Teilkaskoversicherung. Die Pflegeversicherung sichert nicht das Risiko des Einzelnen umfassend ab, sondern gewährt im Falle der Pflegebedürftigkeit nur einen nach Pflegegraden gestaffelten Zuschuss mit festen gesetzlichen Höchstbeträgen. Darüber hinausgehende Kosten der Pflege müssen die Pflegebedürftigen selbst tragen oder bei nicht ausreichendem Einkommen und Vermögen die Hilfe zur Pflege als Sozialhilfeleistung in Anspruch nehmen. Der Eigenanteil steigt bei jeder Vergütungserhöhung, die zwischen den Pflegekassen und den Trägern der Einrichtungen vereinbart wird.
Durch aktuelle Reformgesetze wie das Pflegepersonalstärkungsgesetz ist es den Pflegeeinrichtungen ermöglicht worden, mehr Pflegefachkräfte einzustellen und die Bezahlung der Pflegekräfte und die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern.«
Das ist eine Zusammenfassung der bekannten Argumente. Und richtig. Aber die Begründung greift auch offensiv die Punkte auf, die hier bereits angesprochen und als (noch) nicht berücksichtigt in den Finanzprognosen des Bundesgesundheitsministeriums kritisiert wurden:
»Tarifliche Vergütungen dürfen von den Kostenträgern nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden … Die Vergütung der Pflegefachkräfte in der Langzeitpflege hinkt immer noch der Bezahlung in den Krankenhäusern hinterher. Bei steigender beruflicher Mobilität der Pflegekräfte, die sich mit der generalistischen Pflegeausbildung noch einmal erhöhen (und damit den Pflegeberuf insgesamt attraktiver machen) wird, muss es hier einen Nachholeffekt geben, um die Pflegefachkräfte in der Altenpflege zu halten … Die Personalausstattung der Pflegeheime muss bundesweit besser an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Dazu hat der Gesetzgeber die Entwicklung und Erprobung eines einheitlichen Personalbemessungssystems in Auftrag gegeben, die bis Ende Juni 2020 abgeschlossen sein sollen. Ein einheitliches Personalbemessungssystem wird wahrscheinlich in mehreren Bundesländern die Personalschlüssel in den Pflegeheimen deutlich verbessern und zu entsprechenden Mehrkosten für die Pflegebedürftigen führen.
Pflegedienste und Pflegeheime benötigen dringend mehr Nachwuchs und bilden entsprechend in den letzten Jahren stetig mehr Menschen zu Pflegefachkräften aus. Bei steigender Zahl von Auszubildenden trifft die Finanzierung der Ausbildungskosten wiederum in stetig zunehmendem Maße die Pflegebedürftigen.«
Das ist mehr als zutreffend. Und es ist wichtig, dass diese Punkte klar benannt werden.
Allerdings muss man jetzt auf die Details achten, die im Antrag relevant sind. Denn die von den Ländern geforderte Weiterentwicklung der Pflegeversicherung im Sinne eines Umbaus hin zu einer „echten“ Teilkaskoversicherung bezieht sich nicht auf den Eigenanteil insgesamt, der für die Betroffenen relevant ist, sondern „nur“ auf den Teil davon, der mit den Pflegekosten im engeren Sinne zusammenhängt. Deshalb die für den einen oder anderen irritierende Differenz zwischen dem, was derzeit hinsichtlich des Eigenanteils insgesamt berichtet wird: 1.830 Euro pro Monat. Das ist der für Januar 2019 ausgewiesene Durchschnittsbetrag über alle Bundesländer, mit einer erheblichen Streuung bereits auf der Ebene der Länder – die von 1.218 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt bis 2.252 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen reicht. Zu den Daten der Beitrag Die zunehmende Privatisierung des Pflegerisikos am Beispiel steigender Eigenanteile der Pflegebedürftigen und schrumpfender Teilleistungen aus der Pflegeversicherung vom 2. Februar 2019.
In dem Antrag der Bundesländer wird aber „nur“ von einem Eigenanteil von 618 Euro monatlich berichtet, der Bezugspunkt für die Reformüberlegungen ist (nach den aktuellsten Daten des vdek sind es 655 Euro pro Monat, wenn man den EEA nimmt, also den Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil für die Pflegegrade 2-5). Bezogen auf diesen Teil des Eigenanteils der Pflegebedürftigen gilt dann die Forderung der vier Bundesländer, »dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen gesetzlich festgelegt wird und die Pflegeversicherung künftig alle darüber hinausgehenden und erforderlichen Pflegekosten trägt. Es soll also nunmehr eine echte Teilkaskoversicherung eingeführt werden.«
Warum wird der erhebliche Rest nicht einbezogen? Dazu kann man der Begründung des Antrags entnehmen:
»Dass die Pflegebedürftigen im Pflegeheim die Kosten für Wohnen und allgemeinen Lebensunterhalt (Investitionskosten im Sinne von Kaltmiete und Vergütung für Unterkunft und Verpflegung) selbst tragen, ist breit akzeptiert. Es stellt auch einen Aspekt der Gleichbehandlung von häuslicher und vollstationärer Pflege dar.«
Dass das breit akzeptiert ist, darüber könnte man jetzt trefflich streiten – vor allem angesichts der komplizierten Problematik, dass das „zweite Heimentgelt“, also die vollständig von den Betroffenen selbst zu finanzierenden Investitionskosten, nicht nur überaus intransparent sind, sondern zugleich auch eine der möglichen Quellen für die Generierung von Renditen darstellt. Darauf kann hier aber nur hingewiesen werden.
Natürlich wissen die Bundesländer, dass auch ihr begrenztes Entlastungsmodell der Finanzierungsfrage unterworfen wird. Sie präsentieren einerseits einen bekannten Lösungsansatz – den Verschiebebahnhof zwischen den unterschiedlichen Sozialversicherungsträgern:
»Um den Eigenanteil sozial verträglich zu gestalten, soll, wie bereits von der 95. Arbeits- und Sozialministerkonferenz gefordert, die Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege in Heimen systemgerecht von der Krankenversicherung übernommen werden. Im Gegenzug könnte die Finanzierungsverantwortung für die geriatrische Rehabilitation der Pflegeversicherung (SGB XI) übertragen werden, da erfolgreiche Rehabilitation Pflegebedürftigkeit verhindert, verringert oder hinauszögert.« Und was könnte das bringen?
»Der Aufwand für die medizinische Behandlungspflege in stationären Einrichtungen beläuft sich derzeit schätzungsweise auf ca. 3 Mrd. Euro pro Jahr. Wenn die medizinische Behandlungspflege nicht mehr Teil der Pflegesätze nach SGB XI sind, reduziert sich die Höhe des Eigenanteils für Pflegebedürftige erheblich.«
Und dann weiter: »Auf dieser neuen, abgesenkten Basis soll der bundesdurchschnittliche Eigenanteil der Pflegebedürftigen an den Pflegekosten im Heim gesetzlich „eingefroren“ werden.«
Und was, wenn diese Verschiebung nicht rechtzeitig organisiert wird? Und wie umgehen mit der Tatsache, dass es ja bereits zwischen den Bundesländern ganz erhebliche Unterschiede gibt zwischen den Eigenanteilen (im Sinne der EEA)? Dazu die Antragsbegründung:
»Ohne die systemgerechte Neufinanzierung der Behandlungspflege sollten bei der gesetzlichen Festlegung auf einen von den Pflegebedürftigen zu tragenden Eigenanteil zunächst die unterschiedlichen bundesländerbezogenen durchschnittlichen Eigenanteile zum Maßstab genommen werden. Nach Einführung eines bundesweiten Personalbemessungssystems ist zu prüfen, ob die Höchstbeträge der Eigenanteile bundesweit angeglichen werden können und ggf. in welchem Zeitraum.«
Und wie ist es im bestehenden versäulten System mit der ambulanten Pflege, die ja einer durchaus anderen Finanzierungslogik folgt als die der Pflegeheime? Dazu konstatiert der Antrag eine deutlich unterschiedliche Ausgangssituation:
»Ein großer Teil der Pflegebedürftigen (ca. 68 %) nimmt gar keine Sachleistungen der Pflegeversicherung in Anspruch, stellt die Pflege selbst (in der Regel durch pflegende Angehörige) sicher und bezieht Pflegegeld. Die übrigen nehmen Pflege von Pflegediensten in Anspruch. Sie organisieren insbesondere außerhalb der großen Städte die Pflege oft so, dass die Sachleistungsbeträge der Pflegeversicherung z.T. oder vollständig genutzt werden und restliche Bedarfe familiär oder informell gedeckt werden. Im Vergleich zum stationären Bereich entstehen nur bei einem relativ kleinen Teil privat zu tragende finanzielle Eigenanteile. Bei lang andauernder steigender Pflegebedürftigkeit müssen aber oft immer mehr Pflegedienstleistungen eingekauft werden und die Eigenanteile steigen erheblich. Im Sinne einer Gleichbehandlung mit dem stationären Bereich und der Stärkung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ soll in der ambulanten Pflege deshalb ebenfalls eine Begrenzung der Eigenanteile eingeführt werden. Andernfalls gäbe es einen finanziellen Anreiz für einen fachlich im Einzelfall nicht erforderlichen Umzug in ein Pflegeheim.«
Deshalb plädieren die Länder auch hier für einen gesetzlich fixierten Eigenanteil und einer entsprechenden Verlagerung auf die Pflegeversicherung.
Natürlich bleibt selbst nach einer Verschiebung eines Teils der heute anfallenden Kosten auf die Gesetzliche Krankenversicherung ein unabweisbar höherer Finanzbedarf für die Soziale Pflegeversicherung, der im bestehenden umlagefinanzierten System zu einem Anstieg der Beiträge führen muss.
An dieser Stelle nur zwei ergänzende Anmerkungen.
➞ Zum einen zur aktuellen Finanzsituation der Pflegeversicherung. »Die Pflegeversicherung hat 2018 mit einem Defizit von rund 3,5 Milliarden Euro abgeschlossen. Zugleich schrumpfte die Finanzreserve auf etwa 3,37 Milliarden Euro, was 1,02 Monatsausgaben entspricht … Ende 2017 hatte die Pflegeversicherung … noch eine Rücklage von rund 6,9 Milliarden Euro«, so der Beitrag Pflegeversicherung verzeichnet Defizit von 3,5 Milliarden Euro. Das verdeutlicht, wie angespannt die Finanzlage bereits am aktuellen Rand ist. Das bedeutet aber eben auch, dass es bereits ohne die Kostensteigerungen durch eine mögliche Umsetzung des Antrags der vier Bundesländer einen erheblichen Druck auf die Einnahmenseite in der bestehenden Konfiguration gibt.
➞ Und noch ein zweiter Aspekt sei hier angesprochen, der vor allem den Bereich der Eigenanteile berührt, der auch von den Reformvorschlägen der Bundesländer nicht betroffen wäre, also weiterhin vollständig und allein von den Pflegebedürftigen zu finanzieren wäre: Innovative Bauten, Sensoren im Boden, Robben als Streichelroboter: Eine Studie der Evangelischen Bank prognostiziert Investitionsschub in der Pflegebranche, berichtet Anette Kögel unter der Überschrift „In der Pflegewirtschaft rollt eine Investitionswelle an“. Das muss nun auch alles finanziert werden (was ja der Hintergrund für den Auftraggeber dieser Studie, also die Evangelische Bank, ist). Hier besonders relevant sind solche Hinweise: »Laut einer Umfrage der Evangelischen Bank zur Situation der Pflegewirtschaft in Deutschland plant knapp die Hälfte der 300 befragten Geschäftsführer und Leiter von Pflegeheimen in den kommenden beiden Jahren Sanierungen, Modernisierungen sowie Um-, Aus- oder Neubauten, weitere elf Prozent ziehen entsprechende Schritte in Erwägung. 21 Prozent wollen ihre Bettenkapazität erweitern, sieben Prozent denken darüber nach.« Die hier angesprochenen Investitionskosten werden aber im bestehenden System (das auch die Bundesländer offensichtlich nicht verändern wollen), auf die Betroffenen vollständig verlagert, denn gleichzeitig muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich die öffentliche Hand, hier zuvorderst die Bundesländer, seit langem aus der öffentlichen Finanzierung von Pflegeheimplätzen zurückgezogen haben. Nur irgendwoher muss das Geld halt kommen.
Und wieder zurück zu den Auswirkungen auf die Beitragssätze in der Sozialen Pflegeversicherung: Auch die – wie wir gesehen haben begrenzten – Reformvorschläge „treffen … das solidarische beitragsfinanzierte System der Pflegeversicherung“ auf der Kostenseite. Und da sucht man natürlich neben dem Verschiebebahnhof hin zur Gesetzlichen Krankenversicherung nach weiteren möglichen Entlastungsquellen, die einen ansonsten notwendigen kräftigen Anstieg der Beitragssätze abfedern können. Und man landet beim Steuerzahler:
»Wie in anderen Zweigen der Sozialversicherung wird die Solidarität durch einen dynamisierten Zuschuss aus dem Bundeshaushalt auf eine noch breitere Basis gestellt. Die Auswirkungen auf die beitragszahlenden Versicherten und Arbeitgeber und damit auf die Arbeitskosten werden wirksam gedämpft. Es wird an bereits bestehende Mechanismen in der Kranken- und Rentenversicherung angeknüpft.«
Und in der Begründung findet man einen Hinweis auf die Bereiche, die für eine Legitimierung einer Steuerfinanzierung herangezogen werden:
»In einem ersten Schritt bieten die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der derzeitigen Pflegeversicherung einen Anhaltspunkt für die Höhe des Bundeszuschusses. Die soziale Pflegeversicherung bietet in Anlehnung an die Regelung in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 10 SGB V) Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern sowie Kindern, unter bestimmten Voraussetzungen die beitragsfreie Familienversicherung. Zudem erbringt die soziale Pflegeversicherung für Pflegepersonen in einem erheblichen Rahmen Beitragsleistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1,5, Mrd. € jährlich.
Der steuerfinanzierte Zuschuss ist zu dynamisieren, damit er auf Dauer einen Beitrag zur Deckung der erforderlichen Kostensteigerungen leistet.«
Auch die GKV fordert seit einiger Zeit einen Steuerzuschuss. Insofern erweitert sich hier das entsprechende Spektrum.
Dem einen oder anderen wird vielleicht aufgefallen sein, dass auch in dem Antrag der Bundesländer kein Wort zu finden ist von der anderen Welt der Pflegeversicherung, also der privaten Pflegeversicherung. Man könnte ja durchaus auf die Idee kommen, dass … Aber nein, wieder einmal verweigert man sich an dieser Stelle der Auseinandersetzung.