Gerade im „Jobwunderland“ Deutschland ist ein differenzierter Blick nicht nur auf die eine große Zahl an Irgendwie-Beschäftigten wichtig, sondern auf die Art und Weise, wie die Menschen beschäftigt sind, unter welchen Bedingungen und für welche Löhne bzw. Einkommen sie arbeiten gehen (müssen). Dabei wird man immer wieder mit der These konfrontiert, dass die Zahl der „prekär“ Beschäftigten trotz (?) der guten allgemeinen Arbeitsmarktentwicklung zugenommen hat, dass immer mehr Arbeitnehmer von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind. Und es gibt ja durchaus eine Menge Beispiele gerade aus den Branchen, in denen die Arbeitskräftenachfrage steigt, wo neue Jobs geschaffen werden, die darauf hindeuten, dass es für Millionen Arbeitnehmer düster aussieht.
In diese kritische Diskussionslinie passen dann solche Meldungen: Beschäftigungsverhältnisse zunehmend kürzer: »Die Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer in Deutschland werden immer kürzer.« Grundlage dafür ist die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Sabine Zimmermann im Deutschen Bundestag.
Schauen wir uns die Meldung einmal genauer an: »Die Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer in Deutschland werden immer kürzer. Diese hätten zum Stichtag Ende des vergangenen Jahres bei bestehenden sozialversicherungspflichtigen Jobs im Mittel gut 51 Monate gedauert, wie das Bundesarbeitsministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte. 2005 seien es noch durchschnittlich über 58 Monate gewesen. Als Gründe neben Entlassungen oder Eigenkündigungen genannt wurden unter anderem mehr Befristungen und projektbezogene Stellen.
Demnach bestand Ende 2017 fast ein Drittel aller existierenden Beschäftigungsverhältnisse seit weniger als zwei Jahren. Bei lediglich 28 Prozent waren es mindestens zehn Jahre.«
Das passt auf der einen Seite in die angesprochene kritische Sichtweise auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt, nach der es überall schlechter wird.
Auf der anderen Seite wird man vielleicht etwas irritiert sein, denn vor einiger Zeit gab es ganz andere Berichte zu diesem Thema.
So wurde man beispielsweise im August 2017 mit einem solchen Befund konfrontiert: »Die meisten Unternehmen in Deutschland setzen auf eine langfristige Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern. Das zeigen Daten zur durchschnittlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit. Die Mär vom modernen Arbeitnehmer, der als Unternehmer in eigener Sache von einem Job zum nächsten eilt, stimmt nicht mit der Realität überein.« Das kam vom arbeitgeberfinanzierten Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Lange im Betrieb, so ist der Beitrag von Holger Schäfer überschrieben:
»Immer weniger stabile Beschäftigungsverhältnisse, kaum noch Festanstellungen und Arbeitnehmer, die wie Nomaden von einem Unternehmen zum anderen ziehen – dieses Bild wird in der Öffentlichkeit häufig vom deutschen Arbeitsmarkt gezeichnet. Der Realität entsprechen diese Annahmen jedoch nicht. Auswertungen des Sozio-oekonomischen Panels, in dem rund 17.000 Erwerbstätige befragt wurden, zeigen: Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer ist seit Jahrzehnten auf einem hohen, sogar leicht steigenden Niveau.«
Heute hier, morgen dort: Das Arbeitsleben ist mittlerweile eine Verkettung schneller Jobwechsel, so denken viele. Doch stimmt das überhaupt? Diese Frage haben sich damals auch Anna van Hove und Matthias Kaufmann gestellt und dazu denBeitrag Job fürs Leben oder ständig was Neues? veröffentlicht. Auch sie gehen von diesen Befund aus: »Tatsächlich hat sich die durchschnittliche Zeit, die deutsche Arbeitnehmer bei demselben Betrieb arbeiten, in den vergangenen Jahren kaum verändert – im Gegenteil: Sie ist sogar leicht gestiegen.« Konkret erfahren wir: 2014 lag die »Betriebszugehörigkeitsdauer bei 10,9 Jahren. Seit den achtziger Jahren hat sich der Wert sogar leicht erhöht, 1985 betrug er 10,1 Jahre.« Und als ein weiterer Beleg wird angeführt: »Auch der Anteil der Menschen unter den Beschäftigten, die länger als zehn Jahre bei einem Unternehmen waren, ist leicht gestiegen, von 39 Prozent im Jahr 2000 auf 42 Prozent in 2014.«
Aber man wird dann doch noch auf einen interessanten – abweichenden – Aspekt hingewiesen: Für junge Arbeitnehmer dreht sich die Arbeitswelt tatsächlich schneller, so Hove und Kaufmann. Sie schreiben dazu:
»In den ersten Jahren des Berufslebens sind die Beschäftigungsverhältnisse kürzer geworden. Betrachtet man jeweils Arbeitnehmer im Alter von 15 bis 30 Jahren, dann blieben sie Mitte der 1970er Jahre durchschnittlich 834 Tage beim selben Betrieb, im Jahr 2009 nur noch 652 Tage – ein Rückgang von 22 Prozent. Wer 1979 ins Berufsleben einstieg, behielt diese erste Stelle sogar durchschnittlich 920 Tage lang. Besonders stark betroffen von dieser Beschleunigung sind junge Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung.«
Und in diesem Zitat findet man auch einen wichtigen Hinweis auf methodische Tiefen und Untiefen bei der Beantwortung der Frage nach der Betriebszugehörigkeitsdauer, die auch für die aktuellen Meldungen höchst bedeutsam sind: Wie misst man eigentlich die Betriebszugehörigkeitsdauer?
Verdeutlichen wir das am Beispiel der am Anfang dieses Beitrags zitierten neuen Meldung auf der Basis der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage im Bundestag. In der Antwort wird ausgeführt, dass die mittlere Dauer, konkret: die Mediandauer, der Beschäftigungsverhältnisse zwischen 2005 und 2017 von 58 auf rund 51 Monate abgesunken sei. Demnach bestand die Hälfte dieser Beschäftigungsverhältnisse zum Stichtag am 31.12.2017 seit weniger als 51 Monaten.
Für die Linken-Politikerin Sabine Zimmermann ist das ein Zeichen einer stärkeren Arbeitnehmer-Fluktuation am Arbeitsmarkt, die unter anderem durch einen Zuwachs an Befristungen und Projektstellen hervorgerufen würde. Doch stimmt diese Einschätzung? Dieser Frage geht auch der Artikel Wechseln Arbeitnehmer wirklich immer schneller ihren Job? nach. Und kommt zu interessanten Ergebnissen:
»Die Zahlen des BMAS entstammen der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) und beziehen sich auf den Bestand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, hier zum Stichtag 31. Dezember 2017. Die mittlere Dauer von 51,2 Monaten berücksichtigt demnach alle zum Stichtag bestehenden, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Dazu zählen natürlich alle kurz vor dem Stichtag geschlossenen Arbeitsverhältnisse. Kommen also viele neue Beschäftigungsverhältnisse zustande, sinkt der Median insgesamt ab.«
Die alleinige Betrachtung des Bestands der Beschäftigungsverhältnisse ist irreführend. Man muss sich die mittlere Dauer der beendeten Beschäftigungsverhältnisse anschauen.
»Diese misst, wie lange die Beschäftigungsverhältnisse zum Zeitpunkt ihrer Beendigung bestanden. Aus der Statistik der BA geht hervor, dass die mittlere Dauer der beendeten im Gegensatz zu den bestehenden Beschäftigungen sogar leicht gestiegen ist. Sie lag im Jahr 2017 bei 9,7 Monaten, 2013 waren es 9,1 Monate.«
Fazit: Insgesamt lässt sich aus der BA-Statistik kein klarer Trend zu kurzfristigeren Beschäftigungsverhältnissen ablesen.
Das soll keineswegs eine kritische und den Finger auf reale Missstände in vielen Branchen legende Betrachtung der Arbeitsmärkte zurückweisen, eine solche wird hier immer wieder in aller Deutlichkeit praktiziert, beispielsweise mit Blick auf Paketzusteller, Pflegekräfte usw.
Aber man sollte bei der Analyse und Bewertung der Daten sorgfältig arbeiten und keine Thesen in die Welt setzen, die sich so nicht belegen lassen.