Nach einigem lautstarken Hin und her sind die im Koalitionsvertrag fixierten rentenrechtlichen Veränderungen als Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -stabilisierungsgesetz) am 29. August 2018 vom Kabinett verabschiedet worden (vgl. zu den wichtigsten Punkten auch diese zusammenfassende Übersicht von Johannes Steffen). Damit geht das jetzt seinen weiteren parlamentarischen Gang. In der öffentlichen Debatte ging und geht es vor allem um das in diesem Gesetzentwurf enthaltene Vorhaben, eine „doppelte Haltelinie“ zu ziehen beim Beitragssatz und beim Rentenniveau: In der allgemeinen Rentenversicherung darf das Sicherungsniveau vor Steuern (SvS = Rentenniveau) bis zum Jahr 2025 48 Prozent nicht unterschreiten und der Beitragssatz darf bis zum Jahr 2025 20 Prozent nicht überschreiten. Sofort, man möchte sagen: reflexhaft, ging es um die bekannten Grundsatzfragen nach der „Generationengerechtigkeit“ (entgegen der weit verbreiteten Verwendung gerade kein wirklich objektives, sondern ein höchst normatives Konzept, das notwendige Differenzierungen zwischen verschiedenen Personengruppen eher zukleistert) und immer wieder wird von „Rentengeschenken“ geschrieben, um die Vorhaben zu diskreditieren.
Aber in dem Gesetzentwurf sind zwei Aspekte enthalten, die von den Befürwortern als eindeutige Leistungsverbesserungen herausgestellt werden – und die sich auf Bereiche beziehen, die tatsächlich von vielen Beobachtern des bestehenden Systems als dringend renovierungsbedürftig markiert worden sind: Zum einen die Erwerbsminderungsrenten und zum anderen die Belastungssituation durch die prozentuale Beitragserhebung oberhalb der heutigen Grenze der Midijobs (der bisher „Gleitzone“ genannte Übergangsbereich mit einer reduzierten Beitragsbelastung des Bruttoeinkommens beginnt oberhalb der 450 Euro-Grenze der Minijobs und endet derzeit noch bei 850 Euro). In diesem Beitrag soll ein genauerer Blick auf die geplanten Änderungen im Bereich der Erwerbsminderungsrenten geworfen werden.
Die Erwerbsminderungsrenten sind kein kleiner Randbereich des Alterssicherungssystems. Bei dieser Rentenart geht es um Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig verrentet werden (müssen). Derzeit gibt es mehr als 1,8 Millionen Menschen, die eine Rente wegen Erwerbsminderung beziehen (vgl. auch die Daten in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleien Anfrage der Grünen im Bundestag: Die Erwerbsminderungsrente, Bundestags-Drucksache 19/1208 vom 14.03.2018). Abgesehen von Sondereffekten kann man sagen, dass jährlich mit 20 Prozent gut jeder fünfte Rentenzugang auf die Erwerbsminderungsrente entfällt. Als Erwerbsminderungsrentner wurden im vergangenen Jahr knapp 166.000 Personen anerkannt. Hauptursache beim Rentenzugang wegen verminderter Erwerbsfähigkeit waren 2017 unabhängig vom Geschlecht psychische Störungen – allerdings mit einem erheblichen Gefälle zwischen Frauen und Männern (vgl. dazu: Die häufigsten Ursachen für Erwerbsminderungsrenten). Mit Abstand häufigste Ursache sind Zahlen der Deutschen Rentenversicherung zufolge psychische Erkrankungen. Auf deren Konto gingen deutlich mehr als vier von zehn Rentenzugängen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Psychische Störungen lagen zwar bei Frauen wie auch bei Männern an erster Stelle. Allerdings war bei Letzteren der Anteil mit nur einem guten Drittel deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt. Bei den Frauen war es hingegen beinahe die Hälfte.
Deren Situation wird immer wieder kritisch beleuchtet vor allem hinsichtlich der niedrigen Rentenhöhe. Dazu beispielsweise dieser Artikel von Rainer Woratschka: Bei Erwerbsminderung: 716 Euro im Monat: »Laut Statistik der Deutschen Rentenversicherung (DRV) erhielten Arbeitnehmer, die im vergangenen Jahr erstmalig eine Erwerbsminderungsrente zugesprochen bekamen, im Durchschnitt 716 Euro pro Monat. Allerdings zeigen politische Reformen erste Wirkung. Im Jahr 2016 belief sich der Zahlbetrag im Schnitt noch auf 697 Euro.« Diesen Durchschnittsbetrag muss man vor dem Hintergrund einordnen, dass der Bedarf in der Grundsicherung bei gut 800 Euro im Monat liegt, so dass es nicht überraschen kann, dass mehr als 15 Prozent der Erwerbsminderungsrenter aufstockend Leistungen aus dem Grundsicherungssystem beziehen (müssen).
Bei der Höhe der Erwerbsminderungsrenten hat sich also – auf einem niedrigen Ausgangsniveau – etwas getan, weil man an einem der beiden zentralen Stellschrauben gedreht hat: der Zurechnungszeit (daneben wird die niedrige Höhe der Erwerbsminderungsrenten auch durch die lebenslangen Abschläge beeinflusst, die von fast allen Betroffenen zu tragen sind und die bis 10,8 Prozent der Rentenzahlung betragen können). »Bis Juli 2014 wurden Erwerbsminderungsrentner so gestellt, als hätten sie bis zum 60. Lebensjahr gearbeitet. Bis 2017 wurde so getan, als wären sie mit 62 aus dem Erwerbsleben geschieden. Und seit Anfang 2018 wird die Zurechnungszeit für alle neuen Erwerbsminderungsrentner nach und nach um weitere drei Jahre verlängert. Wer ab 2024 eine Erwerbsminderungsrente bekommt, wird folglich so behandelt, als habe er mit seinem Durchschnittsverdienst bis zum 65. Geburtstag gearbeitet«, so Woratschka in seinem Artikel. Und genau an dieser Stelle soll nun erneut gedreht werden.
Im vorliegenden Gesetzentwurf heißt es zu den geplanten Verbesserungen: »Die Absicherung bei Erwerbsminderung wird deutlich verbessert. Die Zurechnungszeit wird für Rentenzugänge im Jahr 2019 in einem Schritt auf 65 Jahre und 8 Monate angehoben. Anschließend wird sie in Anlehnung an die Anhebung der Regelaltersgrenze weiter auf 67 Jahre verlängert.« Damit wird der Pfad der bisherigen Veränderungen in diesem Bereich fortgeführt. In der vergangenen Legislaturperiode gab es zwei entsprechende gesetzgeberische Aktivitäten – nicht nur 2014 zu Beginn der letzten GroKo, sondern auch im Jahr 2017 am Ende der Regierungszeit. Dazu ausführlicher der Beitrag Wie weiter mit der Erwerbsminderungsrente? Die Bundesregierung will die verbessern, aber nur für die Zukunft und wieder nur in kleinen Schritten vom 15. Mai 2017. Allerdings wurde in diesem Beitrag bereits auf einen für viele Betroffene ganz entscheidenden Punkt hingewiesen: Alle Neuregelungen gelten immer nur für die Neufälle nach dem Inkrafttreten der rentenrechtlichen Regelungen, was also bedeutet: Die „Altfälle“ gehen leer aus und bekommen nichts von den Verbesserungen. Das betrifft übrigens auch die nun geplanten Verbesserungen bei der Zurechnungszeit.
Nun gibt es allerdings eine interessante kritische Diskussion über die geplanten Verbesserungen für die zukünftigen Erwerbsminderungsrentner: Bedenken gegen die Rentenerhöhung, so ist einer der Berichte darüber überschrieben: Die Verbesserung schießt nach Ansicht von Arbeitgebern über das Ziel hinaus und der Finanzmathematiker Werner Siepe befürchtet „unerwünschte Rentenstrategien“. Durch die Änderungen bei der Zurechnungszeit für Neufälle werden die Antragsteller ab Januar so gestellt, als hätten sie bis zum regulären Rentenbeginn gearbeitet. „Doch die Deutsche Rentenversicherung, Arbeitgeber und Rentenfachleute melden Bedenken an. Nach ihrer Einschätzung könnten Erwerbsgeminderte nach einem frühen Abschied aus dem Berufsleben trotz Abschlägen künftig besser dastehen als Arbeitnehmer, die im gleichen Alter in Altersrente gehen.“
Die Deutsche Rentenversicherung erwarte im kommenden Jahr wegen der Pläne der Koalition einen deutlichen Anstieg der Rentenanträge von Versicherten mit gesundheitlichen Problemen über 60 Jahre. Schon jetzt könnten sich die von der Rentenversicherung beauftragten Vertrauensärzte vor Zusatzarbeit nicht retten, werde berichtet.
Werner Siepe wird so zitiert: „Eine sprunghafte Erhöhung der Erwerbsminderungsrenten bei Rentenbeginn ab 2019 mag sozialpolitisch erwünscht sein. Sie führt aber zu unerwünschten Rentenstrategien. Jedem Erwerbsgeminderten kann man aus rein finanzieller Sicht nur raten, den geplanten Antrag auf Erwerbsminderung auf 2019 zu verschieben.“ Ein Durchschnittsverdiener erhalte bei Beginn 2019 auf einen Schlag 98 Euro mehr Monatsrente.
Die Arbeitgeber haben das in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf aufgegriffen: »Ein Versicherter, der 2019 mit 64 Jahren und zwei Monaten in Erwerbsminderungsrente gehe, erhalte rund zehn Prozent mehr als ein vergleichbarer Versicherter, der eine vorzeitige Altersrente bezieht.« Sie haben den Bundesarbeitsminister aufgefordert, die abermalige Verlängerung der Zurechnungszeit zu unterlassen. Vgl. dazu die Stellungnahme der BDA vom 26. Juli 2018 unter der Überschrift: Teuer, ungerecht und kurzsichtig. Dort findet man die beiden folgenden Einwände der Arbeitgeber-Seite:
➔ »Die geplante sofortige Anhebung der Zurechnungszeiten an die Regelaltersgrenze sorgt unnötig für eine erhebliche Ungleichbehandlung von Erwerbsminderungsrentner, die vor bzw. nach dem Jahreswechsel 2018/19 in Rente gehen. Die erst im letzten Jahr von der Großen Koalition beschlossene schrittweise Anhebung der Zurechnungszeiten von 62 auf 65 Jahre über einen Zeitraum von 7 Jahren begrenzt dagegen die mit Stichtagsregelungen stets verbundenen Ungleichbehandlungen auf jeweils sehr geringe Unterschiede bei der Rentenhöhe. Bei Umsetzung der jetzt geplanten sofortigen Anhebung würde hingegen ein Erwerbsminderungsrentner, der unmittelbar vor dem Stichtag in Erwerbsminderungsrente geht, sehr viel schlechter gestellt als ein Erwerbsminderungsrentner, der nach dem Stichtag in Rente geht. Wer bis zum Jahresende in Erwerbsminderungsrente geht, wird so gestellt, als habe er bis 62 Jahre und 3 Monate gearbeitet. Wer dagegen unmittelbar nach dem Jahreswechsel in Erwerbsminderungsrente geht, für den gilt eine Zurechnungszeit von 65 Jahren und 8 Monaten. Die damit ab dem Stichtag 1. Januar 2019 um 3 Jahre und 5 Monate erhöhte Zurechnungszeit macht bei einem Durchschnittsverdiener immerhin mehr als 100 € Unterschied bei der monatlichen Rente aus. Ohne Not würde die Große Koalition damit von einer von ihr selbst erst vor einem Jahr beschlossenen sinnvollen Stufenregelung bei der Anhebung der Zurechnungszeit abweichen und durch eine Stichtagsregelung eine nachvollziehbare Verärgerung der betroffenen Versicherten provozieren.«
➔ »Die geplante Regelung hätte zur Folge, dass rentennahe Erwerbsminderungsrentner deutlich besser gestellt werden als Altersrentner mit gleicher Versicherungsbiografie. Die Große Koalition hat die von ihr im letzten Jahr beschlossene stufenweise Anhebung der Zurechnungszeiten von 62 auf 65 Jahre bis zum Jahr 2024 im Gesetzgebungsverfahren – systematisch schlüssig – damit begründet, dass bis zum Jahr 2024 auch das abschlagsfreie Rentenalter für Erwerbsminderungsrenten auf 65 Jahre angehoben sein wird (§ 264d SGB VI). Mit der jetzt vereinbarten sofortigen Anhebung der Zurechnungszeiten und ihrer weiteren Bindung an die Regelaltersgrenze würde diese sinnvoll aufeinander abgestimmte Anhebung der Zurechnungszeiten und der abschlagsfreien Altersgrenze hingegen mit durchbrochen. Die Zurechnungszeiten würden – kurz- und auch langfristig – über die abschlagsfreie Altersgrenze hinaus angehoben, d. h. Erwerbsgeminderten würde eine längere Beschäftigungsdauer zugesichert, als sie für den Bezug einer abschlagsfreien Rente erforderlich ist. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind absurd, schon weil es zu einer nicht vertretbaren Ungleichhandlung von Erwerbsminderungs- und Altersrenten käme.«
Es geht letztendlich um das Problem der Abschläge bei den Nicht-Erwerbsminderungsrentnern, wenn die vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in die Altersrente gehen (müssen).
Allerdings: »Trotz der geplanten weiteren Verbesserungen wird die Rente vieler chronisch Kranker weiterhin wenig über der Grundsicherung liegen«, kann man diesem Artikel entnehmen: »Die Debatte über die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplanten Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) droht, in eine problematische Richtung zu kippen. Nachdem eine Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bekannt wurde, der zufolge ab 2019 „in der Altersgruppe ab 60 deutlich mehr Anträge“ auf eine EM-Rente zu erwarten seien, kursieren in der Öffentlichkeit Spekulationen über eine künftige Überversorgung vieler chronisch Kranker und Unfallopfer durch das von Heil geschnürte Rentenpaket. Die Arbeitgeberverbände und ihnen nahestehende politische Initiativen forderten bereits einen Stopp der Reform.« Allerdings muss man auf die realen Zahlen schauen:
➔ »Aufgrund der Reform der Renten für chronisch Kranke zu Beginn des Jahrhunderts waren die Ansprüche von Neurentnerinnen und -rentnern zwischen 2000 und 2011 im Schnitt von 706 Euro auf unter 600 Euro monatlich gesunken. Erst in den vergangenen Jahren – und verstärkt seit dem Rentenpaket von 2014 – legten die Bezüge der Frührentner wieder schrittweise zu: Wer im Jahr 2017 gesundheitsbedingt aus dem Beruf ausscheiden musste, bekam im Schnitt eine monatliche Nettorente von 716 Euro überwiesen. Sie ist damit erst jetzt wieder ähnlich hoch wie 17 Jahre zuvor. Zudem lag der durchschnittliche monatliche Grundsicherungsbedarf für die Betroffenen im vergangenen Jahr geschätzt bereits bei etwa 790 Euro – mit ebenfalls steigender Tendenz.«
➔ »Würde die Zurechnungszeit, wie von Sozialminister Heil geplant, ab 2019 vom Eintritt der Erwerbsminderung bis zum Alter von 65 Jahren und acht Monaten verlängert, würde sie sich für einen bisherigen Durchschnittsverdiener zwar rechnerisch um knapp 100 Euro erhöhen. In der Praxis gehören viele Erwerbsgeminderte jedoch oft wenig qualifizierten Berufsgruppen mit geringem Verdienst und entsprechend niedrigem Rentenanspruch an.«
Die von den Kritikern prognostizierte (möglicherweise) stärkere Inanspruchnahme der verbesserten Erwerbsminderungsrente in den rentennahen Jahrgängen muss auch vor dem Hintergrund dieser Relationen eingeordnet werden:
➔ »Nach Zahlen der Rentenversicherer von 2016 waren rund 28.500 der insgesamt 174.000 neu Erwerbsgeminderten 60 Jahre oder älter … Im Schnitt traten Erwerbsgeminderte im Jahr 2016 mit 51,7 Jahren in den Vor-Ruhestand.«
Die Debatte bezieht sich also (nur) auf eine Teilgruppe der zukünftigen Erwerbsminderungsrentner. In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung argumentiert die Deutsche Rentenversicherung in einem ersten Schritt wie die Kritiker: »Durch die Neuregelung wird für erwerbsgeminderte Versicherte, die auch die Voraussetzungen für eine vorgezogene Altersrente erfüllen, die Erwerbsminderungsrente teils deutlich höher ausfallen als die für sie alternativ in Betracht kommende Altersrente … Dies ist dadurch bedingt, dass der Erwerbsminderungsrente – anders als der vorgezogenen Altersrente – zusätzliche Anwartschaften aufgrund der bis zur Regelaltersgrenze verlängerten Zurechnungszeit zu Grunde liegen. Auch fällt der Rentenabschlag bei Erwerbsminderungsrenten in diesen Fällen zumeist niedriger aus als bei einer Altersrente mit zeitgleichem Beginn. Selbst für Versicherte, die die Voraussetzungen für die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte erfüllen, wird die Erwerbsminderungsrente im Vergleich höher ausfallen.« (S. 5). Daraus wird dann die folgende und bereits zitierte Vermutung abgeleitet: »Derzeit ist ab dem Alter 60 der Zugang in die Erwerbsminderungsrente nur etwa halb so hoch wie in der Gruppe der 55- bis 59-Jährigen. Durch eine im Vergleich zur Altersrente höhere Erwerbsminderungsrente ist zu erwarten, dass zukünftig in der Altersgruppe ab 60 deutlich mehr Anträge auf Erwerbsminderungsrenten gestellt werden.«
Dann aber diese Anmerkung in der Stellungnahme der Rentenversicherung: »Die Unterschiede zwischen der Höhe der Erwerbsminderungsrente einerseits und der Altersrente andererseits sind jedoch sozialpolitisch gerechtfertigt, da erwerbsgeminderte Versicherte – anders als nicht erwerbsgeminderte – gesundheitlich daran gehindert sind, weitere Rentenanwartschaften zu erwerben.«
Damit wären wir schlussendlich bei einem zentralen Dilemma angekommen – der unterschiedlichen Sicherungslogik im Vergleich einer „normalen“ Altersrente und einer Erwerbsminderungsrente. Im bestehenden System muss jede Teil-Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrenten im Zusammenspiel mit den für alle geltenden Abschlägen zunehmend zu Überlappungsproblemen und – möglichen! – Anreizproblemen führen. Die diskutierten Anreize müssen aber auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass man nicht einfach per Knopfdruck selbst entscheiden kann, mal eben in die Erwerbsminderungsrente zu gehen, sondern dieser Status ist mit einer entsprechenden Überprüfung und ärztlichen Feststellung verbunden.
Zugleich wird die übrigens nicht nur sozialpolitisch relevante Frage, wie man die Menschen, die es körperlich oder psychisch nicht bis zu den weiter nach oben wachsenden Regelaltersgrenzen schaffen mit ihrer Erwerbsarbeit, halbwegs ordentlich absichern kann, damit die nicht auf der Strecke bleiben. Natürlich wird eine Realisierung dieses primär sozialpolitischen Sicherungsziels dazu führen, dass es in dem einen oder anderen Fall entsprechende Anreize geben könnte, den Übergang in die Erwerbsminderung als Ausweichstrategie zu benutzen. Wie groß das empirisch tatsächlich heute schon ist bzw. werden könnte, muss derzeit als offene Frage in den Raum gestellt werden.
Fazit: Die geplanten Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind einerseits mit Blick auf die tatsächliche Situation der von dieser Leistung abhängigen Menschen durchaus als notwendig zu bezeichnen, zugleich aber sind sie einerseits dahingehend defizitär, dass sie sich nur auf alle zukünftigen Neufälle beziehen und zum anderen dort aber in einer Teilgruppe die Schnittstellenprobleme zur „normalen“ Altersrente verschärfen (können), ohne dass sich valide vorhersagen lässt, ob aus einem theoretischen auch ein wirkliches Problem entspringen wird.