Ein Streik funktioniert definitionsgemäß nur, wenn die streikenden Arbeitnehmer der Arbeit fernbleiben. Der Arbeitgeber hat natürlich ein Interesse daran, das zu verhindern. Immer wieder wurde beispielsweise davon berichtet, dass Unternehmen Leiharbeiter als Ersatz für arbeitskämpfende Beschäftigte eingesetzt haben. Auf dieses Form des Streikbruchs hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich zu reagieren versucht. Aber noch besser für den Arbeitgeber wäre es natürlich, wenn die eigenen Mitarbeiter dem Streikaufruf der Gewerkschaft gar nicht erst folgen würden.
Um das zu erreichen, kann man daran denken, den Beschäftigten die Streikbereitschaft abzukaufen, sie gleichsam zum Dableiben finanziell „ermuntern“ bzw. sie zu bestechen. Das passiert sich immer wieder in der Praxis. Darüber ist die andere Seite verständlicherweise not amused. Mit so einem Fall hat sich das Bundesarbeitsgericht beschäftigt und eine eindeutige Entscheidung getroffen, die der Gewerkschaftsseite nicht gefallen wird.
»Ein bestreikter Arbeitgeber ist grundsätzlich berechtigt, zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer durch Zusage einer Prämie (Streikbruchprämie) von einer Streikbeteiligung abzuhalten.« So das Bundesarbeitsgericht (BAG) unter der schnörkellosen Überschrift Arbeitskampf – Streikbruchprämie als zulässiges Kampfmittel.
Schauen wir uns in einem ersten Schritt den zugrundeliegenden Sachverhalt an – der bezieht sich übrigens auf eine Branche, aus der auch hier immer wieder berichtet wird, wenn es um abnehmende Tarifbindung, ja: Tarifflucht der Arbeitgeber geht, die das machen, um im harten Wettbewerb die Personalkosten drücken zu können – den Einzelhandel (vgl. dazu aktuell solche Artikel: Mitarbeiter befürchten Tarifausstieg von Aldi Nord):
»Der Kläger ist bei dem beklagten Einzelhandelsunternehmen als Verkäufer vollzeitbeschäftigt. In den Jahren 2015 und 2016 wurde der Betrieb, in dem er eingesetzt ist, an mehreren Tagen bestreikt. Dazu hatte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di aufgerufen mit dem Ziel, einen Tarifvertrag zur Anerkennung regionaler Einzelhandelstarifverträge zu schließen. Vor Streikbeginn versprach der Arbeitgeber in einem betrieblichen Aushang allen Arbeitnehmern, die sich nicht am Streik beteiligen und ihrer regulären Tätigkeit nachgehen, die Zahlung einer Streikbruchprämie. Diese war zunächst pro Streiktag in Höhe von 200 Euro brutto (bei einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend anteilig) und in einem zweiten betrieblichen Aushang in Höhe von 100 Euro brutto zugesagt. Der Kläger, der ein Bruttomonatseinkommen von 1.480 Euro bezog, folgte dem gewerkschaftlichen Streikaufruf und legte an mehreren Tagen die Arbeit nieder. Mit seiner Klage hat er die Zahlung von Prämien – insgesamt 1.200 Euro brutto – verlangt und sich hierfür vor allem auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.«
Ungleichbehandlung der streikenden und der nicht streikenden Beschäftigten, so das BAG, ist aus arbeitskampfrechtlichen Gründen gerechtfertigt.
»Der Arbeitgeber wollte mit der freiwilligen Sonderleistung betrieblichen Ablaufstörungen begegnen und damit dem Streikdruck entgegenwirken. Vor dem Hintergrund der für beide soziale Gegenspieler geltenden Kampfmittelfreiheit handelt es sich um eine grundsätzlich zulässige Maßnahme des Arbeitgebers. Für diese gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Danach war die ausgelobte Streikbruchprämie – auch soweit sie den Tagesverdienst Streikender um ein Mehrfaches überstieg – nicht unangemessen.«
In dem Beitrag Arbeitgeber dürfen für Streikbruch bezahlen wird darauf hingewiesen, dass das keine neue oder überraschende Entscheidung sei, die hier zum Themenfeld Arbeitskampf verkündet wurde, sondern die Bestätigung der „herrschenden Rechtsauffassung“:
»Die Entscheidung des BAG kommt nicht überraschend, bestätigt sie doch die bislang herrschende Rechtsausffassung, wie der Hamburger Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott gegenüber LTO erläutert: „Das Bundesarbeitsgericht hat schon 1993 (Az. 1 AZR 675/92, d. Red.) entschieden, dass eine solche Zahlung erlaubt ist“, so Fuhlrott. Im Übrigen hätten in den vergangenen Jahren auch diverse Landesarbeitsgerichte diese Ansicht übernommen. „Somit bestätigt das Gericht die bestehende Rechtsprechung wie auch die vorherrschende Auffassung in der Literatur.“«