In der Sozialpolitik ist eines sicher – manche Themen, die im öffentlichen Diskurs kurzzeitig von der Berichterstattung aufgegriffen und dann wieder zu den Akten gelegt werden, fressen sich weiter durch die Landschaft, wenn sie denn nicht wirklich bearbeitet werden oder sich auch nicht bearbeiten lassen. Bis sie dann wieder ganz dringlich, weil nicht mehr zu leugnen auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen.
Schauen wir zurück in das Jahr 2016. Am 21. Juni 2016 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Betriebsrenten als Butter in der Sonne? Das wäre ärgerlich für die Finanzindustrie und ihre Hoffnungen auf ein Riester-Substitut. Und Betroffene erleben ihr blaues Wunder. Dort konnte man lesen: »Offensichtlich geht es vielen Betriebsrenten nicht gut – und erst recht nicht denen, die da noch kommen sollen. Nicht wirklich überraschend hat das etwas zu tun mit dem selbst gestandene Volkswirte irritierenden Umfeld einer seit Jahren anhaltenden und auf absehbare Sicht auch weiter vorherrschenden Niedrig-, Null- und sogar Negativzinswelt, in der sich die Kapitaldeckungsvarianten bewegen und absehbar weiter bewegen müssen.« Und dann wurde von den näher kommenden Einschlägen berichtet. Beispielsweise von der nach eigenen Angaben größte Pensionskasse in Deutschland. »Die BVV Versorgungskasse des Bankgewerbes e.V. plant, auf ihrer ordentlichen Mitgliederversammlung am 24. Juni im Hotel Intercontinental in Berlin eine tiefgreifende Änderung der sogenannten Leistungspläne beschließen zu lassen. Das würde für junge Beschäftigte deutlich geringere Ansprüche auf Betriebspensionen bedeuten.« Damals ging es – noch – darum:
»Anwartschaften auf Rentenzahlungen, die in der Vergangenheit erworben wurden, bleiben bestehen – hingegen sollen die Kunden der Pensionskasse mit den entsprechenden Verträgen für die künftigen Einzahlungen … im Alter weniger Rente erhalten, als sie bislang eingeplant haben und als vereinbart war.« Es soll fast ein Viertel weniger Rente für die betroffenen Bankmitarbeiter geben, zumindest was die künftigen Einzahlungen betrifft.«
Dabei ging es hier „nur“ um die Absenkung der möglichen Betriebsrenten für die Zukunft. Bereits damals aber wurde man mit solchen Warnmeldungen konfrontiert: Erste Pensionskasse senkt Betriebsrenten, so hat Herbert Fromme einen Artikel vom 31. Mai 2016 überschrieben. Der Fromme wird gleich wieder auftauchen. Aber bereits vor gut zwei Jahren konnte man überall die Anzeichen eines größer werdenden Problems erkennen – wenn man denn wollte.
Nur einen Tag nach dem Beitrag über die „normalen“ Pensionskassen musste ein weiterer hier einschlägiger Artikel nachgeschoben werden – der sich mit den Betriebsrenten für eine ganz bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern beschäftigt: Wenn über Betriebsrenten gesprochen wird, dann denken viele Menschen an die zusätzlichen Renten, die an Industriearbeiter ausgezahlt werden oder wenn man das Glück hatte, sein Erwerbsarbeitsleben bei einem der großen Unternehmen des Landes verbracht zu haben, bei denen es in aller Regel eine betrieblicher Altersvorsorge gab und gibt. Aber dieses Zubrot fürs Alter gibt es auch im öffentlichen Bereich für die Nicht-Beamten dort und bei zahlreichen Unternehmen der Sozialwirtschaft, von denen sich viele unter dem Dach der großen Kirchen bzw. ihrer Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie befinden. Da geht es um viele, sehr viele Beschäftigte.
Und der angesprochene Beitrag vom 22. Juni 2016 wurde so überschrieben: Wenn selbst das Beten nicht mehr hilft. Auch die zusätzliche kirchliche Altersversorgung kann (und muss) in schwieriges Fahrwasser geraten. Konkret ging es um die Kirchliche Zusatzversorgungskasse KZVK mit Sitz in Köln. Sie ist die betriebliche Altersversorgung für 1,2 Millionen Beschäftigte im Dienst der katholischen Kirche oder des Sozialträgers Caritas. Derzeit beziehen 154.000 Menschen über sie eine Zusatzrente. Die KZVK ist damit eine der größten Pensionskassen in Deutschland. Und die hatte und hat ein Problem: Bereits für 2014 wurde ein Fehlbetrag von 5,5 Milliarden Euro ausgewiesen. Schuld daran ist vor allem die lange Niedrigzinsphase, unter der auch andere Versorgungskassen leiden, von denen einige tatsächlich inzwischen Leistungen kürzen mussten.
Und nun erreichen uns erneut Meldungen aus dieser nicht unbedeutenden Säule des Alterssicherungssystems, wieder einmal hat Herbert Fromme in die Tasten gehauen und in der Süddeutschen Zeitung diesen Artikel veröffentlicht: Zehntausende müssen um Betriebsrenten zittern. Nach seinen Informationen »stehen mindestens zwei Pensionskassen kurz davor, Zahlungen an die aktuellen Betriebsrentner und die Zusagen an die künftigen Empfänger spürbar abzusenken. Eine ganze Anzahl weiterer Pensionskassen muss ebenfalls kämpfen und denkt über Absenkungen nach.« Und auch bei Fromme werden wir daran erinnert, dass das doch schon mal alles Thema war:
»Hauptursache für die Probleme sind die niedrigen Zinsen. Bereits vor zwei Jahren hat Frank Grund, Exekutivdirektor bei der Finanzaufsicht Bafin, zum ersten Mal vor Problemen der Pensionskassen gewarnt. Seither hat sich nichts verbessert, im Gegenteil. „Die Lage ist heute noch ernster als vor zwei Jahren“, sagte Grund, der für die Versicherungsaufsicht zuständig ist. „Ohne zusätzliches Kapital von außen werden einige Pensionskassen nicht mehr ihre vollen Leistungen erbringen können.“«
Offensichtlich zitiert Fromme hier von der Jahrespressekonferenz der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die am 3. Mai in Frankfurt stattgefunden hat. Der Pressemitteilung der BaFin dazu kann man diese deutlichen Mahnrufe entnehmen:
»Die Lage der Pensionskassen im Dauerzinstief ist laut Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungsaufsicht, heute noch ernster als vor zwei Jahren. Bereits auf der Jahrespressekonferenz der BaFin im Mai 2016 hatte Dr. Grund schon auf die Probleme hingewiesen. Und wenn die Zinsen auf dem aktuellen Niveau bleiben, werde sie sich noch weiter verschärfen. „Ohne zusätzliches Kapital von außen werden einige Pensionskassen nicht mehr ihre vollen Leistungen erbringen können“, warnte er.
Diese Kassen begleite die BaFin besonders intensiv und dränge sie, bei ihren Trägern oder Aktionären rechtzeitig Unterstützung einzufordern. Dr. Grund mahnte, dass alle Verantwortlichen ein Interesse daran haben sollten, Pensionskassen vor einer Schieflage zu bewahren. Nur dann bleibe die betriebliche Altersversorgung ein stabiler Pfeiler der Alterssicherung in Deutschland.«
Wieder zurück zu den Ausführungen des Versicherungsexperten Herbert Fromme: Pensionskassen funktionieren ähnlich wie Lebensversicherer. Aber ihre Lage ist noch schwieriger als die der Lebensversicherer. Warum? »Sie zahlen ausschließlich lebenslange Renten aus und leiden deshalb sowohl unter den niedrigen Zinsen als auch unter der durchschnittlich längeren Lebenszeit.«
In Deutschland gibt es 137 Pensionskassen, die aktuell 165 Milliarden Euro Kapital für heutige und künftige Betriebsrenten verwalten. Mit einem Drittel von ihnen steht die BaFin in ständigen intensiven Diskussionen, wird Frank Grund von der Finanzaufsicht zitiert. Bei einer nicht genannten Zahl von Pensionskassen, die zusammen 10 Prozent der 165 Milliarden Euro verwalten, sei die Lage sehr ernst.
Die in Schieflage befindlichen Pensionskassen müssen bei ihren Trägern oder Aktionären rechtzeitig Unterstützung einfordern, so die Finanzaufsicht. Das zentrale Problem: Zwingen kann man die Arbeitgeber nicht.
Denn sie sind nicht zur Rettung der Pensionskassen verpflichtet. Probleme haben vor allem Pensionskassen, bei denen viele verschiedene Arbeitgeber Mitglied sind. So wird von Pensionskassen berichtet, bei denen 70 Arbeitgeber Mitglied sind. Und: Dazu kommen Kassen, bei denen der Arbeitgeber gar nicht mehr existiert.
Wenn die Pensionskasse nicht mehr kann, sind Leistungskürzungen der letzte Ausweg. Aber dann müssten die Arbeitgeber eigentlich für die Differenz zwischen Zusagen und Zahlungen einstehen, damit die Versorgungsberechtigten die volle zugesagte Leistung erhalten. Das funktioniere hingegen nur, wenn der Arbeitgeber noch existiert und liquide ist.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, wenn man hier so reagiert, wie man das auch aus dem konventionellen Bereich der Lebensversicherer immer wieder hört – man versucht, die Fesseln loszuwerden. Zu den Lebensversicherern vgl. das WDR- Feature Was aus der guten alten Lebensversicherung wird vom 18.03.2018: »Die deutschen Lebensversicherungen haben Probleme. Die Garantiesummen sind zwar sicher, doch die Rendite geht immer weiter in den Keller. Einige Anbieter wollen raus aus dem Geschäft. Andere überlegen, ihre Altverträge an Finanzinvestoren zu verkaufen.« Zu den Pensionskassen berichtet Fromme in seinem Artikel entsprechend:
»Immer mehr Arbeitgeber suchen Wege, um ihre Pensionskassen loszuwerden. In zwei Fällen – die nicht mit den beiden Kassen identisch sind, die ihre Zahlungen reduzieren wollen – haben die Eigner ihre Pensionskassen bereits an den Abwicklungsspezialisten Frankfurter Leben verkauft, der vom chinesischen Investor Fosun kontrolliert wird. Das sind die offene Pensionskasse Pro BAV der Axa und die Prudentia, die Betriebsrenten von C&A-Mitarbeitern verwaltet.«
Das sind natürlich alles ganz schlechte Neuigkeiten für diejenigen, denen daran gelegen ist, die Betriebsrenten als zweite Säule des Alterssicherungssystems zu stärken, um die selbst produzierten Ausfälle in der ersten Säule wenigstens teilweise kompensieren zu können. Die alte und neue Große Koalition hat hier deutliche Schritte gemacht, um die angesprochenen Risiken und Belastungen der Arbeitgeber zu reduzieren. Nur hat bekanntlich (fast) alles seinen Preis, so auch diese Förderung der „Betriebsrenten“ – in Anführungszeichen deshalb, weil es durch die neuere Gesetzgebung im Prinzip zu einer einseitigen Entlastung der Arbeitgeber und einer massiven Risikoverschiebung zuungunsten der Arbeitnehmer gekommen ist, die oftmals über die Institut der Entgeltumwandlung auch noch ihre „Betriebsrenten“ schlichtweg selbst finanzieren. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017. Das alles übrigens federführend von dem sozialdemokratisch geführten Bundesarbeitsministerium vorangetrieben und gesetzgeberisch umgesetzt. Und auch die Spitzen der Gewerkschaften zeigen an dieser Stelle eine auffallende Nicht-Existenz, als hätten sie ein Schweigegelübde abgelegt. Aber der Beitrag hat wieder einmal belegt – man kann die drei Affen machen, aber das Problem bleibt. Und frisst sich weiter durch das sowieso schon hyperkomplexe Gebilde namens Alterssicherungssystem, wobei das „System“ eher ein Euphemismus ist als denn eine Tatsachenbeschreibung.