Quelle: Screenshot BILD Online vom 23.04.2018
»Die Arbeitgeber warnen vor einer Verschärfung des Pflegenotstands, weil die Ausbildung der Pflegekräfte zu anspruchsvoll wird. Viele Bewerber seien damit überfordert, würden die Ausbildung abbrechen.« Das teilt uns Dirk Hoeren in der BILD-Zeitung mit unter der reißerischen und in den üblichen großen Buchstaben gesetzten Überschrift Neues Gesetz überfordert Altenpflege-Azubis! Was soll da mit den armen Azubis passieren, mag der eine oder andere gedacht haben. Und wieso überhaupt warnen hier die Arbeitgeber, die doch ansonsten eher das Schwachmatentum unter den Azubis beklagen? Schauen wir genauer hin.
»Nach dem neuen Pflegeberufegesetz werden die eigenständigen Berufe Altenpfleger, Krankenpfleger und Kinderkrankenpfleger abgeschafft. Ab 2020 soll es nur noch Pflegefachfrau/-mann geben. Sie sollen für alle Bereiche ausgebildet werden – und das auf viel höherem Niveau als bisher.«
Das ist nun schon mal – um es nett zu formulieren – nur in Umrissen richtig. Dazu gleich mehr. Der eigentliche Punkt der Arbeitgeber-Bedenken geht so:
»Laut Ausbildungsverordnung müssen sie z. B. „über ein breites Verständnis von spezifischen Theorien und Modellen zur Pflegeprozessplanung“ verfügen. Und sie sollen „pflegebezogene Daten anhand von pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen erheben und interpretieren“ sowie über „ein integratives Verständnis von psychosomatischen Zusammenhängen verfügen“. Dabei hat über die Hälfte der Altenpflege-Azubis Hauptschulabschluss.«
Und dann wird mit Ingo Kramer der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) – bislang noch nicht als Pflegeexperte in Erscheinung getreten – höchstselbst zitiert:
„Wir brauchen junge Menschen mit normalen Schulnoten, aber viel Herzenswärme und Geduld gerade in der Altenpflege. Wenn wir sie mit Anforderungen eines Studiums ‚Medizin light‘ abschrecken und überfordern, verschärfen wir den Pflegenotstand.“
Man kann sich vorstellen, wie an dieser Stelle einer Menge Menschen aus der Pflege die Hutschnur hochgeht. Denn die Stoßrichtung der Arbeitgeber-Ausführungen liegt nun wirklich auf der Hand: Man macht sich offensichtlich erhebliche Sorgen um die Personalbeschaffung für die Altenpflege. Und dafür gibt es gute Gründe.
Hintergrund der Besorgnis ist die Reform der Pflegeberufe, die im vergangenen Jahr nach langem Hängen und Würgen das Parlament hat passieren können.
Am 22. Juni 2017 haben die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für den Gesetzentwurf der Bundesregierung in geänderter Fassung gestimmt. Auf die Formulierung „in geänderter Fassung“ kommt es hier besonders an.
Ursprünglich von der Bundesregierung vorgesehen war ein durchgängig generalistisches Ausbildungskonzept (BT-Drs. 18/7823), das die drei Berufszweige Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege in einer einheitlichen Pflegeausbildung zusammenfassen sollte. Der eigentliche Gesetzentwurf zur Umstellung auf eine generalistische Ausbildung stammt vom 9. März 2016 – mit einer zu dem, was wir dann am Ende bekommen haben, ganz eigenen Klarheit und Stringenz:
»Die bisherigen drei Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege werden reformiert und zu einem einheitlichen Berufsbild zusammengeführt; die bestehende Dreigliederung der Pflegeberufe wird aufgehoben. Ergänzend zur fachberuflichen Pflegeausbildung wird eine bundesgesetzliche Grundlage für eine primärqualifizierende hochschulische Pflegeausbildung geschaffen. Die neue Ausbildung bereitet auf einen universellen Einsatz in allen allgemeinen Arbeitsfeldern der Pflege vor, erleichtert einen Wechsel zwischen den einzelnen Pflegebereichen und eröffnet zusätzliche Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Ausbildung wird in ein gestuftes und transparentes Fort- und Weiterbildungssystem eingepasst und die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Qualifikationsstufen in der Pflege verbessert. Die Ausbildung ist für die Auszubildenden kostenlos.«
So stand es auf der Seite 1 der zitierten Bundestags-Drucksache.
Offensichtliches Anliegen des ursprünglichen Entwurfs war ein Systemwechsel weg von der gegebenen versäulten, dreigliedrigen Ausbildung in unterschiedlichen Pflegebereichen (also zum einen der Fokus auf die Krankenhäuser und die Spezialrichtung der Kinderkrankenpflege sowie zum anderen der ganz eigene und separierte Bereich der Altenpflege).
Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es die Diskussion um eine generalistische Ausrichtung der Pflegeausbildung schon seit vielen Jahren gab und dabei natürlich auch starke Widerstandslinien gegen die Generalistik entstanden sind.
➔ Die eine davon ist tatsächlich primär fachlich motiviert und auch fundiert, da geht es um das ewige Dilemma zwischen Generalisierung und Spezialisierung. In diesem Lager hat man Ängste vor einer fachspezifischen Entleerung der Pflege, einem Downgrading hin zu einer „Von allen etwas, aber nichts ganz richtig“-Ausbildung. Das sind Bedenken, die ihre Berechtigung haben und die man nicht einfach wegwischen kann.
Aber daneben gab und gibt es eine ganz anders gelagerte Widerstandslinie, der es nun wirklich nicht primär um die armen jungen und verwirrten Pflege-Azubis geht, sondern schlicht um monetäre Interessen. Es waren vor allem die privaten Altenheimbetreiber, die massiv gegen die geplante Umstellung der Pflegeausbildung aus allen Rohren geschossen und in der Person des damaligen pflegepolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), einen wirkkräftigen Unterstützer gefunden haben, der zudem auch selbst aus der Branche kommt. Und der jetzt aufgestiegen ist zum Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages.
Und was hat die genau getrieben in ihrem Widerstand gegen die generalistische Reform der Pflegeberufe? Das Sondersystem eine Altenpflege-Ausbildung sollte beibehalten werden, denn eine allgemeine und generalistische Pflegeausbildung würde bedeuten, dass die Absolventen Wahlfreiheit bekommen zwischen dem Krankenhaussektor und dem Altenpflegebereich. Und wenn man dann weiß, dass die Altenpflegekräfte bis zu 30 Prozent weniger verdienen als die Krankenpflegekräfte in den Krankenhäusern, dann ahnt man, warum die privaten Pflegeheimbetreiber hier gleichsam Amok gelaufen sind – im sicheren Wissen, dass es entweder eine Abstimmung mit den Füßen zuungunsten der Pflegeheime geben würde oder sie aber die Vergütungen der Altenpflegekräfte erheblich anheben müssten.
Und die haben das Gesetzgebungsverfahren nicht nur monatelang aufhalten können vor allem über Interventionen bei den Unionsparteien, sondern deren Aktivitäten sind auch mitverantwortlich dafür, was wir dann am Ende bekommen haben: ein echtes deutsches Gesetzgebungsprodukt, nach dem Motto, nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird und wenn es nicht anders geht, dann verwässern wir eben das Gesetz.
Die Reformer, die eine generalistisch angelegte Neukonzeption aller Pflegeausbildungen angestrebt haben, durften sich nicht durchsetzen, aber auch nicht die Verteidiger des Status Quo. Also hat man beide konträren Anliegen in einen Topf geworfen und herausgekommen ist das im Schaubild skizzierte „1.+2. (+3.) Generalistik- bzw. (ab 3.) Y-Optionsmodell“. Diese Umschreibung dessen, was man da im Bundestag letztendlich verabschiedet hat, geht auf diesen Beitrag vom 24. Juni 2017 zurück: Reform der Pflegeausbildung: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Von der Dreigliedrigkeit zum 1.+2. (+3.) Generalistik- bzw. (ab 3.) Y-Optionsmodell. Man ahnt schon – das ist nicht leicht zu verstehen und nicht einfach in der Umsetzung in der wirklichen Wirklichkeit. Warum das so ist?
Die zwischenzeitlich durch die Verzögerungen im Bundestag auf das Jahr 2020 verschobene Reform der Ausbildungen soll so umgesetzt werden, dass man den Generalisten entgegenkommt, in dem die ersten beiden Ausbildungsjahre von allen gemeinsam generalistisch absolviert werden sollen. Am Ende des zweiten Ausbildungsjahres müssen sich die Auszubildenden entscheiden – wollen sie generalistisch weitermachen, dann erwerben sie am Ende der Ausbildung des Abschluss „Pflegefachfrau/-mann“. Das ist der Abschluss, den nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf alle erwerben sollten und der vom Anspruch her für die Pflege in allen Lebensphasen qualifizieren soll. Man kann sich nun aber nach dem zweiten Ausbildungsjahr auch entscheiden, in die Kinderkrankenpflege zu gehen – oder aber, dass ist der hier nicht nur quantitativ relevante Punkt, in die Altenpflege. Dort würde man dann wie heute den Abschluss Altenpfleger/in erwerben, der aber wiederum nicht zur Arbeit im Krankenhaus berechtigt und damit die Option einer Fortführung der bestehenden Versäulung der Systeme eröffnet.
Wenn sich genügend Interessierte finden. Daran habe ich schon im vergangenen Jahr einige Zweifel angemeldet. Man kann sich diese Zweifel schon auf dem theoretischen Weg der logischen Durchdringung verdeutlichen: Man »packt die Generalistik in die ersten beiden Jahre der Ausbildung, um dann in einem zweiten Schritt aber zu sagen, dass die, die sich dafür entscheiden, im 3. Jahr mit dem bisherigen System weitermachen können, was natürlich schon konzeptionell nicht stimmig ist, hat man doch die neuen ersten beiden, nunmehr aber generalistisch ausgestalteten Jahre überwinden müssen.«
»Man muss sich klar machen, zu was das in der Konsequenz führen kann: Die etablierte Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger mit der für sie so typischen spezialisierenden Ausrichtung auf den Krankenhausbereich wird gleichsam abgeschafft und (theoretisch) durch eine echte generalistische Ausbildung ersetzt, die für alle Pflegebereiche qualifizieren soll. Die bisherige Altenpflege-Ausbildung wiederum wird in den ersten beiden Jahren (theoretisch) von einer im Vergleich zum heutigen Stand weitaus ambitionierteren, weil generalistisch angelegten Ausbildung abgelöst, an der möglicherweise manche scheitern werden (müssen), die bislang die klassische Altenpflege-Ausbildung absolviert haben, um dann im dritten Jahr auf die Altenpflege zurück zu gehen, die zu einem Abschluss führt, der beispielsweise auch deshalb „unterwertig“ ist, weil er anders als der Abschluss in der Gesundheits- und Krankenpflege europarechtlich nicht den gleichen Stellenwert hat und der – wahrscheinlich für die meisten weitaus gewichtiger – auch keine alternativen Berufsfeldperspektiven eröffnet, was ja auch Ziel der intervenierenden Pflegeheimbetreiber war, die ihre Leute „festnageln“ möchten im Feld der Altenpflege.«
Man muss sich in aller Deutlichkeit vor Augen führen, was dieses „Nicht-Fisch-nicht-Fleisch“-Gesetz auslösen könnte: Im Ergebnis kann das möglicherweise dazu führen, dass der Bereich der Altenpflege tatsächlich in einem doppelten Sinne geschwächt wird, zum einen werden möglicherweise die Zugangszahlen in die Pflegeausbildung sinken, da die separate Schiene einer eigenständigen Altenpflege-Ausbildung in den ersten zwei Jahren nicht mehr existiert, zugleich könnten die Auszubildenden, die den gesamtgeneralistischen Weg gehen, angesichts des Attraktivitätsgefälles die Pflegeheime und die ambulante Pflege meiden. Auf der anderen Seite kann aber auch die Gesundheits- und Krankenpflege inhaltlich Schaden nehmen, wenn nämlich am Ende die Anforderungen an die generalistische Ausbildung runtergefahren werden, um möglichst viele mitzunehmen.
Insofern – bei aller berechtigten reflexhaften Empörung – erscheint der Vorstoß der Arbeitgeberseite in diesem Kontext durchaus konsequent. Die ahnen, was auf sie zukommen könnte bzw. wird.
Das ändert natürlich nichts an der Frechheit des Ansatzes. Ja, liebe Arbeitgeber-Funktionäre, man kann und darf und muss erwarten, dass Pflegefachkräfte – und um die geht es hier – in der Lage sein sollten, „über ein breites Verständnis von spezifischen Theorien und Modellen zur Pflegeprozessplanung“ zu verfügen und dass sie „pflegebezogene Daten anhand von pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen erheben und interpretieren“ können sollen sowie über „ein integratives Verständnis von psychosomatischen Zusammenhängen verfügen“. Wenn man den Pflegefachkräften das absprechen will, dann braucht man keine Fachkräfte mehr.
Oder nur noch einige wenige Exemplare – zumindest in der Altenpflege. Und dann wären wir wieder bei diesem Beitrag vom 22. August 2017: Wenn private Pflegeheimbetreiber eine „ideologiefreie Diskussion“ vorschlagen … Die Altenpflege, ihre Personalmisere und die das Geschäft störende Fachkraftquote. So wie jetzt beklagt wird, dass angeblich die neue Ausbildung den Pflegenotstand verstärken wird, ging es damals darum: „Fachkräftequote verschärft Pflegenotstand“. Der Bundesverband privater Pflegeanbieter (bpa) kritisierte »die zu strikte Auslegung der Regel, wonach die Hälfte des Pflegepersonals Fachkräfte sein müssen. Wird die Quote von in der Regel 50 Prozent unterschritten, legt der Betreiber „freiwillig“ Betten still – falls nicht, tun das die Behörden. Neue Patienten dürfen dann nicht aufgenommen werden.« Das ist schlecht fürs Geschäft, keine Frage. Die „Fachkraftquote“ – nach der mindestens die Hälfte der Beschäftigten über eine entsprechende pflegerische Qualifikation verfügen muss – ist den gewinnorientierten Pflegeheimbetreibern ein richtig großer Dorn im Auge. Denn die sind natürlich a) teurer als Hilfekräfte und b) die werden dann zu einem Problem, wenn man nicht genügend entsprechend qualifizierte Pflegekräfte finden kann auf dem Arbeitsmarkt.
Und der bpa-Präsident Bernd Meurer hat dann auch das eigentliche Anliegen auf den Punkt gebracht: „Der Gesetzgeber solle den Heimbetreibern mehr Raum für die Anstellung von – in der Regel auch billigeren – Hilfskräften lassen. Dabei führe der Einsatz von mehr Hilfskräften nicht automatisch zu einer schlechteren Pflege. Es komme daher nicht auf den Stellenschlüssel an, sondern darauf, dass in der Pflege die erforderliche Qualität „zu 100 Prozent“ erreicht werde.“
Und auch die neue Kritik reiht sich ein in diese strategische Linie. Man will den Bereich der Altenpflege weiterhin abgekoppelt lassen von dem, was sich in der Pflege insgesamt tut und was vor allem angesichts der ganz anderen Zusammensetzung der Bewohner von Pflegeheimen heute mehr als je Not tut: die Pflege nach oben zu entwickeln und nicht nach unten.
Offensichtlich geht es den beteiligten Akteuren um die Sicherstellung einer „(kostenbewussten) halbwegs Satt- und (wenn es zeitmäßig nicht anders geht eben auch katheterisierten) Trocken-Pflege“ für die Pflegebedürftigen, die uns anvertraut und die auf unsere Fürsorge angewiesen sind.
Diesem wirklich miesen Spiel sollte man keinen Platz einräumen.
Vielleicht will der eine oder andere einen eigenen Blick werfen in den Referentenwurf für eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung – PflAPrV). Der wurde diese Tage erst veröffentlicht.