Mit wahrhaft heißgebremsten Reifen scheint es der großen Koalition doch noch zum Abschluss der bis September dieses Jahres laufenden Legislaturperiode gelungen zu sein, sich auf eine Reform der Pflegeausbildungen zu verständigen. Zwischenzeitlich hatte man aufgrund der Blockadeaktionen innerhalb der Regierungsfraktionen gegen den bereits seit letztem Jahr vor- und auf Eis liegenden Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) die Hoffnungen eigentlich schon aufgeben müssen, dass sich vor der Bundestagwahl noch irgendwas gesetzgeberisch umsetzen lässt.
Es lohnt sich, an dieser Stelle zur Orientierung einen Blick in den Gesetzentwurf vom 9. März 2016 zu werfen, was man eigentlich machen wollte. Dort findet man ganz am Anfang den folgenden Passus: »Die bisherigen drei Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege werden reformiert und zu einem einheitlichen Berufsbild zusammengeführt; die bestehende Dreigliederung der Pflegeberufe wird aufgehoben. Ergänzend zur fachberuflichen Pflegeausbildung wird eine bundesgesetzliche Grundlage für eine primärqualifizierende hochschulische Pflegeausbildung geschaffen. Die neue Ausbildung bereitet auf einen universellen Einsatz in allen allgemeinen Arbeitsfeldern der Pflege vor, erleichtert einen Wechsel zwischen den einzelnen Pflegebereichen und eröffnet zusätzliche Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Ausbildung wird in ein gestuftes und transparentes Fort- und Weiterbildungssystem eingepasst und die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Qualifikationsstufen in der Pflege verbessert. Die Ausbildung ist für die Auszubildenden kostenlos.« (BT-Drs. 18/7823: 1 f.)
Eine für heutige die heutige Gesetzgebung überraschend klare Zielbestimmung, die mit dem Entwurf verpflegt werden soll: Die bisherige auf drei Säulen basierende Pflegeausbildung (Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege) soll durch eine generalistische Pflegeausbildung abgelöst werden, in der alle Fachkräfte gemeinsam ausgebildet werden. Neben der beruflichen Ausbildung „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“ (so die neuen Berufsbezeichnungen) an Fachschulen eröffnet der Gesetzentwurf parallel die Möglichkeit einer primärqualifizierende Pflegeausbildung an Hochschulen mit einem erweiterten Ausbildungsziel (§ 37 des Entwurfs eines PflBRefG).
Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das in diesem Entwurf verdichtete Vorhaben eines Wechsels zur generalistischen Pflegeausbildung – die übrigens in den uns umgebenden Ländern der Normalfall ist – keineswegs übers Knie gebrochen wurde, sondern die Diskussion darüber und die Forderung nach einer entsprechenden Umsetzung ist schon seit vielen Jahren am Laufen. Für nicht nur historisch Interessierte vgl. beispielsweise Stefan Sell (2012): Mit Herzensbildung und Studium, in: Gesundheit und Gesellschaft, Heft 3/2012, S. 24-29 oder Frank Weidner/Thomas Kratz (2012): Eine zukunftsorientierte Pflegebildung? Anmerkungen zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 6/2012, S. 11-15.
Nun ist dieser Reformprozess immer wieder kritisiert und vor allem aufgehalten worden. Dazu ausführlicher mit den Hintergründen die Blog-Beiträge Reform der Pflegeausbildung: Noch auf der Kippe oder schon vor der Geburt verstorben? vom 15. Januar 2017 sowie Auf die lange Bank schieben. Die Blockade der Reform der Pflegeausbildung und eine dauerhafte Abwertung der Altenpflege vom 20. Januar 2017.
Der stärkste Widerstand kam aus dem Lager der Altenheimbetreiber, vor allem der privat-gewerblich organisierten Heimbetreiber, die das über den pflegepolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Erwin Rüddel (CDU) transportieren konnte. Und bis vor kurzem sah es so aus, als ob dieses Widerstandslinie unüberwindbar sei. Doch im wahrsten Sinne des Wortes im letzten Moment haben die Koalitionsfraktionen bzw. deren Unterhändler einen Kompromiss finden können. Und wenn man sich den anschaut, dann wird verständlich, warum in diesem Beitrag die Überschrift „Von allem etwas und später mal nachschauen, was passiert ist“ gewählt wurde.
Die Ärzte Zeitung berichtet unter der Überschrift Weg für Reform der Pflegeberufe ist frei: Der Kompromiss sieht vor, dass künftig in allen Pflegeschulen die Ausbildung mit einer zweijährigen generalistischen Pflegeausbildung beginnen soll. Und dann, im dritten Jahr, spreizt sich die Ausbildung mit unterschiedlichen Optionen:
»Nach zwei Jahren sollen die Auszubildenden die generalistische Ausbildung fortsetzen oder den bisherigen Abschluss als Altenpfleger oder Kinderkrankenpfleger wählen können. In der generalistischen Ausbildung soll es eine Vertiefung in der Alten- und Kinderkrankenpflege geben. Einen Einzelabschluss in der Krankenpflege soll es künftig nicht mehr geben.«
Die Neuregelungen sollen für die Ausbildungsjahrgänge ab 2019 gelten. Und dann gibt es eine weitere Vorgabe des Kompromissmodells:
»Sechs Jahre nach Beginn der neuen Ausbildung sollen Gesundheits- und Familienministerium die Zahl der einzelnen Abschlüsse auswerten, teilten Reimann und Lauterbach mit. Hätten mehr als 50 Prozent den generalistischen Abschluss mit Schwerpunkt gewählt, sollten die eigenständigen Berufsabschlüsse nicht mehr weitergeführt werden. Über Abschaffung oder Beibehaltung entscheide dann der Bundestag.«
Offensichtlich hat man hier eine „Abstimmung mit den Füßen“ vor Augen, die dann in einigen Jahren dazu führen wird, dass man doch noch zu der bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf normierten generalistischen Pflegeausbildung für alle kommt, wenn auch mit erheblicher Verzögerung. Dass sich die Mehrheit der Auszubildenden für diesen Weg entscheiden wird, scheint den Generalistik-Befürwortern sicher, denn man muss wissen, dass die Altenpflegekräfte derzeit im Schnitt 30 Prozent weniger verdienen (können) als die Gesundheits- und Krankenpfleger, die beispielsweise in den Kliniken unterwegs sind. Das ist ja auch das Hauptmotiv für den Widerstand vor allem aus dem Lager der privat-gewerblichen Pflegeheimbetreiber, die zu Recht Angst haben, dass eine entsprechende Pflegeausbildungsreform das enorme Vergütungsgefälle zuungunsten der Altenpflegekräfte erschüttern würde bzw. wird, schlichtweg, weil auch die Pflegekräfte in der Altenpflege durch ihre generalistische Qualifizierung leichter und überhaupt wechseln könnten.
An diesem Punkt interessant ist die Reaktion, die der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) kurz nach der Bekanntgabe des Kompromisses unters Volk zu bringen versuchte: Unter der Überschrift Gott sei Dank: Allgemeine Generalistik ist tot! Arbeitgeberverband Pflege kritisiert: Koalitionskompromiss zur Pflegeausbildung erkennt man schnell die „leichte“ Einschätzungsverwirrung der Lobbyisten:
Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege: „Die verbindlich vorgeschriebene generalistische Ausbildung für alle Pflege-Azubis ist am geballten Widerstand der Praktiker der Altenpflege gescheitert. Nach einem unvorstellbaren Gewürge gibt es jetzt einen Kompromiss von Union und SPD. Unsere Befürchtung bleibt: Dank dieses bürokratischen Kuddelmuddels werden Unternehmen weniger ausbilden. Viele Hauptschüler werden von zu viel Theorie abgeschreckt werden. Die alten Menschen und die Altenpflege werden zum Opfer dieser Reform.“
Natürlich können die nicht zufrieden sein mit dem Kompromissmodell, denn bei aller Kritik an der Zerfaserung und Verkomplizierung des ursprünglichen Modells wird es – wenn das nun anstehende Gesetzgebungsverfahren auch durchkommt – einen Einstieg in die generalistische Pflegeausbildung geben. In den ersten zwei Jahren der dreijährigen Ausbildung.
Und die Reaktion der Verbände aus der Pflege, die seit vielen Jahren für die generalistische Pflegereform geworben haben? Der Deutsche Pflegerat (DPR) hat sich natürlich zu Wort gemeldet – mit dieser Pressemitteilung: Generalistische Pflegeausbildung kommt scheibchenweise:
»Der Deutsche Pflegerat trägt den Kompromiss der Koalitionsfraktionen konstruktiv mit, hätte sich jedoch mutigere Schritte gewünscht.« Und weiter erfahren wir: »Den zwischen den Koalitionsfraktionen jetzt gefundenen Kompromiss zum Pflegeberufereformgesetz sieht der DPR als ersten Schritt einer Reform an, auch wenn die drei Berufsabschlüsse erhalten bleiben. Für die Krankenpflege ist es ein größerer, für die Alten- und Kinderkrankenpflege leider aber nur ein kleiner Schritt, um die Pflegeberufe zukunftssicherer zu machen und damit die Patientensicherheit zu gewährleisten. Die generalistische Pflegeausbildung kommt nun zumindest scheibchenweise … Mit Blick auf die Alten- und Kinderkrankenpflege hätten wir uns dagegen wesentlich mutigere Schritte der Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestages gewünscht … Es steht zu befürchten, dass es vor allem für die stationäre Altenpflege perspektivisch zu einem Absinken der Ausbildungszahlen kommen wird … Es ist zu befürchten, dass der jetzt ausgehandelte Kompromiss dazu führt, dass die Auszubildenden in der Altenpflege zu den Verlierern des neuen Pflegeberufereformgesetzes zählen. Ihre beruflichen Einsatzmöglichkeiten im Gesundheitswesen bleiben begrenzt.«
Kritische Anmerkungen kommen auch aus einer anderen Ecke: »Der Kompromiss löse den Politikstau, schaffe aber derzeit nicht überschaubare Umsetzungsprobleme, bremst auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die erste Freude über die Einigung, die sie grundsätzlich begrüßt.«
»Für die Bewertung der Ausbildungsreform sei insbesondere die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung von Bedeutung, die die konkreten Inhalte der Ausbildung vorgeben muss. „Wir müssen auch sehen, ob die Planungen auf den vorhandenen Ausbildungsstrukturen sinnhaft aufsetzen, die Finanzierung gesichert ist und die Umsetzung praktikabel ist. Dies gilt insbesondere für die Kinderkrankenpflege“, so die DKG.«
Eine Schlacht ist geschlagen, ein Kompromiss gefunden – aber ob das wirklich ein Erfolg ist? Man darf Zweifel haben. Komplizierter wird es auf alle Fälle. Aber das scheint ja ein Wesensmerkmal moderner Gesetzgebung zu sein.
Einen deutlichen Schritt nach vorne – auch im Sinne einer Verbesserung gegenüber der heute dominierenden Flickenteppich-Situation – soll es bei der Finanzierung der Pflegeausbildung in Zukunft geben. Man muss dazu wissen, dass gegenwärtig im Bereich der Altenpflegeausbildung in einigen Bundesländern sogar noch ein Schulgeld genommen wird, weil die öffentliche Finanzierung der Schulen nicht ausreichend gewährleistet ist. Anders formuliert: Die Auszubildenden müssen auch noch Geld mitbringen. Für die reformierte Pflegeausbildung sieht das PflBRefG eine einheitliche Finanzierungsstruktur vor (vgl. dazu § 26 ff. PflBRefG). Die Kosten für die Pflegeausbildung sollen über Ausgleichsfonds finanziert werden. Die Ausgleichsfonds werden auf Landesebene organisiert und verwaltet. Die Mittel für die Fonds speisen sich aus diesen Quellen: Krankenhäuser, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen, das jeweilige Bundesland, die soziale Pflegeversicherung und die private Pflege-Pflichtversicherung. Diese sollen Umlagebeträge an den Ausgleichsfonds zahlen. Die Pflegeschulen sollen die Betriebskosten einschließlich der Kosten der Praxisbegleitung erstattet bekommen, nicht aber die Investitionskosten. Die Träger der praktischen Ausbildung und die Pflegeschulen erhalten für einen zukünftigen Zeitraum (Finanzierungszeitraum) ein Ausbildungsbudget zur Finanzierung der Ausbildungskosten.