Die auf dem gesetzgeberischen Weg derzeit blockierte Reform der Pflegeberufe hin zu einer generalistischen Pflegeausbildung, über die der mit mehr als 133.000 Auszubildenden größte Ausbildungsberuf in Deutschland entstehen soll (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Reform der Pflegeausbildung: Noch auf der Kippe oder schon vor der Geburt verstorben? vom 15. Januar 2017) ist weiter Thema. Im Zentrum der Blockierer steht hierbei der pflegepolitische Sprecher der Unionsfraktion, der Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel (CDU). Und der hat sich eindeutig positioniert: »Der Pflegeexperte der Unionsfraktion Erwin Rüddel sagt, die Reform der Pflegeberufe sei nur zu retten, wenn die Befürworter der Generalistik Bedingungen akzeptieren«, so der Vorspann zu einem Interview mit ihm. Besonders bezeichnend sind seine Ausführungen speziell zur Altenpflege. So hebt er hervor, »dass, während in der Krankenpflege überwiegend Abiturienten und Realschüler einen Abschluss machen, es in der Altenpflege ein wesentlich breiteres Spektrum an Bildungsabschlüssen – beginnend bei den Hauptschülern – und sehr viele Quereinsteiger gibt.« Und weiter: »Es besteht die Gefahr, dass sich Hauptschulabsolventen zukünftig seltener für eine Pflegeausbildung entscheiden werden, wenn sich das Ausbildungsniveau an die Krankenpflege anpasst.« Und dann lässt er die Katze aus dem Sack und skizziert, wohin die Reise gehen könnte – jedenfalls nicht in die Richtung, die sich die vielen Fachvertreter, die für die Reform der Pflegeausbildung votieren, erhoffen und wie es im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) angelegt ist, denn er führt aus: »Ich halte es für denkbar, das Konzept des derzeitigen Gesetzentwurfs in einem Bundesland zu erproben … Risiko und Kosten blieben überschaubar und man könnte in einigen Jahren evaluieren, ob sich die Ausbildungszahlen und das Lohnniveau in der Pflege in diesem Bundesland tatsächlich erhöht haben.« Das nennt man auf die lange Bank schieben.
Seit der ersten Lesung des Entwurfs eines Pflegeberufereformgesetzes im Bundestag im März 2016 hat sich nichts mehr getan hat. Der Entwurf liegt auf Eis, die ursprünglich für den Juni geplante zweite und dritte Lesung sind auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Der Frust über diese offensichtliche Strategie des Verschiebens kurz vor der Realisierung der Ausbildungsreform ist groß. „Wir wollen dieses Dreiklassensystem auflösen“, so ist einer der vielen Artikel überschrieben, in dem es um die geplante Reform der Pflegeberufe geht. Auch hier wird der Widerstand gegen die geplante Gesetzgebung zusammengefasst:
»Besonders die private Pflegebranche … befürchten durch die Neuordnung einen deutlichen Rückgang bei den Fachkräften in der Altenpflege. Ihre Sorge: Durch die gemeinsame Ausbildung wechseln am Ende mehr Pflegeschüler in die Krankenpflege, weil diese gerade für junge Menschen häufig attraktiver wirke als die Altenpflege. Und: In der Krankenpflege haben heute etwa 70 Prozent der Auszubildenden Abitur, in der Altenpflege nur 30 Prozent. Eine Zusammenlegung der Ausbildung könnte also Schulabsolventen ohne Abitur generell von der Ausbildung abhalten, obwohl sie eigentlich gut für die Altenpflege geeignet wären.«
Für die Befürworter der Generalistik sind das nur vorgeschobene Argumente, die das eigentliche Anliegen vernebeln sollen: Besonders der Altenpflege-Lobby ginge es doch in erster Linie nur darum, zukünftig nicht für besser qualifiziertes Personal höhere Löhne bezahlen zu müssen.
Auch bestimmte Vertreter der Pflegeheimbetreiber sehen das so:
»Alexander Künzel, Leiter der Bremer Heimstiftung, wirft den privaten Pflegeträgern dagegen vor, sich nur aus Kostengründen der Reform zu verweigern. Er spricht von einem „vernebelten Tarifkonflikt“. Während Pflegeträger wie Diakonie, Caritas oder Paritätische eine gemeinsame Pflegeausbildung zu einem Tarif klar befürworteten, lehnten die privaten Pflegeträger sie ab, weil sie um ihren „billigen Tarif“ fürchteten. Auch seien sie gegen eine Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen. „Die Altenpflege“, betont Künzel, „kann durch die Zusammenlegung nur gewinnen“, weil dann generell auf einem höheren Niveau ausgebildet werden könne. „Wir wollen dieses Dreiklassensystem auflösen“, so Künzel. Agnes-Dorothee Greiner, stellvertretende Leiterin des Bildungszentrums der Bremer Heimstiftung, hält die Argumente der privaten Pflegeanbieter für „fadenscheinig“ – es gehe ihnen „nur ums Geld“ … der Anspruch an die Altenpflege sei nicht geringer als bei der Krankenpflege.«
Und die Schulverbund der Altenpflegeschulen im Land Bremen wird aus einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit dieser Feststellung zitiert: „Die generalistische Pflegeausbildung wird dazu beitragen, (…) dass die Altenpflege nicht weiter zum Beruf zweiter Klasse degradiert wird.“
So kann man es derzeit landauf und landab lesen. Nur zwei Anmerkungen primär aus einer Arbeitsmarktperspektive zu diesem hoch strittigen Thema:
1.) Bei allen fachlich-inhaltlichen Anfragen an die praktische Ausgestaltung einer generalistischen Pflegeausbildung muss man berücksichtigen, dass im internationalen arbeitsmarktlichen Vergleich nicht die Generalistik begründungsbedürftig ist, sondern umgekehrt die deutsche Zweigleisigkeit in Gesundheits- und Krankenpflege auf der einen und die Altenpflege als darunter angesiedelter Teilberuf der Pflege andererseits – und das ist das zentrale Problem auch der aktuellen Debatte (vgl. dazu auch den Beitrag Auch in Österreich wird an der Pflegeausbildung herumgedoktert vom 16. Januar 2016). Denn die Altenpflege soll seitens der Gegner der Generalistik auf Dauer einzementiert werden in einen am Ende (und auch europarechtlich beispielsweise) eben nicht vollwertigen Pflegeberuf, weil man das ja auch eigentlich nicht brauchen würde in der Altenpflege. Das ist aber aus berufspolitischer Sicht kontraproduktiv, man wird abgeschnitten von der notwendigen und seit langem diskutierten Aufwertung der Pflegeberufe, die zwingend einhergehen muss mit einer Erhöhung der Anforderungen an die zukünftigen Pflegefachkräfte. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und die immer wieder – besonders von dem Abgeordneten Rüddel und ihm Schützenhilfe gebend auch von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) fast schon rührend herausgestellte Sorge um die „armen Hauptschüler“, die man überfordern würde mit einer ordentlichen Pflegeausbildung, ist eine letztendlich perfide Instrumentalisierung dieser Personengruppe. Wenn man ehrlich wäre, dann müsste man darauf hinweisen, dass auch in einer genrealistisch ausgerichteten System selbstverständlich Einstiegspunkte für diese Personengruppe vorhanden wären – sie können die Helfer- bzw. Assistenzschiene einschlagen und – wenn sie wollen und können – später dann aufsteigen in den höher qualifizierten Bereich. Wo ist das grundsätzliche Problem? Soll man wegen dieser – übrigens überschaubaren – Gruppe, die von vielen seit langem geforderte Aufwertung der Pflegefachkraftberufe blockieren? Das macht nur Sinn, wenn man das Interesse hat, auf Dauer die Arbeit in den Altenpflegeheimen von geringer qualifizierten Personal machen zu lassen. Hätte man Interesse an der Sache und nicht nur an möglichst billigem Personal, müsste man eine Debatte führen über das Mischungsverhältnis zwischen den höher zu qualifizierenden Pflegefachkräften und den Helfer- und Assistenzberufen in der Pflege, wie das in anderen Ländern auch passiert.
2.) Aber es gibt nicht nur die Heime, sondern auch die ambulanten Pflegedienste. Und in beiden Teilbereichen kann man zeigen, dass es inhaltlich verdammt gute Argumente für eine Aufwertung der Pflegeberufe gibt angesichts der sich verändernden Pflegelandschaft. Und bereits heute – das wird teilweise in der aktuellen Diskussion völlig ausgeblendet und auf die Altenpfleger/innen verengt, ist die qualifikatorische Struktur der Beschäftigten in Pflegeheimen wie auch Pflegediensten weitaus bunter und faktisch ausbildungssäulenübergreifend angelegt – man schaue sich nur die Abbildung am Anfang dieses Beitrags an, beispielsweise den hohen Anteil der Beschäftigten mit einem Berufsabschluss in der Gesundheits- und Krankenpflege, die aber in ambulanten Pflegediensten arbeiten. Die Menschen sind bereits viel flexibler in der realen Arbeitswelt als die Ausbildungen.
Sollten sich die Gegner der generalistischen Pflegeausbildung mit ihrem Ansinnen, die Reform kleinzuschreddern auf ein Modellversuch in einem Bundesland und das auch noch verbunden mit einer jahrelangen Evaluierung, dann wird die Altenpflege strategisch gesehen auf Dauer schweren Schaden nehmen, weil sie abgekoppelt wird von den eigentlich anstehenden Weiterentwicklungen und sie bliebe damit den Arbeitgebern in ihrem Feld ausgeliefert, ohne wirklich mit der Exit-Option aufgrund des Ausbildungshintergrundes drohen zu können. Der Ausstieg bleibe dann wie heute eine ausschließlich individuelle Entscheidung desjenigen, der oder die nicht mehr kann. Das aber geht unter und entfaltet zwar Probleme in den einzelnen Einrichtungen, wird aber nicht wirklich zu einem Akt der Profession – und genau das bräuchte die Pflege mehr denn je.