Um ihren Personalbedarf zu decken, will die Bundeswehr stärker um Geringqualifizierte werben. „Angesichts der demografischen Entwicklung sowie der anstehenden strukturellen Anpassungen der Bundeswehr werden künftig verstärkt auch junge Menschen mit unterdurchschnittlicher schulischer Bildung beziehungsweise ohne Schulabschluss personalwerblich anzusprechen sein.“ Die „Erschließung neuer Potentiale zur Personalgewinnung“ sei erforderlich, um den Personalbedarf zu decken und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten. Künftig sollen auch in Deutschland lebende Ausländer für die Bundeswehr gewonnen werden. „Bestehende Regelungen sind so zu erweitern, dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können“.
Nein, diese Ausführungen stammen nicht aus einem der vielen, in den vergangenen Tagen veröffentlichten Artikel, sondern sie sind diesem Beitrag entnommen: Bundeswehr buhlt um Geringqualifizierte. Und der ist bereits am 15. Februar 2011 veröffentlicht worden.
Die Ideen stammen aus einem bereits 2011 vorliegenden Papier mit dem Tiel „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr“, ein 82 Punkte umfassender Katalog, der im Zuge der Bundeswehrreform erarbeitet worden ist.
Man hätte die Ausführungen aus dem Jahr 2011 aber ohne weiters per copy and paste in diesen Tagen wiederverwenden können, in denen solche Meldungen die Runde machen: EU-Ausländer sollen dienen dürfen. Darin heißt es: »Wer in der Bundeswehr dienen möchte, braucht einen deutschen Pass. Das ist seit 61 Jahren so. Verteidigungsministerin von der Leyen möchte das nun ändern und auch EU-Bürgern den Wehrdienst ermöglichen. Außerdem will sie Schulabbrechern ohne Abschluss besondere Anreize bieten.« Der letzte Punkt wird von der FAZ aufgegriffen: Schulabbrecher sollen Soldaten werden: »Die Bundeswehr will als Arbeitgeber attraktiver werden und deshalb Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss künftig besondere Anreize bieten. Ihren Abschluss sollen sie parallel nachholen können, wenn sie sich als Zeitsoldat verpflichten … Die Bundeswehr wolle zudem Zeitsoldaten für bis zu 25 Jahre verpflichten und Quereinsteiger gewinnen. Von der Leyen werbe künftig auch um Feldwebelanwärter, die älter als 30 Jahre sind, um Frauen und um Bürger aus anderen EU-Staaten.«
Und erneut werden wir mit Ankündigungen die Zukunft betreffend bedient:
»Bis 2025 will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) demnach ein modernes Personalmanagement aufbauen, das Angehörigen der Bundeswehr neue Karrierepfade eröffnet.«
Dann ist ja noch erneut Zeit gewonnen. Aber die Lage an der Personalbeschaffungsfront muss angesichts der Klimmzüge bei den Versuchen, neues Personal zu finden, dramatisch sein, obgleich die Truppenstärke massiv eingedampft worden ist, so gab es (mit den damals noch vorhandenen eingezogenen Wehrpflichtigen) im Jahr 2000 noch deutlich über 300.000 Soldaten – mittlerweile sei die Zahl nach Angaben des
Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels, im Juni 2016 auf nur noch 166.000 gesunken, obwohl eigentlich 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten vorgesehen waren.
Nun ist ja nichts einzuwenden, wenn die Bundeswehr jungen Menschen Bildungs- und vor allem Ausbildungschancen eröffnet (es sei denn, man lehnt die Bundeswehr kategorisch ab). Aber die „Öffnung nach unten“ kollidiert mit den strukturellen Veränderungen, mit denen sich die Bundeswehr auseinandersetzen muss. Es ist ja nicht nur die Abschaffung der Wehrpflicht (und damit verbunden auch des Zivildienstes) sowie die dahinter stehende Ablösung vom Konzept einer landesverteidigenden (Wehrpflicht-)Bürgerarmee hin zu einer immer stärker auf Kriegseinsätze im Ausland ausgerichteten Truppe von (idealerweise entsprechend) professionellen Berufs- und Zeitsoldaten, die zugleich parallel zu der erheblichen Ausdünnung der Mannschaftsstärken immer intensiver gefordert werden als Soldaten, die sich in einem hochtechnisierten Umfeld bewegen müssen bzw. sollen. Und die zugleich mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, auf dem es – zu deutlich besseren privaten Umständen – für einen Teil der potenziellen Soldaten zahlreiche Ausbildungs- und Beschäftigungsalternativen gibt. Und man muss berücksichtigen: Die Bundeswehr liegt bei der Bezahlung oft abgeschlagen hinter der Wirtschaft. Gerade bei den IT-Fachleuten sind die Verdienstunterschiede zwischen Bundeswehr und privaten Unternehmen ganz erheblich, sie können nicht selten das Doppelte ausmachen.
Man kann sich das ein einigen wenigen Zahlen und Relationen verdeutlichen. Künftig hat jeder Jahrgang in Deutschland nur noch 600.000 Schulabgänger. „Zehn Prozent“ von ihnen braucht die Bundeswehr an Bewerbern, so das Ministerium selbst, also 60.000 Bewerber, um die mehr als 20.000 pro Jahr ausscheidenden Kräfte zu ersetzen, denn nicht jeder Bewerber kann am Ende auch eingestellt werden. Und was man nicht vergessen darf: Ein knappes Drittel der Rekruten bricht den Dienst innerhalb der Probezeit von sechs Monaten wieder ab.
Seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 aber kommen die Rekruten nicht mehr „frei Haus“. Besonders die Spezialisten, ob bei der Luftwaffe, der Marine oder im Sanitätsdienst, werden knapp. Außerdem fehlen Tausende Informationstechniker, jede vierte Stelle in der Laufbahn der IT-Feldwebel ist nicht besetzt.
Also investiert die Bundeswehr eine Menge in die Gewinnung von Interessenten für eine Soldatentätigkeit. Die Ausgaben für Anwerbung liegen im zweistelligen Millionenbereich (konservativ geschätzt): 2013: 29,9 Millionen Euro, 2014: 30,3 Millionen Euro 2015: 35,3 Millionen Euro, die gleiche Summe ist auch für das noch laufende Jahr 2016 eingeplant.
Die Bundeswehr wird es angesichts der Konkurrenzverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und der eben nicht wegzudefinierenden Besonderheiten des Soldatenberufs sehr schwer haben, ausreichend die erforderlichen Fachkräfte gewinnen zu können.
Zumindest in den sozialen Netzwerken hat sie bei einem Teil der so sehnsüchtig erwarteten jungen Menschen einen viralen Volltreffer landen können: Mit der
YouTube-Serie „Die Rekruten“.
»Bist du bereit für die vielleicht härtesten drei Monate deines Lebens? Dann sei bereit für die Grundausbildung bei der Bundeswehr! Drei Monate lang werden wir 12 neue Rekrutinnen und Rekruten mit der Kamera begleiten – und du bist täglich mit einer neuen Folge dabei!«
Offensichtlich gefällt das flott gemachte Format. Jeden Tag verzeichnet die Bundeswehr – nach eigenen Angaben – rund eine Million Zugriffe. Was zählt ist der Erfolg und da müssen dann auch Kritiker zurückstecken, die darauf hinweisen, die Serie zeige ein verzerrtes Bild der Bundeswehr, da in Mecklenburg-Vorpommern in einer der modernsten Kasernen der Truppe gedreht werde. Ganz abgesehen von der Tatsache, was auf die Soldaten zukommen kann, wenn sie im Auslandseinsatz für irgendwelche zu verteidigende deutsche Interesse verheizt werden. Alles Kleinkram. Matthias Gebauer berichtet nun sogar unter der Überschrift
TV-Sender buhlen um Bundeswehr-Reality-Show: Aus der Webserie entsteht »möglicherweise eine Fernsehsendung. Nach SPIEGEL-Informationen interessieren sich bereits vier TV-Sender für das Konzept einer Reality-Show über den Alltag von Rekruten in der Grundausbildung. Es laufen erste Gespräche mit den privaten Sendern, wie man das bisher fürs Internet produzierte Format ins Fernsehen bringen kann.«
Die Sender haben nun nicht wirklich patriotische Gefühle für die ausgemergelte Bundeswehr entdeckt, sondern hier geht es um Business: »Um die kaufkräftige Gruppe der 17- bis 25-jährigen Zuschauer kämpfen alle TV-Stationen mit immer neuen Formaten, da sie der Werbewirtschaft die entsprechenden Slots innerhalb der Sendeplätze besonders teuer verkaufen können.«
Aber man muss auf dem Boden der Skepsis bleiben: Bei allen Stichproben unter jüngeren Leuten wird zwar der flotte YouTube-Versuch mit der „Rekruten“-Serie durchaus gewürdigt – aber zur Bundeswehr wollte dann doch lieber keiner.