Am 25. November 2016 hat der Bundesrat die vom Bundestag bereits beschlossenen Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gebilligt. Damit hat die heftig umstrittene Neuregelung der Leiharbeit (vgl. dazu den Beitrag Ein „kleingehäckseltes“ koalitionsvertragsinduziertes Abarbeitungsgesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen vom 21. Oktober 2016) seinen parlamentarischen Weg beendet. Und nur wenige Tage später werden wir mit dieser Nachricht aus der Leiharbeitswelt konfrontiert:
„Wir haben seit Dienstag mehr als 24 Stunden Non-Stop verhandelt und eine deutliche Erhöhung der Entgelte erreicht. Der Kompromiss enthält viel von dem, was wir gefordert hatten. Die Gewerkschaften haben die vollständige Ost-West-Angleichung ab 2021 sowie eine überproportionale Anhebung der unteren Entgeltgruppen durchgesetzt.“ Mit diesen Worten wird Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied und Verhandlungsführer für die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit zitiert: Verhandlungsergebnis für die Beschäftigten der Leiharbeit erreicht. Und weiter erfahren wir über das Verhandlungsergebnis: Die Entgelte in der Leiharbeit steigen im Westen jährlich zwischen 2,5 und 3,2 Prozent pro Stunde. Im Osten steigen sie jährlich bis zu 4,82 Prozent pro Stunde. Die vollständige Ost-West-Angleichung in allen neun Entgeltgruppen erfolgt zum 01.04.2021. Die Entgelttabelle Ost entfällt zu diesem Zeitpunkt. Die dann gültige Tabelle West wird dann im gesamten Bundesgebiet angewendet. Und auch das sollte erwähnt werden: Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 36 Monaten und endet zum 31.12.2019.
Die Laufzeit gefällt den Arbeitgeber-Vertretern offensichtlich am besten, wie man diesem Artikel entnehmen kann: Tarifabschluss für die Zeitarbeitsbranche: Dort wird Sven Kramer von der iGZ mit diesen Worten zitiert: Die lange Laufzeit bis zum 31. Dezember 2019 gewährleiste … eine langfristige Planungssicherheit sowohl für die Zeitarbeitsbranche als auch deren Kundenunternehmen. Und Thomas Bäumer, Vizepräsident des BAP und Verhandlungsführer der VGZ: „Positiv ist allerdings – wir haben Planungssicherheit bis Ende 2019.“
Die Leiharbeit an sich ist sehr umstritten und oft Synonym für schlechte Arbeitsbedingungen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die DGB-Gewerkschaften, die da mit den Leiharbeitsfirmen verhandeln, immer wieder genau dafür kritisiert werden, dass sie das überhaupt noch machen. Das klingt nur im ersten Moment mehr als irritierend vor dem Hintergrund, dass doch ansonsten Tarifverhandlungen zwischen den Unternehmen und den Gewerkschaften eines der höchsten Ziele der Gewerkschaften überhaupt ist – man denke an dieser Stelle nur an die seit gefühlt hundert Jahren andauernden Auseinandersetzungen zwischen der Gewerkschaft ver.di und Amazon mit immer wiederkehrenden Arbeitsniederlegungen. Da geht es darum, dass man erkämpfen will, dass der Arbeitgeber endlich mal in Tarifverhandlungen eintritt, wozu er bislang und überaus hartnäckig keine Bereitschaft erkennen lässt. Und in der Leiharbeit werden Gewerkschafter kritisiert, dass sie sich an einen Tarifverhandlungstisch setzen? Wie passt das zusammen?
Ganz offensichtlich haben wir es mit einem Sonderfall zu tun, wie überhaupt Leiharbeit eine ganz eigene und besondere Form der Beschäftigung ist. Man kann das alles nur historisch verstehen. Die einfache Variante geht so: Als die Leiharbeit 2003 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung massiv dereguliert wurde, hat man sich darauf verständigt, dass (eigentlich) equal pay gelten soll, also die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten. Eigentlich, weil man zugleich ein scheunentorgroßes Schlupfloch aufgemacht hat, durch das die Verleihbetriebe mit Hilfe eines eigenen Tarifvertrags für die Leiharbeiter und damit abweichend von den Regelungen für die Stammbelegschaften in den Entleihbetrieben marschieren konnten. Wenn es also einen eigenen Tarifvertrag gibt, dann muss man sich nicht an equal pay halten, sondern kann die Leiharbeiter anders (und das heißt niedriger) vergüten. Aber – so wird der eine oder anderen an dieser Stelle vielleicht einzuwerfen versuchen -, die Gewerkschaft muss sich doch nicht dafür hergeben und wenn sie nicht unterschreibt, dann gibt es auch keinen Tarifvertrag und keine damit verbundene Abweichungsoption von den gleichen Bedingungen wie die jeweilige Stammbelegschaft des Betriebes, in dem man ausgeliehen wird.
Das wäre richtig, wenn es nur eine einzige zuständige Gewerkschaft geben würde, aber dem war nicht der Fall. Zum einen passten die Leiharbeiter nicht in die branchenbezogene Struktur der DGB-Gewerkschaften, weshalb einige von ihnen ja auch eine Tarifgemeinschaft gebildet haben, die bis heute besteht. Zum anderen und wesentlich wichtiger aber ist der Tatbestand, dass die Arbeitgeber der Leiharbeitsbranche damals sehr wohl eine Alternative zu den DGB-Gewerkschaften hatten, da die „CGB-Gewerkschaften“, also sogenannte „christliche Gewerkschaften“ Gewehr bei Fuß standen, um mit den Arbeitgebern entsprechende Tarifverträge zu schließen.
Der DGB schreibt dazu selbst in seinen Hintergrund-Informationen zur Tarifrunde 2016:
»In der Folge haben ab 2003 sog. christliche Gewerkschaften auf dieser Grundlage Dumping-Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden abgeschlossen, in denen sehr niedrigere Entgelte vereinbart wurden. Die parallel von den Mitgliedsgewerkschaften in der DGB-Tarifgemeinschaft ebenfalls ausgehandelten Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden in der Leiharbeit mit höheren Entgeltstandards mussten auf Druck der Arbeitgeber angepasst werden, damit überhaupt ein Abschluss erzielt werden konnte. Die Lohndumpingstrategie der sog. christlichen Gewerkschaften ist damals voll aufgegangen.«
Man war also durch die Schmutz-Konkurrenz gezwungen gewesen, sich nach unten anzupassen, so die offizielle Lesart des DGB. Nun wird auch dieser Stelle ein Einwurf erfolgen dergestalt, dass doch seit einiger Zeit dieses Problem vom Tisch sein müsste, denn die „christlichen Gewerkschaften“ wurden zwischenzeitlich als nicht tariffähig erklärt und können doch dann heute nicht mehr als Argument herangezogen werden für einen Tarifabschluss mit den Leiharbeitgebern.
Bereits in der letzten Tarifrunde 2013 gab es einen offenen Brief aus dem Gewerkschaftslager an die Gewerkschaftsspitze: Equal Pay durchsetzen statt Lohndumping tarifieren – Nein zum DGB Tarifvertrag in der Zeitarbeit! vom 11. April 2013. Dort konnte man lesen: »Wir sind gemeinsam mit zahlreichen Arbeitsrechtler/innen der Überzeugung, dass die Vorteile einer ersatzlosen Kündigung angesichts des Equal-Pay-Grundsatzes im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gegenüber möglichen und angeblichen Risiken deutlich überwiegen. Eine ersatzlose Kündigung des Tarifvertrags ermöglicht die Durchsetzung einer gleichen Bezahlung von Leiharbeiter/innen. Eine Neuauflage des Tarifvertrags hingegen zementiert Lohndumping durch die Leiharbeit und beschädigt unsere gewerkschaftliche Glaubwürdigkeit nachhaltig.« Auch in der aktuellen Tarifrunde gab es einen solchen Vorstoß: Equal Pay für LeiharbeiterInnen, diskriminierende Tarifverträge ersatzlos kündigen! Offener Brief an die DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit und die beteiligten Gewerkschaften.
Das wurde auch auf einer anderen Bühne aufgegriffen. Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, der derzeit für die Spitzenkandidatur bei den Grünen für die Bundestagswahl 2017 im Rennen ist, hat sich mit diesem Artikel zu Wort gemeldet: Eine unheilige Allianz. Darin teilt er ordentlich aus – gegen den DGB. »Bei der Leiharbeit ließe sich konkret etwas ändern – und zwar durch jene, die klassisch die Interessen der Arbeiter vertreten: die Gewerkschaften … Die Gewerkschaften machen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich müssten: nämlich die Interessen der Leiharbeitskräfte zu vertreten. Durch Billiglöhne versorgen sie die Industrie weiter mit kostengünstigen Randbelegschaften.« Und was sollen die Gewerkschaften nach Habecks Ansicht tun?
»Ausreden, dass die Gewerkschaften nur einen kleinen Einfluss auf die Leiharbeitsbranche haben, da nur ein kleiner Teil der Leiharbeitskräfte organisiert ist, sind faule Ausreden. Die Gewerkschaften könnten auf einen Schlag eine Gleichbehandlung von Leiharbeitskräften und Stammbelegschaften erreichen. Der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften müssten nur den Leiharbeits-Tarifvertrag kündigen, den sie selbst geschaffen haben. Dann würde automatisch das im Gesetz verankerte Gleichheitsgebot greifen. Damit wäre die Arbeitswelt ein Stück gerechter.«
Man kann sich vorstellen, dass diese Einlassungen des Herrn Habeck nicht ohne Gegenrede geblieben sind: Warum wir Tarifverhandlungen brauchen – auch in der Leiharbeit, so ist die Replik von Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand überschrieben. Für Körzell sind die Ausführungen von Habek „ein flotter Meinungsbeitrag“ und der solle doch bitte bei den Fakten bleiben. Also schauen wir uns die entsprechenden Ausführungen von Körzell genauer an:
Der erste Einwand gegen Habecks Ausführungen kommt etwas korinthenkackerhaft daher: »So behauptet er beispielsweise, der DGB würde Tarifverträge abschließen, die Branchentarifverträge aushebelten. Der DGB schließt aber gar keine Tarifverträge ab. Es sind seine acht Mitgliedsgewerkschaften, die als „DGB-Tarifgemeinschaft-Leiharbeit“ mit den Arbeitgeberverbänden in der Leiharbeit iGZ und BAP die Tarifverträge aushandeln.«
Körzells zweites Argument kommt hingegen gewichtiger daher, geht es hier doch um den Branchen-Mindestlohn in der Leiharbeit:
»Die unterste Lohngruppe im Entgelttarifvertrag bildet die Grundlage für den Mindestlohntarifvertrag. Der Mindestlohntarifvertrag bildet wiederum die Grundlage für die Lohnuntergrenze in der Rechtsverordnung. Die Rechtsverordnung wird durch das Bundesarbeitsministerium erlassen und ist damit auf alle – auch entsandte – Leiharbeitsbeschäftigte anwendbar. Entscheidend ist, dass diese Lohnuntergrenze – anders als der Grundsatz der gleichen Bezahlung (Equal Pay) im Gesetz – auch in der verleihfreien Zeit gilt. Ohne die DGB-Tarifverträge und den Mindestlohn in der Leiharbeit gäbe es in der verleihfreien Zeit nur den gesetzlichen Mindestlohn, der z.B. in Westdeutschland niedriger ist als der Mindestlohn in der Leiharbeit. Nur mit den Tarifverträgen der DGB-Tarifgemeinschaft ist es möglich, einen über dem gesetzlichen Mindestlohn liegenden Branchenmindestlohn in der Leiharbeit zu vereinbaren.«
Nun könnte man durchaus abschwächend einwenden, dass die Entgeltgruppe 1 im Westen bei derzeit 9 Euro liegt und damit den „Branchen-Mindestlohn“, während der gesetzliche Mindestlohn bei 8,50 Euro pro Stunde liegt. Aber 50 Cent haben oder nicht haben, macht einen Unterschied, um die Antwort auf diesen Einwand zu umreißen.
Und was ist Körzells Argument gegen eine auch aus den eigenen Reihen geforderte Kündigung der bestehenden Tarifverträge und dem Nicht-Abschluss neuer Vereinbarungen?
»Selbst wenn die DGB-Tarifgemeinschaft die Tarifverträge kündigen würde, griffe der Equal Pay-Grundsatz nicht automatisch. Tarifverträge wirken grundsätzlich – mit Ausnahme des Mindestlohntarifvertrags – auch nach Ende der Laufzeit nach und sind anwendbar bis zu einem neuen Tarifabschluss. Die Nachwirkung eines Tarifvertrages in der Leiharbeit ist umstritten und müsste von den Betroffenen individuell vor den Arbeitsgerichten geklärt werden. Sowas dauert. Bis dahin bestünde enorme Rechtsunsicherheit.«
Und dann beendet er seinen Beitrag mit einem Blick auf die Forderungen der Gewerkschaften in der Tarifrunde, deren Ergebnis wir nunmehr kennen: »Wir fordern eine Erhöhung der Entgelte um 6 Prozent, mindestens aber 70 Cent pro Stunde und – ganz wichtig – eine Ost-West-Angleichung in allen Entgeltgruppen. Die untersten Entgeltgruppen müssen dabei deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen. Wir werden hart mit den Arbeitgebern verhandeln und versuchen, den gesteckten Zielen möglichst nah zu kommen.«
Jeder kann einen Blick werfen in die am Anfang dieses Beitrags dokumentierten Entgelttabellen, die bei Annahme des Tarifverhandlungsergebnisses in den kommenden drei Jahren Anwendung finden werden und sich selbst ein Urteil bilden, ob und in welchem Umfang die geforderten Verbesserungen erreicht worden sind.