Die Medien überschlagen sich wieder einmal in der Berichterstattung. Die FAZ meldet wie wie viele andere auch Mehr Kinder in Deutschland: Höchste Geburtenziffer seit 1982. Irgendwie erinnern einen diese Schlagzeilen an das vergangene Jahr. Am 16.12.2015 konnte man bei Spiegel Online lesen: Geburtenrate erreicht Höchststand seit 1990. » Jede Frau im gebärfähigen Alter wird laut den Zahlen aus dem Jahr 2014 statistisch gesehen Mutter von 1,47 Kindern. Damit stieg die Geburtenrate zum dritten Mal in Folge«, konnte man damals schon erfahren. Und als ein Erklärungsansatz wurde uns im vergangenen Jahr das hier präsentiert: »Die Statistiker sehen einen gesellschaftlichen Grund für den aktuellen Anstieg: Frauen im Alter zwischen 29 und 36 Jahren verwirklichen demnach momentan ihre aufgeschobenen Kinderwünsche.«
Und nun legt das Statistische Bundesamt nach und hat diese Mitteilung veröffentlicht, die von den Medien angesichts der in ihr enthaltenen frohen Botschaft gerne aufgenommen und verbreitet wurde: Geburtenziffer 2015: Erstmals seit 33 Jahren bei 1,50 Kindern je Frau: » Die zusammengefasste Geburtenziffer erreichte 2015 in Deutschland 1,50 Kinder je Frau. Ein ähnlich hoher Wert wurde … zuletzt 1982 … mit 1,51 Kindern je Frau nachgewiesen … Die seit 2012 beobachtete positive Entwicklung setzte sich damit fort.«
Aber es geht noch weiter und differenzierter in der Mitteilung des Bundesstatistiker, denn es gibt ja solche und andere Mütter:
»Der Zuwachs ist 2015 allerdings nur halb so stark ausgefallen wie im Jahr 2014 … Vor allem bei den Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit nahm die Geburtenziffer nur geringfügig von 1,42 Kindern je Frau im Jahr 2014 auf 1,43 Kinder je Frau im Jahr 2015 zu. Bei den Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit stieg sie dagegen deutlich von 1,86 auf 1,95 Kinder je Frau und trug damit zum Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer aller Frauen wesentlich bei.«
Und schon sind wir mittendrin in der Interpretation, sehr schnell aber auch der Instrumentalisierung der Zahlen. Nicht wirklich überraschend ist die fast schon reflexhafte Inbesitznahme der frohen Botschaft durch die Politik. Sofort hat sich die Bundesfamilienministerin zu Wort gemeldet und sie wird so zitiert:
„Es ist ein schönes Signal, dass immer mehr Kinder in Deutschland geboren werden“, teilte sie am Montag mit. Den Grund für den Anstieg sieht sie in einer verbesserten Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur: „Mehr Kitaplätze und mehr Ganztagsschulen führen zu mehr Kindern“, sagte Schwesig. „Mit dem ElterngeldPlus und dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung sind wir auf dem richtigen Weg“.
Die Bundesfamilienministerin wird sogar mit so einer Aussage zitiert:
»Ihren Worten zufolge gibt es laut Studien nur ein einziges familienpolitisches Instrument, das messbar die Geburtenrate erhöht: die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur. „Mehr Kitaplätze und mehr Ganztagsschulen führen zu mehr Kindern … erklärte die Ministerin.« (Geburtenrate so hoch wie lange nicht, Rhein-Zeitung, 18.10.2016).
Das nun ist – nett formuliert – eine überambitionierte Sicht auf die vielen Studien, die sich in den vergangenen Jahren mit der schwierigen Frage beschäftigt haben, welche Einflussfaktoren wie, wo und wann auf die Entscheidung zur Familiengründung einwirken. Auch (und gerade) wenn man ein Befürworter des Ausbaus der familienunterstützenden Infrastruktur ist (zu der aber eben nicht nur Kitas oder sogenannten Ganztagsschulen gehören, sondern selbstverständlich auch die Frage der materiellen Ausstattung der Familien). Natürlich hat das einen Einfluss, aber die Entscheidungen, Kinder in die Welt zu setzen, sind überaus vielgestaltig und komplex und es ist schlichtweg falsch zu behaupten, die Gleichung „mehr Kitas = mehr Babys“ könne eindeutig abgeleitet werden aus der gegebenen Forschungslage.
Aber man ahnt schon, von welcher Seite ebenfalls sehr reflexhaft eine Indienstnahme der Zahlen erfolgt bzw. erfolgen wird, die brauchen immer etwas länger, um das in Worte zu gießen, die dann aber wie ein Fallbeil eingesetzt werden: Es sind die ausländischen Frauen, die hier „bei uns“ für mehr Kinder sorgen und „natürlich“ die Flüchtlinge, die jetzt da sind. Das passt wunderbar in die Überfremdungsängste, die von dieser Seite geschürt werden. Und ist es nicht so, dass die bereits zitierten Daten diese Position stützen? »Vor allem bei den Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit nahm die Geburtenziffer nur geringfügig von 1,42 Kindern je Frau im Jahr 2014 auf 1,43 Kinder je Frau im Jahr 2015 zu. Bei den Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit stieg sie dagegen deutlich von 1,86 auf 1,95 Kinder je Frau und trug damit zum Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer aller Frauen wesentlich bei«, so das Statistische Bundesamt.
Aber auch hier lohnt der genauere Blick. So weist Clara Lipkowski in ihrem Artikel Frauen bekommen mehr Kinder darauf hin:
»Bei Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist der Anstieg stärker als bei deutschen. Bei letzteren hat sich die Geburtenrate von 1,42 (2014) auf 1,43 Kinder je Frau im Jahr 2015 erhöht, aber nur leicht. Bei Frauen ausländischer Staatsangehörigkeit ist diese Zahl von 1,86 auf 1,95 relativ deutlich angestiegen. Eine Sprecherin des Statistischen Bundesamts teilte mit, dies sei vor allem auf die Zuwanderung von Frauen aus Südosteuropa zurückzuführen … Aus früheren Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts vom September geht hervor, dass im Vergleich zu 2014 im vergangenen Jahr vor allem mehr Frauen rumänischer Herkunft und früher angekommener Syrerinnen mehr Kinder bekommen hatten. Bei Frauen türkischer Staatsangehörigkeit etwa waren die Zahlen hingegen zurückgegangen.«
Und losgelöst von dieser differenzierenden Betrachtungsweise muss man an dieser Stelle natürlich schlichtweg auch die Quantitäten und damit die Anteilswerte der einzelnen Gruppen in Erinnerung rufen, um eine realistische Bewertung vornehmen zu können: Von den insgesamt 738.000 im Jahr 2015 geborenen Kindern hatten 590.000 eine deutsche Mutter und 148.000 eine Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Abschließend sollen die Anführungszeichen im Titel dieses Beitrags erläutert werden – „die“ Geburtenrate heißt es da. Damit verbunden ist der Hinweis, dass es eben nicht die eine Geburtenrate gibt. In der öffentlichen Debatte wie derzeit gerade wird immer eine ganz bestimmte herangezogen, bei deren Interpretation man einiges beachten sollte. Dazu schreiben die Bundesstatistiker selbst:
»Die zusammengefasste Geburtenziffer wird zur Beschreibung des aktuellen Geburtenverhaltens herangezogen. Sie gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre, wie das aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren im jeweils betrachteten Jahr.«
Wir haben es also mit einer Querschnittaufnahme über alle Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in einem Jahr zu tun. Nun wissen wir alle, dass es nicht viele 15 oder 16 Jahre alte Mädchen gibt, die bereits Mutter werden. Und andererseits kann man sich auch folgenden Effekt vorstellen: Die zusammengefasste Geburtenziffer steigt im Vergleich der (wohlgemerkt) Querschnittaufnahmen eines jeden Jahres, wenn die nicht nur einige, sondern viele Frauen ihren Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt realisieren, also in einem höheren Alter – dann tauchen sie in den vorherigen Jahren als geburtenratensenkende Kinderlose auf, „heilen“ das aber zu einem späteren Zeitpunkt. Damit korrespondiert dann auch das (weiter) ansteigende Alter der Mütter bei Geburt der Kinder.
Die Frage nach Zahl der Kinder, die Frauen im Laufe ihres Lebens tatsächlich bekommen haben, kann für Frauenjahrgänge beantwortet werden, die das Ende des gebärfähigen Alters erreicht haben, das statistisch mit 49 Jahren angesetzt wird. Die Abbildung verdeutlich die langfristige Entwicklung dieser Geburtenrate. Und offensichtlich ist bis zum aktuellen Rand der Zeitreihe ein Sinkflug nach unten zu erkennen, noch Ende des vergangenen Jahres berichtete das Statistische Bundesamt: »Seit der deutschen Vereinigung sank diese sogenannte endgültige Kinderzahl je Frau um 19 %.« Das alles muss man berücksichtigen, nicht nur die zusammengefasste Geburtenziffer. Aber auch diese – sachlogisch immer lange nachlaufenden Werte die endgültige Kinderzahl betreffend – kann nur das Gesamtbild relativieren. Hinsichtlich der derzeit in der Demografie behaupteten und vieldiskutierten „Trendwende bei der Geburtenrate“ muss man notgedrungen weiter teilweise in der Spekulation verbleiben, da man hier Frauenjahrgänge betrachtet, die eben noch nicht die 49 Jahre erreicht und vollendet haben.