Fragen der inneren Sicherheit – so mag der eine oder andere denken – haben doch nun wirklich nichts verloren in der sozialpolitischen Fachdiskussion. Genau dem wird hier vehement widersprochen, nicht allein schon mit Blick auf das Erbgut vieler sozialpolitischer Maßnahmen, die immer auch, zuweilen sogar primär sicherheitspolitischen Überlegungen geschuldet waren. Darüber hinaus kann und muss man argumentieren, dass in der Praxis oftmals ein Ressourcenkonflikt zwischen den Anliegen der einen und der anderen Seite zu beobachten ist (also holzschnittartig formuliert: mehr Sozialarbeiter oder mehr Polizisten) – wobei die andere Seite dieser Medaille darin besteht, dass man zumindest graduell mit sozialpolitischen Arrangements die innere Sicherheit befördern kann. Hinzu kommt, bewusst positiver formuliert: Innere Sicherheit ist mindestens genau so gewichtig wie eine ausreichende Versorgung mit Kita-Plätzen oder Beratungsstellen. Das wird jeder nachvollziehen können, der in Gegenden mit einer hoher Kriminalitätsbelastung leben muss. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die Nicht-Selbstverständlichkeit körperlicher Unversehrtheit und die Ängste, die damit verbunden sind, belasten mindestens genau so wie zu geringe Sozialleistungen.
Und wenn es um innere Sicherheit geht, dann muss man über die Polizei reden – besser: über die Polizeien, denn es gibt eben nicht „die“ Polizei, sondern das ist eine der wenigen noch verbliebenen originären Aufgaben der Bundesländer. Hinzu kommt dann noch die Bundespolizei. Wir haben es hier also mit einem höchst komplexen föderalen Gebilde zu tun und das bedeutet eben auch eine damit einhergehende sehr breit angelegte Unterschiedlichkeit bei Fragen der Ausbildung, vor allem aber der Ausstattung und des zur Verfügung stehenden Personals.
Und das Personal war in den vergangenen Monaten immer wieder Gegenstand heftiger öffentlicher Debatten. Gerade nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln diskutierte Deutschland (wieder einmal) über die personelle Ausstattung der Polizei (vgl. beispielsweise die DLF-Hintergrundsendung Die Polizei – zwischen Besserwissern und Bürgerwehren vom 15.01.2016). Es verging kein Tag, an dem nicht mehr Einsatzkräfte gefordert wurden und werden. Hinsichtlich der Ausgangslage muss hingegen generell festgehalten werden: Die meisten Bundesländer haben bei der Polizei Personal abgebaut (vgl. dazu beispielsweise Die Landkarte der Sicherheit). Auch viele Politiker haben sich vor diesem Hintergrund dazu hinreißen lassen, der Bevölkerung tatkräftig mehr Polizisten zu versprechen, doch die Analyse des Ist-Zustands gibt keinen Grund, daran umfassend zu glauben, so beispielsweise die Kernaussage dieses Artikels von Leon Scherfig: Umfrage: Viele Bundesländer sparen auch 2016 bei Polizei.
»Fast überall stagniert die Zahl der Stellen, in vielen wird sogar noch im Jahr 2016 eisern gespart. Besonders schwach ausgestattet sind die Behörden in den östlichen Bundesländern: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben in den vergangenen Jahren den Polizeiapparat immer mehr ausgedünnt. Aber auch in Rheinland-Pfalz und im Saarland schrumpfte die Mannschaftsstärke in den vergangenen Jahren. Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen, dass in den vergangenen zehn Jahren massiv Stellen bei der Polizei eingespart worden sind.« Ausnahmen wie Bayern bestätigen die Regel.
Aber die Erkenntnis, dass a) angesichts der faktischen Aufgabenfülle für die Polizei und vor allem b) der Tatsache, dass innere Sicherheit gerade in einer strukturell gealterten Bevölkerung einen wachsenden Stellenwert bekommt, hat dazu geführt, dass in den meisten Bundesländern zahlreiche Turnübungen veranstaltet werden, um die Botschaft, man verbessere jetzt die Situation der Polizei, an den Mann und die Frau bringen zu können.
Und so hat Leon Schorfig in seinem Artikel bereits das angesprochen, was in diesem Beitrag im Mittelpunkt stehen soll:
Sachsen »reagierte auf den Personalnotstand mit speziellen Wachpolizisten, die in nur zwölf Wochen ausgebildet werden. Die Ausbildung eines Polizisten dauert in der Regel drei Jahre. Zu den Aufgaben der Wachpolizisten sollen vor allem der Objekt- und Personenschutz gehören – also auch die Bewachung von Flüchtlingsheimen.
Eine ähnliche Strategie verfolgt das Saarland: Hier plant die Behörde einen sogenannten Polizeilichen Ordnungsdienst (POD), eine Art Hilfspolizei. Nach einer dreimonatigen Ausbildung wie in Sachsen sollen Anfang Juli insgesamt 30 dieser Hilfspolizisten zum Einsatz kommen. „Hierzu werden dem POD polizeiliche Standardbefugnisse wie zum Beispiel Platzverweis, Identitätsfeststellung, Anwendung einfachen unmittelbaren Zwanges ohne Waffen übertragen“, heißt es aus dem saarländischen Innenministerium.«
Konrad Litschko hatte diese Entwicklung bereits im Dezember 2015 in seinem Artikel Schnellkurs zum Polizeihelfer aufgegriffen: »Dienstwaffe inklusive: Mehrere Bundesländer setzen verstärkt auf Hilfspolizisten, vor allem für die Bewachung von Asylunterkünften.«
Er hat sich mit den ersten 50 Wachpolizisten in Sachsen beschäftigt. Nach einer dreimonatigen Ausbildung geht es in den Einsatz. 50 haben angefangen, 550 Wachpolizisten sollen es einmal werden.
»Ihre vorrangigste Aufgabe: der Schutz von Flüchtlingsunterkünften. Sachsen ist mit diesem Weg nicht allein. Mehrere Bundesländer setzen inzwischen auf Polizeihelfer – vor allem angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen und Unterkünfte.«
Die neuen sächsischen „Wachpolizisten“ dürfen auch Pistole tragen. Für die Grünen sind die „schlecht ausgebildeten Wachpolizisten mit entsprechender Bewaffnung nichts weiter als ein weiteres personifiziertes Sicherheitsrisiko“.
Sachsen steht in dieser Frage nicht allein:
»Auch in Hessen gibt es 450 freiwillige Polizisten. In Baden-Württemberg sind es 760, hier ebenfalls mit Pistole am Gürtel. Dort allerdings will man keine neuen Helfer mehr. Der Grund seien die „gestiegenen Anforderungen“ an den Polizeidienst und mehr Gewalt gegen Beamte, heißt es aus dem Innenministerium in Stuttgart.«
Die Bayern wollen dem Ländle an dieser Stelle nicht folgen: »790 Mitglieder zählt dort die „Sicherheitswacht“, unbewaffnet, aber mit der Erlaubnis, Personalien zu kontrollieren und Platzverweise auszusprechen. Bis zu 1.000 Freiwillige sollen es künftig werden.«
»Und auch Sachsen-Anhalt beschloss im Dezember, Hilfspolizisten einzuführen. 250 Stellen sollen dafür geschaffen werden, die ersten 100 bis Ende 2016. Auch diese Leute sollen nach einer dreimonatigen Ausbildung Flüchtlingsunterkünfte bewachen, aber auch Verkehrskontrollen durchführen – mitsamt Dienstwaffe.«
Da haben wir in den vergangenen Jahren zu Recht eine Debatte und in vielen Bundesländern auch tatsächlich eine inhaltliche Aufwertung der Polizei-Ausbildung erlebt (so die Anhebung der Ausbildung der Polizeibeamten auf Fachhochschulniveau) – und dann so was. Man kann durchaus zu dem ersten Fazit kommen, dass wir hier mit einem – wie immer schleichend beginnenden – Prozess des Qualifikations-Dumping konfrontiert werden.
»Sehr nützlich ist eine so genannte Wachpolizei, die besetzt ist mit Kräften, die über eine Kurzausbildung verfügen und begrenzte Befugnisse haben, aber Uniform und Waffe tragen. Sie können als Wache in besonders belasteten Vierteln eingesetzt werden. Sie würden die Präsenz der Polizei erhöhen und können Meldungen machen. Sachsen hat die Wachpolizei bereits eingeführt – das ist ein zukunftsweisendes Modell.«
»Die sollen einen Schusswaffe kriegen, und das geht überhaupt nicht! Denn Schusswaffe darf nur in Besitz haben und dienstlich verwenden, der sorgfältigst ausgewählt ist. Die Polizei macht eine ganz strenge Persönlichkeitskontrolle, die müssen Tests durchlaufen, damit sie zur Gruppe derer gehören, denen man zutraut, dass sie die Souveränität besitzen, in einer Krisensituation, unter Stress mit der Waffe richtig zu hantieren, und dann kommt das technische Training.
Aber das psychologische Training ist von entscheidender Bedeutung, das hätten diese schnell ausgebildeten Hilfspolizisten nicht, diese Möchtegernsheriffs, die dann Schlange stehen, dass sie diesen tollen Job kriegen mit Uniform und Waffe. Da träumen viele von, aber sie werden überwiegend abgewiesen, die, die sich bewerben, weil nur die genommen werden, denen man das zutraut. Da ist Deutschland vorbildlich, deswegen haben wir so einen Rückgang der Schusswaffendelikte durch Polizeibeamte, weil sie so bestens geschult sind. Und das würde die Kultur der Polizei in Deutschland massiv gefährden.«
Jahrelang sind in Deutschland Stellen bei der Polizei abgebaut worden. Noch immer verfügt die Staatsmacht Fachleuten zufolge über 10.000 Beamte weniger als im Jahr 2000. Die Aufgaben der Ordnungshüter sind hingegen gewachsen. Das ist die Ausgangslage, die Jörg Diehl in seinem Kommentar Geiz ist gefährlich aufgreift:
»Nun sollen ausgerechnet im Schnellverfahren ausgebildete Amateurschupos dabei helfen, Rechtsstaatlichkeit dort zu sichern, wo Profis fehlen? Die Idee ist ein Offenbarungseid der inneren Sicherheit. Es ist Flickschusterei, wo eine Strategie nicht (mehr) erkennbar ist … soll nun McPolizei die Lösung sein.«
»Um die Versäumnisse der vergangenen Jahre, das wenig vorausschauende Wirtschaften der Innenministerien aufzufangen, wird die reguläre Polizei in Bund und vielen Ländern derzeit aufgestockt. Die Folge ist, dass vielerorts die Einstellungskriterien bereits aufgeweicht werden mussten, um überhaupt noch genügend Bewerber zu finden. Teilweise gibt es kaum noch eine Auslese: Wer sich bewirbt, wird Polizist. Das alleine ist schon schwierig genug.
Hilfspolizisten aber sind ein hochgefährliches Placebo. Sie tragen Uniform, repräsentieren den Rechtsstaat und suggerieren Sicherheit – etwa indem sie sich vor Botschaften die Füße platt stehen und bestenfalls entschlossen dreinschauen.«
Hier werden die aus einer systematischen Sicht zentralen Problemstellen angesprochen. Die Politik gerät zunehmend unter Druck, im Bereich der inneren Sicherheit Handlungsfähigkeit zu demonstrieren – und sei es durch die Simulation von Problemlösungen. Zugleich muss man sehen, dass die für die „normale“ Polizei zuständigen Bundesländer vor erheblichen Haushaltsproblemen stehen, die mit der Schuldenbremse verschärft werden, wenn sich am bestehenden Finanzsystem nichts ändern sollte. In der Logik dieses Systems ist es konsequent, dann nach Lösungen Ausschau zu halten, die eine quantitative Ausweitung der Zahl der Polizisten mit weniger Finanzmittel (und dann auch noch schneller, als wenn man normal, also mindestens drei Jahre lang ausbildet) ermöglicht. Da liegt der Weg über Hilfs- oder Wachpolizisten nahe.
Und auch wenn jetzt gesagt wird, die würden ja nur in einem ganz eng begrenzten Bereich eingesetzt werden, wo sie die „richtigen“ Polizisten bei niederen Tätigkeiten entlasten sollen (was übrigens selbst aus den Reihen der Polizei gefordert wird, vgl. dazu beispielsweise das Statement des Vorsitzenden der mit der DGB-Gewerkschaft der Polizei (GdP) konkurrierenden Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt: „Tausende Polizisten erfüllen Aufgaben, für die sie gar nicht ausgebildet sind“, der darauf hinweist, man habe den Bundesinnenminister vorgeschlagen, »tausend sogenannte bundespolizeiliche Unterstützungskräfte einzustellen. Das sind befristet tätige Angestellte, die man schnell ausbilden und in die Verwendung bringen kann. Die können die Vollzugsbeamten kurzfristig entlasten: Für administrative Tätigkeiten, für das Ausfüllen von Listen, für die Eingabe von Daten in irgendwelche Statistiken« und auch die GdP differenziert bei ihrer deutlichen Ablehnung der Vorschläge des Bundesinnenministers (vgl. dazu Mehr Wachpolizei ist Flickschusterei auf Kosten der inneren Sicherheit), wenn sie darauf verweist, dass sie durchaus der Auffassung sei, dass die Wachpolizei eine wichtige Rolle innerhalb der Sicherheitsarchitektur spielen könne, so beispielsweise in der Hauptstadt Berlin mit ihrem Regierungsviertel, vielen Botschaften und zahlreichen weiteren gefährdeten Gebäuden), dann sollte man immer vor Augen haben, dass solche Prozesse so ablaufen, dass man klein anfängt und dann den Raum immer größer macht. So muss man dann wohl auch diese Ausführungen des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) verstehen, die man dem Artikel Weitere Aufgaben für Sachsens Wachpolizisten – Ulbig will „prüfen“ entnehmen kann: Bisher sind sächsische Wachpolizisten nur beim Objektschutz an Asylunterkünften und bei der Personenbewachung im Einsatz. Nun wolle man prüfen, ob das Aufgabenfeld der Wachpolizei entsprechend der vielen sonstigen Aufgaben im Sicherheitsbereich angepasst werden muss oder sogar erweitert werden kann.
Dann ahnt man schon, wohin die Entwicklung gehen könnte. Für die Diskussion über und die in den vergangenen Jahren bereits begonnene Professionalisierung der Polizeiausbildung sind das Rückschritte, die sich nochmal als sehr gefährlich in der Zukunft erweisen können. Außer man will in die Richtung marschieren: US-Polizei mangelt es an qualifiziertem Nachwuchs, so ein Kommentar von Sacha Batthyany: Die Rekrutierungsprobleme in der Polizei haben Folgen, denn es »werden Anforderungen gesenkt. Häufig genügt ein Highschool-Abschluss, und die Grundausbildung kann, je nach Staat, nur mal 18 Wochen dauern.« Das kann nicht wirklich der anstrebenswerte Zielpunkt einer möglichen Entwicklung sein, die mit dem Bewachen irgendwelcher Gebäude beginnt und bei einer nach Unternehmensberater-Maßstäben umgebauten Polizei enden wird, bei denen zwar betriebswirtschaftlich alles scheinbar günstiger wird, aber die Qualität auf der Strecke bleibt. Und dann reden wir nicht von irgendwelchen schlecht montierten Möbelstücken, sondern vom Herzstück der inneren Sicherheit, die eben immer auch soziale Sicherheit ist.