Isch over, so würde es der Bundesfinanzminister Schäuble zum Thema Betreuungsgeld auf der Basis eines Bundesgesetzes und als Bundesleistung ausdrücken müssen nach dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die ersten Sätze bei der Urteilsverkündung hatten es schon in sich:
»§§ 4a bis 4d Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 254) sind mit Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.«
Unvereinbar und nichtig – ab sofort. Aus und vorbei mit diesem jüngsten Sprößling in der langen Reihe „familienpolitischer“ Leistungen. Das hätte man schneller und billiger haben können, denn die zentrale Begründung des Verfassungsgerichts für das – übrigens einstimmig im 1. Senat gefällte – Urteil wurde bereits vor und im Gesetzgebungsverfahren von Expertenseite vorgetragen und eine Verfassungswidrigkeit damit vorhergesagt. Aber „man“ wollte das unbedingt durchboxen, vor allem die CSU in Bayern hatte diese skurrile Geldleistung zu einer „Freistaatsangelegenheit“ aufgepumpt, auf die man partout nicht meinte verzichten zu können. Und der Trennungsschmerz und die zugefügte Watsche scheinen so heftig zu sein, dass sich CSU-Politik am heutigen Tag der Urteilsverkündung nicht nur in ihren Reaktionen als schlechte Verlierer gerierten, sondern trotzig würde sofort bekannt gegeben, dass das Betreuungsgeld weiterleben wird, also in Bayern zumindest, als Landesbetreuungsgeld. Wobei man nicht vorschnell vom Begriff Landesbetreuungsgeld darauf schließen sollte, dass das dann auch aus der bajuwarischen Schatulle finanziert werden wird, sondern man fordert von Berlin das Bundesgeld, um damit das eigene Betreuungsgeld auch in Zukunft auszahlen zu können. Das nun wiederum kollidiert mit der Gegenseite, in diesem Fall eine übergroße Mehrheit, die sofort eine Umwidmung der im Bundeshaushalt 2015 eingestellten 900 Mio. Euro für den Kita-Ausbau einfordert. Genau an dieser Stelle wird sich in den kommenden Wochen der Betreuungsgeldstreit 2.0 entwickeln und möglicherweise durch den Brandbeschleuniger Sommerloch zu einer massiv aufgeblasenen Veranstaltung innerhalb der Großen Koalition ausarten.
Aber was genau hat das Bundesverfassungsgericht heute eigentlich entschieden? Es hat nicht, wie manche Jubelmeldungen der Betreuungsgeldgegner den Anschein erwecken, diese Geldleistung aus inhaltlichen Gründen verworfen, beispielsweise weil dadurch „bildungsferne“ Schichten davon abgehalten werden, ihre Kinder frühzeitig in die Kita zu geben oder weil diese Leistung überkommene Rollenmodelle zwischen den Geschlechtern verfestigen könnten. Diese Punkte, die von der klageführenden Seite auch vorgebracht worden sind, spielen überhaupt keine Rolle in der Entscheidung, denn das BVerfG hat sich zurückgezogen auf das, wofür es primär zuständig ist: Eine Zuständigkeitsprüfung innerhalb des föderalen Systems.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Pressemitteilung zu seinem Urteil vom 21. Juli 2015 – 1 BvF 2/13 kompakt mit der Kernaussage der Entscheidung überschrieben: Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Betreuungsgeld. Zu den wesentlichen Erwägungen des Senats, der zu der Entscheidung geführt hat, erfahren wir:
»Die Regelungen zum Betreuungsgeld sind dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zuzuordnen … Der Begriff „öffentliche Fürsorge“ ist nicht eng auszulegen. Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potentieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt. Dies ist beim Betreuungsgeld der Fall.
Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG sind jedoch nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift hat der Bund – u. a. im Bereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG – das Gesetzgebungsrecht nur, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen.
Die Regelungen sind nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderlich … Das bloße Ziel, bundeseinheitliche Regelungen in Kraft zu setzen oder eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu erreichen, genügt hierfür nicht …
Die Erforderlichkeit des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ergibt sich auch nicht daraus, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung von Bund und Ländern seit Jahren gefördert wird und es darum einer Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte bedürfte. Das Merkmal der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zielt auf den Ausgleich von Nachteilen für Einwohner einzelner Länder zur Vermeidung daraus resultierender Gefährdungen des bundesstaatlichen Sozialgefüges, nicht aber auf den Ausgleich sonstiger Ungleichheiten.«
Und dann kommt ein wichtiger Passus aus der Entscheidung vor dem Hintergrund der Argumentation der Betreuungsgeldbefürworter, man wolle durch diese Leistung diejenigen, die keine öffentlich finanzierte Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, „kompensieren“ – ein Argument, das auf der gegnerischen Seite schon immer größte Belustigung ausgelöst hat, denn würde man den Tatbestand einer Kompensationsleistung für die Nicht-Inanspruchnahme einer anderen öffentlich subventionierten Leistung akzeptieren, dann würde sich ein ganzes Universum an möglichen Kompensationsforderungen eröffnen:
»Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet weder dem Bundes- noch dem Landesgesetzgeber, ein Betreuungsgeld zu gewähren, um eine vermeintliche Benachteiligung gegenüber jenen Eltern zu vermeiden, die einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen Eltern es nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig, ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslöste.«
So ist das.
Und zu den bereits erwähnten inhaltlichen Infragestellungen des Betreuungsgeldes aus der Klageschrift will das Gericht sich nicht äußern, denn: »Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob die angegriffenen Vorschriften mit den Grundrechten vereinbar sind, bedarf keiner Antwort, weil die Bestimmungen wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz nichtig sind.«
Wie geht es weiter? Auf alle Fälle stehen – das muss an dieser Stelle gleich angemerkt werden – keineswegs die gesamten 900 Mio. Euro, die im Bundeshaushalt etatisiert sind, zur anderweitigen Verwendung zur Verfügung, denn es gibt einen Bestandsschutz für die Eltern, die sich bereits im Bezug befinden (derzeit 455.000 Fälle, die Leistungen werden weiter finanziert werden müssen.
Wie bereits erwähnt, wird Bayern versuchen, bei den anstehenden Verhandlungen in der Großen Koalition die eingeplanten Mittel über eine anteilige Verteilung auf die Bundesländer zu bekommen, um keine eigenen Landesmittel einbringen zu müssen. Aber es ist absehbar, dass Bayern selbst im Falle einer Nicht-Verteilung der Bundesmittel auf ein bayerisches Betreuungsgeld nicht wird verzichten können – zu tief hat man sich bereits in eine Fortführung um jeden Preis reingeritten. Also wird man im aus Sicht Bayerns schlimmsten Fall auch auf eigene Landesmittel zurückgreifen.
Wohlgemerkt, für eine in mehrfacher Hinsicht fragwürdige, in Teilen sogar total unsinnige Geldleistung (vgl. aus den vielen Beiträgen auf dieser Seite zum Thema nur beispielhaft Ach, das Betreuungsgeld. 150 Euro eingeklemmt zwischen dem Bundesverfassungsgericht, den nicht nur bayerischen Inanspruchnehmern, den ostdeutschen Skeptikern und logischen Widersprüchen vom 14. April 2015).
Für eine Leistung, über die berichtet wird: »In einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts hatten 90 Prozent der Eltern angegeben, das Betreuungsgeld habe überhaupt keinen Einfluss auf ihre Entscheidung zur Kinderbetreuung.«