Heute ist der Tag der Arbeit. Für nicht wenige Menschen ist das einer dieser gesetzlichen Feiertage, die vor allem dann besonders positiv in Erinnerung bleiben, wenn man sie als Brückentag für ein verlängertes Wochenende benutzen kann, was in unsere Zeit der (Selbst)Optimierungsstrategien passt. Auf der anderen Seite ist es eine Art „Hochamt“ der Gewerkschaften. Auf Kundgebungen will man sich Gehör verschaffen und – wahrscheinlich noch weitaus bedeutsamer – den eigenen Zusammenhalt zelebrieren als Botschaft nach innen. Und das hat mittlerweile eine für heutige Zeiten fast schon „katholisch“ lang daherkommende Geschichte, den der 1. Mai 2015 steht auch unter dem Motto, dass es der 125. Maifeiertag der Arbeiterbewegung ist. Vor 125 Jahren gingen in Deutschland zum ersten Mal Arbeiter am 1. Mai auf die Straße. Damals beteiligten sich rund 100.000 Menschen an Streiks, Demonstrationen und sogenannten Mai-Spaziergängen. Sie forderten bessere Arbeitsbedingungen und die Einführung des Achtstundentags. Besonders viele Arbeiter demonstrierten 1890 in Hamburg, die Unternehmen reagierten mit Entlassungen und Aussperrungen.
Der 1. Mai 2015 steht unter dem Motto: „Die Arbeit der Zukunft gestalten wir!“ Aber wie wollen die Gewerkschaften das machen? Und wie ist es eigentlich um sie selbst bestellt, im Jahr 2015? Noch vor wenigen Jahren wurde ihr definitives baldiges Ableben prognostiziert, heute hat man durchaus mit Recht den Eindruck einer gewissen Revitalisierung dieser Institutionen. Und sind wir nicht subjektiv gesehen fast täglich betroffen von Streiks und den damit verbundenen Beeinträchtigungen? Grund genug, ein wenig genauer hinzuschauen.
Der Aufruf des DGB zum 1. Mai 2015 kommt nicht mit direkten Forderungen daher, sondern mit zahlreichen (Schein-)Fragen, bei denen sich die Antworten aus Sicht der Arbeitnehmer gleichsam von selbst ergeben:
Wollt Ihr Euch ein gutes Leben aufbauen – und nicht nur für die Arbeit leben?
Wollt Ihr, dass das Lohndumping aufhört und der gesetzliche Mindestlohn ohne Ausnahme gilt?
Wollt Ihr sichere Arbeitsplätze statt Leiharbeit, Werkverträge oder Minijobs?
Wollt Ihr flexibler arbeiten und mehr Zeit fürs Privatleben, ohne dass Ihr jederzeit verfügbar sein müsst?
Wollt Ihr, dass mehr auf Eure Gesundheit geachtet wird und der Arbeitsstress ein Ende hat?
Wollt Ihr mehr Unterstützung, um Euch weiterentwickeln und auch Neues wagen zu können?
Wollt Ihr, dass Ihr fit bis zur Rente arbeiten könnt – und die Rente auch wirklich zum Leben reicht?
Wollt Ihr im Betrieb mehr mitbestimmen, wie die Arbeit von heute und morgen aussieht?
Wollt Ihr, dass es endlich selbstverständlich wird, dass Frauen gleich viel verdienen wie Männer?
Wollt Ihr eine bessere Bildung und Ausbildung für Eure Kinder, bezahlbare Energie, Kitas und Schwimmbäder? Wollt Ihr, dass Arbeitslose nicht in Hartz IV abstürzen und Millionen Menschen in Armut leben müssen?
Wollt Ihr, dass die oberen Zehntausend einen angemessenen Beitrag für unser Gemeinwohl leisten?
Wollt Ihr eine offene und solidarische Gesellschaft, die Nazis und Rassisten keine Chance gibt?
Wollt Ihr in einem friedlichen und sozialen Europa leben?
Ja wer will das nicht, möchte man den Verfassern dieser Botschaft zurufen. Klar doch. Nun gut, zwischen Wollen und Können und zuweilen auch Dürfen gibt es nicht nur semantische Unterschiede.
Die Zuspitzung auf das, was man will, ist das eine. Die Realität auf den Arbeitsmärkten ist natürlich oftmals eine ganz andere. Man kann das exemplarisch entfalten, wenn man sich nur einige wenige große Herausforderungen, denen sich die Gewerkschaften ausgesetzt sehen, etwas genauer anschaut.
In allen Festreden am heutigen Tag der Arbeit wird mit Sicherheit die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar dieses Jahres als ein großartiger Erfolg der Gewerkschaftsbewegung gefeiert werden. Es geht an dieser Stelle gar nicht darum, darauf hinzuweisen, dass noch vor einigen Jahren große Teile der Gewerkschaftsbewegung, vor allem die starken, einflussreichen Industrie-Gewerkschaften, die Einführung eines vom Staat gesetzten gesetzlichen Mindestlohns als Eingriff in die Tarifautonomie abgelehnt haben. Insofern kann und muss man in Teilen die Tatsache, dass wir neben den schon seit längerem existierenden Branchen-Mindestlöhnen nun auch eine allgemeine gesetzliche Lohnuntergrenze bekommen haben, auch interpretieren als Ausdruck einer fundamentalen Schwäche von Gewerkschaften in den unteren Etagen des Arbeitsmarktes, denn die Alternative zu einem solchen, vom Staat gesetzten Mindestlohn wäre ja die Definition von Lohnuntergrenzen durch die Tarifvertragsparteien. Dafür nun wiederum gibt es nicht nur einen, sondern zahlreiche Gründe, aber unbestreitbar bleibt die Tatsache, dass der Organisationsgrad der Gewerkschaften gerade in den Niedriglohnbereichen des Arbeitsmarktes (immer noch) erschreckend niedrig ist.
Der allerdings viel wichtigere Punkt für die vor uns liegenden Monate und Jahre ist die gerade nicht die Fokussierung auf den Mindestlohn, der ja – nicht mehr, aber auch nicht weniger – „nur“ eine allgemeine Lohnuntergrenze im Sinne einer Sicherungsvorschrift nach unten darstellt, sondern weitaus bedeutsamer wäre für die Gewerkschaftsbewegung etwas, was neben der Einführung des Mindestlohns ebenfalls im Koalitionsvertrag der großen Koalition verankert worden ist: Gemeint ist die Vereinfachung und stärkere Nutzung des Instruments der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Aus gewerkschaftlicher Sicht wie auch darüber hinaus aus einer ordnungspolitischen Sicht auf die Machtverhältnisse auf vielen Arbeitsmärkten wäre dieses Instrument weitaus schärfer und zugleich wichtiger als die Engführung der Perspektive auf eine Lohnuntergrenze, die natürlich alles das, was oberhalb von ihr liegt und passiert, nicht beeinflusst bzw. nicht beeinflussen kann. Genau das ist aber der Unterschied, wenn ein Tarifvertrag allgemein verbindlich erklärt wird, denn dann gelten die im Tarifvertrag festgelegten Strukturen über die gesamte Belegschaft „von unten nach oben“ – und dann mit Gültigkeit bei Allgemeinverbindlichkeit für alle Unternehmen, auch die nicht tarifgebundenen Betriebe. Der Tarifvertrag regelt ja nicht nur die unterste Tariflohngruppe, sondern die gesamte Tarifstruktur wird hier abgebildet. Man darf gespannt sein, ob und was in der vor uns liegenden Zeit in diesem Bereich (noch) passieren wird.
Zum Wesenselement von Gewerkschaften gehört die Möglichkeit, die eigenen Forderungen – wenn es denn nicht anders geht – auch mithilfe von Arbeitskampfmaßnahmen, also Streiks, durchzusetzen. Nur wenn Gewerkschaften diese letzte Möglichkeit der Eskalation einer Verhandlung haben und realistisch mit ihr drohen bzw. sie Realität werden lassen können, werden sie von der anderen Seite, also den Arbeitgebern, wirklich ernst genommen. Und wenn man in den vergangenen Monaten ausschließlich die Medienberichterstattung verfolgt hat, dann muss man den Eindruck gewinnen, den subjektiv viele Bürger mit Sicherheit sofort teilen würden, dass sich Deutschland zu einem „Streikland“ entwickelt hat. Wie so oft ist die Realität komplexer. Ist Deutschland ein Streikland? Subjektiv ja, objektiv nein, so müsste die halbwegs korrekte Antwort lauten. Subjektiv ja deshalb, weil mittlerweile neun von zehn Arbeitskämpfen im Dienstleistungsbereich stattfinden und dabei vor allem in öffentlichkeitsnahen Dienstleistungsbereichen, man denke hier an die Arbeitskämpfe der Piloten der Lufthansa, der Lokführer bei der Deutschen Bahn oder – höchst aktuell – vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder ein möglicherweise in wenigen Tagen beginnender großer, unbefristeter Arbeitskampf bei den Erzieherinnen, die in kommunalen Kindertageseinrichtungen arbeiten, was natürlich erhebliche Auswirkungen haben muss und wird auf das tägliche Leben von vielen Menschen. Und die Berichterstattung über die Folgen solcher Streikaktionen werden dann die subjektiven Eindrücke weiter verstärken und verfestigen. Objektiv nein deshalb, weil die nüchterne Sicht auf die Entwicklung der Arbeitskämpfe und des durch Streiks ausgefallenen Arbeitsvolumens zu einem anderen Befund führt. Nehmen wir das vergangene Jahr 2014: Während sich die Gesamtzahl der Konflikte kaum veränderte, gingen das Streikvolumen und die Zahl der an Streiks Beteiligten im Vergleich zu 2013 deutlich zurück. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Die Republik stand still im vergangenen Jahr. Wegen kleinen, aber kampfstarken Gewerkschaften und vieler Streiks. Wirklich? vom 04.03.2015.
Hinter diesen Zahlen besteht nicht nur die Tatsache, dass die Arbeitskampfaktivitäten in Deutschland im internationalen Vergleich seit langem und auch aktuell im unteren Drittel angesiedelt sind, wir also aus dieser Perspektive von einem „streikarmen“ Land sprechen müssen, sondern mit Blick auf die weitere Entwicklung der Gewerkschaften von besonderer Bedeutung ist die Auseinanderentwicklung zwischen den klassischen Industrie-Gewerkschaften und dem, was im Dienstleistungsbereich passiert. In früheren Zeiten, in denen weitaus mehr gestreikt wurde und deutlich mehr Arbeitsstunden durch Streiks ausgefallen sind, fanden diese Auseinandersetzungen oft und überwiegend im Industriebereich statt, mit der Folge, dass die ökonomischen Auswirkungen für die betroffenen Unternehmen in der jeweiligen Branche teilweise überaus massiv waren, die allgemeine Öffentlichkeit davon aber wenig bis gar nichts mitbekommen hat. Mittlerweile, wie bereits erwähnt, finden fast alle Streikaktionen im Bereich der Dienstleistungen statt, vor allem im Bereich personenbezogener Dienstleistungen, deren Ausfall dann sofort von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Vor allem die Gewerkschaft ver.di bestreitet ein Großteil dieser Arbeitskampfmaßnahmen, zugleich belastet durch eine unglaubliche Heterogenität der Anlässe, der Branchen bzw. der Unternehmen, wo gestreikt wird. Das reicht dann von unternehmensbezogenen Arbeitskampfmaßnahmen wie denen bei Amazon, über die bei anderen Unternehmen wie beispielsweise der Deutschen Post DHL und reicht hinein in wiederum ganz anders strukturierten Branchen wie die kommunal betriebenen Kindertageseinrichtungen oder den Krankenhäusern, wobei die Verbindung zwischen den Kitas und den Krankenhäusern vor allem darin zu sehen ist, dass beide Bereiche im wesentlichen bzw. ausschließlich öffentlich finanziert werden, also aus Steuer- und/oder Beitragsmitteln und hier neben „klassischen“ Lohnforderungen zum einen Ziel der Aktivitäten eine Aufwertung der Berufsbilder ist (wie bei den Erzieher/innen) bzw. der Kampf um mehr Personal (gerade aktuell bei den Pflegekräften). Wenn man in dieser heterogenen Gemengelage nach einer Gemeinsamkeit der beobachtbaren Streikaktivitäten bzw. der parallel laufenden Konflikte sucht, dann kann man zuspitzend formuliert sagen, dass die Gewerkschaft ver.di in zahlreiche Scharmützel bis hin zu heftigen Auseinandersetzungen in einer sich zerfasernden (Nicht-)Tariflandschaft eingebunden ist. Dabei geht es immer wieder darum, zum einen überhaupt tarifvertragliche Regelungen umsetzen zu können bzw. in der Vergangenheit ausgehandelte Tarifverträge vor ihrem Rück- und damit Abbau zu schützen. Oftmals reduziert sich das Ziel auf eine Vermeidung bzw. eine Abschwächung von Lohndumping in den betroffenen Bereichen.
Trotz alle Schwierigkeiten und Probleme – man muss auch sehen, dass es so etwas wie eine – euphemistisch formuliert – Renaissance von Gewerkschaften gibt bzw. geben kann. Die Entwicklung generell nach unten ist gestoppt und gerade auch jüngere Leute beginnen wieder, sich stärker in den Gewerkschaften zu engagieren. Man kann das studieren an der Entwicklung des Organisationsgrades der Erzieher/innen, der noch vor wenigen Jahren hundsmiserabel war und seit einiger Zeit ordentliche Zuwächse erkennen lässt. Man erlebt eine massive „Politisierung“ der Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und das wirkt sich positiv aus auf die Bereitschaft, sich auch gewerkschaftlich zu engagieren.
Auf der anderen Seite stehen die großen, „alten“ Industrie-Gewerkschaften, die in der Vergangenheit oftmals aufgefallen sind durch heftige und nicht selten auch erfolgreiche Streikaktionen. Und es ist noch gar nicht solange her, dass die IG Metall eine ganze Reihe an Warnstreikaktionen durchgeführt hat, die allerdings nicht ausgeweitet werden mussten, weil man relativ schnell eine Einigung mit den Arbeitgebern gefunden hat. „Richtig“ gestreikt hat diese große, starke Traditionsgewerkschaft in den vergangenen Jahren nicht mehr. Noch krasser ist die Situation bei der IG BCE. Es war den Medien eine eigene Berichterstattung wert, als vor kurzem bei den Tarifverhandlungen der Eindruck entstand, dass möglicherweise Streikaktionen in Aussicht stehen könnten. Man muss das so formulieren, weil man im Bereich der Chemieindustrie damit tatsächlich eine Art „Neuland“ betreten hätte, denn – das muss man sich einmal vorstellen – die Chemie-Gewerkschaft hat das letzte Mal vor 44 Jahren einen Streik organisiert und durchgeführt. Etwas zynisch formuliert hätte man der Gewerkschaft in diesem Jahr durchaus die Empfehlung geben müssen, wenigstens eine oder zwei große Warnstreikwellen in den Unternehmen der Chemie-Industrie zu organisieren, damit die hauptberuflichen Gewerkschaftsfunktionäre überhaupt wieder einmal lernen, wie man einen Streik organisiert, denn nach 44 Jahren ist allein aus biologischen Gründen so gut wie keiner mehr da, der diese Erfahrung noch hat, man müsste sich also aus anderen Gewerkschaften Hilfestellung holen.
Das heißt aber nun nicht, dass die Industrie-Gewerkschaften keine Probleme haben bzw. auf Streikaktionen nicht angewiesen wären. Ganz im Gegenteil. Aber der skizzierte Befund verdeutlicht zum einen, dass auch nach außen rhetorisch sich als sehr kämpferisch gebende Gewerkschaften wie die IG Metall zur Kenntnis genommen haben bzw. nehmen müssen, in welchem (harten) wettbewerblichen Umfeld sich die Betriebe befinden, in denen die meisten ihrer Mitglieder arbeiten. Hier wäre ein Streik tatsächlich die allerletzte Option, die in Erwägung gezogen werden würde. Die Konfliktfelder der Industrie-Gewerkschaften sind anders als im Dienstleistungsbereich weniger klassische Niedriglöhne bzw. Lohndumping, sondern die Ausfransungen ihrer Tarifverträge von den Randbereichen beginnend bis hinein in die Kernbereiche der Unternehmen, in denen sie mit ihren Tarifvertrag (noch) die Regelungshoheit haben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass das Thema Werkverträge bzw. Dienstverträge für die IG Metall eine besondere Bedeutung hat und die strategische Ausrichtung der Organisation darauf abstellt, dass die den kleiner werdenden Stammbelegschaften zuliefernden Bereiche, die wenn überhaupt, dann oftmals unter andere, billigere Tarifverträge beispielsweise der Logistik fallen, (wieder) unter die Fittiche des Metalltarifvertrags geholt werden. Beispielhaft dafür steht die Ankündigung von BMW, in Zukunft bei den Zulieferern und den Dienstleistern, mit denen man kontinuierlich zusammenarbeitet, zu verlangen, dass sie nach „IG Metall-Tarif“ bezahlen müssen. Wobei man an dieser Stelle darauf hinweisen muss, dass es eben nicht „den“ IG Metall-Tarif gibt, sondern diese Gewerkschaft hat zahlreiche Tarifverträge mit ganz unterschiedlichen Vergütungsniveaus abgeschlossen, das reicht dann von dem, was für das Handwerk vereinbart wird bis hin zu den wirklich üppigen Tarifen der Kernbelegschaften der deutschen Automobilindustrie.
Bereits die bisher beschriebenen, gleichsam „klassischen“ Herausforderungen gewerkschaftlicher Arbeit sind komplex und führen auch innerhalb des Gewerkschaftslagers zu zahlreichen Konflikten, am deutlichsten erkennbar in den durchaus zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen den Industrie-Gewerkschaften und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di über nur scheinbar formale Zuständigkeitsfragen.
Aber so richtig kompliziert und derzeit nur mit großen Fragezeichen zu versehen ist der Anspruch der Gewerkschaften, bestimmte Teilbereiche der Arbeitswelt der Zukunft organisieren zu wollen. Industrie 4.0, Crowdworker – ganz unterschiedliche Sprachspielereien versuchen, sich den Entwicklungen, die dahinter stehen, zu nähern. Das alles wird derzeit auf die Tagesordnung der Gewerkschaften gesetzt. Um was für gewaltige Herausforderungen es sich hier handelt, kann man sich klar machen, wenn man das, was man derzeit als Erfolg feiert, in Relation setzt zudem, was mit Blick auf die Zukunft eigentlich zu regeln wäre. Gemeint ist auf der einen Seite der Mindestlohn, der gleichsam Ausdruck der „alten“ Arbeitswelt ist, denn es handelt sich um einen Stundenlohn, also eine Vergütung bezogen auf die definierbare Arbeitsleistung in einer Zeiteinheit, was voraussetzt, dass es abgrenzbare Arbeitsorte und Arbeitszeiten gibt. Genau das aber ist bei dem, was man unter so schillernden Begriffen wie Crowdworker diskutiert, gerade nicht der Fall. Nicht umsonst spricht der DGB-Vorsitzende hier von einem modernen Tagelöhnertum, sogar den Begriff „Leibeigenschaft“ nimmt er in den Mund. Hier gibt es, wenn überhaupt, Lösungsansätze nur in einer embryonalen Form. Das ist kein Vorwurf an die Adresse der Gewerkschaften, sondern liegt in der Natur der Sache begründet.
Wie dem auch sei – es gibt nicht „die“ Gewerkschaften und deren Herausforderungen. Wir müssen schon genauer hinschauen und differenzieren.
Zum Abschluss bei aller Fokussierung auf Deutschland und zugleich auch als Mutmacher für die Teile der Gewerkschaftsbewegung, die sich vor allem in den unteren Etagen des Arbeitsmarktes den Auseinandersetzungen stellen müssen, dabei aber auch immer konfrontiert sind mit dem Probleme der niedrigen Organisationsgrade auf der Seite der Arbeitnehmer: Vielleicht sollte man sich auseinandersetzen mit der auf den ersten Blick gerade hinsichtlich von Gewerkschaften abenteuerlich daherkommende Aufforderung Von den USA lernen. So ist der Artikel von Ingar Solty überschrieben: »Ausgerechnet in den gewerkschaftsfeindlichen Vereinigten Staaten ist eine Massenstreikbewegung im Niedriglohnsektor entstanden. Im Visier befinden sich vor allem die Fast-Food-Konzerne.« Und mit Niedriglohnsektoren kennen wir uns ja mittlerweile auch in Deutschland sehr gut aus.