Schwarzer Rauch, brennende Müllcontainer, herausgerissene Pflastersteine, berstende Schaufenster, brennende Polizeifahrzeuge: Seit dem frühen Morgen an diesem 18.03.2015 haben einige Demonstranten im Umfeld der von Blockupy organisierten Proteste die Stadt Frankfurt rund um die Europäische Zentralbank (EZB) lahm gelegt. Anlass ist die offizielle Eröffnungsfeier des neuen Glaspalastes der EZB, der übrigens 1,3 Milliarden Euro gekostet hat. »Während Demonstranten vor dem weiträumig abgesperrten EZB-Glastürmen randalierten, feierte die Notenbank in kleinem Rahmen mit gut 100 geladenen Gästen«, so die Formulierung im Artikel Drinnen Party, draußen Protest. Es soll aber an dieser Stelle gar nicht um die Fragen gehen, die Blockupy oder andere Kritiker hinsichtlich der Politik der EZB aufwerfen – sondern um die EZB als Institution, in der Menschen arbeiten. Gleichsam – aus dem Blickwinkel wieder Außenstehender – im Herzen der Finanzmacht. Interessant ist in diesem Zusammenhang dann aber schon, dass es offensichtlich in dem Unternehmen EZB vergleichbare Probleme gibt, die wir im Kontext der sozialpolitischen Berichterstattung auch aus anderen, „normalen“ Unternehmen kennen. Befristungen, Leiharbeit, gar „prekäre Beschäftigung“ – in der europäischen Trutzburg der Geldpolitik? Wo man sich gerade erst mit dem neuen EZB-Gebäude ein nicht nur architektonisches Denkmal gesetzt hat, das zugleich natürlich immer auch eine Philosophie zu transportieren versucht?
Das zumindest behauptet das Handelsblatt in seiner Print-Ausgabe vom 18.03.2015, in der man einen Artikel mit der Überschrift „Zwischen Macht und Ohnmacht“ finden kann: »Die Europäische Zentralbank ist ihr eigener Herr: Für viele Beschäftigte bedeutet das kettenweise Zeitverträge und Leiharbeit. Jetzt verlangen die Betroffenen mehr Mitsprache – und bessere Arbeitsbedingungen.«
Carlos Bowles, der Chef der EZB-Personalvertretung, wird in dem Artikel mit diesen Worten zitiert:
»Die Personalvertretung kann bezeugen, dass es Fälle gegeben hat und immer noch gibt, wo EZB-Beschäftigte länger als zehn Jahre mit befristeten Arbeitsverträgen eingestellt sind.«
Da wird sich mancher deutscher Arbeitgeber verwundert die Augen reiben. Das in Frankfurt? Die Auflösung kommt gleich.
Viele Beschäftigte klagen über unsichere Arbeitsbedingungen hinter den Absperrgittern, also im Inneren der geldpolitischen Machtzentrale. In dem Aufmacher-Artikel „Frust in der Festung“ auf der ersten Seite des Handelsblatts erfahren wir: »Während die EZB durch die Anleihekäufe in Billionenhöhe und in der Rolle als Bankenaufsicht immer mehr Macht gewinnt, fühlen sich viele Mitarbeiter machtlos … Nach Schätzungen der EZB-Gewerkschaft ISO habe nicht einmal jeder dritte Beschäftigte einen unbefristeten Arbeitsvertrag … Nach Schätzung der EZB-Gewerkschaft waren Ende 2014 von insgesamt 3.800 EZB-Mitarbeitern nur 1.220 unbefristet beschäftigt … Zum Vergleich: Von den 10.038 Mitarbeitern der Bundesbank haben nur 146 befristete Arbeitsverträge.«
Wieder zurück zu dem Hauptartikel „Zwischen Macht und Ohnmacht“:
Die Gewerkschaft Ipso spricht von einer Art „Kastensystem“ in der EZB: Neben den 1.220 Mitarbeitern mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag hatten 870 Mitarbeiter einen befristeten Vertrag und 290 einen Kurzzeitvertrag von weniger als einem Jahr. Hinzu kommen 270 Leiharbeiter, 810 Berater und 340 andere Mitarbeiter wie Trainees oder abgeordnete Mitarbeiter von nationalen Notenbanken.
Man muss an dieser Stelle allerdings vorsichtig sein bei der Verwendung des Begriffs „prekäre Beschäftigung“. Unbefristet wie auch befristet Beschäftigte verdienen relativ viel und können von Zusatzleistungen profitieren, wie medizinische Betreuung, Sprachkurse usw. Und ein weiterer Aspekt sollte bedacht werden – der zugleich überleitet zu einer Besonderheit für die Beschäftigten in einer solchen – europäischen – Institution:
»Wie alle Angestellten und Beamten europäischer Institutionen müssen sie ihr Gehalt nicht mit dem nationalen, sondern mit einem niedrigeren europäischen Satz versteuern. Ein EZB-Mitarbeiter mit am Jahreseinkommen von 60.000 Euro zahlt darauf lediglich etwa 13,5 Prozent Steuern. Es sei denn, er ist Zeitarbeiter.«
Die zahlen den vollen Steuersatz und haben zudem die quälende Ungewissheit, ob ihre Verträge überhaupt verlängert werden.
»Aus Sicht der EZB ist es günstig, auf Leiharbeiter zurückzugreifen. Sie sind bei Zeitarbeitsfirmen vor allem aus dem Frankfurter Raum angestellt. Die Zeitarbeiter verbucht die Bank nicht im Personalbudget, sondern als Verwaltungskosten. Zeitarbeiter kann man bei der EZB ähnlich bestellen wie Büromaterial – sie selbst nennen sich deshalb auch „Bleistifte“. Im EZB-Intranet gibt es eine Art Gebrauchsanweisung mit dem Titel „Anforderung von Zeitarbeitern mit dem Isis-Einkaufswagen“. Der Besteller soll auf einen Einkaufswagen klicken mit dem Befehl „Bestellen und einkaufen“. Besonders viele Zeitarbeiter arbeiten in der IT-Abteilung. Das sei problematisch, findet ein EZB-Insider. Die Zentralbank gewähre vermeintlich Außenstehenden einen Einblick in interne Abläufe. Gleichzeitig müssten sich diese Mitarbeiter aber jedes Jahr neu auf ihre Stelle bewerben … Zeitarbeiter stehen ganz unten in der EZB-Hierarchie. Ganz oben stehen die glücklichen Festangestellten. Dazwischen: die Befristeten.«
Betriebliche Mitbestimmung, wie sie beispielsweise für die Bundesbanker selbstverständlich ist, bleibt für die EZB-Mitarbeiter ein Fremdwort, obgleich sie in Frankfurt arbeiten. Sie dürfen zwar neun Mitglieder für die Personalvertretung wählen. Das Gremium hat aber nur eine beratende Funktion. Die Personalvertretung der EZB hat ausschließlich Informationsrechte. Wenn sie nicht informiert werde, könne sie zwar vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Das dauert aber in der Regel mindestens 20 Monate.
Die EZB kontrolliert sich selbst, so wird der Arbeitsrechtler Norbert Pflüger in dem Artikel zitiert. Als europäische Institution unterliegt sie nicht dem deutschen Arbeitsrecht und damit auch nicht dessen Schutzbestimmungen.