Es bedarf keiner prognostischen Expertise um vorherzusagen, dass das Thema Flüchtlinge und der Umgang mit ihnen im gerade begonnenen neuen Jahr in Deutschland eine zentrale Rolle einnehmen wird. Und dies – wie könnte es auch anders sein – in einem sich polarisierenden Umfeld, für das auf der einen Seite die Pegida-Aktivitäten in Dresden beispielhaft stehen und auf der anderen Seite die vielen Gegenaktionen bis hin vor allem zu der ganz praktischen Hilfe, die man den Flüchtlingen vor Ort zukommen lässt. Die Entwicklung der Montagsdemonstrationen der Pegida in Dresden mit ihrem beunruhigenden Zulauf bis Ende des Jahres haben Parteien und Medien in erhebliche Unruhe versetzt. Während sich viele mehr oder weniger intensiv und hilfreich an der Debatte über das hinter Pegida stehende Phänomen beteiligen, wurde von der Bundeskanzlerin eigentlich gar nichts erwartet in dieser Angelegenheit. Was sollte auch aus ihrer Richtung kommen außer Schweigen?
Immer wieder wirft man der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, sie würde das Land in eine Art Dauerschlaf versetzen, sie habe keine Visionen und sie vermeidet alles, was irgendwie kontrovers sein könnte bzw. sie überlässt es eben anderen, sich mit offenem Visier zu stellen, so lange noch nicht klar ist, in welche Richtung die Mehrheit tendiert. An diesen Charakterisierungen ist eine Menge richtig und angesichts ihres bisherigen Politikstils passt es auch zu ihr, gleichsam durch die Hintertür ihr Wahlvolk beeinflussen zu wollen (vgl. dazu den kritischen Kommentar Stups zum Glück von Tina Hildebrandt: »Im Kanzleramt wird derzeit erforscht, was die Deutschen glücklich macht und wie man ihnen zu ihrem Glück verhelfen kann. Wirksames Regieren lautet der Name der zugehörigen Kommission, nudging („anstupsen“) heißt die Methode. „Liberaler Paternalismus“ wird das Konzept auch genannt.« Zum Thema „nudging“ vgl. auch den Beitrag Wir wissen, was gut für dich ist).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass so mancher überrascht war, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache am 31.12.2014 für ihre Verhältnisse sehr deutlich Position bezogen hat zu Pegida & Co.:
»Heute rufen manche montags wieder „Wir sind das Volk“. Aber tatsächlich meinen Sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oder Eurer Religion. Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!«
Das sind – so begrüßt es sogar die Opposition – wichtige Worte der Bundeskanzlerin in einer sich zunehmend aufheizenden und auch radikalisierenden gesellschaftlichen Atmosphäre. Aber es gibt natürlich auch noch eine andere Realität, die hier mal als eine technokratisch daherkommende bezeichnet werden soll bzw. muss, mit der zum einen ein „Problem“ adressiert wird, bei der es aber immer auch um die Beeinflussung einer Stimmungslage geht oder gehen soll. Und dazu gehören Vorschläge, die wieder einmal aus Bayern an die Oberfläche gespült werden: Bayern kündigt strengere Regeln für Asylbewerber an, so lautet einer der Artikel, die darüber berichten. Und es reicht bei weitem nicht aus, das nur abzubuchen unter dem Versuch der CSU, in den Reihen derjenigen, die mit Pegida & Co. sympathisieren, (wieder) Boden zu gewinnen – immerhin sollen angeblich einer aktuellen Umfrage zufolge 29 Prozent der Befragten die Pegida-Aktionen unterstützen. Man sollte die Vorschläge einmal versuchen, bis an ihr logisches Ende weiterzudenken.
Das Ziel der bayerischen Landesregierung sei es, die „Rückführung deutlich zu verstärken“, so der Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Mit einer ganz eigenen Begründungslogik für en verschärftes Vorgehen: „Je stärker der Vollzug ist, desto mehr abgelehnte Asylbewerber gehen auch freiwillig.“ Wie soll die Verschärfung umgesetzt werden? Wieder einmal – wir sind ja in Deutschland – geht es hier um eine Zuständigkeitsfrage, die es in sich hat: Nach den bayerischen Plänen soll es künftig an jeder Erstaufnahmeeinrichtung eine „zentrale Ausländerbehörde“ geben. „Die Beamten vor Ort sollen direkt für Abschiebungen zuständig sein. Wer keinen Asylgrund hat, soll möglichst unmittelbar aus der ersten Unterkunft zurück in sein Heimatland gebracht werden“, so wird der Innenminister zitiert. Bei Asylverfahren soll es eine deutliche Verkürzung der Verfahrenszeiten geben auf höchstens drei Monate – derzeit sind es im Durchschnitt mindestens acht Monate. Wenn man das zu Ende denkt, dann zeigen sich am Horizont die Umrisse eines Lagersystems in Deutschland für die, die es hierher geschafft haben, denn genau so muss man die bayerischen Vorschläge lesen. Die Betroffenen müssen in „Erstaufnahme- und Verbleibseinrichtungen“ gesammelt werden, um die, die keine Chance bekommen, schnellstmöglich wieder abzuschieben. Dieser Vorschläge sind übrigens durchaus kongruent zu einem zweiten Strang, der in dem Artikel nicht angesprochen wird, den man aber mitdenken sollte: Gemeint sind hier die Auffanglager, die in den nordafrikanischen Staaten eingerichtet werden könnten, wo dann das Asylgesuch der einzelnen Flüchtlinge von EU-Beamten geprüft werden sollen. Damit will man den Strom der Flüchtlinge über das Mittelmeer eindämmen. Aber wieder zurück nach Deutschland. Glaubt jemand ernsthaft, die Einrichtung großer Lager für Asylbewerber und die von dort vollzogenen verstärkten und schnellen Abschiebungen würden das Bild und die Unruhe in der Bevölkerung verringern helfen? Wohin das führen kann? Ein Blick in die erbärmlichen Internierungslager für Flüchtlinge in Griechenland oder Ungarn – beides Mitgliedsstaaten der EU – mag erste Hinweise für die Beantwortung dieser Frage geben.
Aber wie immer im Leben gibt es einen Kontrast, eine andere Seite, die oftmals vergessen wird bei der Fokussierung auf unsere „Probleme“ und unseren „Umgang“ mit Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Ein beeindruckendes Beispiel dafür findet man in dem Artikel „You are most welcome!“ von Simone Schlindwein: »Die meisten afrikanischen Flüchtlinge wollen gar nicht in deutsche Asylbewerberheime. Sie fliehen in Nachbarstaaten, etwa nach Uganda. Dort sieht man ihr Potenzial und ist solidarisch.« Sie findet deutliche, provokative Worte aus einer anderen als der deutschen Binnen-Perspektive:
»Es ist einfach nur beschämend, wenn man sich von Afrika aus die deutsche Asylpolitik und den Umgang der Deutschen mit Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft betrachtet. Pegida in Dresden, das brennende Flüchtlingsheim bei Nürnberg, die fehlenden Unterkünfte für Schutzsuchende – und all diese hitzigen Debatten. Als würde ein ganzes Heer von Flüchtlingen den deutschen Elfenbeinturm stürmen … Aber mal halblang. Nicht ganz Afrika ist auf der Flucht nach Europa. Die meisten Vertriebenen aus den Krisen des Kontinents wollen gar nicht nach Hessen, Sachsen oder Bayern, um dort in Asylbewerberheimen misshandelt zu werden. Die Mehrheit der afrikanischen Flüchtlinge sucht Schutz in den Nachbarländern nahe der Grenzen ihrer Heimat – oder in Ländern wie Uganda, die sie gerne aufnehmen. Wo sie willkommen sind, wo sie einen kleinen Laden aufmachen können, um ein neues Leben zu beginnen, anstatt in deutschen Asylcontainern zwischengeparkt zu werden.«
Sie verdeutlicht das am Beispiel des kleinen Landes Uganda in Ostafrika: Uganda beherbergt derzeit eine halbe Million Flüchtlinge. Davon sind die Mehrheit Kongolesen, die andere Hälfte Südsudanesen, Somali, Eritreer. Und es werden mehr: Laut Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR könnten es Ende 2015 bis zu 700.000 Schutzsuchende sein. Die meisten werden in Uganda Asyl beantragen und bleiben, weil es kaum Hoffnung gibt, dass sich die Krisen in ihrer Heimat bald beilegen lassen. Natürlich hält sie uns den vergleichenden Spiegel vor: »Das UNHCR meldet für Deutschland gerade einmal die Hälfte an Flüchtlingen, dabei verfügt die Bundesrepublik über ein Bruttosozialprodukt, das 157-mal größer ist als das von Uganda.«
Und trotz der enormen „Belastung“ durch die Flüchtlinge unterscheidet sich der Umgang, so Schlindwein, von dem bei uns ganz erheblich: „You are most welcome!“, heißt es etwa in der Immigrationsbehörde am Schalter für Asylanträge. In Deutschland undenkbar.
Allerdings muss man auch darauf hinweisen, dass Uganda die liberalste Einwanderungspolitik in Afrika verfolgt. Ein weiteres Beispiel im Kontext der jüngsten Ebola-Krise:
»Während die ganze Welt lieber jedem Westafrikaner den Zutritt zum Flugzeug verboten hätte, erklärte Ugandas Flüchtlingskommission, dass Menschen aus den betroffenen Gebieten ohne Umstände Asyl erhalten können, inklusive Arbeitserlaubnis.«
Und Uganda macht das (nicht nur) aus humanitären Erwägungen: »Diese Flüchtlinge, das sind doch Mechaniker, Händler, Köche, Ingenieure! Die kommen mit all ihren Ersparnissen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Sie investieren, um zu überleben. Denn der Staat kann sie nicht durchfüttern.
Also eröffnen sie kleine Läden, Restaurants, fahren Taxi oder gehen zur Universität. Sie zahlen im besten Fall später sogar Steuern, stellen ein paar Ugander ein. Sie zahlen Miete für ein Haus, für einen Laden. Sie konsumieren – und fördern damit die Wirtschaft in Uganda.«
Die Uganda-Philosophie ist zwischenzeitlich auch in Deutschland angekommen – wenn auch in einer zugegeben noch kleingeschredderten Variante, aber immerhin:
»Der Präsident der Handwerkskammer, Hans Peter Wollseifer, hat jüngst ein begrenztes Bleiberecht für ausbildungswillige junge Flüchtlinge in Deutschland gefordert.«
Es besteht also Hoffnung, wenngleich diese zarten Pflänzchen immer Gefahr laufen, beispielsweise unter die Räder des Bulldozers aus München zu geraten, hier also des umtriebigen Wirtschaftsprofessors Hans-Werner Sinn mit seiner Steilvorlage für Pegida & Co., nach der die Migranten allesamt ein „Verlustgeschäft“ sind. Das wurde hier schon entsprechend analysiert und kommentiert.