Was haben Manager, Hausfrauen und Studenten gemeinsam? Richtig, sie alle machen es. Angeblich. Laut einer neuen Studie

Sie nehmen Drogen. Gemeint ist hier nicht der Wein am Abend oder der Rettungsschirm des Steueraufkommens, also die Zigarette. Die Rede ist von Chrystal Meth. Im Fernsehen jagt ein Bericht den anderen, in dem von Panikmache bis hin zu seriöser Aufklärung über die Gefahren alles dabei ist. „Crystal Meth – Vormarsch einer tödlichen Droge„, so beispielsweise einer dieser Beiträge.
Eine neue Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zeigt, dass Konsumenten von Stimulanzien wie Amphetamin („Speed“) oder Methamphetamin („Crystal Meth“) von sehr unterschiedlichen Gruppen konsumiert werden. Karin Truscheit berichtet in ihrem Artikel „Ein Gift für alle Lebenslagen„: »Knapp 400 Konsumenten wurden von Mitarbeitern des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung an der Universität Hamburg unter anderem zu ihren Lebensumständen, ihren Konsumgewohnheiten und ihrem ersten Kontakt zu Rauschgiften befragt. Zwar seien die Aussagen zurückhaltend zu interpretieren, da die Untersuchung keine repräsentative Befragung sei.«

Die unkonventionelle Studie basiert im Wesentlichen auf direkten Gesprächen in Drogenkliniken, Suchtberatungsstellen oder auf Befragungen über Internetforen.

Die Wissenschaftler versuchen eine Typisierung der Konsumentenlandschaft:

»Manche konsumierten nur in der Freizeit, manche für bessere Leistungen in Schule, Ausbildung oder Beruf. Andere hingegen, um mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen besser umgehen zu können. Einige Konsumenten kamen auch aus der „schwulen Party-Szene“, manche hatten Kinder, wieder andere zeigten besonders „riskante Konsumgewohnheiten“. Gründe für den Konsum wie „Erreichen einer Deadline“ oder „viel Arbeit (freelancing) ohne Leistungstief zu erledigen“ wurden von Befragten aus der Gruppe „Beruf“ angegeben. Hier sei auffällig, dass Angaben zu „Crystal“ tendenziell häufiger im Zusammenhang mit schwerer körperlicher Arbeit gemacht wurden, sie kamen also eher von Handwerkern. So gab ein Konsument zu Protokoll, auch „Crystal“ genommen zu haben, „um Leistung zu steigern, besonders im Beruf im Trockenbau und als Küchenhelfer, das war ziemlich anstrengend“ … „Speed“ nannten hingegen tendenziell eher Personen mit kreativen Berufen oder Bürotätigkeiten … Viele Konsumenten sagten, die Rauschgifte für exzessives Tanzen und „Partymachen“ zu brauchen …«

Den Link von Crystal und Speed zur Arbeitswelt verfolgen Corinna Budras und Nadine Bös in ihrem Artikel „Kollegen auf dem Crystal-Trip„:

»Noch immer ist allerdings Cannabis die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge. 4,5 Prozent der Erwachsenen haben diese Substanz im vergangenen Jahr konsumiert, wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung im November berichtete. Danach sind Kokain mit 0,8 Prozent und Amphetamine wie Speed mit 0,7 Prozent am weitesten verbreitet. Konkrete Zahlen über den Konsum von Crystal liegen noch nicht vor, aber schon die Nachricht über den gedankenlosen Einsatz im Büro oder „auf Montage“ ist alarmierend. Denn die synthetische Droge gehört zum Härtesten, was der Markt derzeit zu bieten hat.«

Burdas und Bös führen mit Blick auf den Konsum von Chrystal Meth weiter aus:

»Puls, Blutdruck und Körpertemperatur steigen an, die Pupillen sind erweitert. Die Droge löst Euphorie und ein gesteigertes Selbstbewusstsein aus, vor allem aber erhöht sie die Aufmerksamkeit und steigert die Leistungsfähigkeit. Von Schmerz keine Spur.
Das kann man im Job gut gebrauchen, was die Hälfte der Befragten in der ZIS-Studie auch als einen Grund nennt, Crystal Meth zu schniefen oder zu rauchen. Nur so gelingt es manchen, überhaupt noch den gesteigerten Anforderungen im Arbeitsleben gerecht zu werden, für Selbständige bedeutet ein solcher Zuwachs an Leistungsfähigkeit sogar bares Geld.«

Mit Blick auf unsere Arbeitswelt ist dieser Befund interessant: Die bisherigen Klischees über Konsumenten von Drogen kann man getrost über Bord werfen. »Auch der Handwerksmeister im vorgerückten Alter greift zur Leistungssteigerung auch schon mal zu Crystal Meth«, so wird einer der Studienautoren zitiert. Die Studie behauptet eine erkennbare Tendenz: »Wer stark körperlich tätig ist, greift eher zu Crystal Meth. Menschen, die monotone, langweilige Bürotätigkeit zu erledigen haben, etwa über Nacht stundenlange Korrekturen übertragen müssen, versuchen sich die Arbeit dagegen eher mit Speed erträglich zu machen.«

Vor dem Hintergrund der erheblichen Heterogenität der Konsumenten hört sich die Stellungnahme der neuen Drogenbeauftragten passend an: „Wir brauchen vielfältige, zielgruppenspezifische Maßnahmen, um den einzelnen Gruppen gerecht werden zu können“, sagte Marlene Mortler.

Das war dann die Sonntagsrede, zumindest muss man das so einordnen, wenn man auf der anderen Seite das hier zur Kenntnis nehmen muss: „Modellprojekte gegen Heroin und Crystal Meth vor dem Aus„, so ein Artikel von Heike Haarhoff in der taz. Schauen wir uns also die Realitäten jenseits der Sonntagsreden an: »Die Sucht- und Drogenpolitik der Bundesregierung wird Opfer der Haushaltskonsolidierung: Um 500.000 Euro will die Koalition in diesem Jahr die Ausgaben für Modellprojekte und Forschung zum Suchtmittelmissbrauch kürzen. 2013 standen hierfür noch 3,4 Millionen Euro zur Verfügung … Sinken sollen zudem die Zuschüsse an Verbände – um 160.000 Euro gegenüber 2013 auf künftig 840.000 Euro. Aufgestockt werden bloß die Mittel für Aufklärung: um 300.000 Euro auf künftig 7,5 Millionen Euro.«
Nun wird der eine oder die andere sagen – das sind doch überschaubare Beträge. Also ein Versuch der Einordnung:

»Was in absoluten Zahlen nach geringen Summen klingt, trifft Forscher und Projekte empfindlich. Denn insgesamt stehen für die Drogenpolitik nur noch 11,2 Millionen Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: 2010, kurz nach dem Start der damaligen schwarz-gelben Regierung, waren es noch 13,4 Millionen Euro. Projekte und Studien, etwa zu Alkohol-, Crystal- oder Heroinmissbrauch, sind bedroht. Denn die Bundesmittel sind für sie die einzige Finanzierungsmöglichkeit. In den Ländern existieren keine vergleichbaren Töpfe.«

In keinem Bereich werde so stark gekürzt wie in der Drogenprävention, so die Kritik der Grünen. Und nicht nur mit Blick auf die Gelder für Projekte: »Der seit Jahresanfang amtierenden Drogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) stehen fünf Mitarbeiter zur Verfügung; ihre Vorgängerin, Mechthild Dyckmans (FDP), hatte neun Beschäftigte.«

Da hat sich jemand rasieren lassen.

Aber das scheint die gute Dame auch nicht besonders zu belasten, ist sie doch zu dem neuen Job gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde:

»Dem agrarpolitischen Fachmedium „top agrar“ verriet die Bundestagsabgeordnete, zugleich Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft der CSU-Landesgruppe, unlängst: „Agrarpolitik bleibt ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit.“ Etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit, so Mortler, werde sie diesem Thema widmen.«

Dann soll sie sich wenigstens für eine Legalisierung des Hanfanbaus in den ländlichen Regionen unseres Landes einsetzen, sie kann das ja als agrarpolitisches „Neuland“ verkaufen. Sinnvoller als die Verschandelung der Kulturlandschaft mit endlosen Rapsfeldern wäre das auf alle Fälle.