So eine Schlagzeile muss uns freuen: „Lehrstellen für alle„, so betitelt Inge Kloepfer ihren Artikel in der FAZ und jubelt weiter, damit es auch ja bei uns hängenbleibt: »Noch nie waren die Einstellungschancen für Lehrlinge so gut wie heute. Unternehmen locken mit vielen Anreizen. Selbst mittelmäßigen Schülern stehen die Türen offen.« In dieser Tonlage geht es weiter, denn wir erfahren, dass die Zeiten eines nahezu chronischen Lehrstellenmangels der Vergangenheit angehören, dass sich auf dem Ausbildungsmarkt vor allem wegen der sinkenden Jahrgangsstärken ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Dann wird der neue DHIK-Präsident Eric Schweitzer zitiert, der für dieses Jahr von 70.000 nicht besetzten Ausbildungsstellen schwadroniert. Und für die jungen Menschen brechen jetzt goldene Zeiten an, folgt man der Argumentation in diesem Artikel: »Das Leid des einen ist die Chance des anderen. Aus Perspektive der Jugendlichen wird es immer besser. Schon heute werden fast alle gebraucht – nicht nur die leistungsstarken.«
Besonders putzig: Die Autorin führt dann an dieser Stelle McDonald’s als Beispielunternehmen an. Die machen gerade eine Kampagne namens „Du hast die Zukunft! Wir haben den Plan“ (sicher hat sich das eine coole, junge Werbeagentur ausgedacht, um die „Zielgruppe“ zu adressieren). Und warum machen die das? »Auffällig offensiv wirbt der Konzern um jeden Schulabgänger. Die Zahl der Azubis ist auch bei McDonald’s gesunken – allerdings nicht, weil das Unternehmen weniger ausbilden will. Von 1000 angebotenen Ausbildungsplätzen im Jahr 2012 konnten nur 700 besetzt werden.« Nun könnt es ja auch sein, dass die Nachwuchsrekrutierungsprobleme nicht nur etwas mit der rückläufigen Zahl an Schulabgängern zu tun hat, sondern dass es darüber hinaus ganz unternehmens- oder branchenspezifische Ursachen geben könnte, aber noch nicht einmal der Gedanke daran taucht in diesem Artikel auf.
Eine positive Salve nach der anderen wird abgefeuert – hier nur eine Auswahl: Besonders schwache Schulabgänger werden nachgeschult. Außerdem haben Lehrlinge bessere Aussichten als je zuvor, vom Betrieb auch übernommen zu werden. Die Bewerbungszeiten haben sich deutlich verkürzt. Außerdem gehen immer mehr Unternehmen dazu über, Bewerber nicht mehr in erster Linie nach Schulnoten zu beurteilen, sondern vor allem durch ein persönliches Gespräch. Studienabbrechern wird der rote Teppich ausgerollt. Ihnen werden verkürzte Ausbildungsprogramme angeboten.
In allem steckt ein wahrer Kern – natürlich muss die Arbeitsnachfrageseite reagieren und das möglichst flexibel, wenn das Arbeitsangebot knapp wird. Und klar sollte auch sein, dass sich die Marktposition der jungen Menschen nicht nur deswegen verbessert, weil es weniger von ihnen gibt, sondern weil immer mehr junge Menschen eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben und diese auch an völlig überfüllten Hochschulen einlösen (wollen). Das verringert dann noch mal die potenzielle Grundgesamtheit an Auszubildenden.
Aber es ist schon eine Zumutung, dass man in der Lage ist, einen solchen Artikel zu verfassen, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, dass es eben nicht so ist, wie der Artikel suggeriert – dass sich also die jungen Leuten gleichsam die Angebote aussuchen können, dass sie wie auf Rosen gebettet werden von den Arbeitgebern, dass sich das Problem des Mangels an Asubildung gleichsam „von alleine“, irgendwie biologisch gelöst hat. Denn die Autorin hätte zumindest darauf hinweisen müssen, dass es sehr wohl immer noch zahlreiche Schulabgänger gibt, die aus ganz unterschiedlichen Gründen keinen Ausbildungsplatz finden können: Im vergangenen Jahr sind von den Schulabgängern immer noch 270.000 nicht in eine duale oder fachschulische Berufsausbildung eingemündet, sondern in das so genannte „Übergangssystem“, in dem viele von ihnen teilweise mehrere Jahre geparkt werden. Das Fatale an solchen Artikeln ist doch letztendlich, dass bei allen sicher zu würdigenden Verbesserungen der Ausbildungssituation der Eindruck verfestigt wird, es gibt diese anderen jungen Menschen gar nicht mehr. Und denn real davon betroffenen Jugendlichen wird der Eindruck vermittelt, es muss also in jeden Fall nur an ihnen liegen, dass sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Was sicher bei dem einen oder anderen auch der Fall ist, aber eben nicht bei allen.
Man darf die aktuell sichtbaren und sich angesichts der demografischen Entwicklung sowie der veränderten Berufswahl weiter zuspitzenden Knappheitsrelationen auf dem Ausbildungsmarkt nicht isoliert sehen von dem, was in den Jahren zuvor passiert ist, als die Angebots-Nachfrage-Relationen genau umgekehrt waren. Hierzu ein Beispiel aus dem Artikel „Das Elend mit der Umlage“ von Velten Schäfer:
»Margit Haupt-Koopmann, Arbeitsagenturchefin im Nordosten, sprach kürzlich Klartext: Rund 5000 Lehrstellen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, doch nur 3000 potenzielle Bewerber … Laut Haupt-Koopmann pendeln mehr als 2000 junge Leute zur Ausbildung in benachbarte Bundesländer, so viele also, wie statistisch im Land fehlen. Anderswo kümmert man sich um sie: Laut Haupt-Koopmann gibt es Fahrschulzuschüsse und Hilfen beim Autokauf oder der Wohnungssuche. Im Nordosten dagegen gebe es „noch immer junge Leute, die trotz Lehrvertrags auf Unterstützung von uns angewiesen sind“. Was Haupt-Koopmann nicht erwähnt, ist eine andere Statistik: Den 2000 fehlenden Ausbildungsanwärtern standen im Land im Juni 2013 rund 8000 junge Arbeitslose zwischen 15 und 25 Jahren gegenüber – von denen viele keine Ausbildung haben, manche auch keinen Schulabschluss. Doch andere sind in den 2000er Jahren einfach ausgesiebt worden.«
Hier wird auf eine ganz zentrale Aufgabe der vor uns liegenden Legislaturperiode hingewiesen: Nicht nur die Bedingungen für die Ausbildung der neuen Schulabgänger verbessern und fördern, sondern den vielen, die zu Zeiten des Bewerberüberschusses der Zugang zu einer ordentlichen Berufsausbildung versperrt worden ist, sollt eine ordentliches Angebot gemacht werden, eine qualifizierte Berufsausbildung nachzuholen. Und hierfür brauchen wir keine warmen Worte wie jüngst vom BA-Vorstand Heinrich Alt, der mit diesen Menschen „Gespräche“ im Jobcenter führen möchte, sondern zum einen vernünftige finanzielle Unterstützung während der nachholenden Ausbildung (eine Investition, die sich um ein Mehrfaches auszahlen würde) sowie neue Konzepte für den berufsschulischen Teil der Ausbildung. Davon würde man gerne mal was hören.