Diese Tage schauen alle wie gebannt auf die (Nicht-)Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, der zum 1. August dieses Jahres auch formal scharf gestellt wird. Dabei wird von vielen übersehen, dass neben dem Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz am gleichen Tag auch eine neue Leistung das Licht der Welt erblicken wird, die vor wenigen Monaten eine heftige Debatte in Deutschland ausgelöst hatte – das Betreuungsgeld. Darf man an dieser Stelle erinnern an den fundamentalistischen Rigorismus, mit der gegen bzw. für diese neue Geldleistung aus dem unerschöpflichen Beglückungsfundus des Staates argumentiert und polemisiert wurde?
Für die einen symbolisiert das Betreuungsgeld den frauen- und familienpolitischen Rückschritt par excellence, insofern wurden und werden begriffliche Zuspitzungen wie „Herdprämie“ oder auch „Kita-Fernhalteprämie“ verwendet. Von den anderen wurde das Betreuungsgeld zur Lichtgestalt der dadurch angeblich realisierbaren „Wahlfreiheit“ der Familien zwischen Eigen- oder Fremdbetreuung hochstilisiert.
Das alles erscheint bei einer Geldleistung in Höhe von 100 Euro pro Monat, ab August 2014 dann 150 Euro pro Monat, mehr als übertrieben.
Aber die ganze neue Geldleistung an sich ist ein Sinnbild zum einen für die immer mehr um sich greifende „Playmobil“-Sozialpolitik (zu der beispielsweise auch der „Pflege-Bahr“ in Höhe von sensationellen 5 Euro pro Monat gehört), also Geldleistungen, die bei genauerer Draufsicht rausgeschmissenes Geld mit wenig bis gar keiner Wirkung darstellen. Zum anderen ist das Betreuungsgeld ein Sinnbild für Leistungen, bei denen der notwendige Aufwand zur Erbringung in keinem Verhältnis steht zu der eigentlichen Leistung. Und dafür ist das Betreuungsgeld ein besonders eindrucksvolles Beispiel.
Unter der Überschrift „Bürokratiemonster“ Betreuungsgeld berichtet Handelsblatt Online am Beispiel von Nordrhein-Westfalen, wo die Grünen die Problematik mit dem Verwaltungsaufwand thematisiert haben:
»Das umstrittene Betreuungsgeld könnte die Städte und Kreise mehr kosten als erwartet. Denn die „Herdprämie“ schaffe erheblichen Verwaltungsaufwand – und somit Kosten, sagen die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. 83,5 zusätzliche Stellen seien nötig, was jährlich insgesamt 4,7 Millionen Euro koste, rechnet der Landkreistag NRW vor. Die Grünen gehen davon aus, dass es sogar noch teurer werden könnte. Der Grund: das Betreuungsgeldänderungsgesetz. Das macht es möglich, das Betreuungsgeld mit einer zusätzlichen Prämie von 15 Euro als Altersvorsorge oder für die Ausbildung der Kinder anzulegen. Die Folge: Noch mehr Aufwand für die Verwaltung – und noch mehr Kosten, die auf die Kommunen zukommen.«
Über eines sollte man sich bewusst sein: Würde das Gesetz mit seinen Anforderungen wirklich ganz korrekt umgesetzt werden, dann müsste ein erheblicher Aufwand getrieben werden vor Ort, also in den Kommunen. Nehmen wir nur als ein Beispiel für die Untiefen der Leistung: Scheinbar klar ist die Regelung, dass die Eltern von „betreuungsgeldfähigen“ Kindern dann die Leistung bekommen (können), wenn sie ihr Kind nicht in eine öffentlich geförderte Kindertageseinrichtungen oder zu einer öffentlich geförderten Tagesmutter bringen. Das hört sich einfacher an, als es ist, denn um diese Anspruchsvoraussetzung prüfen zu können, bräuchte man eigentlich eine Liste mit allen Eltern, die ihre Kinder in einer der genannten und öffentlich geförderten Betreuungsformen untergebracht haben, denn die haben ja dadurch keinen Anspruch mehr auf das Betreuungsgeld. Aber dieses Wissen ist in der Mehrzahl der Kommunen schlichtweg nicht vorhanden, die müssten also erst einmal ein Register aufbauen. Und damit nicht genug: Eigentlich müsste man dann ja in einem engmaschigen Kontrollsystem mögliche Statusänderungen, die zu einem Anspruchsverlust führen könnten, verfolgen. Die wenigen Ausführungen mögen aufzeigen können, dass es sich hier insgesamt um eine neue Leistung handelt, deren Schildbürgerstreichhaftigkeit sich kaum übertreffen lässt. Und was machen viele Kommunen? Sie setzen das eben nicht so um, wie man es eigentlich müsste bei isolierter Betrachtung, sondern sie „verlassen“ sich auf die Angaben der Bürger/innen, dass das dann schon so stimmt. Das kann und muss man aus einer pragmatischen Sicht so machen, denn ansonsten wäre der Bürokratieaufwand nochmals eine Nummer größer.
Neben dem jede normalen Wirtschaftlichkeitsmaßstäbe sprengenden Bürokratiekosten, die mit der Einführung der neuen Leistung verbunden sind, wird in dem Artikel auch eine weitere sozialpolitische Kapriole der Bundesregierung sichtbar: Noch vor dem Inkrafttreten dieser neuen Leistung hat man das Betreuungsgeld bereits ergänzt um eine weitere Variante: Mit dem „Betreuungsgeldergänzungsgesetz“ (so die richtige Bezeichnung: Gesetzentwurf sowie Beschlussempfehlung und Bericht) hat man die an sich schon fragwürdigen 100 Euro auch noch mit einem zusätzlichen Anreiz versehen, wenn sie genutzt werden für den Aufbau einer Riester-Rente oder für ein ominöses Bildungsparen!
»Durch das Betreuungsgeldergänzungsgesetz soll ermöglicht werden, die Leistung, die Eltern nach dem Betreuungsgeldgesetz erhalten, für den Aufbau einer privaten Altersvorsorge oder ein Bildungssparen einzusetzen. Betreuungsgeldberechtigte, die sich dafür entscheiden, das Betreuungsgeld für eine dieser beiden Möglichkeiten einzusetzen, sollen hierfür einen Bonus von 15 Euro pro Monat erhalten. Hierdurch soll eine besondere Anreizwirkung geschaffen werden.« Die Finanzindustrie bekommt oder soll sogar noch ein Teil dieser neuen „Kinder-Leistung“ in den Hintern geschoben bekommen – ungeachtet der massiven Kritik an der Riester-Rente.
Bleibt für den einen oder die andere noch der Hoffnungsschimmer Verfassungsklage gegen diese neue Geldleistung. Hatte nicht Hamburg eine solche in Karlsruhe eingereicht? Aber auch hier gibt es vorerst keine guten Nachricht für das Lager der Vernunft:
»Das Bundesverfassungsgericht wird vor Inkrafttreten des Gesetzes zum Betreuungsgeld am 1. August nicht mehr über eine Klage Hamburgs entscheiden. Das sei ausgeschlossen, sagte ein Gerichtssprecher in Karlsruhe am Donnerstag auf dpa-Anfrage. „Wann darüber entschieden wird und auf welche Weise ist völlig offen.“ Der Hamburger SPD-Senat hatte im Februar wegen juristischer und politischer Bedenken Klage eingereicht. Dem Bund fehle es an der notwendigen Gesetzgebungskompetenz, hatte Justizsenatorin Jana Schiedek damals erklärt. Zudem halte das Vorhaben Frauen davon ab, nach der Geburt eines Kindes wieder ins Berufsleben einzusteigen«, müssen wir hier lesen.
So bleibt nur zu hoffen, dass diese neue Geldleistung – die trotz des mickrig daherkommenden Betrags von 100 Euro in ihrer Gesamtheit eine Finanzsumme zwischen 1,2 bis 2,2 Milliarden Euro pro Jahr je nach Inanspruchnahme binden könnte – nach der Bundestagswahl wieder von wem auch immer abgeschafft wird. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.