Diese Woche wurde in vielen Medien über die stark steigende Zahl an demenzkranken Menschen berichtet, die einer sehr personalintensiven Pflege bedürfen. „Jahr für Jahr treten nach Daten der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft fast 300.000 Ersterkrankungen auf. Das sind pro Tag mehr als 800 Fälle“, berichtet beispielsweise die „Rheinische Post“. Bereits heute sind 1,4 Millionen Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der erwartbaren Zunahme der Zahl der dementiell erkrankten Menschen in den vor uns liegenden Jahren ist die Frage, wo und wie die Betroffenen versorgt werden, von großer Bedeutung. Wohngemeinschaft statt Pflegeheim, so die klar daherkommende Ansage in einem Beitrag von Birk Grülling, der auf Zeit Online veröffentlicht wurde. Neun Frauen leben in der hier beschriebenen Demenz-WG in Hamburg. „Die Pfleger haben Zeit, sich um jede Einzelne zu kümmern“, so der Autor. Das hört sich mehr als gut an, wenn man die Zustände in vielen „normalen“ Pflegeheimen denkt. „24 Stunden werden die Bewohnerinnen von einem ambulanten Pflegedienst betreut, mit bis zu vier Pflegern am Tag und einem in der Nacht. Statt Akkordarbeit am Bett können sie sich hier Zeit für den Alltag lassen. Eine Hauswirtschafterin kocht täglich frisch. Beim Tisch decken und Gemüse schneiden helfen die Bewohnerinnen. Weil das nicht mehr so schnell geht, fangen sie um zehn Uhr mit den Vorbereitungen an. Eine feste Struktur des Tages soll den Demenzkranken helfen, sich besser zu orientieren.“ Dabei spielen die Angehörigen eine wichtige Rolle: „Das Konzept der Demenz-WG sieht nicht vor, dass sie die Kranken ganz abgeben und einmal im Monat einen Pflichtbesuch absolvieren. Sie sind die Auftraggeber des Pflegedienstes, haben den Mietvertrag und die Angehörigenvereinbarung gemeinsam unterschrieben und beteiligen sich an der inhaltlichen Arbeit.“
Zur Geschichte der Wohngemeinschaften gibt es interessante Hinweise in dem Artikel, die von Ursula Kremer-Preis, Leiterin des Bereichs Wohnen und Quartiersgestaltung beim Kuratorium Deutsche Altershilfe kommen:
Entstanden sei das Konzept Wohngemeinschaft für pflegebedürftige Patienten vor rund 20 Jahre in Berlin … Auf die Idee seien Pflegedienste gekommen, deren Patienten in ein Seniorenheim umziehen sollten, weil sie intensiver betreut werden mussten. Um die Kunden nicht zu verlieren und gleichzeitig eine bezahlbare 24-Stunden-Betreuung zu gewährleisten, gründeten sie Wohnpflegegemeinschaften. Inzwischen erlebt dieses Konzept einen deutschlandweiten Boom. Gab es 2001 noch knapp 100 Demenz-Wohngemeinschaften, geht man im Kuratorium Deutsche Altershilfe heute von rund 1.400 WGs aus. Tendenz steigend … Inzwischen hat sich die Bundesregierung entschlossen, neu gegründete Wohngemeinschaften finanziell zu unterstützen.
Das hört sich doch alles gut an – aber wie immer im Leben: das hat seinen Preis. Hierzu finden wir in dem Artikel ebenfalls einige Hinweise, die aufzeigen können, dass das nicht für jeden etwas ist:
Leben und Pflege in der Demenz-WG müssen unterschiedlich finanziert werden. In den Bereich „Leben“ fallen die Miete für das eigene Zimmer, eine Haushaltspauschale, von der zum Beispiel Lebensmittel eingekauft werden und Geld für den persönlichen Bedarf wie ein Friseurbesuch. Diese Kosten müssen die Angehörigen komplett tragen. Für Pflege und Betreuung zahlt die Pflegekasse einen Zuschuss. In der Pflegestufe 1 werden von den Gesamtkosten von etwa 2.000 bis 2.500 Euro 440 Euro erstattet, der Eigenanteil kann also bis zu 2.060 Euro betragen. In der Pflegestufe 3 werden 1.510 Euro erstattet, und der Eigenanteil liegt zwischen 790 und 2.590 Euro. Je nach finanzieller Situation der WG-Bewohner können auch Sozialhilfeträger Teile der anfallenden Kosten übernehmen.
Und bevor man jetzt vorschnell Pflegeheim und WG miteinander vergleicht, soll an dieser Stelle nur der Hinweis gegeben werden, dass es auch hinsichtlich der Regulierung und der Kontrolle durchaus erhebliche Unterschiede gibt, was wieder ein eigenes Thema wäre.
Die Frage, wohin mit den pflegebedürftigen Angehörigen bewegt auch die Österreicher. Opa wohnt jetzt in Ungarn, so ein Artikel zu diesem Thema: Immer mehr Österreicher werden in einem Pflegeheim in den östlichen Nachbarländern untergebracht – aus finanziellen Gründen, aber auch, weil sie sich dort intensivere Pflege erhoffen, so die beiden Autoren Eva Winroither und Duygu Özkan. „Das Angebot ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Neben Ungarn gibt es auch in der Slowakei, Tschechien oder Kroatien Pflegeheime für deutschsprachige Pensionisten.“ In dem Artikel wird Paul De Coninck, Geschäftsführer einer Residenz am Plattensee zitiert, der die Motivlage auf den Punkt bringt:
„Ein Pflegeplatz in Österreich ist für viele zu teuer. Und natürlich wollen einige auch ihr Erbe in Sicherheit bringen.“ 1.500 bis 3.500 Euro kostet ein Platz im Pflegeheim in Österreich. Der Großteil bietet dafür Unterbringung im Doppel-, manchmal sogar Mehrbettzimmer. Und: In Österreich greift der Staat auch auf Vermögen, Haus und Wohnung der Pflegebedürftigen zu. In der Steiermark auch auf das der Angehörigen.
Am Plattensee hingegen kostet ein Platz in einem Einzelzimmer zwischen 1.500 bis 2.100 Euro, im Preis inkludiert sind Frühstück, Mittag- und Abendessen, 24-Stunden-Betreuung, Gruppengymnastik, Betreuung durch einen eigenen Hausarzt sowie Mani- und Pediküre. Rechtlich ist der Export des Pflegegeldes innerhalb der EU möglich; auf der Homepage des Betreibers gibt es genaue Hilfestellungen dazu.
Aber diese Entwicklung wird nicht unkritisch gesehen. „Besonders in Deutschland wurden Pflegeheime im Ausland kritisiert; von ‚Abschiebung‘ war die Rede, auch von ‚Deportation‘. Lieblose Orte, an die die Senioren gebracht werden. Auf Nimmerwiedersehen. Die Berichte mögen teilweise übertrieben sein – und haben doch ihren wahren Kern.“
Ansonsten führen die Österreicher gerade eine intensive Debatte über die Pflegefinanzierung: Zum einen ist geplant, ein Pflegefondsgesetz zu verabschieden, zum anderen gibt es großen Unmut über die teilweise erheblichen Kostenunterschiede zwischen den Bundesländern. „Für beträchtliche Aufregung sorgt überdies die Absicht des Gewerkschaftsbundes (ÖGB), der mittels Leitantrags beim Bundeskongress im Juni ein „Verbot“ der 24-Stunden-Betreuung hilfsbedürftiger Menschen durch Pflegekräfte auf Selbstständigenbasis fordern wird. Das ist brisant, weil derzeit der weitaus größte Teil der 24-Stunden-Betreuung in dieser Form organisiert ist.“ Das stößt erwartbar auf große Widerstände. Auch der Bereich der Feststellung der Pflegebedürftigkeitsbegutachtung ist in Österreich sehr umstritten, denn die Unterschiede zwischen den Bundesländern haben dazu geführt, dass Personen je nach Bundesland unterschiedlich als pflegebedürftig eingestuft wurden. Die Folge: Sie erhielten je nach Land Pflegegeld in unterschiedlicher Höhe. Nun hat man einheitliche Begutachtungsbögen eingeführt. „Eine zweite Verbesserung ist im Gesetz vorgesehen und in Umsetzung: eine Akademie zur einheitlichen Ausbildung der Gutachter. “ Das wäre durchaus mal eine Anregung für Deutschland.
Am besten gar nicht erst pflegebedürftig werden. Sondern einfach weiterarbeiten. Dazu findet man eine auf den ersten Blick skurril daherkommende Meldung: Während in Europa Arbeitnehmervertreter gegen ein höheres Renteneintrittsalter sind, stellten sich in Japan die Arbeitgeber quer. Sie fürchteten stark steigende Lohnkosten: Japans Senioren wollen länger arbeiten, so ist der Beitrag von Felix Lill überschrieben. Zuerst einmal – gerade mit Blick auf die Renteneintrittsaltersdebatte hier bei uns – eine notwendige Relativierung, um welche Altersgrenzen es derzeit geht: Anfang April treten im Rentenrechtrecht Japans neue Regeln in Kraft. Zunächst steigt das reguläre Renteneintrittsalter von 60 auf 61 und wird bis 2025 schrittweise auf 65 Jahre angehoben. Wer zukünftig das Rentenalter erreicht, aber weiterhin arbeiten will, dem soll das nach einem jetzt erzielten Kompromiss erleichtert werden, allerdings dürfen sich die Arbeitgeber dann in den meisten Fälle aussuchen, wo sie diese Mitarbeiter dann beschäftigen. Jetzt fragt man sich natürlich, warum die Arbeitgeber so gegen diese Verschiebung des Renteneintrittsalters nach hinten sowie die Verbesserung der Möglichkeit, auch danach weiterzuarbeiten, waren und sind. „Das liegt daran, dass Gehälter in Japan noch deutlicher als in anderen Ländern mit dem Alter der Arbeitskraft mitwachsen. In einer so stark alternden Gesellschaft wie der japanischen würden die Gehaltsrechnungen für Arbeitgeber bei einer bloßen Anhebung des Pensionsantrittsalters daher drastisch steigen.“
Bleibt die Frage, warum die japanischen Senioren mehrheitlich für die Verlängerung des Renteneintrittsalters sind. Zum einen, weil sie heute bereits faktisch länger arbeiten: „Schon heute ist das Alter, in dem die Japaner tatsächlich aufhören, gegen Bezahlung zu arbeiten, deutlich höher als das des offiziellen Pensionsantritts. Männer arbeiten im Schnitt bis 70, Frauen bis zu einem Alter von 67 Jahren.“ Und warum das so ist, mag jetzt nicht wirklich überraschen und relativiert das „wollen“:
„Das liegt auch daran, dass die Pensionen für die meisten Menschen nicht zum Leben ausreichen“, sagt Naohiro Ogawa von der Nihon-Universität in Tokio. „Die Mehrheit nimmt nach der Pensionierung Jobs an, die schlechter bezahlt sind und oft in keinem Zusammenhang zu ihrer vorigen Tätigkeit stehen.“ Viele ältere Japaner beaufsichtigen täglich Baustellen oder winken Passanten über Zebrastreifen. Das deutet auf ein weiteres Problem hin. Alle nach 1950 geborenen Japaner bekommen im Ruhestand weniger Geld aus der Pensionskasse heraus, als sie vorher an Beiträgen einzahlen müssen. „Deswegen zahlen nur noch 57 Prozent der Japaner ein“, sagt Ogawa. „Die Zahlung ist zwar eigentlich verpflichtend, aber eine schlechte Investition.“ Außerdem ist rund ein Drittel der Arbeitsbevölkerung gar nicht mehr in einem regulären Angestelltenverhältnis beschäftigt, sondern verdient sein Geld als Freiberufler oder mit Werkverträgen. Diese Gruppe hat auch keine gesicherte Altersvorsorge.
Zur Einordnung: Die durchschnittliche Rente liegt heute bei 45.000 Yen (rund 350 Euro) im Monat.