Heute ist es nach Jahren des Wartens also soweit: Um 10 Uhr wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Entscheidung zu der Frage verkünden, ob die Sanktionen im Hartz IV-System (SGB II) verfassungsgemäß sind oder (teilweise) nicht. Das Interesse ist groß, auch die Erwartungen bei vielen Betroffenen. Möglicherweise werden die enttäuscht werden. Keiner kann derzeit eine halbwegs sichere Prognose das Urteil betreffend abgeben, wir bewegen uns im spekulativen Raum. Nicht ohne Grund aber hat sich das höchste deutsche Gericht so lange Zeit gelassen mit der Entscheidung, denn das Thema ist nicht nur eine wahrhaft existenzielle Angelegenheit für die (potenziell) Betroffenen, sondern auch eine verfassungsrechtlich harte Nuss, die kaum zu knacken sein wird. Über den Stand der Diskussion über die Sanktionen wurde in diesem Blog in den vergangenen Jahren immer wieder und ausführlich berichtet.
In diesem Beitrag soll es um einen speziellen, von der Wirkung her gesehen aber nicht zu unterschätzenden Aspekt gehen: Um 3 Prozent. Eine Zahl, die in der Berichterstattung ein interessantes Eigenleben entwickelt hat – und bei der es sich lohnt, einmal genauer hinzuschauen.
Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Anzahl der Sanktionen sowie der neu sanktionierten ELB (= erwerbsfähigen Leistungsberechtigten) m Hartz IV-System in den Jahren 2007 bis 2018:
Im Jahr 2018 wurden knapp 904.000 Sanktionen verhängt ( das waren -5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Insgesamt wurden rund 403.000 ELB neu sanktioniert (-3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Gleichzeitig ist aber auch die Zahl der ELB im vergangenen Jahr gesunken. 2018 gab es im Jahresdurchschnitt 4,14 Millionen ELB (-5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr).
In einem nächsten Schritt kommen wir zu den immer wieder zitierten „nur“ 3 Prozent der Hartz IV-Empfänger, die von Sanktionen überhaupt betroffen sind bzw. sein sollen. Dabei handelt es sich um die sogenannte Sanktionsquote.
Da haben wir sie, die 3 Prozent. Aber man muss sich verdeutlichen, was dieser Anteilswert genau aussagt: Die offizielle Sanktionsquote für 2018 lag bei 3,2 Prozent. Sie gibt an, wie viel Prozent aller ELB an einem Stichtag sanktioniert waren. Die jährliche Sanktionsquote ist der Jahresdurchschnitt aller monatlichen Sanktionsquoten zu den jeweiligen Stichtagen:
➔ 2018 gab es jeden Monat im Durchschnitt 4,14 Millionen ELB, von denen im Durchschnitt jeden Monat rund 132.000 mit mindestens einer Sanktion belegt waren.
Und jetzt kommen wir zur Kritik an dieser überall verwendeten Kennzahl: Weil nicht jeden Monat dieselben Personen sanktioniert werden, ist die Sanktionsquote aber kein geeignetes Maß um festzustellen, wieviel Prozent der ELB mit einer Sanktion belegt wurden.
Gibt es denn eine bessere Alternative? Ja, die gibt es:
➔ Aussagekräftiger ist die Sanktionsverlaufsquote, die im Jahr 2018 bei 8,5 Prozent lag.
Das nun ist ein ganz anderer Wert. Wie muss man diese Zahl verstehen? Eine Erläuterung dazu findet man bei der Bundesagentur für Arbeit:
„Der Jahresdurchschnittswert der monatlichen Sanktionsquote gibt Auskunft darüber, wie hoch der Anteil der ELB im Jahresdurchschnitt pro Monat bzw. zum Stichtag war, die mindestens eine Sanktion hatte, während die Sanktionsverlaufsquote beinhaltet, welcher Anteil der ELB innerhalb eines Jahres mindestens einen Monat sanktioniert war.“ (Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2019): Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, Nürnberg, April 2019)
Am Beispiel des Jahres 2018: Im Jahr 2018 erhielten knapp 5,16 Mio. Personen mindestens in einem Monat Hartz-IV-Leistungen und rund 441.000 ELB waren mindestens einen Monat mit einer Sanktion belegt. Für 2017 wurden von der BA keine Vergleichswerte veröffentlicht.