Wie viel „kostet“ ein Mensch? Vom Sinn, Unsinn und der Niedertracht einer Monetarisierung des menschlichen Lebens

„Was einen Wert hat, hat auch einen Preis. Der Mensch aber hat keinen Wert, er hat Würde.“ (Immanuel Kant)

Viele werden sich verständlicherweise abwenden allein schon bei der als unmöglich erachteten Fragestellung nach dem, was ein Mensch „kostet“. Gibt es etwas Unbezahlbareres als ein menschliches Leben? Kann man den Tod bzw. sein Aufschieben „bepreisen“? Oder bewegen wir uns nicht schon mit der Frage danach in den mit Zahlen und Währungssymbolen gepflasterten Gefilden einer durch selbstverliebte Hybris maßlos gewordenen Ökonomen-Welt, deren Übergriffigkeit in (fast?) alle Lebensbereiche hinein als eine negativ verstandene Ökonomisierung gebrandmarkt wird?

Solche Sichtweisen haben ihre Berechtigung und sie verdienen Sympathie für den dahinter stehenden Versuch, die Würde eines jeden einzelnen Menschen zu schützen und diese nicht auch noch auf dem Altar der umfassenden Verdinglichung und Monetarisierung von allem und jedem zu opfern. Aber ungeachtet dieser Abwehrhaltung zeigt die Wirklichkeit, dass jeden Tag menschliches Leben mit einem Preis versehen wird.

Und manchmal meint die über den Menschen – und seiner an und für sich, dann aber doch wieder nur eigentlich, also unter bestimmten Bedingungen zu schützenden Würde – stehende Hybris der Rechenschieber sogar den „Preis“ im Sinne einer „Strafzahlung“ für ein gerettetes Menschenleben bestimmen und verhängen zu können wie ein Bußgeld aufgrund einer Geschwindigkeitsübertretung im Straßenverkehr. Das kann nicht sein? Wie wäre es mit „Geldstrafen von 3.500 bis 5.500 Euro für jeden geretteten Flüchtling“?


Nein, das ist kein fiktiver „Preis“, sondern man taxiert das Leben eines aus dem Mittelmeer geretteten Menschen mit genau diesen Beträgen – wenn es nach dem italienischen Innenminister geht. Wohlgemerkt als Strafzahlung, nicht etwa als Belohnung für eine doch nun wirklich gute Tat. Dazu kann man dem Artikel Menschen retten verboten von Dominik Straub entnehmen:

»Die Politik der geschlossenen Häfen reicht Matteo Salvini nicht mehr: Am Wochenende hat Italiens Innenminister, Vizepremier und Lega-Chef ein neues „Sicherheitsdekret“ vorgelegt, in dem er die Kompetenzen für die zivile Schifffahrt seinem eigenen Ministerium übertragen will. Der neue Erlass soll es ihm ermöglichen, „die Durchfahrt oder den Aufenthalt“ von Schiffen in italienischen Gewässern „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ zu verbieten. Im Visier hat Salvini die – nur noch wenigen – Nichtregierungsorganisationen, die im Mittelmeer kreuzen, um schiffbrüchige Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Wer sich nicht an die Weisungen aus Rom hält, soll künftig massiv sanktioniert werden: Das Dekret sieht Geldstrafen von 3.500 bis 5.500 Euro für jeden geretteten Flüchtling vor.«

Damit erreicht die seit einiger Zeit zu beobachtende Politik führender Insassen der Festung Europa eine neue wahrhaft niederträchtige Phase.

»Die Hilfsorganisationen sind entsetzt über den neuen Erlass: Das sei, als strafe man die Notärzte eines Rettungswagens dafür, dass sie Patienten ins Krankenhaus brächten, sagte die Sprecherin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Claudia Lodesani. Auch die Opposition ging auf die Barrikaden. Senator Gregorio De Falco, Ex-Offizier der Küstenwache und Held bei der Havarie des Luxusdampfers „Costa Concordia“, bezeichnete das Dekret als verfassungswidrigen Versuch, das Gesetz auf den Kopf zu stellen: Kriminell sei nicht derjenige, der Menschenleben rette, sondern derjenige, der Schiffbrüchigen nicht zur Hilfe eile. Das Gesetz nenne dies „unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge“.«

Man ahnt schon, dass hier im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leichen von im Mare Nostrum ertrunkener Menschen billige Politik gemacht werden soll. Dazu Dominik Straub: »Die Idee, die Rettung von Menschenleben zu bestrafen, ist eine weitere Provokation Salvinis, um sich zwei Wochen vor den Europawahlen als Hardliner zu profilieren. Er beschwört dabei noch immer einen „Notstand“ und eine „Invasion“, die es nicht zuletzt wegen seiner Politik der geschlossenen Häfen nicht gibt: Bis zum 11. Mai sind in Italien 2019 nur gerade gut 800 Bootsflüchtlinge gelandet – im gleichen Zeitraum 2018 waren es mehr als zehnmal so viele. Dennoch sagte Salvini am Wochenende bei einer Wahlveranstaltung: „Entweder retten wir jetzt Europa oder wir hinterlassen unseren Kindern einen islamischen Staat.“«

Was wir nun erleben müssen sind die sich radikalisierenden Auswüchse einer Entwicklung, die bereits vor vielen Jahren begonnen hat. Wir alle stehen wenn, dann noch unter dem Eindruck der im Jahr 2015 für kurze Zeit ermöglichten Zuwanderung einer großen Zahl an Flüchtlingen und würden die nun hochgezogenen Zugbrücken der Festung Europa der Zeit danach zuschreiben. Dem ist aber nicht so, die Öffnung war nur wie ein Ventil, das man kurz einmal aufdreht, um die Luft aus dem Reifen zu lassen. Das ist der bildliche Ausdruck für die sich im Süden Europas stauenden Massen an Flüchtlingen, die man in die reicheren Ländern der EU für eine kurze Zeit durchgewinkt hat.

Schon am 4. November 2013 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Die Festung Europa wächst und gedeiht im Windschatten der Unaufmerksamkeit: Von der faktischen Legalisierung des völkerrechtswidrigen „Refoulement“ bis hin zu messerscharfen Draht gegen die, die es am Boden versuchen. Darin wurde über einen „Reformvorschlag“ der EU-Kommission zur Neuregelung von Frontex-Operationen an den Seeaußengrenzen berichtet: »Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll in Zukunft auf dem Meer aufgegriffene oder aus Seenot gerettete Flüchtlinge direkt in Länder außerhalb Europas zurückschieben dürfen – ohne dass sie vorher einen Asylantrag stellen können. Auch das Stoppen, Durchsuchen und Abdrängen von Booten mit Papierlosen auf Hoher See, also außerhalb der europäischen Hoheitsgewässer, soll den Grenzschützern künftig ausdrücklich erlaubt sein.«

Aber wieder zurück in die Gegenwart: „Geldstrafen von 3.500 bis 5.500 Euro für jeden geretteten Flüchtling“ – das wird den einen oder anderen sicher irritieren hinsichtlich der Höhe des „Preises“. Ist denn ein menschliches Leben nicht mehr wert in Euro? Abgesehen von der Tatsache, dass es sich um die Androhung von Strafzahlungen handelt, die man gegen die Menschenretter verhängen will (und man überlege sich nur, wie viele gerettete Menschen auf einem Schiff Platz finden können) – die Beträge sind tatsächlich mehr als niedrig. Da werden normalerweise ganz andere Beträge aufgerufen – wobei der Plural hervorgehoben werden soll, denn tatsächlich setzen die Ökonomen in der Regel keinen einheitlichen Preis an, sondern es gibt unterschiedliche Preise für ein menschliches Leben, wie ja auch unter den Lebenden die einen monetär gesehen mehr, die anderen weniger bis fast gar nichts wert sind. Aber wie kommt man überhaupt zu einem „Preis“ für das bzw. für unterschiedliche menschliche Leben?

Dazu ein Blick zurück: Werner Mussler hat sich im Jahr 2005 mit der Frage beschäftigt: Hat ein Menschenleben einen Geldwert? »Ökonomen erwecken diesen Eindruck, obwohl sie niemandem ein Preisschild umhängen wollen. Doch sie entwickeln Konzepte, mit deren Hilfe sie angeblich den Wert eines „statistischen“ Lebens ermitteln können.« Mit diesem „statistischen Leben“ befasst sich beispielsweise Hannes Spengler von der Technischen Universität Darmstadt. Spengler will kein bestehendes Leben mit einem Preisetikett versehen. Sein risikotheoretisches Konzept handelt von einem „statistischen“ Leben. Was muss man sich unter einem „risikotheoretischen“ Konzept vorstellen?

»Es beruht auf der Beobachtung, daß jeder Bürger sein eigenes Leben nicht als unendlich viel wert erachtet, sondern es – jedenfalls implizit – einem ökonomischen Kalkül unterwirft. Ein Beispiel: Wer Auto fährt, akzeptiert das Risiko, im Straßenverkehr umzukommen. Und er kauft nicht automatisch das Auto mit den höchsten Sicherheitsstandards, sondern jenes, das ihm am günstigsten erscheint – auch um den Preis eines etwas höheren Risikos.«

Dieser Ansatz wird dann auf die Abschätzung des Wertes eines menschlichen Lebens übertragen, Mussler verdeutlicht das an diesem „sehr konstruierten Modellbeispiel“:

»In einem Fußballstadion sind 10.000 Menschen versammelt. Sie wissen, daß ein zufällig aus der Menge ausgewählter Besucher sterben muß. Sie werden gefragt, wieviel sie zahlen wollen, um dieses Risiko von der Gemeinschaft – und damit von sich selbst – abzuwenden. Da das Sterberisiko eins zu zehntausend beträgt, ist die Zahlungsbereitschaft des einzelnen gering. Beträgt sie – ein gegriffener Wert – 300 Euro, so würden 10.000 Personen insgesamt drei Millionen Euro dafür zahlen, daß das Todesrisiko auf null sinkt und damit ein statistisches Leben gerettet wird. Dessen Wert beträgt dann drei Millionen Euro.«

Die Berechnungsergebnisse von Spengler* könnte man laut Mussler so zusammenfassen:

„Zum ersten Mal hat ein deutscher Ökonom den durchschnittlichen Wert eines Menschenlebens in Deutschland berechnet. Er beträgt 1,65 Millionen Euro. Ein Männerleben hat einen höheren Wert (1,72 Millionen Euro) als ein Frauenleben (1,43 Millionen Euro).“

Das fasst zwar die Rechenergebnisse korrekt zusammen, aber Mussler meint, dass auch Spengler mit der Meldung nicht glücklich wäre, wenn er an die erwartbaren Reaktionen denkt: Wie kann man sich anmaßen, menschlichem Leben einen Wert beizumessen – und dann auch noch zwischen Mann und Frau zu differenzieren?

Werner Mussler wirft dann eine Frage auf, die sicher viele ebenfalls mit sich rumtragen werden: Was ist der Zweck solcher Zahlenspiele?

»Der amerikanische Ökonom Ike Brannon formuliert es drastisch: Für eine gute Politik sei es notwendig, den (statistischen) Wert eines Menschenlebens zu kennen. Er bezieht diesen Befund auf jene Regulierungsfelder, in denen es darum geht, Leben sicherer zu machen oder zu verlängern: in der Gesundheitspolitik, beim Bau bestimmter Verkehrsprojekte, im Umwelt- und Verbraucherschutz.
Für jeden Dollar, den der Staat ausgebe, müsse er dem Steuerzahler möglichst viel zurückgeben, sagt Brannon. Wenn eine Regulierung mehr koste, als sie ihr bringe, solle sie nicht in Angriff genommen werden. Die Forderung liegt der Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde, die in Amerika für viele Regulierungsprojekte vorgeschrieben ist.«

Werner Mussler bezieht sich hier auf diese Arbeit: Ike Brannon (2004): What is a Life Worth?, in: Regulation, Vol. 27, No. 4, pp. 60-63, Winter 2004. Dass die kosten-nutzen-analytische Betrachtungsweise und die damit verbundene monetäre Bewertung menschen Lebens auch in Deutschland diskutiert wurde (und wird), kann man als ein Beispiel dieser Stellungnahme entnehmen: Deutscher Ethikrat (2011): Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Berlin 2011.

Aber: Die Ergebnisse der Schätzungen fallen sehr unterschiedlich aus: Die von Spengler ermittelten Werte sind eher gering; amerikanische Ökonometriker kommen für ihr Land auf das Drei- bis Vierfache. Das treibt dann Mussler zu dieser skeptischen Bewertung: »Solche Unterschiede, die methodische Ursachen haben, werfen freilich die Frage auf, was das Konzept wert ist. Wenn der Wert eines statistischen Lebens nicht einigermaßen unstrittig ermittelt werden kann, hält sich auch seine politische Relevanz in Grenzen.«

Aber noch ein Versuch, bevor man das Handtuch schmeißt. Katrin Zeug hat im Januar 2018 diesen Artikel veröffentlicht: Der Wert des Lebens – mit dem Untertitel „… bilanziert von Ökonomen, Medizinern und Philosophen. Eine ungewöhnliche Rechnung.“ Darin geht es am Anfang um die „grauenhafteste Erfahrung“, die Kenneth Feinberg im Laufe seiner Karriere machen musste. Hintergrund waren die Terroranschläge vom 11.09.2001 in den USA: »Nachdem zwei Flugzeuge in das World Trade Center geflogen waren und ein weiteres Flugzeug ins Pentagon, hatte die Regierung unter George W. Bush einen Entschädigungsfonds geschaffen, der anders war als alle bisherigen: Eine einzige Person sollte das Geld an die Familien der Todesopfer und an die Verletzten verteilen. Viel Geld, wenig Bürokratie. Nach eigenem Ermessen und möglichst schnell.« Kenneth Feinberg hat die angesprochene Aufgabe übernommen.

»In den folgenden drei Jahren traf er Tag für Tag Betroffene. Er sprach mit den Witwen, deren Männer bei der Feuerwehr gewesen und beim Helfen gestorben waren, mit Angehörigen von Börsenmaklern, deren Alltag in Villen und Privatschulen viel Geld verschlang, das jetzt keiner mehr verdiente, und mit Eltern von Menschen, die ohne Papiere nach New York gezogen waren und für die anderen geputzt, gekellnert, die Post ausgetragen hatten. Bis sie ums Leben kamen. Im Moment des Unglücks waren alle gleich.« Aber nur in dem Moment. Selbst nach dem Tod reproduziert sich der ungleiche „Wert“ menschlichen Lebens.

»Feinbergs Aufgabe war es, jedem der verlorenen oder verletzten Leben einen Wert zu geben, eine konkrete Summe, die er den Angehörigen auszahlen konnte. Was war das Leben einer Mutter wert, die ihre ganze Familie versorgt hatte? Bekommt ein Mann für seine tote Frau weniger, wenn sie nicht verheiratet waren? Macht es einen Unterschied, ob eine Person zuletzt versucht hat, sich selbst zu bereichern oder anderen zu helfen? Was bekommt man für einen Ex-Mann, eine Zweitfrau oder den gleichgeschlechtlichen Partner, von dem niemand wusste?«

Und das Ergebnis? »Mehr als 7 Milliarden Dollar verteilte er an insgesamt 5.562 Personen: Für einen Mann ohne Papiere bekamen die Angehörigen 250.000 Dollar. Für einen Kellner 500.000 Dollar. Für einen Polizisten 850.000, für einen anderen 1,2 Millionen. Für einen Börsenmakler mal 2 Millionen, mal 6 Millionen Dollar. Wirkt brutal. Als Feinberg von empörten Witwen gefragt wurde, warum das Leben ihrer Feuerwehrmänner weniger wert sei als das der Börsenmakler, erklärte er ihnen, dass Amerika eben so funktioniere.« Das hat viele Betroffene verständlicherweise aufgeregt. Warum hat er diese Differenzierung vorgenommen? »Der Kongress hatte ihm eine einzige Vorgabe gegeben: Als Basis der Entschädigungssummen solle das Einkommen der Opfer herangezogen werden.« So funktioniert eben Amerika.

Aber wir sollten uns daran erinnern: Auch der arbeitsmarktbezogene Ansatz von Hannes Spengler kommt zu unterschiedlichen Beträgen, weil auch er die Unterschiede im (Erwerbs-)Einkommen berücksichtigt hat.

Menschen eine Preis zu geben, hat eine lange Tradition. Ein Beispiel, wo die Bepreisung von Menschen zu einem Straßennamen geführt hat, den heutzutage jeder kennt: »Einer der größten Sklavenmärkte Nordamerikas befand sich im 18. Jahrhundert auf einer Straße in New York. An einer langen Mauer wurden die Menschen aufgestellt und zum Verkauf angeboten. Die Mauer gab der Straße ihren Namen: Wall Street. Die Preise von damals hat Henry Carey aus den Zeitungen zusammengesammelt und 1853 in seinem Buch The Slave Trade festgehalten. Im Durchschnitt kostete ein „ausgewachsener männlicher Sklave“ 1.000 Dollar.«

Und ja, auch darauf muss man hinweisen: Mit der Berechnung der Preise für menschliches Leben wollte und konnte man Gutes bewirken: »In Europa berechneten englische Ärzte und Volkswissenschaftler im 17. Jahrhundert erstmals den ökonomischen Wert des Menschen, um nachzuweisen, dass es sich lohnen würde, wenn der Staat gegen Krankheit und Armut vorginge. Weil ihm das gesunde Arbeits- und Streitkräfte bringe.«

Zahlen und Statistiken sind wie ein Hammer. Man kann damit einen Nagel in die Wand hauen oder jemanden erschlagen. Zahlen dienen auf der einen Seite dazu, Investitionen für die Schwachen durchzusetzen – und ein anderes Mal, ihre Vernichtung zu rechtfertigen. Sie haben eine helle Seite, aber eben auch eine die getränkt ist mit Niedertracht und Inhumanität. So eine Variante erleben wir jetzt gerade wieder in Italien.

Zum Abschluss noch der Hinweis auf einen ganz anderen Berechnungsansatz für den Wert des menschlichen Lebens, diesmal aus den Reihen der Biochemie, die einen ganz eigenen Blick auf uns Menschen hat. Darüber wurde bereits im September 1976 unter der Überschrift Wieviel kostet ein Mensch? im SPIEGEL veröffentlicht:

»Es war der alte Witz: „Wie Biochemiker errechnet haben“, stand auf der Geburtstagskarte „sind die Stoffe. aus denen der Mensch besteht, 97 Cent wert.“ Biochemiker Harold J. Morowitz von der amerikanischen Yale University freilich wollte es einmal genau wissen. Statt nur das bißchen Kohlen- und Wasserstoff, Kalk und Eisen zu rechnen, listete er die Tagespreise der etwas komplexeren Verbindungen im menschlichen Organismus auf — je Gramm schlug zum Beispiel Hämoglobin, der rote Blutfarbstoff, schon mit 2,95 Dollar zu Buche, das Enzym Trypsin mit 36, das Peptid Bradykinin gar mit 12.000 Dollar. „Der wahre Schocker kam“, notierte Morowitz, „mit dem Follikelhormon zu 4.8 Millionen Dollar je Gramm … ein Geschenk für Leute, die schon alles haben; und für die wirklich Reichen gibt es Prolaktin zu 17,5 Millionen Dollar je Gramm.“ Kurzum, der durchschnittliche Mensch von 150 Pfund, knapp 25 Kilo Trockenmasse, wäre nach Katalog mit sechs Millionen Dollar zu bewerten – die Schwierigkeit, aus Pülverchen und Essenzen Herz, Haut und Haar zusammenzubasteln, noch nicht gerechnet.«

Sechs Millionen Dollar (Stand 1976), da muss man heute noch eine Schippe rauflegen. Außer es handelt sich um Flüchtlinge, die über unsere Urlaubs-Badewanne kommen (wollen). Für die reicht monetär gesehen ein Brosamen. Auf der anderen Seite ist das auch wieder ein vielleicht radikal ehrliches Rechenwerk inmitten der Verhältnisse, wie sie eben sind.


*) Vgl. dazu im Original Hannes Spengler (2004): Kompensatorische Lohndifferenziale und der Wert eines statistischen Lebens in Deutschland, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, Heft 3/2004, S. 269–305. In der Zusammenfassung schreibt Spengler: »Diese Arbeit ist die erste empirische Untersuchung, die den Wert eines statistischen Lebens (WSL) für die Bundesrepublik Deutschland ermittelt. Die Analysen werden auf der Grundlage eines aus IAB-Beschäftigtenstichprobe und Arbeitsunfallinformationen der Berufsgenossenschaften zusammengesetzten Datensatzes durchgeführt. Die Panelschätzungen ergeben einen durchschnittlichen WSL für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer von 1,65 Mio. €. Dieser Wert liegt deutlich unter den zu Vergleichszwecken durchgeführten Querschnittsuntersuchungen (Mittelwert 4,5 Mio. €) und legt nahe, dass (auch) die bisherigen Ergebnisse von US-Studien (Median 7 Mio. US-$), die fast ausschließlich auf Querschnittsdaten beruhen, aufgrund der fehlenden Kontrolle unbeobachteter Heterogenität nach oben verzerrt sind. Die ermittelten WSL-Ergebnisse können in Kosten-Nutzen-Analysen von Projekten zur Risikoreduktion, z.B. in Gesundheits-, Umwelt-, Verkehrs- und Kriminalpolitik, einfließen.«

Foto: © Stefan Sell