Immer mehr Väter tun es. Sie beziehen Elterngeld. Dennoch ist der Fortschritt eine Schnecke

Wenn man seit Jahren über bestimmte Themen berichtet, dann hat man oft den Eindruck, dass man Meldungen schon mal vor Jahren so gelesen hat. Nehmen wir als ein Beispiel die Beteiligung der Väter an der Inanspruchnahme des Elterngeldes. Dieser Wert wird gerne als ein Indikator für die Veränderungen auf der männlichen Seite der Geschlechterarrangements herangezogen und eine steigende Inanspruchnahme wird als Indikator dafür ins Feld geführt, dass nun auch endlich „die“ Väter moderner werden und der Fortschritt in Richtung auf „echte“ partnerschaftliche Rollenmodelle vorankommt.

Im Jahr 2013 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht, der auf die damaligen Jubelmeldungen über eine steigende Väterbeteiligung beim Elterngeld einen differenzierten Blick geworfen hat: Väter beziehen immer häufiger, aber auch immer kürzer Elterngeld. Und im Jahr 2017 wurde dann dieser Beitrag publiziert: Immer mehr bestimmte Väter mögen zeitweise das Elterngeld. Sozialpolitische Anmerkungen zu einer selektiven Geldleistung. Dort wurde nicht nur auf die zeitlich gesehen sehr begrenzte Inanspruchnahme des Elterngeldes durch die Väter hingewiesen, sondern auch auf den Tatbestand, dass deren Inanspruchnahme überaus ungleichgewichtig verteilt ist in Abhängigkeit vom Erwerbseinkommen.

Das wurde mit diesem Zitat von Matthias Kaufmann aus seinem Artikel Mist, Papa verdient zu wenig illustriert: »Während Mütter aller Gehaltsklassen fürs Kind pausieren, ist Väterzeit ein Mittelschichtsphänomen. Angestellte, meist Büroarbeiter, machen Väterzeit … Drei Viertel der Männer in Väterzeit verdienen mindestens 1500 Euro netto, teilweise deutlich mehr. Da kommen viele Gebäudereiniger, Wachleute oder Kassierer nicht ran – und tauchen in der Elterngeldstatistik seltener auf.« In einem anderen Beitrag mit Blick auf die Vorgängerleistungen und den Paradigmenwechsel, der bewusst mit dem Elterngeld eingeleitet wurde, ist herausgearbeitet worden, dass das auch nicht wirklich überraschen kann, wenn man sich die Anreizwirkungen des Elterngeldes genauer anschaut: Jenseits des „Wickelvolontariats“ für Väter? Zehn Jahre Elterngeld und ein notwendiger Blick auf die Vorgängerleistungen Erziehungsgeld und Mutterschaftsurlaubsgeld vom 29. Dezember 2016.

Und auch im Jahr 2019 werden wir mit Erfolgsmeldungen von der Elterngeldfront versorgt – die allerdings etwas verhaltener formuliert werden als in der Vergangenheit: Väter trauen sich langsam Richtung Elterngeld: »Sie kümmern sich nach der Geburt um ihr Kind und setzen deswegen im Job aus: Sieben Prozent mehr Väter haben im vergangenen Jahr Elterngeld bezogen.« Allerdings wird dann auch schon sofort darauf hingewiesen: »Trotzdem nehmen sie sich nach wie vor wesentlich kürzere Auszeiten als die Mütter.«

Grundlage für diese und andere Meldungen ist diese Mitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 11.04.2019: Rund 1,8 Millionen Mütter und Väter beziehen Familienleistung: »Im Jahr 2018 haben 1,4 Millionen Mütter und 433 000 Väter Elterngeld bezogen … Während die Anzahl der Elterngeld beziehenden Mütter um 3 % zunahm, stieg die Zahl der Väter um knapp 7 %.«

Zur Interpretation der Zahlen muss man wissen, dass es mittlerweile unterschiedliche Formen des Elterngeldes gibt (vgl. dazu auch die Informationen zu Elterngeld und ElterngeldPlus des Bundesfamilienministeriums). Zur Inanspruchnahme berichtet die Bundesstatistiker:

»Eltern, deren Kinder ab dem 1. Juli 2015 geboren wurden, können zwischen dem Bezug von Basiselterngeld (bisheriges Elterngeld) und dem Bezug von Elterngeld Plus wählen oder beides kombinieren. Zwar fällt das Elterngeld Plus in der Regel niedriger aus, wird dafür aber erheblich länger gezahlt (bis zu 36 Bezugsmonate für beide Elternteile zusammen). Insbesondere Frauen nutzten das Elterngeld Plus. Mit 30 % entschied sich fast jede dritte berechtigte Frau in Deutschland im Rahmen ihres Elterngeldbezuges für Elterngeld Plus (2017: 26 %); bei den Männern waren es rund 13 % (2017: 11 %).«

Und zur Dauer der Inanspruchnahme erfahren wir: »Die geplante Bezugsdauer bei Müttern, die ausschließlich Basiselterngeld beantragten, betrug durchschnittlich 11,7 Monate, bei geplantem Bezug von Elterngeld Plus betrug sie 20,0 Monate. Die von Vätern angestrebte Bezugsdauer war mit durchschnittlich 3,0 Monaten bei ausschließlichem Basiselterngeld beziehungsweise mit durchschnittlich 8,9 Monaten bei Bezug von Elterngeld Plus vergleichsweise kurz.«

»Väter nehmen sich zunehmend eine Auszeit für ihre Kleinkinder. Doch Mütter liegen noch immer weit vorne beim Elterngeld«, so der Artikel Warum das kein noch Grund für Euphorie ist, der einige Hintergründe vermittelt. »Ein Durchbruch für die Geschlechtergerechtigkeit sind die Zahlen … aus Expertensicht nicht: Zwar stieg der Anteil der männlichen Elterngeldbezieher erheblich, noch immer sind es aber in großer Überzahl die Frauen, die für den Nachwuchs zuhause bleiben. 2018 bezogen nach den Daten rund 1,4 Millionen Mütter Elterngeld, demgegenüber stehen nur 433.000 Väter.« Und bei diesen Absolutzahlen muss man eben auch berücksichtigen, dass die Mütter über 11 Monate im Bezug bleiben, während dieser Wert bei den Vätern auf dem 3-Monats-Niveau festgenagelt ist.

Dass sich fast jede dritte Mutter im vergangenen Jahr für das ElterngeldPlus entschieden hat, liegt vor allem daran, dass es sich gut mit Teilzeitarbeit vereinbaren lässt.

Eine kritische Anmerkungen werden präsentiert: Grundsätzlich sei die Entwicklung hin zu einer kontinuierlichen Steigerung der Väterbeteiligung erfreulich, so die Soziologie-Professorin Heike Trappe von der Universität Rostock. Doch verschiedene Statistiken zeigten auch, dass sich der überwiegende Teil der Väter weiterhin keine Erziehungs-Auszeit nehme. „Das ist noch kein Grund, in Euphorie auszubrechen und den sozialen Wandel in Hinblick auf die Rolle der Väter auszurufen.“ Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen sei nach wie vor sehr groß, was auch bei der Entscheidung über die Elternzeit eine Rolle spiele.

Und Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin weist darauf hin: „Ein Wermutstropfen ist, dass die durchschnittliche Bezugsdauer bei Männern und Frauen so weit auseinander liegt“.

»Insgesamt beobachten die Wissenschaftlerinnen aber seit Jahren einen Wandel in der gesellschaftlichen Stimmung. Dass der frischgebackene Vater seine zwei Vätermonate nimmt sei in Deutschland in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagte Wrohlich. „Bei jüngeren Leuten oder Menschen mit höherem Bildungsniveau ist das inzwischen eine ungeschriebene Norm“, so Trappe.« Ja, aber genau lesen: Der so umschriebene Fortschritt ist weiterhin im Schneckentempo unterwegs und vor allem sozial höchst selektiv verteilt. Und während sich manche Väter am liebsten feiern lassen möchten für die Tatsache, dass sie die zwei Partnermonate Elternzeit nehmen (die übrigens Voraussetzung dafür sind, dass die Leistung nicht nur 12, sondern 14 Monate lang bezogen werden kann), ist das beruflich gesehen eine überschaubare Ausfallzeit – was sich anders darstellt, wenn man ein Jahr oder länger aussteigen muss, was aber für die meisten Mütter die Realität darstellt. Das hat natürlich auch – ob bewusst oder unbewusst – Rückwirkungen auf die weiterhin unterschiedliche Wahrnehmung der „Risikowahrscheinlichkeiten“ auf betrieblicher Ebene, so dass die Mütter weiterhin anders gesehen werden als die Väter. Das ist ja das Dilemma, dass eine primär als individuelle, freie (?) Entscheidung daherkommende ungleiche Verteilung der Aufteilung der Ausfallzeiten auf dem Arbeitsmarkt strukturellen Ungleichheiten dort folgt und diese perpetuiert.

Denn die ungleichen Inanspruchnahmestrukturen hängen nicht nur, aber auch mit den Ungleichheitsverhältnissen auf den Arbeitsmärkten zusammen: Während in Ländern wie Dänemark bei 30 Prozent der Eltern sowohl Mütter als auch Väter in 30 bis 39 Stunden wöchentlich arbeiten, betrug der Anteil in Deutschland 2016 1,2 Prozent. Stattdessen dominiere hier ein Modell, bei dem Väter mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten und die Mutter entweder teilzeitbeschäftigt ist (35 Prozent) oder gar nicht arbeitet (24 Prozent), so die OECD-Studie Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf, die im Jahr 2017 veröffentlicht worden ist.

Aber, um positiv zu enden: Auch die Schnecke kommt voran und vielleicht beschleunigt sie in bislang unbekannte Geschwindigkeitsdimensionen, wenn ganz viele Schnecken auf dem Weg des Fortschritts sind und sich gegenseitig anspornen.