Immer mehr bestimmte Väter mögen zeitweise das Elterngeld. Sozialpolitische Anmerkungen zu einer selektiven Geldleistung

Das sind Botschaften, die das Herz moderner Familienpolitiker höher schlagen lässt: Väterbeteiligung beim Elterngeld steigt weiter an, so das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung vom 15. Februar 2017. Der können wir entnehmen: »Für mehr als jedes dritte Kind (35,7 %), das im zweiten Quartal 2015 in Deutschland geboren wurde, bezog der Vater Elterngeld. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, hat sich die sogenannte Väterbeteiligung beim Elterngeld damit im Vergleich zum Vorjahresquartal um 1,3 Prozentpunkte erhöht.« Die markante Entwicklung nach oben kann man auch an diesem Vergleich ablesen: »Bei den im zweiten Quartal 2008 geborenen Kindern war es bundesweit noch jedes fünfte Kind (20,5 %) gewesen, für das der Vater Elterngeld in Anspruch nahm.« Von 20,5 auf 35,7 Prozent – das ist doch ein ganz ordentliches Ergebnis für die zurückliegenden Jahre. Man könnte jetzt natürlich darauf hinweisen, dass es wie immer große Streuungen gibt, wie auch die Bundesstatistiker berichten: »Sachsen war im zweiten Quartal 2015 mit inzwischen 46,7 % weiterhin Spitzenreiter bei der Väterbeteiligung, gefolgt von Bayern mit 43,4 % und Thüringen (42,7 %). Die geringsten Werte wiesen Bremen mit 27,3 % und das Saarland mit 24,5 % auf.« Mit Blick auf den durchschnittlichen Anteilswert könnte man darauf hinweisen, dass der bedeutet, dass weiterhin zwei von drei Vätern keine Elternzeit mit Elterngeldbezug in Anspruch nehmen.

Und man könnte natürlich relativierend einwenden, dass zwar der Anteil der Väter angestiegen ist, die Elterngeld in Anspruch nehmen, aber eben im Kontext der Anreize, die das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit setzt: Also vor allem um die zwei zusätzlichen Monate als Ergänzung zum mütterlichen Handeln herum. Bereits am 7. Dezember 2013 wurde dieser Blog-Beitrag veröffentlicht: Väter beziehen immer häufiger, aber auch immer kürzer Elterngeld. Die durchschnittliche Bezugsdauer der Väter im Elterngeldbezug lag im Jahr 2009 bei 3,5 Monaten. Und der entsprechende Wert ist weiter zurückgegangen: Die durchschnittliche Bezugsdauer des Elterngeldes für im Jahr 2014 geborene Kinder wird für Väter mit 3,1 Monaten ausgewiesen.
Wir sind weiterhin mit einer extremen Ungleichverteilung der Inanspruchnahme von Elterngeld zwischen den Geschlechtern konfrontiert: Die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten haben weiterhin fast ausschließ­lich die Väter gewählt: Nur 1 % der Mütter, aber 79 % der Väter nahmen das Elterngeld für zwei Monate in Anspruch. Hingegen bezogen 89 % der Mütter, aber nur 5 % der Väter das Elterngeld für 12 Monate oder länger, so das Statistische Bundesamt in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2016.

Mit den enormen regionalen Unterschieden bei der Inanspruchnahme des Elterngeldes hat sich auch Louisa Reichstetter in ihrem Artikel Mitspielen wollen alle beschäftigt. Sie illustriert das an der Gegenüberstellung von Jena und Gelsenkirchen:

»Ein Mittwochnachmittag im Paradies, dem Stadtpark in Jena: Hier sieht man sie, die jungen Väter. Sie schubsen beim Schaukeln an oder stützen kleine Popos, die das Piratenschiff hochklettern. Dass sich Väter um ihre Kinder kümmern, ist in der thüringischen Universitätsstadt nicht ungewöhnlich: Nirgends sonst in Deutschland beantragen so viele Männer Elterngeld und gehen in Elternzeit. 2016 waren es 60 Prozent der jungen Väter.

Ein Freitagnachmittag in Gelsenkirchen im Pott: Hier sucht man sie, die jungen Väter. Im Bahnhofsviertel tragen viele Frauen ein Kopftuch und schieben einen Kinderwagen durch die Fußgängerzone. Im Stadtgarten versinkt das hölzerne Kletterschiff im Sandmeer. Niemand spielt, niemand stützt. In Gelsenkirchen beantragen nur zwölf Prozent aller Väter Elterngeld, weniger als irgendwo sonst in Deutschland.«

Und sie legt bei ihrer Suche nach den Ursachen, von denen es bei solchen komplexen Angelegenheiten immer mehrere gibt, den Finger auf eine sozialpolitische Wunde: »Bei einkommensschwachen Familien oder Eltern, die den Berufseinstieg noch vor sich haben, wird das Elterngeld auf andere Sozialleistungen angerechnet. Vor allem deswegen sind die Zahlen in einer Stadt wie Gelsenkirchen so niedrig. Und nicht unbedingt, weil die Mentalität der Väter und Mütter sich im Pott langsamer verändert als in Thüringen.«

Auf den Aspekt der Anrechnung des Elterngelds auf andere Sozialleistungen wurde bereits ausführlich in diesem Beitrag vom 29. Dezember 2016 hingewiesen: Jenseits des „Wickelvolontariats“ für Väter? Zehn Jahre Elterngeld und ein notwendiger Blick auf die Vorgängerleistungen Erziehungsgeld und Mutterschaftsurlaubsgeld. Dort findet man den folgenden Hinweis: »In der alten Welt des Erziehungsgeldes gab es den Geldbetrag bis zu 24 Monate lang und auch für Mütter, die vor der Geburt nicht (mehr) erwerbstätig waren. Und das Erziehungsgeld wurde nicht angerechnet auf andere Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung beispielsweise von Alleinerziehenden in Anspruch genommen werden konnten. Mit dem Elterngeld war nicht nur eine Halbierung der möglichen Bezugsdauer verbunden, sondern zum 1. Januar 2011 wurde eine ganz massive Veränderung vorgenommen: Der Mindestbetrag von 300 Euro war auch nach der Ablösung des Erziehungs- durch das Elterngeld beim Bezug von Leistungen nach dem SGB II anrechnungsfrei. Das wurde 2011 abgeschafft und für eine Mutter im Hartz IV-Bezug wird seitdem der Betrag voll mit dem Hartz IV-Anspruch verrechnet, sprich: sie hat keinen Cent mehr in der Tasche. Im Zusammenspiel der beiden Komponenten Halbierung der Bezugsdauer und Anrechnung auf die Grundsicherungsleistungen hat sich die Position der davon Betroffenen deutlich verschlechtert.«

Es lohnt sich, an dieser Stelle einen grundsätzlichen Blick auf die Geldleistung Elterngeld zu werfen: Neben dem Mindestbetrag von 300 Euro kann die Höhe des Elterngeldes in Abhängigkeit vom vorher bezogenen Erwerbseinkommen auf bis zu 1.800 Euro im Monat ansteigen. Anders ausgedrückt und das war auch so gewollt: Das Kind eines Akademikers mit hohem Einkommen ist im Elterngeld „mehr wert“ als das einer Verkäuferin oder einer vor der Geburt nicht erwerbstätigen Mutter. Das liegt in der Natur der Ausgestaltung als Lohnersatzleistung. Und das hat Folgen.

Mit einer besonderen Dimension der (Nicht-)Inanspruchnahme des Elterngelds hat sich Matthias Kaufmann in seinem Artikel Mist, Papa verdient zu wenig beschäftigt: »Während Mütter aller Gehaltsklassen fürs Kind pausieren, ist Väterzeit ein Mittelschichtsphänomen. Angestellte, meist Büroarbeiter, machen Väterzeit … Drei Viertel der Männer in Väterzeit verdienen mindestens 1500 Euro netto, teilweise deutlich mehr. Da kommen viele Gebäudereiniger, Wachleute oder Kassierer nicht ran – und tauchen in der Elterngeldstatistik seltener auf.«

Natürlich kann man auch hier spekulieren, was denn dazu führt. Ein Aspekt, den Kaufmann in seinem Artikel zitiert: „Ungelernte Arbeitskräfte und alle anderen mit niedriger Qualifikation können sich das kaum leisten“, so Volker Baisch. Seit über zehn Jahren berät er mit seiner Väter GmbH Unternehmen zum Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Vätersicht. Das leuchtet ein: Wer so wenig verdient, dass er jeden Monat alles ausgibt, kann nicht einfach auf ein Drittel verzichten.

Was hier als Problem beschrieben wird, kann man aber auch gleichsam als Erfolg des real existierenden Elterngeldes bewerten.  Man muss daran erinnern, welche Motive hinter der Einführung dieser Leistung standen. Im damaligen Diskurs wurde die Aussage verbreitet, dass es insbesondere bei Akademiker/innen mit höheren Einkommen Kinderlosigkeit aufgrund der mit einer Familiengründung verbundenen Opportunitätskosten geben würde, anders gesagt: die finanziellen Einbußen mit dem (ersten) Kind und den damit verbundenen temporären Ausstieg aus der Erwerbsarbeit seien zu hoch und hätten eine abschreckende Wirkung. Durch die am vorherigen Erwerbseinkommen ansetzende Lohnersatzleistung wollte man es gerade für die höheren Einkommen attraktiver machen, aus dem Berufsleben für eine Zeit auszusteigen – die aber sollte gleichzeitig begrenzt bleiben, deshalb gab es ja parallel die Zielsetzung, die Kindertagesbetreuung für die unter dreijährigen Kinder vor allem in Westdeutschland massiv auszubauen und in der geplanten Endphase sogar einen individuellen Rechtsanspruch ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einzuführen, was ja seit dem 1. August 2013 auch der gesetzliche Fall ist. Nicht umsonst ist der Beginn des Rechtsanspruchs synchronisiert mit den 12 (+2)-Monate-Modelle des Elterngeldes. Und als wenn das nicht schon inhaltliche Zielerwartungen genug sind, hat man damals auch eine „gleichstellungspolitische“ Dimension in die Ausgestaltung der Elterngeld-Leistung eingebaut, also die beiden „Väter-Monate“. Offensichtlich haben genau die Gruppen das Angebot des derart dimensionierten Elterngeldes auch genutzt, die man adressieren wollte, also eher die Haushalte mit höheren Einkommen. Ob das nun dazu geführt hat, dass diese Gruppen wegen des Elterngeldes als Lohnersatzleistung tatsächlich mehr Kinder in die Welt gesetzt haben, kann man aufgrund der Komplexität der Entscheidungsprozesse, die zu einem Kind führen, mit Recht bezweifelt werden. Mindestens genau so plausibel, wenn nicht mehr, ist ein großer Anteil an Mitnahmeeffekten bei denjenigen, die es sich leisten können und die es auch so gemacht hätten, von der Väterbeteiligung vielleicht einmal abgesehen.

Könnte man etwas tun, um die angesprochenen Ungleichgewichte aufgrund der offensichtlichen sozialen Selektivität der Elterngeld-Inanspruchnahme zu reduzieren?

Die letzten Veränderungen beim Elterngeld muss man – wenn auch sicherlich gut gedacht und modern motiviert – leider abschreiben: »Seit Sommer 2015 können Väter und Mütter die Elternzeit auf bis zu 28 Monate verteilen und währenddessen arbeiten. Doch beim „Elterngeld Plus“ richtig zu rechnen, um zu profitieren, ist eine Kunst, die viele Eltern überfordert«, schreibt Louisa Reichstetter in ihrem Artikel Mitspielen wollen alle. Mit Blick auf das sicher gut gemeinte ElterngeldPlus sowie den Partnerschaftsbonus muss man tatsächlich zu dem Ergebnis kommen, das hier erneut ein – wenn überhaupt – Mittelschichtsansatz gewählt wurde. Die meisten Betroffenen werden abwinken, denn man muss erst einmal zwei unterschiedliche Arbeitgeber finden, die diese Klimmzüge gleichzeitig mitmachen. Das wird unsere Geringverdiener noch mehr überfordern müssen. Entsprechend kritisch auch das Fazit in meinem Beitrag vom 29. Dezember 2016: »Die sicher gut gemeinte Absicht des Gesetzgebers ist zu erkennen, das Instrument Elterngeld noch zielgenauer auszugestalten und bestimmte Lebensmodelle zu fördern. Aber das hat einen hohen Preis, den wir auch in vielen anderen sozialpolitischen Handlungsfeldern zahlen müssen: Die Regelungen werden immer komplizierter, weil man immer mehr Sachverhalte voneinander abgrenzen und definieren muss, die Anspruchsvoraussetzungen erschließen sich vielen Bürgern nicht mehr, sonder überfordern nicht wenige. Ob der Preis nicht zu hoch ist für eine oftmals überschaubare Verbesserung einzelner Teilgruppen mag jeder selbst entscheiden.«

Matthias Kaufmann weist in seinem Beitrag auf einen anderen Ansatz hin, der sozialpolitisch weitaus interessanter daherkommt: Notwendig wäre eine Erhöhung des Elterngeldes, insbesondere für Geringverdienende. »Wenn der Lohnersatz für niedrigere Einkommen stiege, könnte das gegen die soziale Schieflage helfen – Möglichkeiten gibt es viele. Etwa einen höheren Sockelbetrag oder eine weiter steigende Lohnersatzquote für niedrige Einkommen.« Warum also beispielsweise nicht 80 oder 90 Prozent des letzten Erwerbseinkommens, wenn der Partner aus unteren Einkommensgruppen stammt? Das wäre übrigens kein völlig neuer Ansatz, denn bereits heute ist im Elterngeldrecht die Regelung eingebaut, dass bei Einkommen, die den Betrag von 1.000 Euro unterschreitet, das Elterngeld in kleinen Schritten nach unten auf bis zu 100 Prozent des letzten Nettoentgelts steigen kann (vgl. hierzu § 2 Absatz 2 BEEG).

Davon, dass man diesen Weg auch bei Einkommen im Mindestlohnbereich und darüber gehen will, hat man aus Berlin allerdings noch von keiner relevanten Seite etwas gehört. Schade eigentlich.