Von „Irgendwohin-Integrationen egal wie lange“ zu einem differenzierteren Blick darauf, wie viele Arbeitslose wie lange in Beschäftigung integriert werden

Ursprünglich sollte es nach den Vorstellungen der viel gescholtenen „Hartz-Kommission“ nur noch eine Anlaufstelle für alle Arbeitslosen geben. Eine „one-stop-agency“-Lösung für alle erwerbsfähigen Menschen, wie es in dem vom Vorsitzenden Peter Hartz und seinen Getreuen beliebten Unternehmensberater-Deutsch hieß. Dieser Vorschlag der Kommission im Jahr 2002 muss auch vor dem Hintergrund der damaligen Kritik an der Zweiteilung der Zuständigkeit für erwerbslose Menschen in Arbeitsämter und Sozialämter gesehen und eingeordnet werden. Nun wird der eine oder andere kopfschüttelnd auf den heutigen Zustand schauen, der ziemlich weit weg ist von dem, was die Theoretiker sich überlegt hatten. Die Sozialämter gibt es heute auch noch, daneben die zu Agenturen für Arbeit semantisch aufgemotzten Arbeitsämter ebenfalls, allerdings mit einem reduzierten „Kundenkreis“ – denn hinzugekommen sind  nun nach einer längeren Wackel- und Übergangszeit die Jobcenter, die für die vielen Menschen im Grundsicherungssystem (SGB II) und damit nicht nur für Arbeitslose zuständig sind. Das hat mit Blick auf die Arbeitslosen zu einer mit vielen „Schnittstellenproblemen“ belasteten Zweiteilung geführt – die „Versicherungs-Arbeitslosen“ werden von den Arbeitsagenturen nach dem SGB III betreut und die „Fürsorge“-Arbeitslosen landen in den Jobcentern, die zudem auch noch mal zweigeteilt sind, in Jobcenter, die von der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam mit den Kommunen betrieben und in Jobcenter, die ausschließlich von der kommunalen Seite verantwortet werden. Deutschland ist ein Meister der Differenzierung.

Nun haben wir in den vergangenen Jahren seit 2011 eine von oben betrachtet wirklich gute Arbeitsmarktentwicklung gesehen, die mit dazu beigetragen hat, dass sich die Integrationschancen von Arbeitslosen deutlich verbessert haben. Auch diese Aussage ist einmal sehr allgemein gehalten und bedarf des genaueren Hinschauens.

Denn während sich die Chancen auf eine neue Beschäftigung für die von den Risiken her betrachtet „guten“ Arbeitslosen im Rechtskreis der Arbeitslosenversicherung (SGB III) deutlich verbessert haben (was auch dazu beigetragen hat, dass vielen Arbeitsagenturen pikanterweise die Arbeit auszugehen droht), werden aus dem „Hartz IV-System“ ganz andere Botschaften gesendet. Auch hier profitiert ein Teil der erwerbsfähigen und zugleich arbeitslos gemeldeten Leistungsbezieher von den veränderten und für sie verbesserten Aufnahmebedingungen auf den Arbeitsmärkten. Zugleich haben die Jobcenter und Arbeitsmarktforscher in den zurückliegenden Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass es bei einem Teil der Hartz IV-Arbeitslosen zur einer „Verfestigung“ und „Verhärtung“ der Langzeitarbeitslosigkeit gekommen sei und eine große Gruppe an ganz unterschiedlichen Menschen zunehmend auf Dauer im Bezug der Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II eingemauert bleibt.

Man kann das auch anhand von Zahlen illustrieren. So berichtete O-Ton Arbeitsmarkt am 3. Mai 2018 unter der Überschrift Integration in Arbeit: Schlechte Chancen für Hartz-IV-Empfänger: »Einem von 34 Arbeitslosen im Hartz-IV-System gelang die Aufnahme einer Beschäftigung. Die Abgangsrate in Beschäftigung für Arbeitslose Hartz-IV-Empfänger ist damit auf konstant niedrigem Niveau. Bessere Arbeitsmarktchancen hatten hingegen Arbeitslose im System der Arbeitslosenversicherung: Jedem Siebten gelang der Übertritt aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung.«

Dort hat man sich die Bewegungsdaten genauer angeschaut: 2017 gab es über 600.000 Abgänge aus Arbeitslosigkeit von Arbeitslosen im Hartz-IV-System (SGB II), die durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt verursacht wurden. Gegenüber dem Vorjahr gab es 13,5 Prozent weniger Abgänge in Beschäftigung. Arbeitslose im System der Arbeitslosenversicherung (SGB III) konnten dagegen häufiger ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer Beschäftigung beenden: Knapp 1,5 Millionen Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zählte die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Jahr 2017.

Nun könnte man vermuten, dass die 2017 gesunkene Zahl an Abgängen von Hartz IV-Arbeitslosen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung damit zu tun hat, dass bis 2017 auch im Grundsicherungssystem ein Abbau der Arbeitslosigkeit stattgefunden hat, so dass die von ihrer Vermittelbarkeit „besseren“ Arbeitslosen schon weg sind. Das spielt sicher eine Rolle, kann aber das Niveauproblem nicht ausreichend erklären. »Auch im Verhältnis zur Zahl der Arbeitslosen, also dem verfügbaren Arbeitskräftepotenzial, gab es weniger Übertritte in Beschäftigung. Setzt man die Abgänge in Beschäftigung in Beziehung zu den Arbeitslosen im Vormonat, ergibt sich für 2017 eine Abgangsrate von knapp drei Prozent im Hartz-IV-System. Trotz der überall hoch angepriesenen aktuellen Arbeitsmarktlage und immer noch über 1,7 Millionen Arbeitslosen im Hartz-IV-System gab es also wieder weniger Beschäftigungsaufnahmen«, so O-Ton Arbeitsmarkt.

Aber selbst wenn Arbeitslose die Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung beenden, sagt das noch nichts aus über die Qualität der Beschäftigung. So wird man beispielsweise immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass viele Arbeitslose aus dem Hartz IV-System in die Leiharbeit „integriert“ werden – und über die weiß man, dass viele Beschäftigungsverhältnisse dort weniger als drei Monate andauern. Mit Blick auf die Dauer der Beschäftigungen wird dann auch immer wieder von Drehtür-Effekten aus den Jobcentern berichtet und dass die Integrationen oft „nicht nachhaltig“ seien. Hinzu kommt als weiteres, hier aber nicht zu vertiefendes Problem, dass trotz Integration in Arbeit die Hilfebedürftigkeit im Sinne eines aufstockenden Leistungsanspruchs im SGB II aufgrund niedriger Löhne fortbesteht und eben nicht beendet werden kann.

Dass eine „Irgendwohin-Integration egal wie lange“ nicht wirklich ein überzeugender Maßstab sein kann und sollte, hat sich mittlerweile herumgesprochen und auch die Bundesagentur für Arbeit legt Wert auf die Feststellung, dass es ihr um möglichst „nachhaltige“ Integrationen geht. Nun hat die Statistik der BA interessantes neues Datenmaterial zur Verfügung gestellt, mit der man der Frage nach der Nachhaltigkeit zumindest für die Dauern der Beschäftigung etwas genauer anleuchten kann: Bundesagentur für Arbeit, Abgang und Verbleib von Arbeitslosen in Beschäftigung – Deutschland, Länder, Kreise, Regionaldirektionen und Agenturen (Monats-/ Jahreszahlen) – Juni 2018.

Und erneut hat O-Ton Arbeitsmarkt diese Datenquelle ausgewertet und einige interessant Ergebnisse in dem Beitrag Integration in Arbeit: Ein Viertel der Beschäftigungen endet im ersten halben Jahr veröffentlicht.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) gelang zwischen Juli 2016 und Juni 2017 über zwei Millionen Arbeitslosen die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit. Das ist eine durchaus beeindruckende Zahl und unabhängig von den weiteren Ausführungen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, wie umfangreich die Bewegungen am Arbeitsmarkt sind und dass man sich nicht auf Bestandszahlen, die immer einen Querschnitt abbilden und die zu dem Eindruck eines großen immobilen Blocks an betroffenen Menschen führen können, beschränken sollte.

Aber die Zahl der Integrationen ist das eine – das andere die Frage, wie lange denn die Integrierten in Beschäftigung bleiben. Und hier muss man offensichtlich Wasser in den Integrationswein gießen, erneut in unterschiedlicher Menge je nach Rechtskreis, in dem sich die Arbeitslosen befinden.

Zwischen Juli 2016 und Juni 2017 zählte die Bundesagentur für Arbeit (BA) knapp 2,1 Millionen Abgänge von Arbeitslosen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Doch nur 1,6 Millionen vormals Arbeitslose waren auch nach sechs Monaten noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Mindestens ein Viertel der Beschäftigungsverhältnisse endete also bereits innerhalb der ersten sechs Monate. Nach einem Jahr befanden sich schließlich noch 71 Prozent der vormals Arbeitslosen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Nun wird der eine oder andere sagen: 71 Prozent ist auch nicht schlecht, Schwund gibt es immer. Hier ist ein differenzierender Blick auf die Zahlen erforderlich. Dazu muss man eine methodisch bedingte Einschränkung des Zahlenmaterials zur Kenntnis nehmen:

➞  Die Zahlen stammen aus der Abgangsstatistik der BA. Diese misst an einem Stichtag – sechs beziehungsweise zwölf Monate nach Beschäftigungsaufnahme -, ob vormals Arbeitslose sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Allerdings wird bei dieser Messweise außer Acht gelassen, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt. Eine Person mit mehreren kurzen Arbeitsverhältnissen wird also statistisch genau so behandelt wie eine Person, die ein halbes oder ein ganzes Jahr lang durchgängig gearbeitet hat.

Aber seit September 2018 liefert die Arbeitsmarktstatistik der BA nun auch Daten zur durchgängigen Beschäftigung und damit zu einem wichtigen Qualitätsmerkmal der Arbeitsaufnahmen. Als durchgängige Beschäftigung werden nur die Fälle erfasst, bei denen vormals Arbeitslose während der gesamten sechs beziehungsweise zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Die Befunde der ersten Auswertung sind sehr aufschlussreich.

»Aus der BA-Statistik geht hervor, dass mit einem Anteil von 65,1 Prozent knapp zwei Drittel der Beschäftigungsaufnahmen zu einer mindestens sechsmonatigen Beschäftigung führten. Gerade einmal rund die Hälfte (51,6 Prozent) der Abgänge führte zu einer mindestens einjährigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.«

Und jetzt schlagen auch Niveau-Unterschiede zwischen den SGB III- und SGB II-Arbeitslosen durch. Dazu berichtet O-Ton Arbeitsmarkt:

➔ Gerade Hartz-IV-Empfängern (SGB II) fällt es schwer, sich langfristig am Arbeitsmarkt zu etablieren. Von rund 636.000 Arbeitslosen, die zwischen Juli 2016 und Juni 2017 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben, waren knapp 361.000 (56,7 Prozent) sechs Monate lang durchgängig beschäftigt. Rund 290.000 – nicht einmal jeder Zweite (45,6 Prozent) – war ein Jahr lang durchgängig beschäftigt.

➔ Arbeitsaufnahmen von Arbeitslosen, die im System der Arbeitslosenversicherung (SGB III) betreut werden, sind hingegen öfter langfristig erfolgreich. Von rund 1,4 Millionen Abgängen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung führten 68,8 Prozent zu einer durchgängigen Beschäftigung von mindestens sechs Monaten. Nach einem Jahr waren mit einem Anteil von 54,2 Prozent immerhin noch deutlich mehr als die Hälfte dieser vormals Arbeitslosen durchgängig beschäftigt.«

Fazit: Die neuen Daten sind eine wichtige Erweiterung der Perspektive auf Arbeitsmarktintegrationen von ehemals Arbeitslosen, die ein differenzierteres Bild auf die Nachhaltigkeit der Einmündung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermöglichen. Dabei ist die Dauer der Beschäftigung ein wichtiger Aspekt, weitere Dimensionen wie die Vergütung im neuen Job oder die qualifikatorische Äquivalenz zwischen den Integrierten und den von ihnen ausgeübten Jobs müssten in Rechnung gestellt werden, wenn es nicht nur um eine oberflächliche Abbildung von Quantitäten geht, sondern auch die Qualität der Integrationen in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen soll.