Ein Elterngeld für die Kindererziehung, dann auch ein Pflegegeld für pflegende Angehörige als Lohnersatzleistung? Der Sozialverband VdK fordert das neben anderen Maßnahmen

Mehr Stellen und bessere Arbeitsbedingungen in der professionellen Pflege, aber auch mehr Anerkennung und Unterstützung für pflegende Angehörige: Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, drängt auf schnelle Verbesserungen. „Jeder Tag zählt“. Dazu macht sie bzw. der Sozialverband VdK eine ganze Reihe an kritischen Anmerkungen und konkreten Vorschlägen, beispielsweise in diesem Interview: VdK verlangt Pflegegeld ähnlich wie Elterngeld. Darin findet man diesen Vorschlag:

»Eine ganz wichtige Gruppe sind die pflegenden Angehörigen. Ohne ihren Einsatz würde die Pflege in Deutschland zusammenbrechen. Die Angehörigenpflege ist zwar für den Steuer- und Beitragszahler kostengünstig. Den Preis dafür zahlen oft die pflegenden Angehörigen, sie sind hoch belastet, geben ihren Beruf auf, verzichten auf Einkommen und müssen mit niedrigen Renten auskommen. Deshalb brauchen wir dringend mehr Unterstützung und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. Außerdem muss Pflege endlich denselben Stellenwert bekommen wie Kindererziehung. Eine Lohnersatzleistung wie das Elterngeld brauchen wir auch in der Pflege.«

Das hört sich vernünftig an. Wir kann man diese Forderung einordnen?

Während viele Senioren einen relativ unbeschwerten Ruhestand verbringen können, habe andere mit erheblichen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen. Die offizielle Statistik zählt derzeit beispielsweise mehr als 2,9 Millionen Pflegebedürftige. Und die Pflege unserer alten Menschen wurde gerade in den vergangenen Monaten immer wieder in Politik und Medien diskutiert. Pflegenotstand, Pflegemissstände – die Begriffe klingen nicht nur erschreckend, die Realitäten dahinter sind es oft auch. Dabei fällt auf: Ganz überwiegend handeln die Katstrophenberichte von den Zuständen in vielen Pflegeheimen.

Dabei lebt nur eine Minderheit der Pflegebedürftigen in einem der mehr als 13.000 Heime. Über 70 Prozent der Pflegebedürftigen – weit mehr als zwei Millionen Menschen – werden zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Das ist die Pflege-Normalität in unserem Land.

Wenn nur ein Teil dieser Pflegehelden des Alltags kapitulieren und die Versorgung an professionelle Pflegekräfte abgeben würde – das System in Deutschland würde innerhalb von wenigen Stunden kollabieren, allein schon aufgrund der Tatsache, dass es gar nicht so viele Pflegeheimplätze, geschweige denn das Personal dafür gibt.

Und man kennt das aus vielen anderen Bereichen – das Problem des Lebens von der Substanz, dass man also vorhandene Ressourcen vernutzt, ohne diese zu erhalten bzw. ausreichend zu ersetzen. Und im Bereich der Pflege setzt man auf die nicht selten Selbst-Ausbeutung der pflegenden Angehörigen.
Was das für die bedeutet? Für viele – überwiegend sind es immer noch Frauen – ist die Pflege die Eintrittskarte in die Altersarmut, denn sie können keiner Erwerbsarbeit mehr nachgehen. Noch zynischer: Wir wissen, dass das Risiko, nach Jahren der Pflege selbst pflegebedürftig zu werden, um ein Mehrfaches größer ist als bei denen, die das nicht tun.

Und nun werden immer mehr Baby-Boomer, die zugleich die Mehrheit der Beschäftigten in den Unternehmen stellen und die immer länger bis zur Rente arbeiten müssen, in ihren Familien mit der Pflegebedürftigkeit von Angehörigen konfrontiert. Auf genau diese große Gruppe zielt ein Vorschlag, der auch von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) vorgetragen wurde (vgl. dazu Zum Tag der älteren Generation: BAGSO fordert Pflegezeit nach dem Modell der Elternzeit vom 3. April 2018): Die fordern eine Pflegezeit nach dem Modell der Elternzeit. Mehrmonatige berufliche Freistellungen sollten – wie beim Elterngeld – aus Steuergeldern finanziert werden. Vor allem aber brauchen die Pflegenden eine Rückkehrgarantie in ihren Betrieb. Das wird sicher helfen können bei denen, die es sich leisten können – wie beim Elterngeld, denn auch dort ist die Inanspruchnahme bei höheren Einkommen deutlich größer.

Aber das kann nur ein Teil-Schritt unter vielen weiteren notwendigen Maßnahmen sein. Wenn das System der Altenpflege nicht kollabieren soll – und das droht uns derzeit unterm Hintern wegzubrechen -, dann muss die Verantwortung für die Sorge um die alten Menschen vor Ort gebündelt werden und endlich eine die Pflegenden unterstützenden Infrastruktur verbindlich ausgebaut werden – mit Tageseinrichtungen für Ältere, Kurz- und Nachtpflegeplätzen, mit kommunalen Helfern, die unterstützend eingreifen können. So, wie das in Skandinavien erfolgreich funktioniert. Die geben allerdings auch bis zu drei Mal so viel Geld für Altenpflege aus wie wir. Das sollte unsere Zielgröße sein – und da hätte eine ordentlich ausgestaltete Pflegezeit ihren Platz neben anderen Bausteine für eine humane Altenpflege. Eine wahrhaft herkulische Aufgabe.