Die Geschlechter und ihre Löhne. Einige Gedanken und kritische Anmerkungen zum „Equal Pay Day“ im April 2015

Wieso denn „Equal Pay Day“ im April 2015, wird die eine oder der andere jetzt erstaunt fragen? Der war doch schon am 20. März, überall gab es an diesem Tag Aktionen und selbst die Gesetzgebungsmaschinerie soll angeworfen werden, nach der Frauenquote (für Aufsichtsräte von einigen wenigen börsennotierten Konzernen) will die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) noch in diesem Jahr die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern in einem „Entgeltgleichheitsgesetz“ festschreiben. »Die Politik habe zu lange zugeschaut, jetzt müsse gehandelt werden«, so wird die Ministerin zitiert. Um die Gehaltsunterschiede offenzulegen, wolle sie ein Auskunftsrecht gesetzlich verankern und Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern verpflichten, gerechtere innerbetriebliche Strukturen zu schaffen. Und das Thema scheint wirklich auch im medialen Mainstream angekommen zu sein – wenn man das daran messen möchte, dass selbst Günther Jauch seine Talksendung am 22.03.2015 unter den Titel Der ungerechte Lohn – warum verdienen Frauen weniger? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Von wegen! gestellt hat.

In vielen anderen Medien wurde über die Geschlechter und ihre Löhne berichtet – beispielsweise im Radio: Lohntransparenz – Hat der Wert der Arbeit ein Geschlecht?, fragt etwa der Deutschlandfunk in einer Hintergrundsendung. Auch der Hessische Rundfunk hat sich auf die Suche gemacht: Zahlemann und Töchter – Warum Frauen weniger verdienen, so der Titel einer Sendung zum Thema. Aber sortieren wir in einem ersten Schritt einmal die Fakten – und korrigieren dann auch noch das „wahre“ Datum des „Equal Pay Day“ – der eigentlich erst auf den 11. April dieses Jahres zu terminieren wäre.  Um die ganze Sache dann noch so richtig zu verkomplizieren, könnte man darauf hinweisen, dass zum einen (ausgehend von 7 statt 22 Prozent Lohnlücke) der Equal Pay Day viel früher im Jahr hätte angesetzt werden müssen – oder aber man hätte das Datum deutlich nach hinten verlängert müssen, wenn man ihn von einem „Gender Pay Gap Day“ zu einem „Gender Income Gap Day“ erweitern würde, was auch schon vorgeschlagen wurde. Alles klar? Ein offensichtlich echtes Durcheinander, dass einer Aufdröselung zugeführt werden muss. 

Ausgangspunkt des offiziellen „Equal Pay Day“ sind Daten des Statistischen Bundesamtes, das am 16.03.2015 eine Pressemitteilung veröffentlicht hat unter der klar daherkommenden Ansage: Verdienst­unter­schied zwischen Frauen und Männern in Deutsch­land weiter­hin bei 22 %. Nach den Erkenntnissen der Bundesstatistiker »verdienten Frauen mit einem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 15,83 Euro weiterhin 22 % weniger als Männer (20,20 Euro).« Außerdem bekommen wir noch einen interessanten Hinweis: »So betrug 2014 der unbereinigte Gender Pay Gap in den neuen Ländern 9 %, während er im früheren Bundesgebiet bei 23 % lag. In den letzten fünf Jahren sind die Verdienstunterschiede in Ostdeutschland damit um 3 Prozentpunkte gestiegen. Im früheren Bundesgebiet ist der geschlechterspezifische Verdienstunterschied dagegen seit 2009 um 1 Prozentpunkt gesunken.«

Bevor wir uns jetzt auf den eigentlich wichtigen Hinweis, nämlich das Wörtchen „unbereinigt“, sowie auf den Subtext der Botschaft „Verdienstunterschied“ stürzen, soll an dieser Stelle aufgeklärt werden, warum der offizielle Equal Pay Day statt am 20.03 eigentlich erst am 11. April 2015 zu begehen wäre. Das nun hat was mit Prozentrechnen zu tun, eine Kunst, die ähnlich wie das Komma in der deutschen Schriftsprache vom Aussterben bedroht zu sein scheint. Marlene Weiß hat das in ihrem Artikel Knapp daneben ist auch unfair entfaltet. Sie beginnt mit einem einfachen Beispiel: »Wenn Frau Müller halb so viel verdient wie Herr Meier, also 50 Prozent weniger, was verdient dann Herr Meier? Nicht etwa 50 Prozent mehr als seine Kollegin, nein, doppelt so viel wie sie, satte 100 Prozent mehr.« Wie so oft im Leben geht es auch in der Statistik um die Frage der Perspektive.

Aber was hat das mit dem Termin zu tun? Dazu muss man wissen, dass »der Equal Pay Day der Tag (ist), bis zu dem Frauen im Schnitt über Silvester hinaus schuften müssten, um auf das Jahresgehalt des durchschnittlichen Mannes zu kommen. So jedenfalls wurde es lange dargestellt, auch von den Organisatoren des Tages, dem Netzwerk „Business and Professional Women“ (BPW)

Und dann illustriert Marlene Weiß den falschen und den eigentlich richtigen Rechenweg:

»Herr Meier verdient stolze 100 000 Euro im Jahr, während seine Kollegin mit 22 Prozent weniger nach Hause geht, also 78 000 Euro. Schlägt sie nun 22 Prozent Arbeitszeit drauf und arbeitet bis zum 20. März weiter, während Meier golfen geht, hat sie den Abstand längst nicht aufgeholt: Sie kommt nur auf 95 160 Euro, denn 22 Prozent vom kleineren Gehalt sind ja weniger als 22 Prozent vom größeren. Tatsächlich müsste die Durchschnittsfrau, die pro Stunde in Deutschland 21,6 Prozent weniger verdient als der Durchschnittsmann, 27,6 Prozent mehr arbeiten, um auf das Gehalt des Kollegen zu kommen. Macht aufs Jahr etwa 101 von 365 Tagen und einen Equal Pay Day am 11. April.«

Die Autorin weist auch darauf hin, dass das Netzwerk der Organisatoren des Equal Pay Day reagiert habe, denn das »verkauft den 20. März jetzt als den Tag, bis zu dem Frauen gar nicht bezahlt würden – wenn sie während des restlichen Jahres den gleichen Stundenlohn erhielten wie Männer. Etwas unhandlich, dafür korrekt.« So viel zur Datumsfrage, jetzt aber zu den wirklich wichtigen inhaltlichen Anfragen.

In der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes taucht der Begriff „unbereinigt“ auf. Und der ist von zentraler Bedeutung. Dazu die Statistiker, die auf Untersuchungen der ursächlichen Faktoren des Gender Pay Gap verweisen:

»Demnach sind die wichtigsten messbaren Gründe für den unbereinigten Gender Pay Gap unterschiedliche Branchen und Berufe, in denen Frauen und Männer tätig sind, sowie ungleich verteilte Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation. Hinzu kommen weitere Faktoren wie zum Beispiel ein niedrigeres Dienstalter und ein geringerer Beschäftigungsumfang bei Frauen.«

Anders gesagt: Da viele Frauen in anderen Berufen, bestimmten Branchen und oftmals in Teilzeit statt Vollzeit arbeiten als Männer, würde man gewissermaßen Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn man das nicht berücksichtigt, was aber erst einmal bei der „unbereinigten“ Lohnlücke der Fall ist. Und wenn die Überschrift der Pressemitteilung lautet: Verdienst­unter­schied zwischen Frauen und Männern in Deutsch­land weiter­hin bei 22 %, dann werden in der Wirkung viele – oftmals unbewusst – das so lesen, dass Frauen 22 % weniger Geld für die gleiche Arbeit bekommen als Männer. Was nun so nicht der Fall ist, worauf natürlich auch die sehr sorgfältig arbeitenden Bundesstatistiker hinweisen. Denn wo es eine „unbereinigte“ Lohnlücke gibt, da muss es auch eine „bereinigte“ geben können. Und so ist es dann auch:

»Durch die genannten Ursachen können rund zwei Drittel des Unterschieds in den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten erklärt werden. Das verbleibende Drittel des Verdienstunterschieds entspricht dem bereinigten Gender Pay Gap. Demnach verdienten Arbeitnehmerinnen im Durchschnitt auch unter der Voraussetzung vergleichbarer Tätigkeit und äquivalenter Qualifikation im Jahr 2010 pro Stunde 7 % weniger als Männer.«

Also man muss – wie immer in der Statistik – höllisch aufpassen. Denn 7 Prozent sind nun mal was anderes als 22 Prozent.

Ein kritischer Blick auf die Statistik hilft einem dann auch zu erkennen, wenn interessierte Kreise versuchen wollen, die immerhin noch verbleibende Lohnlücke von 7 Prozent zwischen Männern und Frauen, die eben nicht auf die genannten Unterschiede zurückgeführt werden können, weiter kleinzurechnen, um am Ende behaupten zu können, es gibt gar keine Lohnlücke zwischen den Geschlechtern. Wenn …, ja wenn.

Ich habe das schon im März des Jahres 2013 wurde auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ am Beispiel des damals vom arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) vorgestellten Rechenwegs „22% => 7% => 2%“ kritisch unter die Lupe genommen. Wie haben die es geschafft, die angebliche Lohnlücke zwischen den Geschlechtern in die Bedeutungslosigkeit zu atomisieren? Dazu aus meinem damaligen Blog-Beitrag: »Lesen wir einmal genauer, was die gemacht haben: „Dabei stellten die IW-Wissenschaftler fest, dass die Lohnlücke weiter schrumpft, wenn die Frauen nur kurze Zeit zu Hause bleiben: Dauerte die Job-Pause maximal 18 Monate, reduzierte sich der Gehaltsunterschied zu den Männern von 11 auf weniger als 2 Prozent.“ Alles klar? Das geübte Zahlenauge entdeckt natürlich sofort den entscheidenden Punkt, der sich hinter dem kleinen Wörtchen „wenn“ verbirgt: Wenn die Frauen nur kurze Zeit ihre Erwerbsarbeit unterbrechen.« Die Frauen verdienen im Schnitt 2% weniger als Männer – wenn sie den gleichen Karriereverlauf haben. Haben die meisten aber aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht. Aber viele Medien haben das damals so abgeschrieben, weil das ja von Wissenschaftlern berechnet worden ist.

Aber springen wir wieder zurück in die Gegenwart und den Equal Pay Day des Jahres 2015. Wobei ich hier auf Blog-Beiträge auf dieser Seite verweisen könnte, in denen das Thema bereits in der Vergangenheit – und ohne wesentliche Änderungen auch heute erneut zitierbar – bearbeitet worden ist: Wieder einmal gut gemeint, aber nur gehopst statt gesprungen? Der nette Versuch, Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern auf dem Berichtsweg herzustellen vom 12.11.2013 oder auch Die Frauen, die Lohnlücke zu den Männern und – ach, die Statistik vom 09.12.2013. In diesen Beiträgen findet man nicht nur Hinweise auf die grundlegenden, also strukturellen Probleme, die zu der Lohnlücke führen, sondern auch bereits kritische Anmerkungen zu dem, was jetzt von Teilen der Politik gesetzgeberisch geplant bzw. angekündigt wird. Kritisch wohlgemerkt aus einer Perspektive, die von einer strukturell bedingten Lohnungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ausgeht und diese nicht abstreitet.

Zuerst zur strukturellen Dimension und hier Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) folgend, die bereits am 01.02.2013 in ihrem Beitrag Rheinische Zahlenspiele in der taz ausgeführt hat:

»Frauen sind zwar viel häufiger erwerbstätig als früher, aber die Quote der in Vollzeit berufstätigen Frauen ist von 1985 bis 2011 zurückgegangen – von 68 auf 54 Prozent aller erwerbstätigen Frauen. Frauen arbeiten mehr als dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer. Und das häufig auch noch in Kleinst-Teilzeit. Diese bringt kaum Geld, verhindert jeden beruflichen Aufstieg und führt selten zurück zu 80 Prozent oder zur Vollzeitarbeit … Frauen arbeiten eher in Berufen, die als Frauenberufe gelten und daher schlechter entlohnt werden: in der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Pflege, im Service. Frauen machen real viel längere Pausen als die Männer …«. Und ihre Fazit: »Kleine Teilzeit, geringer entlohnte Berufe, strukturell erzwungene Pausen – all das heißt: weniger Aufstiegschancen, geringere Erwerbszeiten, weniger Lohn im Laufe der Jahrzehnte. Das ist die Welt der realen Frauen.«

Und sie hat damals einen auf den ersten Blick irritierenden Gedanken in die Debatte geworfen: »Auch alle, die sich für eine geschlechtergerechte Entlohnung einsetzen, sollten mal aus dem Trott geraten. Der Gender Pay Gap Day gehört abgeschafft – und neu eingeführt, und zwar als Gender Income Gap Day. Denn die entscheidende Größe ist das Erwerbseinkommen am Ende jeden Monats und im gesamten Lebensverlauf. Wenn man das für die beiden Geschlechter berechnet, liegt das monatliche Einkommen von Frauen im Schnitt weit unter der Hälfte dessen, was Männer im Monat verdienen. Die Differenz ist nicht kleiner, sondern in Wirklichkeit doppelt so hoch wie die oft zitierten 23 Prozent.« Das mag richtig sein, verweist natürlich aber noch mehr auf die strukturellen Einflussfaktoren, die auch einen Großteil der 22 Prozent „unbereinigte“ Lohnlücke zu erklären vermag.

Wenn man das ändern will, dann müsste man natürlich auch an diesen Stellschrauben herumfummeln. Dazu gehört eine Diskussion der unterschiedlichen Vergütungsniveaus für eher frauen- und eher männertypische Berufe. Wobei man es sich sicher nicht so einfach machen kann wie Sven Astheimer, der diesen strukturellen Punkt zwar sieht, aber in seinem Artikel Der kleine Unterschied dann wieder kleinschreddert und den Ball ins Feld der Frauen zurückspielt: »Dabei haben es Frauen selbst in der Hand, die Verdienstlücke zu schließen – schließlich haben sie es auch größtenteils selbst verschuldet.« Seine Empfehlung: »Wenn Frauen besser bezahlt werden wollen, müssen sie häufiger dort arbeiten, wo Männer es schon tun.« Hier gibt es wie in jedem polemischen Ansatz einen wahren Kern, aber es bleibt unterkomplex: Man kann und muss schon fragen, ob man diese – oftmals nur historisch zu verstehende – Lohnniveauunterschiede einfach perpetuiert oder aber einer neuen Bewertung zuführt. Und völlig vergessen wird von ihm, dass es sehr wohl auch den Prozess geben kann, dass die „Männerlöhne“ bei steigendem Frauenanteil zu sinken beginnen. Es ist nicht einfach auf den Arbeitsmärkten.

Aus einer strukturellen Perspektive von großer Bedeutung wäre ein weiterer Punkt: Es müsste nach allem, was wir mittlerweile an Forschungsevidenz über die arbeitsmarktlich und – hier vor allem relevant – erwerbsbiografisch verheerenden Auswirkungen der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse („Mini-Jobs“) haben, um eine Infragestellung und Beseitigung dieser Beschäftigungsarrangements gehen. Da will man aber nicht ran.

Also landet man wieder bei gesetzgeberischen Aktivitäten, die sich möglicherweise als ein weiteres Fallbeispiel von „Problemlösungsversprechen-durch-Gesetzgebungsaktivitäten-Simulation“ erweisen wird, einem Grundübel seit vielen Jahren. Im schlimmsten Fall – der Teufel steckt wie immer im Detail – wird ein Gesetz herauskommen, das bei wenig bis gar nicht vorhandener realer Verbesserung aber eine Menge an Konflikten mit den Unternehmen produziert.

Man kann und muss es zuspitzen: Glaubt man denn ernsthaft, dass die immer noch eklatanten Verdienstunterschiede zwischen den Geschlechtern vor dem Hintergrund der genannten strukturellen Faktoren auf dem Arbeitsmarkt damit auch nur angepickst werden können, in dem man Unternehmen ab 500 Beschäftigte verpflichtet, irgendwelche Entgeltgleichheitsberichte zu veröffentlichen? Ist man sich bewusst, was das bedeutet: Arbeitnehmer/innen sollen einen „individuellen Auskunftsanspruch“ bekommen, warum sie wie viel verdienen im Betrieb. So sollen Unternehmen eine transparentere Bezahlkultur entwickeln, aber auch nachvollziehbare Kriterien, wie eine Tätigkeit gerecht zu bewerten ist. An dieser Stelle eröffnen sich zahlreiche offene Fragen, die es noch zu diskutieren gilt.

Aber vielleicht werden wir mit einem anderen Aspekt konfrontiert – durchaus vergleichbar mit dem, was wir im Kontext der „Frauenquote“ gesehen haben, die ja keine „richtige“ Quote ist, sondern ein Quötchen für eine ganz kleine Gruppe von Frauen, die in Zukunft ein paar Stühle in Aufsichtsräten von großen Konzernen bevölkern sollen. Das kostet alles viel Kraft, zähneknirschend knickt die andere Seite ein und man bekommt seine Quote oder dann ein natürlich bearbeitetes „Entgeltgleichheitsgesetz“ – aber viele Frauen der realen Welt werden davon gar nichts zu spüren bekommen, sondern weiter gefangen bleiben in einer Geringfügigkeitsfalle, einer Rentenfalle usw. Und noch schwieriger wird es, das gehört auch zur Wahrheit, wenn ein Teil der Betroffenen partout nichts ändern will/möchte an der Ausrichtung auf Ausbildung und damit Berufe oder Beschäftigungsverhältnisse, mit denen sie sich von oben betrachtet objektiv ins eigene Knie schießen. Das soll es auch geben. Ein schwieriges Thema.