Droht ein sozialer „Wohn-Abstieg“ für viele Rentner?

(Zunehmende) Altersarmut ist ein großes Thema – die einen spielen das heute schon vorhandene Ausmaß an Altersarmut herunter und argumentieren, noch nie sei es einer Rentnergeneration so gut gegangen wie der von heute, was im Durchschnitt auch stimmt. Aber es gibt eben auch gegenwärtig schon viele, die unter dem Durchschnitt leben (müssen). Und alle seriösen Prognosen zeigen, dass es angesichts der erheblichen Eingriffe des Gesetzgebers in die Mechanik der Rentenformel zu einem erheblichen Anstieg der Altersarmut unter einem Teil der älteren Menschen in den vor uns liegenden Jahren kommen muss, wenn man nicht fundamentale Veränderungen im Rentensystem vornimmt.
Vor diesem Hintergrund sind die alarmierenden Meldungen über einen drohenden sozialen „Wohn-Abstieg“ für viele Rentner zu lesen, denn der »Wohnungsmarkt ist auf die steigende Zahl älterer Menschen nicht vorbereitet. Es fehlt an barrierearmen Wohnungen. Ebenso an kleinen Wohnflächen«, so der Deutsche Mieterbund in der Pressemitteilung „2,5 Mio. Senioren-Wohnungen fehlen – Pflegekosten-Explosion droht„. Ausgelöst wurde die Berichterstattung über dieses Thema – das es  sogar auf die Titelseite der BILD-Zeitung geschafft hat, die in der ihr eigenen Art ihre Leser mit der Ansage konfrontiert: „So rutschen Rentner in die Wohnungsarmut. Jeder Vierte ist 2035 auf Grundsicherung angewiesen“ – durch die Veröffentlichung einer Studie des Pestel-Instituts in Hannover.

Die Studie, das muss man wissen, wurde in Auftrag gegeben vom Bündnis „Wohnen65plus“, einem Zusammenschluss unterschiedlicher Verbände. Dazu gehören: der Deutsche Mieterbund (DMB), der Sozialverband VdK Deutschland, der Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB), die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) und der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB). Es handelt sich hierbei also um Verbände, die alle aus ihrer jeweiligen Perspektive ein Interesse haben, dass mehr Wohnungen gebaut oder umgebaut werden.

Jonas Rest berichtet in seinem Artikel „Die graue Wohnungsnot“ über die wichtigsten Erkenntnisse, die man aus der Studie ziehen kann: »Es fehle massenhaft an altersgerechten Wohnungen und kleinen Wohnflächen, die sich auch noch Menschen in Altersarmut leisten können, heißt es in der Untersuchung.« Pestel-Studienleiter Matthias Günther wird mit den Worten zitiert: „Es gibt eine graue Wohnungsnot“. Die Zahl der Rentner werde »bis zum Jahr 2035 um 40 Prozent gegenüber heute zunehmen. Es ist die Babyboomer-Generation, die dann in Rente geht – und viele von ihr werden auf den Staat angewiesen sein, um zu überleben. Niedriglöhne, prekäre Selbstständigkeit und Arbeitslosigkeit führen dem Institut zufolge dazu, dass in den kommenden zwanzig Jahren mehr als jeder vierte Rentner von Altersarmut betroffen sein wird. Gegenwärtig sind es rund drei Prozent.«
In der bisherigen Wohnung zu bleiben wird für viele Rentner zum Luxus werden, den sich immer weniger leisten werden können. Aber wenn sie dann umziehen müssen, werden sie erhebliche Schwierigkeiten bekommen, eine altersgerechte Wohnung zu finden.

Das Pestel-Institut hat in seiner Studie berechnet, »dass in Deutschland in den nächsten acht Jahren 2,5 Millionen zusätzliche barrierefreien Wohnungen eingerichtet werden müssten – allein in Berlin fehlen 100.000 solcher altersgerechter Wohnungen. Kritisch ist oft der Zugang zur Wohnung oder das Bad, in dem die Badewanne durch eine bodengleiche Dusche ersetzt werden müsste.«
Der Umbau zu einer barrierearmen Wohnung kostet durchschnittlich 15.600 Euro – eine Investition, die sich bereits nach zwei Jahren auszahlen würde. Nach zwei Jahren, wenn man berücksichtigt, dass ansonsten höhere Pflegekosten durch die oftmals notwendig werdende stationärer Betreuung und Pflege anfallen würden.

Um den erforderlichen altersgerechten Wohnraum verfügbar zu machen, sind natürlich erhebliche Investitionen erforderlich. Für die fehlenden 2,5 Millionen Wohnungen, eine Größenordnung übrigens, die auch vom Bundesbauministerium in einer anderen Studie bestätigt wird, müssten Gesamtinvestitionen in Höhe von 39 Milliarden Euro getätigt werden. Der Deutsche Mieterbund weist in seiner Pressemitteilung darauf hin, dass das Pestel-Institut auch das Fördervolumen beziffert hat, um diese Gesamtinvestitionen realisieren zu können:

»540 Millionen Euro jährlich in den kommenden acht Jahren. Studienleiter Matthias Günther erläutert: „Ein Förder-Euro zieht etwa acht Euro an privaten Investitionsmitteln nach sich. Für eine 39-Milliarden-Euro-Investition muss der Staat also eine 4,33-Milliarden-Euro-Förderung schaffen – in diesem Fall verteilt auf acht Jahre.“«

Die bisherige Bundesregierung hat in den vergangenen vier Jahren zwar semantisch dem Bedarf an altersgerechten Wohnraum zugestimmt, sich aber faktisch anders verhalten, zumindest, wenn es um das liebe Geld geht: Die jetzige Bundesregierung hat sich gewissermaßen vom altersgerechten Bauen und Sanieren verabschiedet und den KfW-Fördertopf für das Programm „Altersgerecht umbauen“ von ursprünglich 100 Millionen Euro jährlich auf Null gesetzt.

Wenn man die eigentlich notwendigen Investitionen in den altersgerechten Umbau von Wohnungen verbindet mit dem Eindampfen des sozialen Wohnungsbaus – dann wird immer deutlicher erkennbar, dass wir eine gewaltige „Wohnungsfrage“ bekommen werden.

Da kann man schon durcheinander kommen: In Deutschland fehlen eine Million Wohnungen, gleichzeitig finden die Statistiker 500.000 Wohnungen mehr als angenommen. Auf alle Fälle gilt: Die Wohnungsfrage ist/wird ein großes Thema

Diese Tage durfte die Öffentlichkeit endlich die ersten Ergebnisse der „kleinen“ Volkszählung erfahren, die im Jahr 2011 durchgeführt worden ist. Dabei musste man nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland immerhin 1,5 Millionen Menschen weniger hat, sondern auch, dass es angeblich 500.000 Wohnungen mehr gibt als man bislang angenommen hat.
So teilt uns das Statistische Bundesamt hierzu in einer Pressemitteilung mit: »In Gebäuden mit Wohnraum … gab es 40,8 Millionen Wohnungen – das waren 500.000 mehr als in der bislang gültigen Fortschreibung des Wohnungsbestandes. Deutschland zeichnet sich im internationalen Vergleich traditionell durch eine niedrige Eigentümerquote aus, also den Anteil der bewohnten Wohnungen, die von den Eigentümern selbst bewohnt werden. Zwar ist die Eigentümerquote in den letzten Jahren langsam aber kontinuierlich gestiegen – am Zensusstichtag betrug sie 45,8 %. Damit wohnte aber immer noch die Mehrheit der Haushalte zur Miete. In Wohngebäuden liegt die Leerstandsquote in Deutschland insgesamt bei 4,4 % …, im Osten ist sie allerdings höher als im Westen.«

Diese Meldung ist besonders relevant vor dem Hintergrund einer anschwellenden Diskussion über die Wohnungsfrage als neue soziale Frage, vor allem in den (groß)städtischen Räumen: »Ob in Berlin, Hamburg oder München: Laut Mieterbund und Studentenwerk wird das Wohnen in den größten Städten für viele unbezahlbar. Wenn nicht schnell zahlreiche Neubauten entstehen, müssen etliche Menschen wegziehen«, können wir in dem Artikel „Deutschlandweit fehlen eine Million Wohnungen“ von Maris Hubschmid lesen. Bereits zu Beginn verdeutlicht der Beitrag das Problem, dass man eben nicht von „der“ Wohnungsnot reden könne, denn der Befund ist eine zunehmend polarisierte Entwicklung: »In Brandenburg stehen immer mehr Häuser leer – und in Berlin herrscht Wohnungsnot.« Allein in den Ballungsräumen fehlen heute schon 250.000 Wohnungen, behauptet der Deutsche Mieterbund (DMB) auf seiner Jahrestagung, die dieses Jahr in München stattgefunden hat (vgl. hierzu: Bezahlbare Wohnungen fehlen – Wohnkosten und Mieten steigen. Bundesbürger fordern aktive Wohnungs- und Mietenpolitik ein). »Leerstandsquoten von unter 1 Prozent in Großstädten (München 0,6 %, Hamburg 0,7 %) – Wohnungsfachleute sehen eine Leerstandsquote von 3 Prozent als Fluktuationsreserve für notwendig an – und drastisch steigende Wiedervermietungsmieten sind Zeichen der aktuellen Wohnungsnot«, so der Mieterbund. Bei Neuvermietungen, das zeigen aktuelle Umfragen, liegt der Quadratmeterpreis inzwischen bis zu 40 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete, so Hubschmid in ihrem Beitrag.

In keiner deutschen Stadt steigen die Mieten für frei verfügbare Wohnungen schneller als in Berlin. Dies geht aus einer aktuellen Erhebung hervor: 40 Prozent mehr in fünf Jahren: Bei Neuvermietungen liegt Berlin damit bundesweit an der Spitze. Der Wert für Berlin bezieht sich auf „Angebotsmieten“ und auf die Jahre 2007 bis 2012. Der Wohnungsmangel in Berlin wird brutal, so wird Ulrich Pfeiffer vom Forschungsinstitut empirica in dem Beitrag zitiert. Die Wohnungsnot sei die Kehrseite der Popularität der Stadt. Pfeiffer weist darauf hin, dass sich in Berlin eine „duale Mietergesellschaft“ herauszubilden beginnt: »Wer künftig eine Wohnung suche, werde mit der „brutalen“ Lage am Markt konfrontiert – „die Mehrheit der Mieter“ könne dagegen „friedlich den Vorzug alter und daher günstiger Mietverträge“ genießen.« Das erklärt auch die derzeitige – insgesamt betrachtet noch „günstige“ – Positionierung Berlins im Großstädtevergleich: »Denn der Blick auf die absoluten Mietpreise zeigt, dass frei verfügbare Wohnungen in Berlin zu einem Durchschnittspreis von rund 9,50 Euro je Quadratmeter und Monat angeboten werden. Damit liegt die Hauptstadt im bundesweiten Städtevergleich nur im Mittelfeld, etwa auf dem Mietniveau von Köln. Die höchsten Mieten werden in München gefordert, im Durchschnitt 13 Euro je Quadratmeter und Monat, gefolgt von Frankfurt am Main und Hamburg mit 10,50 Euro beziehungsweise 11,50 Euro.«

Der Mieterbund benennt das Problem und die folgenden Daten zum Preisanstieg bei Wiedervermietungen von Wohnraum:

»Bei einem Mieterwechsel, das heißt beim Abschluss eines neuen Mietvertrages, können Vermieter die Miete nahezu nach Belieben festsetzen. Konsequenz ist, dass in angespannten Wohnungsmärkten – also in Groß- und Universitätsstädten – die Wiedervermietungsmieten deutlich über den Mieten in bestehenden Mietverhältnissen – der ortsüblichen Vergleichsmiete – liegen. Mieter, die in Frankfurt eine Wohnung neu anmieten, müssen heute 31 Prozent mehr zahlen, als dort ortsüblich ist, also im Durchschnitt gezahlt wird. In München beträgt die Differenz 28 Prozent, in Düsseldorf 25 Prozent, in Hamburg 24 Prozent und in Berlin 19 Prozent. Am größten ist der Preisunterschied zwischen Wiedervermietungsmieten und Mieten in bestehenden Mietverhältnissen in Konstanz (44 %), Münster (40 %), Regensburg (39 %) und Heidelberg (36 %).«

Es stellt sich natürlich die Frage, ob und wie man politisch gegen diese Entwicklung vorgehen kann. Der Mieterbund fordert eine Obergrenze für Preiserhöhungen bei Neuvermietung. Wiedervermietungsmieten dürfen höchstens 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Bei bestehenden Mietverhältnissen dürfe die Miete um höchstens 15 Prozent in vier Jahren steigen (derzeit sind es 20 Prozent in drei Jahren).

Man muss aber auch sehen, dass teilweise langjährige Entwicklungen jetzt negativ zu Buche schlagen und auch vor dem Hintergrund, dass der Wohnungsmarkt beweglich ist wie ein Tanker, keine einfachen und schnell wirksamen Patentrezepte verfügbar sind, denn (1) jahrelang wurden zum einen zu wenig neue Wohnungen gebaut, (2) zum anderen sind zahlreiche bislang preisgünstige Sozialwohnungen aus der Preisbindung entlassen worden. Zu beiden Problemen nennt der Mieterbund wieder Zahlen, die das Ausmaß verdeutlichen können:

(1) Bundesweit müssten jährlich 140.000 bis 150.000 neue Mietwohnungen fertiggestellt werden, davon rund ein Viertel als Sozialwohnungen. In den letzten vier Jahren, zwischen 2008 und 2011, bewegten sich die Fertigstellungszahlen auf einem historischen Tiefstand. Schätzungsweise 65.000 bis 70.000 Mietwohnungen wurden nur noch pro Jahr bundesweit neu gebaut.

(2) »Zwischen 2002 und 2010 ist der Bestand an öffentlich geförderten Wohnung in Deutschland von 2,4 Millionen auf 1,6 Millionen Wohnungen zurückgegangen. Allein um den Sozialwohnungsbestand auf diesem niedrigen Niveau zu stabilisieren, werden 100.000 neue preis- und belegungsgebundene Wohnungen in Deutschland benötigt – durch Neubau, Ankauf von Belegungsbindungen oder Preisbindungen aufgrund von Modernisierungsförderungen.«

Auf alle Fälle haben die Oppositionsparteien SPD, Grüne und die Linke den gesellschaftspolitischen Sprengsatz, der in dem Thema liegt, erkannt und fordern eine entsprechende Mietpreisgrenze – und diese Tage hat sich die Bundeskanzlerin bei der Andeutung der geplanten Wahlversprechen der Union nicht nur zum Erstaunen ihres Koalitionspartners FDP einer solchen Forderung „im Prinzip“ angeschlossen.

Die Bundesregierung hat zwischenzeitlich das Mietrecht verändert, um eine Modernisierung von Wohnungen zu erleichtern und Kostensteigerungen zu begrenzen. Aber die Kritik an der Unvollkommenheit dieser Änderungen ist vielstimmig. Eine gute Übersicht findet sich in der Hintergrund-Sendung „Wohnen wird immer mehr zum Luxus. Das neue Mietrecht ändert daran wenig“ des Deutschlandfunks.

Aber auch eine Mietpreisbremse würde – darüber muss man sich im Klaren sein – das evidente „doppelte Angebotsproblem“ in den (groß)städtischen Räumen nicht lösen – es könnte aufgrund der Wirkungen auf Investitionsentscheidungen dieses sogar noch als ungewollter Nebeneffekt verschärfen. Das „doppelte Angebotsproblem“ – und das verdeutlicht die sozialpolitische Dimension des Problems – besteht darin, dass es nicht nur generell einen Mangel an Wohnraum gibt, was zunehmen wird, sondern darüber hinaus einen besonderen Mangel an Wohnungen im unteren Preissegment für die vielen einkommensschwachen Haushalte. Und die müssen heute schon einen überdurchschnittlichen Anteil ihres Haushaltseinkommens für Miete (und Nebenkosten) aufbringen und wenn sie auf staatliche Transferleistungen wie Hartz IV angewiesen sind, dann sind sie mit dem Problem konfrontiert, dass sie zum einen immer wieder konfrontiert werden mit den Diskrepanzen der gegebenen Mietpreise und dem, was die Jobcenter als „angemessene Kosten“ der Unterkunft zu akzeptieren bereit sind, zum anderen beispielsweise Energiepreisanstiege nur unvollkommen in ihren Leistungen abgebildet sind.

Insgesamt – dazu bedarf es keiner großen prognostischen Anstrengung – wird die Wohnungsfrage (wieder) zu einer „neuen“ sozialen Frage. Und wieder einmal erweist sich, dass man besser auf die Kassandra-Rufe derjenigen, die vor Jahren schon den flächendeckenden Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau als eine fatale Entwicklung gegeißelt haben, gehört hätte statt wie so oft, den Kurzfrist-Ökonomen zu glauben, die immer nur die jeweils aktuelle Lage sehen und diese dann fortschreiben.