Was für ein Jahresanfangsdurcheinander: Die Rente mit 70 (plus?), ein Nicht-Problem und die Realität des (Nicht-)Möglichen

Neben den Themen Flüchtlingspolitik und den Auswirkungen des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns nach seiner Einführung zum 1. Januar 2015 wird – das ist sicher – in dem nun neuen Jahr das Thema Alterssicherung und damit die Rentenfrage ganz oben auf der sozialpolitischen Agenda stehen. Und kaum war das Silvester-Feuerwerk verklungen, hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit scheinbar eine neue Rakete in der rentenpolitischen Debatte gezündet: Arbeitsagentur fordert freiwillige Rente mit 70, so ist der Bericht dazu überschrieben worden. Unabhängig von dem durch die Überschrift suggerierten Eindruck, dass offensichtlich die Bundesagentur für Arbeit jetzt persönliches Eigentum des Herrn Weise geworden ist, was meines Wissens noch nicht der Fall ist – sein Vorschlag löste eine einerseits erwartbare, zugleich aber auch etwas überraschende Reaktionsmechanik aus. Freiheit statt Zwangsverrentung, jubelt beispielsweise Hennig Krumrey in der WirtschaftsWoche und moniert zugleich: »Nur die politische Unterstützung für diese gute Idee fehlt noch.« Auch nicht überraschend die Reaktionen auf der anderen Seite: „Abenteuerlich und völlig verfehlt“, poltert der Parteichef der Linken, Bernd Riesiger, und die zweite Vorsitzende Katja Kipping wird mit den Worten zitiert, die Vorschläge „gehen in die völlig falsche Richtung“. Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand wird ebenfalls kritisierend zitiert mit den Worten: „In den Ohren derjenigen, die es nicht bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter schafften, müsse es „wie Hohn klingen, wenn wieder einmal über die Freiheit des längeren Arbeitens philosophiert wird“. Etwas irritierend ist dann vielleicht schon so ein Ausreißer aus der gewohnten Lager-Bildung: Laut Ramelow sei Rente mit 70 „kein Quatsch“: »Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat sich offen für die Idee einer Rente mit 70 auf freiwilliger Basis gezeigt – und stellt sich damit gegen die Bundesparteispitze.« Was ist hier los?

Schauen wir uns in einem ersten Schritt erst einmal an, was denn der Herr Weise von der Bundesagentur für Arbeit eigentlich genau gesagt hat:

»Angesichts des Fachkräftebedarfs in Deutschland plädiert der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, für zusätzliche Anreize, um Ältere bis zum Alter von 70 Jahren im Berufsleben zu halten. „Flexible Ausstiege aus dem Erwerbsleben in Rente sind grundsätzlich ein gutes Modell“ …  „Man sollte nun auch Anreize dafür setzen, dass Arbeitnehmer, die fit sind, freiwillig bis 70 arbeiten können“, forderte Weise. Für den Arbeitsmarkt wäre das gut, betonte der BA-Vorstand.«

Man achte auf die Formulierung: Es geht um zusätzliche Anreize, die gewährt werden sollen, wenn Arbeitnehmern jenseits des gesetzlichen Renteneintrittsalters weiterarbeiten. Einerseits entschärft das auf den ersten Blick die Debatte, denn es geht offensichtlich (noch) nicht darum, die beschlossene und derzeit ablaufende schrittweisen Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67, das für die Jahrgang 1964 erreicht sein wird, auf 70 anzuheben. Auch die derzeit unter bestimmten Bedingungen mögliche „Rente mit 63“, die ja nur für wenige Jahrgänge möglich ist und die parallel zur Einführung der Rente mit 67 auf 65 Jahre angehoben wird, ändert nichts an der grundsätzlichen Erhöhung des Renteneintrittsalters, von der vor allem die geburtenstarken Jahrgänge betroffen sein werden. »Die „Rente  mit 70“ steht also für die Möglichkeit freiwillig länger zu arbeiten – und zwar unter günstigeren Bedingungen als bisher«, darauf weist auch Stefan Sauer in seinem Beitrag Ein Vorstoß ohne Zwang hin.

Nun wird der eine oder die andere an dieser Stelle berechtigterweise die Frage stellen: Wo ist eigentlich das Problem? Ist das nicht heute schon möglich?

Ja, so muss die einfache Antwort in einem ersten Schritt lauten. Beschäftigte können – im Prinzip – den Renteneintritt auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und erhalten dafür eine höhere Rente. Das heißt aber eben auch, dass es sich bereits heute lohnen kann, länger zu arbeiten, wenn man denn will und kann und – das wird allerdings in den meisten Artikeln gerne unterschlagen, wenn der Arbeitgeber auch mitmacht, denn es gibt nicht wenige Unternehmen, die aus welchen Gründen auch immer gar kein Interesse haben an der Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer und dann gerne auf das gesetzliche Renteneintrittsalter als Austrittsgrund verweisen, um den Mitarbeiter loswerden zu können.

Was bedeutet es vor dem Hintergrund der bestehenden Rentenformel konkret, wenn ein älterer Arbeitnehmer länger an Bord bleibt? Dazu Stefan Sauer in seinem Artikel:

»Für jeden Monat, um den sie den Rentenbezug hinauszögern, erhalten sie einen Zuschlag von 0,5 Prozent. Sofern sie unterdessen sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, sammeln sie zusätzliche Rentenpunkte an, die ihre Anwartschaften zusätzlich erhöhen. Beispiel: Wer den Renteneintritt um ein Jahr aufschiebt, erhält lebenslang eine um 12 mal 0,5 Prozent – also sechs Prozent – erhöhte Monatsrente. Zahlt er in dieser Zeit durchschnittliche Rentenbeiträge ein, erhält er zusätzlich einen Rentenpunkt, der derzeit knapp 30 Euro pro Monat wert ist. Beide Faktoren gemeinsam lassen eine Monatsrente von 1.300 Euro auf mehr als 1.400 ansteigen. Bei noch späterem Rentenbezug erhöht sich die Rente entsprechend.«

Man muss sich in aller Deutlichkeit klar machen, dass es bereits heute im bestehenden System aufgrund der Entgeltpunkt- und Zuschlagssystematik der Rentenformel durchaus „lohnend“ ist, weiterzuarbeiten und man keineswegs „bestraft“ wird, wenn man sich dafür entscheidet. Wer mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters seine Rente in Anspruch nimmt, kann weiterhin arbeiten gehen und ganz wichtig: Dabei entfallen die Zuverdienst-Grenzen von 6.300 Euro pro Jahr, die für Frührentner gelten. Jenseits der Regelaltersgrenze können Rentner also so viel dazu verdienen wie sie wollen beziehungsweise können, ohne dass dies Einfluss auf die Höhe der Rente hätte. Aber damit noch nicht genug: »Zugleich sind die arbeitenden Rentner von Beitragszahlungen an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung befreit. Die Arbeitgeber müssen allerdings weiterhin ihren Rentenbeitragsanteil abführen«, so Sauer.

Und ganz wichtig ist auch der Hinweis, dass die immer wieder geforderten vereinfachten Rahmenbedingungen zugunsten der Unternehmen für eine Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer von der Großen Koalition im Windschatten der Rente mit 63 und der Mütterrente bereits hergestellt worden sind: In der Vergangenheit waren unbefristete Arbeitsverhältnisse bei einer Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renteneintrittsalters automatisch als unbefristet fortgeführt worden, was den Arbeitgebern ein Dorn im Auge war, denn solche Arbeitsverhältnisse sind seitens vieler Unternehmens kaum kündbar, ihre Beendigung ist oft mit Abfindungszahlungen verbunden. Das empfanden die Arbeitgeber als ein besonderes Risiko und ihre Forderung war es denn auch, so gestellt zu werden, dass sie die möglichen Vorteile einer Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer in Anspruch nehmen können und gleichzeitig aber diese schnell loswerden können, wenn „ihre Zeit gekommen“ ist. Und da ist ihnen die Bundesregierung ganz erheblich entgegengekommen: Die von den Arbeitgebern geforderten vereinfachten Rahmenbedingungen hat die Regierungskoalition »bereits im Juli 2014 gleichzeitig mit der Mütterrente und der Rente mit 63 in Kraft gesetzt: Seither können Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine befristete Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renteneintrittsalters vereinbaren und solche Befristungen auch mehrfach verlängern.« Dass manchen Arbeitgeber die Befristungsregelung „natürlich“ immer noch nicht reicht und sie sich am liebsten jederzeit und ohne Widerspruchsmöglichkeiten von den älteren Arbeitnehmern trennen möchten, wenn die nicht mehr so funktionieren sollten, wie man das erwartet, sei an dieser Stelle nur nachrichtlich erwähnt.

Bleibt also an dieser Stelle die Frage, was den nun neu oder weiterführend sein soll an den aktuellen Vorschlägen. Es wurde bereits erwähnt, dass die Arbeitgeber ihren Teil des Rentenversicherungsbeitrags für die jenseits des Renteneintrittsalters beschäftigten Arbeitnehmer weiter zahlen müssen. Und hier setzt ein seit längerem in die Debatte geworfener Vorschlag der Arbeitgeber an: Unter dem sympathisch daherkommenden Begriff der „Flexi-Rente“ sollen diese Arbeitgeberbeiträge an die Arbeitnehmer ausgeschüttet werden, um einen zusätzlichen Anreiz zu setzen. Ein Schelm, wer böses denkt und rechnen kann, denn die Arbeitgeber wollen den Arbeitnehmer beglücken mit mehr Geld, das sie nicht etwa zusätzlich aufbringen müssten – das wäre ja auch eine Möglichkeit, wenn das Wissen und die Arbeitskraft der älteren Arbeitnehmer wirklich so dringend erforderlich sind, wie man uns in der Diskussion über einen Fachkräftemangel unterschieben möchte -, sondern das man der Sozialversicherung entwendet, um es dem Einzelnen dann auszuzahlen. Das nun ist aus Arbeitgebersicht verständlich und attraktiv, aber aus Sicht der Sozialversicherung fragwürdig, denn wie wir gesehen haben, profitieren die länger arbeitenden Menschen ja auch aufgrund der Mechanik der Rentenformel von ihrem längeren Arbeiten durch eine höhere Rente.

In diese Richtung argumentiert auch Carsten Linnemann, seit 2013 Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der CDU, der zum einen erkennt, dass man – wenn schon – an der richtigen Stelle bei den Sozialversicherungsabgaben ansetzen muss, ansonsten unterstützt er den Vorstoße der Arbeitgeberseite. Er argumentiert in seinem Anfang Dezember 2014 erschienenen Artikel Länger arbeiten muss sich lohnen so:

»Im Kern muss es also um mehr Flexibilität im Rentenalter gehen. Um die zu erreichen, müssen die bestehenden „Strafabgaben“ für Beschäftigte im Rentenalter beseitigt werden. Denn es ergibt keinen Sinn, dass Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die eine Altersrente beziehen, aber weiter arbeiten, Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge zahlen, obwohl die Betroffenen überhaupt nicht mehr arbeitslos werden können und damit auch kein Arbeitslosengeld mehr beanspruchen können. Kurzum: Die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung gehören schlicht abgeschafft … In der Rentenversicherung sollte es für diejenigen, die über das Rentenalter hinaus arbeiten, einen Flexi-Bonus in Gestalt eines Rentenzuschlags geben.«

Trotz der etwas differenzierteren Herleitung – auch Linnemann schiebt den schwarzen Peter der Finanzierung der „Anreize“ für die älteren Arbeitnehmer an die Sozialversicherung. Es ist schon beeindruckend bzw. es spricht für sich, dass keiner auf die erste marktwirtschaftlich naheliegende Lösung kommt: Wenn den Arbeitgebern das Humankapital der älteren Fachkräfte angeblich so wichtig ist, dann müsste das in die Lohnbildung internalisiert werden, bevor man wieder Geschäfte zu Lasten Dritter macht.

Und was schlägt Bodo Ramelow von den Linken, der für viele überraschende Sympathisant einer freiwilligen „Rente mit 70″, vor? Man darf jetzt doch etwas überrascht sein, aber vielleicht liegt es einfach nur daran, dass er auch in die Medien wollte und deshalb schnell sprechen musste: „Arbeitnehmern, die das Rentenalter erreicht haben, aber weiter arbeiten wollen, kann beispielsweise die Einkommensteuer erlassen werden“, so wird der neue Ministerpräsident zitiert. Das wäre dann einer Art Arbeitgeber-Forderung 2.0. Ob er jetzt auch eingeladen wird zum Arbeitgeber-Tag?

Fazit: Bereits heute gibt es die grundsätzliche Möglichkeit, dass die, die wollen und können, über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten gehen. Hierfür hat die Große Koalition bereits seit Juli 2014 die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen im Interesse der Arbeitgeber flexibilisiert. Vielleicht sollte man einmal genauer hinschauen, warum es so vielen Arbeitgebern offensichtlich schwer fällt, von den bestehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren Mitte 2014 in der Altersgruppe von 65 bis 69 lediglich 130.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Möglicherweise ist ein großer Teil der Arbeitgeber das Nadelöhr, das den Zugang zu mehr Beschäftigung für Menschen oberhalb des gesetzlichen Renteneintrittsalters verengt.Hinzu kommt natürlich, dass auch wenn es nicht mehr Anreize geben würde, länger zu arbeiten: Für viele Arbeitnehmer kann das gar kein Thema sein oder werden. Dazu Stefan Sauer in seinem Artikel:

»Das Institut für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg Essen stellte Anfang 2014 in einer Studie fest, dass Beschäftigte im Hoch- und Tiefbau im Schnitt bereits mit 57,6 Jahren ihren Beruf aufgeben müssen. Starken Belastungen, die zu einem frühzeitigen Aus ihrer Berufsausübung führen, sind der Untersuchung zufolge unter anderem Arbeitnehmer in Holz und Kunststoffverarbeitung, in der Logistik und in Ernährungsberufen sowie branchenübergreifend Hilfsarbeiter ausgesetzt. Auch im Dienstleistungsbereich, etwa in der Altenpflege, gibt es körperlich und psychisch stark beanspruchende Tätigkeiten. Für Millionen Beschäftigte ist die Rente mit 70 also kein Thema.«

Die angesprochene Studie des IAQ ist als „Altersübergangsreport 2014-01“ erschienen: Martin Brussig und Mirko Ribbat: Entwicklung des Erwerbsaustrittsalters: Anstieg und Differenzierung. Hier bekommt man ein sehr differenziertes Bild der Entwicklung beim Ausstieg aus dem Erwerbsleben. Nur zwei Beispiele: »Hinsichtlich des mittleren beruflichen Austrittsalters gibt es große Unterschiede zwischen Berufen. Die Altersspanne zwischen Berufen mit einem sehr hohen und einem sehr niedrigen mittleren beruflichen Austrittsalter liegt bei über fünf Jahren.« Hinzu kommt: »Berufe mit einem hohen mittleren beruflichen Austrittsalter erlauben nicht notwendigerweise lange Erwerbsphasen, sondern können auch durch Personen geprägt sein, die erst am Ende ihres Erwerbslebens vorübergehend in einen Beruf hineinströmen, nachdem sie ihren langjährig ausgeübten Beruf aufgegeben haben.« Die Wirklichkeit ist eben immer schwieriger, als es oftmals erscheint.

Im Jahr 2013 waren – nach einem kontinuierlichen Anstieg des Anteils in den vergangenen Jahren – von den 60- bis 64-Jährigen 32,4% sozialversicherungspflichtig beschäftigt, also gerade einmal jeder Dritte in dieser Altersgruppe (immer wieder wird von interessierter Seite die wesentlich höhere Erwerbstätigenquote genannt, die 2013 bei 49,9% lag, zu denen gehören aber alle, die irgendwie und sei es nur ein wenig arbeiten, egal ob als Arbeitnehmer. Minijobber oder Selbständiger).
Es gibt also noch eine Menge zu tun bei denen, die unter 65 sind. Vielleicht sollte man vernünftigerweise darauf die Prioritäten legen und ansonsten die Arbeitgeber motivieren, von den bestehenden Regelungen für eine freiwillige Weiterarbeit a) Gebrauch zu machen und b) wenn ihnen das so wichtig ist, mit dem marktwirtschaftlichen Instrument der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zu denen auch die Löhne gehören, zu reagieren, bevor man nach Dritten ruft, die einem das bezahlen, so wie früher die Frühverrentungen auf die Sozialversicherungen externalisiert worden sind.

Ein Geben und Nehmen: Die Große Koalition einigt sich auf das vorerst endgültige Design des „Rentenpakets“

Nun soll sie also vorliegen, die finale Version des „Rentenpakets“ der Großen Koalition. Im Internet wurde ein Schriftstück veröffentlicht von heute, 13 Uhr, anderthalb Seiten zum Rentenpaket und eine knappe Seite zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppe „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ mit möglichen Ansätzen zur Verbesserung des geltenden Rechts. Nahles bekommt ihre Rente mit 63 – aber mit Modifikationen zum bisherigen Gesetzentwurf. Und am kommenden Freitag wird es noch mal spannend: »Dem Vernehmen nach dürfte am Freitag auf Antrag der Opposition über die einzelnen Teile des Rentenpakets getrennt abgestimmt werden. Einen solchen Antrag kann die Koalitionsmehrheit nicht ablehnen, hieß es.« Da darf man gespannt sein, wie groß die Zahl der Abweichler aus der Unionsfraktion bei dem Teil sein wird, der die ungeliebte „Rente mit 63“ beinhaltet. Was aber sind nun die Kompromisse, auf die man sich angeblich verständigt hat?

Dazu muss man noch mal kurz in Erinnerung rufen, dass das „Rentenpaket“ eigentlich aus vier Bausteinen besteht, von denen aber nur zwei überhaupt in der öffentlichen Debatte wahr- und auseinandergenommen werden: Also zum einen die „Rente mit 63“ und die so genannte „Mütterrente“, hinzu kommen noch Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und den Reha-Leistungen.

Den meisten Aufruhr gab und gibt es um die „Rente mit 63“, für die einen das Herzstück der sozialdemokratischen Wiedergutmachungspolitik gegenüber den (Industrie-)Gewerkschaften, für die anderen ein zentraler Angriff auf die in der Vergangenheit vorgenommenen Weichenstellungen hin zu  einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit („Rente mit 67“). Insofern überrascht es nicht, dass es an dieser Stelle die meisten Infragestellungen seitens der Kritiker gab und zum anderen aber auch die SPD-Seite versuchen muss, ihr zentrales Anliegen zu retten und der anderen Seite nicht zu sehr entgegenzukommen. Hier die angeblichen Ergebnisse der Kompromisssuche:

  • Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs werden wie bereits im vorliegenden Entwurf ohne zeitliche Beschränkungen angerechnet. Um (angebliche) Missbräuche auszuschließen, hat man sich nun darauf verständigt, dass Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten zwei Jahren vor der abschlagsfreien Rente mit 63 nicht mehr mitgezählt werden bei der Berechnung der erforderlichen 45 Beitragsjahre. Eine Ausnahme von diesem Ausschluss ist jedoch dann vorgesehen, wenn die Arbeitslosigkeitszeiten durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht wurden. Damit folgt der hier skizzierte Kompromiss dem, was bereits in den vergangenen Tagen diskutiert wurde (vgl. hierzu den Beitrag Angekündigter Doppelbeschluss: Die Rente mit 63 soll mit der Arbeitslosigkeit bis 61 fusioniert werden).
  • Im bislang vorliegenden Gesetzentwurf (wie übrigens auch im bereits geltenden Recht, was die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 65 betrifft) gab und gibt es keine Regelung, dass der Rentenanspruch ohne Abschläge auch mit freiwilligen Beiträgen begründet werden kann. Dies ist also im ursprünglichen Entwurf der Rente mit 63 bewusst herausgenommen worden. Das Problem hierbei ist, dass zu den freiwillig Versicherten, die damit nicht in den Genuss dieser Möglichkeit eines vorzeitigen und vor allem abschlagsfreien Renteneintritts kommen können, insbesondere selbstständige Handwerker gehören, die nach 18 Jahren Pflicht Beitragszahlung in die freiwillige Versicherung wechseln können, häufig jahrelang für Arbeitnehmer eingezahlt und damit ihren Beitrag erbracht haben. Sie sollen jetzt auch bei der abschlagsfreien Altersrente ab 63 berücksichtigt werden. Es sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass man das gesetzestechnische sicher nicht auf die Handwerker wird begrenzen können, sondern den Tatbestand der Erfüllung der erforderlichen Beitragsjahr auch durch freiwillige Beiträge auf alle freiwillig Versicherten ausdehnen muss.
  • Als dritter Punkt in dem so genannten Kompromisspapier, das heute veröffentlichte wurde, finden sich Hinweise auf das Thema flexible Übergänge von Beruf in die Rente, offensichtlich eine Reaktion auf die Forderungen aus den Reihen der Gegner der „Rente mit 63“, das wenn man schon die Kröte schlucken muss, dann klare und verbindliche Schritte in Richtung auf eine „Flexi-Rente“ vereinbart werden müssten. Hierzu findet sich in dem vorliegenden Papier der folgende Hinweis: Es wird darauf hingewiesen, dass es „Wünsche von Arbeitgebern und Arbeitnehmern“ geben würde, auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze und darauf bezogener Beendigungsvereinbarungen einvernehmlich das Arbeitsverhältnis für einen von vornherein bestimmten Zeitraum rechtssicher fortsetzen zu können. Dies will man offensichtlich über die folgende Formulierung erreichen bzw. den Protagonisten in Aussicht stellen: „soweit bereits vereinbart ist, dass ein Arbeitsverhältnis mit erreichen der Regelaltersgrenze endet, kann dieser Zeitpunkt künftig über das Erreichen der Regelaltersgrenze – gegebenenfalls auch mehrmals – hinausgeschoben werden. Die Vereinbarung über das Hinausschieben muss während des laufenden Arbeitsverhältnisses geschlossen werden.“
  • Der Vollständigkeit halber sollte nicht vergessen werden, dass das vorliegende Kompromisspapier als vierten Bestandteil die Einsetzung einer Arbeitsgruppe vorsieht, die Vorschläge entwickeln soll wie Arbeit und Rente besser als bisher miteinander kombiniert werden können.

Insgesamt zeichnet sich das vorliegende Papier dadurch aus, dass die „Rente mit 63“ ohne größere Blessuren aus dem sich in den vergangenen Tagen erheblich aufschaukelnden Disput zwischen den Befürwortern und Gegnern innerhalb der großen Koalition herausgekommen ist. Ob die „rotierende Stichtagsregelung“, die so zwar nicht genannt, aber beschrieben wird, auch Verfassung fest ist, wird die Zukunft erweisen. eines aber wird immer klarer erkennbar: Die Aufladung der „Rente mit 63″  mit Gerechtigkeitsüberlegungen erweist sich immer mehr als das, was es ist – eine große Illusion. Nehmen wir nur als Beispiel die neu gefundene Ausnahmeregelung, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit zwei Jahre vor dem Renteneintritt in die abschlagsfreie Rente mit 63 dann anerkannt werden können bei der Berechnung der Beitragsjahre, wenn sie aus einer Insolvenz des Unternehmens resultieren. Die Besserstellung dieses Falls wird dem Arbeitnehmer sicher nicht besonders gerecht erscheinen, der mit 61 von seinem Arbeitgeber gekündigt wurde, beispielsweise aus betriebsbedingten Gründen und dem vielleicht ein oder gerade die zwei Jahre fehlen, um die abschlagfsreie Rente mit 63 in Anspruch nehmen zu können.

Besonders lehrreich ist der nunmehr auftauchende Kompromiss, dass auch Zeiten einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Bestimmung der zu erfüllenden Beitragsjahre berücksichtigt werden können. Man hat dies nicht ohne Grund im bisherigen Entwurf der Rentengesetzgebung ausgeschlossen. Denn anders, als jetzt in dem Kompromisspapier artikuliert, geht es eben nicht nur um die Fälle, in denen selbstständige Handwerker, die zuvor jahrelang ihre Pflichtbeiträge abgeführt haben und die sich ordentlich weiter freiwillig versichert haben, sicher erhebliche Gerechtigkeitsanfragen an das System stellen bzw. stellen würden, wenn ihre freiwilligen Versicherungsjahre bei der abschlagsfreien Rente mit 63 nicht berücksichtigt werden. Soweit so gut. Aber hierunter fallen eben auch andere Fälle in der Rentenversicherung, die nunmehr – gleichsam im Windschatten der Regelung für die Handwerker – von der Anrechnung auf die Beitragsjahre mit profitieren werden.

Thorsten Denkler und Thomas Öchsner haben in ihrem Artikel Paradoxe Intervention darauf hingewiesen, dass es gerade die CSU war, die explizit mit Gerechtigkeitsaspekten eine Forderung nach einer Ausweitung der „Rente mit 63“ (es sei ungerecht, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit angerechnet werden sollen, nicht aber freiwillige Beitragsjahre) begründet hat. Nun fallen darunter wie gesagt aber nicht nur die Handwerker, wo man der Argumentation sicher voll folgen kann. »Von den 324.000 Menschen, die freiwillig gesetzlich rentenversichert sind, zahlen nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) 88 Prozent den Mindestbeitrag von 85 Euro im Monat. Die Höchstgrenze liegt bei 1.124 Euro.« Die freiwillig Versicherten können übrigens die Beitragshöhe – vom zu zahlenden Mindestbeitrag abgesehen – übrigens selbst festlegen. Was ist nun das Problem an dieser Stelle? Die Öffnung könnte dazu führen, dass freiwillig Versicherte sich mit einem sehr geringen Beitrag die Abschlagsfreiheit erkaufen können: »Wem für die abschlagfreie Rente mit 63 etwa nur ein Versicherungsjahr fehlt, der zahlt einfach den Betrag nach und schon geht es aufs Altenteil.«

Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass in dem nun heute veröffentlichten Kompromisspapier über die „Mütterrente“ überhaupt kein einziges Wort verloren wird. Dabei gibt es natürlich auch hier erhebliche Fragezeichen, die in der breiten Öffentlichkeit nicht mal ansatzweise so diskutiert werden, wie die (angeblichen und tatsächlichen) Probleme der „Rente mit 63“. Aber auch bei der Mütterrente gibt es Licht und Schatten. Eine ausführliche Diskussion findet sich in der vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie von Bach, S. et al. (2014): Die Verteilungswirkungen der Mütterrente. Es geht hier weniger um das Thema Finanzierung, also die Kritik, dass die „Mütterrente“ nicht aus Steuer-, sondern Beitragsmittel finanziert werden soll. Die „Witwerrente“ kommt zwar bei den Rentnerinnen mit kleinen und mittleren Renten an, nicht aber bei den fast 300.000 Rentnerinnen, die derzeit in der Grundsicherung sind, denn hier wird der zusätzliche Rentenbetrag voll auf den Grundsicherungsanspruch angerechnet, anders ausgedrückt: In diesen Fällen zahlt sich der Staat die Mittel der Rentenversicherung aus. Nur bei den Betroffenen kommt keinen Cent an. Dazu passt dann diese Einordnung: »Mit geschätzten Zusatzkosten von 6,7 Milliarden Euro ist die Mütterrente der teuerste Teil des von der großen Koalition geplanten Rentenpaketes … Von den 6,7 Milliarden Euro bleiben den Wissenschaftlern zufolge nur etwa 5,3 Milliarden letztlich bei den begünstigten Rentnerinnen. Der Rest fließe über höhere Steuern und Sozialbeträge oder eingesparte Transferzahlungen wieder an den Staat zurück.«

So oder so – das Ding wird jetzt am Freitag durch den Bundestag geschoben werden. Die Fragezeichnen allerdings bleiben, vor allem aber die Systemfragen.

Wer bietet mehr? Rente mit 63 oder gar eine Frühverrentungswelle ab 61? Ach was: Die FDP ist für die Rente mit 60. Wenn da nicht das Kleingedruckte wäre

Ein Baustein des „Rentenpakets“ der Bundesregierung ist die „Rente mit 63“. Über dieses Vorhaben wurde in den vergangenen Monaten und Wochen erbittert gestritten. Neben der Frage, ob es sich hierbei nicht lediglich um einen gut dotiertes Wahlgeschenk für die Mitglieder der Industrie-Gewerkschaften handelt, ging und geht es immer wieder auch um die Frage, ob durch die Ermöglichung des abschlagsfreien Renteneintritts ab dem vollendeten 63. Lebensjahr möglicherweise eine Frühverrentungswelle ab dem 61. Lebensjahr droht.  Aber auch wenn man eine solche wie die meisten Experten nicht am Horizont aufziehen sieht, stellen sich zahlreiche „Gerechtigkeitsfragen“, die mit den Voraussetzungen der Inanspruchnahme der geplanten vorzeitigen Renteneintrittsregelung verbunden sind. Aber all die damit verbundenen komplexen Fragen scheinen sich zu erübrigen, wenn man die neuesten Vorschläge, wie sie die mittlerweile außerparlamentarische FDP vorgelegt hat, betrachtet. Es wird viele Beobachter im ersten Moment überrascht haben, dass diese Partei sogar eine „Rente mit 60“ in die Debatte geworfen hat. FDP will Rente mit 60 ermöglichen, so die Schlagzeile in der FAZ oder Liberale propagieren den Ruhestand ab 60, wie Dorothea Siems ihren Artikel in der WELT überschrieben hat. Was ist hier los? Geriert sich die APO-FDP noch fortschrittlicher als irgendwelche Sozialromantiker? Sehen wir jetzt endlich die Konkretisierung dessen, was der im Jahr 2011 agierende FDP-Generealsekretär und mittlerweile zum FDP-Parteivorsitzenden aufgestiegene Christian Linder als „mitfühlenden Liberalismus“ bezeichnet hat? Müssen sich die Oppositionsparteien jetzt warm anziehen angesichts einer anstehenden Sozialoffensive der FDP-Restpartei?

Schauen wir zuerst einmal auf das, was in den Medien über die neuen Vorschläge der FDP berichtet wird:

»Die Liberalen wollen die starre Altersgrenze in der Rente abschaffen. Jeder Beschäftigte, der das 60. Lebensjahr erreicht hat, sollte frei wählen können, wann er in den Ruhestand geht. Im Gegensatz zu der von der Regierung geplanten Rente mit 63 sollen aber nicht die Sozialkassen die Kosten eines frühzeitigen Ausscheidens tragen, sondern jeder Versicherte die Bezüge erhalten, die er sich mit seinen Beiträgen erworben hat. Wer früher aus dem Berufsleben ausscheidet, bekommt somit weniger Geld, wer später aufhört zu arbeiten, erhält nach diesem Konzept eine höhere Rente … Anders als bei der abschlagsfreien Rente mit 63, die es nur für diejenigen geben soll, die 45 Beitragsjahre vorweisen können, sieht das FDP-Modell keine Mindestanzahl von Jahren vor … Einzige Voraussetzung für die Rente mit 60 ist, dass das Einkommen aus gesetzlicher Rente plus betrieblicher und privater Altersvorsorge oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt.«, so Dorothea Siems in ihrem Artikel.

Das hört sich doch prima facie mehr als vernünftig an. Schon seit Jahren wird von ganz unterschiedlichen Seiten immer wieder eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters gefordert. In der Lebensrealität sind wir mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Fallkonstellationen konfrontiert, die es durchaus nahe legen, dass man die Frage der Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt man in den Ruhestand übertritt, nicht mehr an starre Zeitgrenzen bindet. Und ja – dass die Definition von Zugangskriterien zu der geplanten „Rente mit 63“, wie beispielsweise der Erfüllung von 45 Beitragsjahren, in der Lebenswirklichkeit zu höchst problematischen Abgrenzungsfragen führen wird, liegt auf der Hand und ist systematisch nicht zu vermeiden. Aber wie immer im Leben sollten wir einen Blick in das Kleingedruckte werfen, um den Vorschlag der FDP richtig einordnen zu  können. Denn dieser wird an zwei weitere Bedingungen geknüpft:

1.) Zum einen soll die Höhe der Rente anhand der durchschnittlichen Lebenserwartung der jeweiligen Generation berechnet werden. Die FDP plädiert also für einen „jahrgangsindividuellen Faktor“ bei der konkreten Bestimmung der Rentenhöhe.  Die Zielsetzung, die mit diesem Vorschlag verbunden ist, liegt auf der Hand: Wenn die Lebenserwartung wie in den zurückliegenden Jahren weiter ansteigt, dann muss in diesem hier vorgeschlagenen System die Rentenhöhe absinken. Es kann und darf an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass die Bestimmung der zukünftigen Lebenserwartung keine triviale Aufgabe ist. In dem Vorschlag der FDP wird so getan, als könne man die zukünftige Lebenserwartung einzelner Jahrgänge genau vorhersagen. Darüber werden Statistiker – wenn überhaupt – irritiert bis belustigt sein.

2.) Der entscheidende Punkt ist hier verborgen: »Um das Arbeiten im Alter zu fördern, will die FDP zudem die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner vollständig flexibilisieren … Die FDP will die Hinzuverdienstgrenzen komplett abschaffen. Für erwerbstätige Rentner sollen sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung wegfallen. „Versicherte können so ab dem 60. Lebensjahr ihre Arbeitszeit reduzieren und den Verdienstausfall durch Bezug einer Teilrente teilweise kompensieren oder – wenn sie möchten – länger arbeiten“, wirbt die FDP für eine neue Rentnerfreiheit.«

Also das hört sich doch jetzt wirklich gut an – eine neue „Rentnerfreiheit“. Und grundsätzlich ist die Forderung nach Teilrenten-Modellen eine richtige. Das Problem, was sich an dieser Stelle auftut, ist allerdings keineswegs trivial: Wenn die Arbeitgeber die Möglichkeit haben, „junge“ Rentner nicht nur weiter zu beschäftigen, sondern diese auch zu günstigeren Konditionen arbeiten lassen zu können, dann werden sie das auch tun, allerdings muss man sich dann darüber bewusst sein, dass die vorgeschlagene Regelung zu einer Verzerrung dahingehend führen wird, dass die Beschäftigung eines älteren Mitarbeiters, der sich schon im Rentenbezug befindet, günstiger sein wird hinsichtlich der anfallenden Arbeitskosten, als die Beschäftigung eines „Normal“-Arbeitnehmers. Und wieder würde ein Anreiz geschaffen werden, eine bestimmte Personengruppe auf dem Arbeitsmarkt zu bevorzugen. Dies muss dann auch im Zusammenhang gesehen werden mit der Tatsache, dass zahlreiche ältere Menschen aufgrund der niedrigen Renten-Höhe gezwungen sein werden, einer weiteren Erwerbstätigkeit nachgehen zu müssen. Insofern muss man an dieser Stelle „anerkennt“ anmerken, dass bei einer Realisierung des vorgeschlagenen Konzepts mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, unter anderem die immer wieder diskutierte Problematik einer ansteigenden Altersarmut aufgrund zu niedriger Renten, denn nunmehr kann man ja den Betroffenen den „Ausweg“ einer weiteren und sogar noch geförderten Beschäftigung nahe legen. Und die Arbeitgeber werden sich über diesen Vorschlag freuen, denn vor dem Hintergrund des demografischen Wandels werden sie ein großes Interesse daran haben, einen Teil der älteren Arbeitnehmer und sei es Teil zeitlich weiter beschäftigen zu können.

Die Diskussion über eine Öffnung des Arbeitsmarktes an dieser Stelle ist nicht neu – sie wird auch unter dem Stichwort „Flexi-Rente“ geführt. So schreibt Wolfgang Prosinger in seinem Artikel Endlich geht es dem Problem an die Wurzel:

»Ist die weithin starre Regelung des Eintrittsalters in die Rente noch zeitgemäß? Gibt es nicht ein Heer von rüstigen, körperlich und geistig gesunden Rentnern, für die es geradezu absurd zu sein scheint, mit 65 respektive 67 in die Untätigkeit abgeschoben, zum alten Eisen verdammt zu werden? Dieses Heer zählt nach Millionen, nach vielen Millionen. Jetzt endlich wird darüber geredet, Stimmen werden laut, die Arbeitsmöglichkeiten über das Stichdatum hinaus fordern, und ein Wort dafür ist auch schon gefunden: Flexi-Rente. Also ein Einstieg in den Ruhestand je nach Wünschen und Können der Betroffenen.«

Um welche Größenordnung es hier geht bzw. gehen könnte? Arbeitende Rentner sollen Fachkräftemangel lindern, so ist ein Artikel der FAZ überschrieben, der sich auf Berechnungen des DIW bezieht: Das DIW sieht ein Potential von zusätzlich bis zu 250.000 Rentnern, die arbeiten wollten – wenn die Politik dafür Anreize setzt. Derzeit sind gut 150.000 Menschen im Rentenalter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Diesem Beitrag kann man entnehmen, dass die Überlegungen innerhalb der CDU sogar noch weiter gehen als die der FDP (zumindest in der Form, wie sie derzeit dargestellt werden in den Medienberichten), denn die FDP plädiert angeblich und „nur“ für einen Wegfall der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung, wenn Unternehmen Rentner weiter beschäftigen. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung Carsten Linnemann hingegen wird und dem FAZ-Artikel so zitiert: »Nach seiner Überzeugung sollten die Arbeitgeber von der Zahlung von Sozialbeiträgen für Rentner befreit werden. Außerdem sollte der Abschluss befristeter Arbeitsverträge möglich werden.« Ganz offensichtlich geht es bei diesem Vorschlag nicht nur um eine Entlastung der Arbeitgeber auf der Seite der Sozialversicherungsbeiträge, sondern auch um die Eröffnung der Möglichkeit, die älteren Mitarbeiter befristet zu beschäftigen, was natürlich auch bedeuten würde, dass man sich entsprechend problemlos wieder von ihnen trennen kann. Summa summarum wäre das dann die Schaffung eines Alters-Arbeitsmarktes mit eigenen, d.h. abweichenden Regeln vom „Normal-Arbeitsmarkt“.
Nach Angaben des DIW soll es schon seit Jahren etwa 100.000 Personen im Alter von 65 bis 74 Jahren geben, die nicht arbeiten, dies aber gern täten. Wie aber kommen die nun auf 250.000 potenzielle Rentner-Arbeitnehmer? »Nehme man eine Quote von 10 Prozent zum Ziel – und damit heutige Rentner-Erwerbsquoten in der Schweiz oder Dänemark – ergebe sich ein Zuwachs von 250.000 Beschäftigte.

Während Linnemann mit den Worten zitiert wird, dass die Beitragsausfälle in der Sozialversicherung in seinem Modell überkompensiert werden durch die von den weiter erwerbstätigen Rentnern zu zahlenden Steuern (wobei hier unterstrichen werden sollte, dass es die „Rentner“ sind, die die Steuern dann bezahlen müssen), kommt das Bundesarbeitsministerium »zu der Einschätzung, dass eine flexiblere Gestaltung des Renteneintritts die Sozialversicherung mit hohen Beitragsausfällen belasten würde. Sollten Arbeitgeber, die Rentner weiterbeschäftigen, dafür von der Beitragspflicht befreit werden, würde das die gesetzliche Rentenversicherung knapp eine Milliarde Euro im Jahr kosten. Das geht aus einer Antwort des SPD-geführten Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervor.«

Es ist schon mehr als offensichtlich, worum es hier eigentlich geht: Würden die Vorschläge umgesetzt werden, dann gibt es einen ganz klaren Gewinner und das wären die Arbeitgeber, die auf der Seite der Sozialbeiträge im Fall von weiterbeschäftigten „Rentnern“ massiv entlastet werden würden.  Und die angekündigte „Rentnerfreiheit“ würde sich im wesentlichen darauf beschränken, dass die Rentner mit geringen Renten die „Freiheit“ haben, sich auf dem für sie etwas geöffneten Arbeitsmarkt um ein Zusatzeinkommen zu bewerben, um den eigenen Lebensunterhalt sicherstellen zu können. Gleichzeitig wäre es ganz elegant möglich, die Verantwortung für Armutsprobleme im Alter auf die Betroffenen zu verlagern, denn sie haben ja die Möglichkeit, sich selbst zu helfen, indem sie sich auf dem Arbeitsmarkt engagieren.

Diese einseitige Instrumentalisierung einer anderen, flexibleren Ausgestaltung des Renteneintritts ist abzulehnen aufgrund der dadurch – ob bewusst oder unbewusst – ausgelösten Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt.

Die Kritik an den derzeit vorliegenden Modellen bzw. Vorschläge für eine „flexible-Rente“ ist aber keineswegs so zu verstehen, dass die bestehende Systematik beibehalten werden sollte. Eine der großen Aufgaben einer sachorientierten Rentenpolitik in den vor uns liegenden Jahren wird darin bestehen, eine an den Menschen orientierte Flexibilisierung des Renteneintritts in das bestehende System einzubauen bzw. dieses nach diesem Kriterium zu erweitern.