Die Arztpraxis als Eros-Center? Von der Praxis- zur „Kontaktgebühr“. Irrungen und Wirrungen in der aktuellen Debatte über „Selbstbeteiligungen“ in der Gesundheitspolitik

»Steigende Zusatzbeiträge, wachsende Ausgaben: Das deutsche Gesundheitswesen steht unter Druck. Die Arbeitgeberverbände wollen unnötige Arztbesuche nun mithilfe einer »Kontaktgebühr« erschweren«, so eine der Meldungen zu einem dieser verzweifelt-dreisten Griffe in die Mottenkiste der Steuerungsversuche im Gesundheitswesen: Arbeitgeber fordern neue Praxisgebühr bei Arztbesuch, so ist die entsprechende Nachricht überschrieben. Natürlich werden die älteren Semester sofort Erinnerungen an die sogenannte „Praxisgebühr“ aktivieren können, die wir schon mal gehabt haben. Und die dann abgeschafft wurde. 

Wie war das eigentlich mit dem Vorgängermodell? Einige Anmerkungen zur Praxisgebühr (geb. 2003, verstorben 2012)

Mit der Einführung des Gesundheitsmodernisierungesetzes (GMG) aus dem Jahr 2003 wurde grundsätzlich bei allen medizinischen Versorgungsleistungen eine Zuzahlung von 10 Prozent der Kosten bis zu einem Höchstbetrag von 10 Euro fällig. Seit Jahresbeginn 2024 mussten erwachsene GKV-Mitglieder für ambulante Arzt- und Zahnarztbesuche eine Gebühr von 10 Euro bezahlen, die grundsätzlich einmal im Quartal sowie bei Inanspruchnahme weiterer niedergelassener Ärzte ohne Überweisung fällig wurde. Präventive Maßnahmen wie Schutzimpfungen, Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen waren von der Zuzahlungspflicht ausgenommen.

Und dann meldete der Deutsche Bundestag am 9. November 2012 unter der Überschrift Bundestag schafft einstimmig die Praxisgebühr ab: »Die Praxisgebühr wird abgeschafft. Gemäß Beschluss des Bundestagsplenums läuft die weithin unbeliebte Regelung, wonach gesetzlich versicherte Patienten beim Arztbesuch zehn Euro pro Quartal zu entrichten haben, zum Jahresende aus. Um den Beschluss hierzu, den der Koalitionsausschuss in der Nacht auf den 5. November gefasst hatte, möglichst rasch umzusetzen, wurde quasi im Huckepackverfahren eine entsprechende Bestimmung an das Assistenzpflegegesetz … angehängt.« Damals hatten wir eine schwarz-gelbe Koalition und der Bundesgesundheitsminister hieß Daniel Bahr (FDP). Der wird mit den Worten zitiert, dass er davon überzeugt sei, »dass mit der Entscheidung der Koalition eines der größten Ärgernisse für die Patienten in Deutschland aus dem Wege geräumt wird. „Heute ist ein guter Tag für die Patienten in Deutschland“, betonte der Minister. Bei der Einführung der Praxisgebühr im Jahre 2003 hätten SPD und Grüne gehofft, dass dadurch die Zahl der Arztbesuche zurückgehen werden. „Heute wissen wir, dass die Hoffnung sich nicht erfüllt hat“, sagte Bahr.«

Interessant vor diesem Hintergrund ist, was die damals oppositionelle SPD zu dem Vorgang zu sagen hatte, denn tatsächlich war die Praxisgebühr ja von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) 2003 beschlossen worden: »Schwarz-Gelb streicht die Praxisgebühr. Dabei hat die Union fast bis zuletzt an der vom heutigen bayerischen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erfundenen Praxisgebühr festgehalten. Sie fiel im Kuhhandel um das Betreuungsgeld. Damit wird früherer politischer Murks durch neuen politischen Murks abgeschafft«, konnte man wenige Tage vorher unter der Überschrift Praxisgebühr: Wer hat’s erfunden? auf der Seite der SPD-Bundestagsfraktion lesen. Und wer hatte das so gesagt? Es war der damalige gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach. Der sollte dann mal später das machen, was der Bahr gemacht hat.

Zur Geschichte der Praxisgebühr (aus Sicht der SPD): Wie erläuterte die SPD anlässlich der damals bevorstehenden Abschaffung der Praxisgebühr ihre Einführung? Aufgepasst, da taucht ein weiterer Steuerungsansatz auf, der heute (als „Primärarztsystem“) ebenfalls aus der Schublade gezogen wird:

»Die im internationalen Vergleich hohe Anzahl von Arztbesuchen in Deutschland, und vor allem die bei den teuren Fachärzten, war 2003 ein Ausgangspunkt für Überlegungen zur Kostensenkung im deutschen Gesundheitssystem. Denn die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schienen immer mehr aus dem Ruder zu laufen. Die damals regierende SPD und ihr grüner Koalitionspartner wollten die so genannte hausarztzentrierte Versorgung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung durchsetzen, um die Zahl der Facharztbesuche zu senken und u. a. dadurch die Kosten reduzieren. Dies hätte bedeutet, dass Patientinnen und Patienten erst zu ihrem Hausarzt gehen, der gegebenenfalls einen Facharzt bei der Behandlung hinzuziehen kann, und dann eine Überweisung ausstellt. Dieses Vorhaben hat die Union im Bundesrat blockiert.«

Die zentrale Botschaft 2012: »Die SPD-Fraktion war nie für die Praxisgebühr.« Und warum hat sie die dann eingeführt? Ebenfalls Achtung, hier kommt eine der großen sozialdemokratischen Erzählungen der vielen vergangenen Jahre: Sonst wäre es noch schlimmer gekommen:

Die SPD »… hatte ihr im Rahmen der Verhandlungen um das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) 2003 zugestimmt um Schlimmeres zu verhindern. Denn wäre es nach CDU und CSU und vor allem nach Horst Seehofer gegangen, dann hätten alle Versicherten bei jedem Arztbesuch zehn Prozent der Behandlungskosten aus eigener Tasche bezahlen müssen. Und zwar egal, ob in der Hausarzt- oder in der Facharztpraxis, egal ob beim Erst- oder beim Wiederholungsbesuch. Mindestens 5 Euro wollten CDU und CSU für jeden Praxisbesuch kassieren.« Die SPD habe das „abgebremst“: »Deshalb hat die SPD mit der Union vereinbart, dass 10 Euro pro Quartal von den GKV-Versicherten zu zahlen sind. Kinder sind davon befreit, und es kann eine Befreiung für ein Kalenderjahr ausgestellt werden, wenn über zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens (ein Prozent bei chronisch Kranken) für Zuzahlungen – etwa für Krankenhausaufenthalte und Arznei – belegt werden können. Wenn der Patient oder die Patientin die Praxisgebühr bezahlt hat, können er oder sie weitere Ärztinnen und Ärzte per Überweisungsschein aufsuchen.«

Unabhängig von der Detailausgestaltung: Auch die SPD hatte eine bestimmte Wirkungsannahme, die mit der Gebühr verbunden wurde, vor Augen: Das Ziel war, durch die Zahlung der Praxisgebühr die Bürger von vermeintlich überflüssigen Arztbesuchen abzubringen. Nun sind hinterher bekanntlich alle schlauer, so auch die SPD im November 2012: »Bis auf einen Rückgang der Arztbesuche kurz nach Einführung der Praxisgebühr im Jahr 2004 hat sie ihre beabsichtigte Steuerungswirkung verfehlt.«

Immerhin sprechen wir hier nicht über Peanuts, die man den Patienten abgeknöpft hat: Im Jahr 2011 reichten Ärzte und Zahnärzte fast 2 Milliarden Euro als Einnahmen aus der Praxisgebühr an die gesetzliche Krankenversicherung weiter. 

Dieser Hinweis ist auch deshalb wichtig, weil man immer wieder mit der Auffassung konfrontiert wurde (und auch in der aktuellen Debatte über eine Reanimation dieses Instruments würde das passieren), dass die Gebühr im Säckel der Praxen landet, die man da aufsucht. Dem war aber nicht so, die Praxen waren gleichsam nur Geldeintreiber und mussten das dann weiterleiten an die Krankenkassen. 

Die frühere „Praxisgebühr“ als Gegenstand wissenschaftlicher Evaluierungsversuche

Ab der Einführung der Praxisgebühr wurden vor dem Hintergrund der großen Erwartungen hinsichtlich einer Steuerungswirkung im Sinne eines Rückgangs der Arztinanspruchnahme im niedergelassenen Bereich Evaluierungsversuche gemacht. Hier wird ausdrücklich von Evaluierungsversuchen gesprochen, denn es ist natürlich nicht einfach (bis teilweise unmöglich), in einem Bereich, der von so vielen Einflussfaktoren (und Besonderheiten) durchzogen ist wie das Gesundheitswesen, zu relativ klaren Wirkungsbefunden einer einzelnen Maßnahme zu kommen. Vgl. ausführlicher Holst (2008: 51 ff.) am konkreten Beispiel der damaligen Studienlage zur Praxisgebühr und das eingebettet in die größere Debatte über die (Nicht-)Wirkungen von „Selbstbeteiligungsmodellen“ mit ernüchternden Befunden angesichts der Widersprüchlichkeit der Studienergebnisse.1 Auf die Ambivalenz der Wirkungsforschungsbefunde verweist auch Wimmer 2012 in seiner Arbeit über das Beispiel Praxisgebühr – die nichts gebracht, aber dennoch gewirkt hat.2

Bereits im Juli 2005 wurde die Studie von Grabka et al. 2005 veröffentlicht – mit dieser hinsichtlich der vorher vorgetragenen Wirkungsannahmen positiv daherkommenden Erkenntnis: »Der Beitrag zeigt auf, dass die Zahl der Arztbesuche im Jahre 2004 im Vergleich zum Jahr 2003 signifikant gesunken ist. Der Anteil derjenigen, die in beiden Jahren mindestens einmal einen Arzt aufsuchten, blieb dagegen relativ konstant. Zwei Logit-Modelle verdeutlichen, dass gesundheitlich notwendige Arztbesuche z.B. bei Schwerbehinderten und Personen mit schlechtem Gesundheitszustand weiterhin getätigt wurden. Des Weiteren konnte keine Benachteiligung von Personen mit geringem sozialem Status festgestellt werden. Die Ergebnisse werden auch von anderen Studien bestätigt. Es erscheint somit plausibel anzunehmen, dass die Einführung der Praxisgebühr dazu beigetragen hat, die Zahl nicht notwendiger Arztbesuche oder Mehrfachuntersuchungen zu verringern.«3 

Augurtzky et al. 2007 kamen dann zu diesem abweichenden Ergebnis: »Erste Fallzahlen der kassenärztlichen Vereinigungen deuteten darauf hin, dass die Zahl der Arztbesuche nach der Einführung der Praxisgebühr deutlich zurückgegangen ist. Die vorliegende, vom RWI Essen durchgeführte Studie untersucht, inwieweit sich die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von drei Monaten mindestens einen Arzt zu besuchen, durch Einführung der Praxisgebühr geändert hat. Auf Grundlage von Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) zeigt sich jedoch, dass die Praxisgebühr keinen signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs hat.«4

Am Anfang war da was, dann war das wieder weg. So kann man rückblickend die Befundlage einschätzen. Dazu Heuer (2016: 15) in seiner Studie, ob und wie die Praxisgebühr Patientenverhalten und Verordnungsmuster verändert hat: »Die Einführung der Praxisgebühr wirkte zunächst abschreckend auf Patienten: In fast allen Fachgruppen gingen die Fallzahlen zurück. Die Erstinanspruchnahme von Fachärzten ging stark zurück. Die Wirkung war jedoch nicht von Dauer: Noch während der Zeit der Praxisgebühr stiegen die Behandlungsfallzahlen wieder an. Nach ihrem Ende kletterten auch die Erstinanspruchnahmen von Fachärzten in die Höhe – die Hemmschwelle für Patienten, ohne Überweisung zu kommen, war gefallen.«

Zurück in die Gegenwart: Was genau sollte jetzt (wieder) eingeführt werden?

»Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) plädiert für eine neue Art der Praxisgebühr.« Eine „neue Art“ – was muss man sich darunter vorstellen?

»Geschäftsführer Steffen Kampeter schlug … eine sogenannte Kontaktgebühr vor, die bei jedem Arztbesuch fällig werden soll.« Also nicht wie früher eine einmalige Pauschale pro Quartal (und eine Freistellung bei Überweisung) – sondern bei jedem Arztbesuch müsste man das Portemonnaie bzw. mit der Zeit gehend das Smartphone für eine kontaktlose Begleichung der „Kontaktgebühr“ gezückt werden. Ziel der Gebühr sei eine „effizientere Patientensteuerung“. Und Kampeter hält nicht hinter dem Berg: »Die Gebühr solle vordergründig nicht die Einnahmen der Kassen steigern, sondern unnötige Arztbesuche verhindern und Patienten zu medizinisch sinnvollen Terminen lenken.« Es geht also um eine Abschreckung des „unnötigen“ Kontakts. Seine Zielgröße sei, das sogenannte „Ärzte-Hopping“ zu begrenzen.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: »Kritiker mahnen, diese würde Kranke belasten und Ungleichheit verschärfen«, kann man beispielsweise diesem Artikel entnehmen: Patientenschützer warnen vor Kontaktgebühr. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, spricht von einer „alten Leier“ und erklärt, dass die 2012 abgeschaffte Praxisgebühr „keine Steuerwirkung“ gehabt habe. Neben dem hohen Verwaltungsaufwand für die Praxen verweist Brysch auf die damaligen Auswirkungen einer solchen Gebühr, die aus seiner Sicht darin bestanden haben, »dass es Patienten gab, die auch wegen der Praxisgebühr viel zu spät eine ärztliche Konsultation aufsuchten.«

Dennis Radtke, Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), von der WirtschaftsWoche als „Arbeiterführer der CDU“ apostrophiert, ätzt gegen den Vorschlag aus dem Arbeitgeberlager: „Wenn die BDA für jede Forderung nach politischen Ladenhütern fünf Euro ins Phrasenschwein werfen würde, hätten wir vermutlich schon einen wesentlichen Beitrag zur stabilen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen geleistet“, wird er in dem Beitrag „Bürokratisch und ungerecht“: CDU-Sozialflügel kritisiert Arbeitgeber-Vorschlag zitiert. Denn die Rückkehr zur Praxisgebühr gehöre genau in diese Kategorie. Sie sei „überholt, bürokratisch und sozial ungerecht“.

Auch der Hausärzte-Verband lehnt den BDA-Vorschlag ab. Er sei „nicht nur unsozial, sondern auch komplett undurchdacht“, so die Verbandschefin Nicola Buhlinger-Göpfarth. So eine Gebühr würde bedeuten, dass Patienten bei jedem Arztbesuch zahlen müssten, „egal ob es sich um eine Krebsbehandlung, eine Impfung oder sonst ein dringendes Anliegen handelt“.

Man kann das jetzt schubladisieren in den ritualisierten Kreislauf von Vorschlag und Kritik. Man kann aber auch abschließend den Finger auf ein wirkliches Fragezeichen legen, dessen Besprechung für „beide Seiten“ unangenehm werden würde – das aber nicht verkleinert oder aufgelöst werden kann, in dem man wie bei dem neuerlichen und schärferen Vorstoß der Arbeitgeberseite einer generellen Gebühr für jeden (also auch für die vielen sinnvollen oder notwendigen) Arztkontakt gleichsam mit der Schrotflinte auf alles schießt, was sich bewegt: Natürlich ist es so, dass wir im bestehenden System, in dem unter dem gewichtigen Begriff der „freien Arztwahl“ keine wirkliche Patiententeuerung stattfinden kann (was ja auch der Hintergrund für die parallele Debatte über ein „Primärarztsystem“ ist), auch das Phänomen haben, dass es einen (kleinen?) Teil der Versicherten gibt, die es schaffen, in einem Quartal mehrere Fachärzte parallel aufzusuchen und bei denen im wahrsten Sinne des Wortes eine unkontrollierte (Mehrfach-)Diagnostik und -Behandlung stattfindet. Die Krankenkassen könnten das von der Datenseite nachvollziehen und aggregiert veröffentlichen, dann könnte man auch abschätzen, ob das ein Problem ist und wenn ja, in welchem Umfang. Hier könnte man das erst einmal postulierte „Ärzte-Hopping“ (das zugleich auch seinen Anteil hat oder haben könnte an einem anderen, viel beklagten Problem: dem Terminmangel bzw. in manchen Fällen der Unmöglichkeit, überhaupt einen Termin zu bekommen), durch eine modernisierte Variante des Überweisungssystems wenn, dann besser in den Griff bekommen. Was aber wiederum neue Fragezeichen bewirkt: Selbst wenn man diesen Weg gehen wollte, stellt sich die Frage, ob wir überhaupt genügend Haus- bzw. Primärärzte hätten, um diesen Steuerungsansatz zu realisieren.

Es ist und bleibt kompliziert. 

Literaturverzeichnis

Augurtzky, Boris et al. (2007): Zeigt die Praxisgebühr die gewünschte Wirkung?, Essen: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Februar 2025

Grabka, Markus M. et al. (2005): Die Einführung der Praxisgebühr und ihre Wirkung auf die Zahl der Arztkontakte und die Kontaktfrequenz – eine empirische Analyse, Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Juli 2005

Heuer, Joachim (2016): Placebo oder Wunderpille? Wie die Praxisgebühr Patientenverhalten und Verordnungsmuster veränderte, Berlin: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, 2016

Holst, Jens (2008): Kostenbeteiligungen für Patienten – Reformansatz ohne Evidenz! Theoretische Betrachtungen und empirische Befunde aus Industrieländern, Bwerlin: Wissensnchaftrszentrum Berlin für Sozialforschung, Juli 2008

Wimmer, Thomas (2012): Unintendierte Nebenfolgen politischer Steuerungsinstrumente. Warum die Praxisgebühr nichts gebracht und dennoch gewirkt hat, in: Soziale Welt, 2012, S. 361 – 378

Zok, Klaus (2005): Das Arzt-Inanspruchnahmeverhalten nach Einführung der Praxisgebühr. Ergebnisse aus zwei Repräsentativumfragen unter 3.000 GKV-Versicherten, in: WIdO-monitor, Nr. 2/2025, S. 1-7

Fußnoten

  1. Bereits im Sommer 2008 kam Holst zu diesem Ergebnis seiner Analyse: »Nach gründlicher Auswertung des Forschungsstandes kommt der Autor zum Schluss, dass Moral Hazard in der Krankenversicherung ein Popanz der akademischen Wirtschaftstheorie geblieben ist. Für die Einführung von Kostenbeteiligungen für Patienten fehlt es an hinreichender realitätsbasierter Evidenz. In Anbetracht der schädlichen versorgungspolitischen Effekte erscheinen die Rücknahme aller Patientenzuzahlungen und der Verzicht auf Selbstbeteiligungen geboten.« ↩︎
  2. Wimmer (2012: 376) plädiert keineswegs dafür, dass politische Maßnahmen nicht evaluiert oder die Ergebnisse dieser Studien von politischen Entscheidungsträgern ignoriert werden sollten. Nach der Analyse der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Befunde zur Praxisgebühr hat er seinen Einwand so formuliert: »Spätestens dann jedoch, wenn ein und dieselben Autoren … innerhalb weniger Jahre zu völlig gegensätzlichen Empfehlungen kommen, sollte auch dem Laien klar werden, dass hier doch eine erhebliche Unsicherheit bezüglich der Wirksamkeit einer politischen Maßnahme besteht.« ↩︎
  3. Zok (2005) hat auf der Basis von repräsentative Befragungen unter jeweils 3.000 GKV-Versicherten, die im Frühjahr 2004 und 2005 durchgeführt wurden, diese Schlussfolgerung gezogen: »Die Ergebnisse zeigen, dass die Praxisgebühr zu einer „Renaissance“ der Überweisung führt: Die meisten Patienten lassen sich überweisen, anstatt direkt Fachärzte aufzusuchen. Dabei geben neun von zehn Versicherten an, einen Allgemeinmediziner oder Internisten als Hausarzt zu haben. Die unmittelbar nach dem Start der Gesundheitsreform zu beobachtende soziale Verzerrung durch die Praxisgebühr ist verschwunden – damals hatten einkommensschwache und arbeitslose Versicherte deutlich überproportional angegeben, wegen der Praxisgebühr auf Arztbesuche zu verzichten beziehungsweise diese zu verschieben.« Erwartbar war die Kommentierung der Befragungsergebnisse durch Franz Knieps, der damals Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium war: »Die WIdO-Befragung bestätigt die Erwartungen des Ministeriums: Die im internationalen Vergleich herausragend hohe Zahl von Arztkontakten hat leicht abgenommen. Vor einem Besuch beim Spezialisten holen sich fast alle Versicherten eine Überweisung ihres Hausarztes. Soziale Gründe hindern nicht am Arztbesuch. Allerdings überlegen sich die Versicherten genauer, wann sie welchen Arzt aufsuchen. Genau dies war politisch gewollt. Der mündige Patient soll aktiver in das Geschehen einbezogen werden, um ökonomische und gesundheitliche Verantwortung zu übernehmen. Sozialklauseln garantieren, dass niemand überfordert wird. Die Praxisgebühr ist also ein Erfolgsmodell.« ↩︎
  4. Trotzdem konnten und wollten die Gesundheitsökonomen von ihren tief verankerten Wirkungsannahmen (oder -hoffnungen) nicht lassen. In ihrem Fazit schreiben Augurtzky et al. (2007: 6): »Dennoch bleibt offen, ob nicht weiterhin bei den nicht-trivialen Arztbesuchen eine Übernachfrage nach Gesundheitsleistungen seitens der Patienten auftritt. Eine stärkere Beteilung der Patienten an ihren Behandlungskosten ist prinzipiell sinnvoll, um deren Kostenbewusstsein zu erhöhen und eine mögliche Übernachfrage zu vermindern. Unter diesem Aspekt ist aus unserer Sicht eine prozentuale Selbstbeteiligung an den Behandlungskosten die bessere Lösung. Sollte es sich dabei aus politischen Gründen jedoch nur um einen sehr kleinen Anteil handeln, könnten leicht die administrativen Kosten zur Umsetzung dieses Vorschlags prohibitiv hoch werden. In diesem Fall ist eine pauschale Gebühr durchaus vorzuziehen.« Und dann ergänzten die Autoren (bereits 2007 und damit wieder höchst aktuell): »Im Gegensatz zur derzeitigen Praxisgebühr würden wir allerdings eine Gebühr für jeden Arztbesuch statt für das Quartal als effektiver erachten.« ↩︎