Die Bürgergeld-Ausgaben „steigen und steigen“ (nicht mehr) – sie sinken

In den vergangenen Monaten wurde man mut zahlreichen Artikeln und Meldungen in den Medien konfrontiert, nach denen die Ausgaben für das „Bürgergeld“, also die Grundsicherung nach SGB II, aus dem Ruder laufen, dass die Ausgaben „steigen und steigen“. »Deutschland hat 2024 knapp 47 Milliarden Euro für Bürgergeld-Zahlungen ausgegeben – mehr als im Jahr davor. Die AfD wertet das als „unkontrollierten“ Anstieg«, kann man beispielsweise diesem Artikel entnehmen, der Anfang August 2025 veröffentlicht wurde: Bürgergeld kostete 2024 fast 47 Milliarden Euro: »Die Bundesrepublik hat im vergangen Jahr 46,9 Milliarden Euro für Bürgergeld-Zahlungen ausgegeben. Das waren rund vier Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Der Anstieg betrug demnach circa 9,3 Prozent … Insgesamt gab es im Jahr 2024 etwa 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld bezogen. Dazu zählen auch Kinder und Jugendliche.«

Die Zahlenangaben entstammen der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag (Entwicklung der Ausgaben im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Bürgergeld – in den Jahren 2024 und 2025, BT-Drs. 21/1069 vom 28.07.2025). Nicht überraschend wurde darin auch gefragt, wie hoch die Ausgaben für deutsche und ausländischen Leistungsbezieher waren. Über die Antwort der Bundesregierung hierzu wird berichtet: 

»52,6 Prozent der Gesamtsumme (wurden) an deutsche Staatsangehörige ausgezahlt, 47,4 Prozent gingen an Menschen ohne deutschen Pass. Diese Aufteilung liegt in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. In der Gruppe der Bezieher ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer und deren Kinder, die seit 2022 vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflüchtet sind. An sie flossen 2024 laut Ministerium rund 6,3 Milliarden Euro. An Menschen aus den acht wichtigsten Asylländern – also etwa Afghanistan oder Syrien – wurden demnach 7,4 Milliarden Euro ausgezahlt.«

Ebenfalls nicht wirklich überraschend war die Reaktion der AfD auf diese Zahlen:

»Der AfD-Abgeordnete René Springer kritisierte: „Die Ausgaben beim Bürgergeld schießen weiterhin unkontrolliert in die Höhe.“ Springer ist zudem der Ansicht, Menschen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, solle der Zugang zum Bürgergeld grundsätzlich verwehrt werden.«

Die Ausgaben „schießen weiterhin unkontrolliert in die Höhe“ (und fast die Hälfte der Ausgaben ist in die Taschen von Menschen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit geflossen, so die eigentliche Botschaft der AfD) – kann man ja mal behaupten und das wird dann schon seine Wirkung entfalten bei denen, die das nur als eine von vielen Nachrichtensplittern zur Kenntnis nehmen (können). 

Aber selbst aus der mittlerweile regierenden Union wird das aufgegriffen und als Hebel verwendet, um Druck auf die mitregierende SPD, die in Person von Bärbel Bas das zuständige Bundesarbeitsministerium besetzt, aufzubauen: »Die Union spricht von einem Weckruf. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marc Biadacz (CDU), sagte dem Handelsblatt, die Entwicklung erhöhe den Reformdruck erheblich. An die Adresse von Ressortchefin Bärbel Bas (SPD) ergänzte er: „Das Bundesarbeitsministerium muss jetzt liefern.“ … Das Bürgergeld setze falsche Anreize, statt konsequent auf Arbeitsaufnahme und Eigenverantwortung zu setzen.«

Der zitierte Artikel aus der Online-Ausgabe der Tagesschau hat wenigstens die Berichterstattung ergänzt um eine abweichende Einschätzung und nicht nur das Statement der AfD stehen lassen. Bereits unter der Überschrift wurde darauf hingewiesen: »Ein Arbeitsmarkt-Experte widerspricht und sieht einen ganz anderen Trend.«

Schauen wir also genauer hin: Der in den Medien vielzitierte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt. und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) widerspricht der Annahme, dass die Ausgaben „unkontrolliert“ in die Höhe schnellen. 

»Der jüngste Anstieg der Gesamtsumme erkläre sich unter anderem mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze 2023 und 2024 wegen der Inflation. In diesem Jahr folgte eine Nullrunde, dies wird auch für 2026 erwartet. „Das ist also kein Trend, der absehbar so weiter gehen wird“, sagte Weber. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gehe zudem seit Herbst 2024 zurück. Das sei eine Trendwende.«

Außerdem müsse berücksichtigt werden: »Als weiterer Grund für die gestiegenen Ausgaben werden von Experten die höheren Wohnkosten von Bürgergeldempfängern genannt.«

Genauer hinschauen: Die Bürgergeld-Ausgaben stiegen nicht (mehr) – sie sinken sogar

Der seit vielen Jahren als tiefgründiger Schürfer in der Welt der Arbeitsmarktstatistik bekannte Paul M- Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat mal genauer hingeschaut und nachgerechnet. 

Herausgekommen ist dieser kurze Beitrag: Bürgergeld: Ausgaben steigen nicht – sie sinken. Mit erhellenden Zahlenangaben. Die zentrale Botschaft seiner Analyse:

»Die jährlichen Zahlungsansprüche von „SGB-II-Bedarfsgemeinschaften“ („Bürgergeld“ einschließlich Sozialversicherungsleistungen, Kosten der Unterkunft und Heizung und relativ geringfügige „weitere Zahlungsansprüche“), die bis Ende 2024 auf insgesamt 46,923 Milliarden Euro gestiegen waren, steigen nicht mehr – sie sinken seit Beginn des Jahres 2025 leicht. In den ersten vier Monaten des vergangenen Jahres (2024) waren diese jährlichen Zahlungsansprüche noch um 1,686 Milliarden Euro gestiegen.«

Er illustriert das mit Hilfe der folgenden Abbildung:

Betrachtet man die jährlichen Zahlungsansprüche der „SGB-II-Bedarfsgemeinschaften“, die bis Ende 2024 auf insgesamt 39,876 Milliarden Euro gestiegen waren, ohne die – weiter steigenden – Leistungen an die Sozialversicherungen (Kranken- und Pflegeversicherung), dann sind diese Zahlungsansprüche deutlich gesunken – um 251 Millionen Euro in den ersten vier Monaten 2025. Zum Vergleich: In den ersten vier Monaten des vergangenen Jahres (2024) waren diese jährlichen Zahlungsansprüche noch um 1,493 Milliarden Euro gestiegen.

Die jährlichen Zahlungsansprüche ohne Sozialversicherungsleistungen und ohne die Zahlungsansprüche für die Kosten der Unterkunft und Heizung, die bis Ende 2024 auf insgesamt 22,191 Milliarden Euro gestiegen waren, sanken in den ersten vier Monaten 2025 um 246 Millionen Euro. In den ersten vier Monaten des vergangenen Jahres (2024) waren diese jährlichen Zahlungsansprüche noch um 1,050 Milliarden Euro gestiegen.

Paul M. Schröder bilanziert am Ende seines Beitrags:

»In der nicht endenden „Stimmungsmache“ gegen Menschen, die auf Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, „steigen und steigen“ die Ausgaben für das „Bürgergeld“, auch wenn schon seit Monaten kein (auch nur nominales) Steigen mehr zu erkennen ist.«