Kommando zurück? Vom „Null-Bock-Land“ zu einem Rekordhoch bei der Erwerbsarbeitszeit pro Kopf. Und was die Frauen damit zu tun haben

Da wurde erst vor kurzem eine dieser (im Sommer besonders) schnelllebigen Sauen durchs mediale Dorf getrieben: Eine „Studie“ (die keine ist) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kann angeblich zeigen, dass wir im internationalen Vergleich abgehängt sind und immer weniger arbeiten, während in anderen Ländern länger in die Hände gespuckt wird (die Original-Nachricht des IW stand unter der bei einigen sicher den Blutdruck steigernden Headline Arbeitszeiten: Griechen arbeiten 135 Stunden im Jahr mehr als Deutsche). Wie man das daraus folgende Durcheinander und die statistischen Merkwürdigkeiten einordnen kann, wurde hier am 1. August 2025 in dem Beitrag Sogar „die“ Griechen arbeiten mehr als „die“ Deutschen? Und schon geht sie (wieder) los, die Debatte, dass wir mehr und länger und überhaupt arbeiten sollen müssen ausführlich entfaltet.

Und nun erreicht uns so eine Nachricht: Höchstes Niveau seit Wiedervereinigung: Arbeitszeit pro Kopf erreicht Rekordhoch – Mehr Frauen berufstätig: »Manche Politiker beklagten zuletzt, die Deutschen würden zu wenig arbeiten. Bevölkerungsforscher kommen zu einem anderen Urteil. Frauen spielen dabei eine Schlüsselrolle.« Die Meldung bezieht sich auf Auswertungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden.

Also schauen wir gleich mal in das Original. Beim BiB findet man diese Pressemitteilung des Instituts vom 12.08.2025: Arbeitszeit pro Kopf auf Rekordhoch – Anstieg wird von Frauen getragen: »Die Arbeitszeit pro Kopf ist in Deutschland in den letzten Jahren stark gestiegen. Sie liegt aktuell mit annähernd 29 Stunden pro Woche auf dem höchsten Niveau seit der Wiedervereinigung.«

Was haben die genau gemacht, um zu solche Aussagen zu kommen?

»Berechnet wurde die geleistete wöchentliche Arbeitszeit pro Kopf für die Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 20 und 64 Jahren. Hierdurch sind alle Personen in der Bevölkerung unabhängig von ihrem aktuellen Erwerbsstatus berücksichtigt. Der Anstieg geht insbesondere auf die Frauen zurück, bei welchen sich die Arbeitszeit pro Kopf in den letzten 15 Jahren deutlich erhöht hat. Bei Männern liegt die Arbeitszeit pro Kopf dagegen in etwa auf dem Niveau, das Anfang der 1990er Jahre verzeichnet wurde.«

➔ Zum methodischen Vorgehen bekommen wir noch den Hinweis: »Die Berechnungen sind altersstandardisiert mit Bezug auf die Altersstruktur der Bevölkerung im Jahr 2022. Dies dient dazu, den Einfluss von Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung im Betrachtungszeitraum auf die beobachteten Trends herauszurechnen.«1 Datenbasis ist der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes, also eine Stichprobenerhebung.

Eine grafische Umsetzung der Rechenergebnisse wird mitgeliefert:

Quelle der Abbildung: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2025): Arbeitszeit pro Kopf auf Rekordhoch – Anstieg wird von Frauen getragen, Pressemitteilung vom 12.08.2025.

Die Frauen sind schuld

Wie kommt es zu einem Anstieg der geleisteten Wochenarbeitsstunden pro Kopf von 1991 bis 2022 um 2,6 Stunden? Der speist sich fast ausschließlich aus dem Anstieg der Wochenarbeitsstunden bei den Frauen (+5,6 Stunden).

»Während Frauen 1991 im Schnitt rund 19 Wochenarbeitsstunden leisteten, waren es 2022 bereits über 24 Stunden.«

Moment, haben wir in dem Zeitraum nicht einen starken Anstieg der Teilzeitarbeit gerade bei den Frauen zur Kenntnis nehmen müssen? Dann erwerbsarbeiten die doch weniger? Die Auflösung:

Der Anstieg wird durch eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen getragen. Die zunehmende Teilzeittätigkeit konnte durch eine starke Erhöhung des Anteils erwerbstätiger Frauen deutlich überkompensiert werden. »So ist der Anteil erwerbstätiger Frauen innerhalb der letzten drei Jahrzehnte um fast ein Drittel gestiegen.«2

Und was machen die Männer so?

»Im Vergleich zu den Frauen zeigen sich bei Männern über den Zeitraum seit 1991 nur geringe Veränderungen. Bedingt durch die wirtschaftliche Schwächephase nach der Wiedervereinigung mit zahlreichen Betriebsschließungen vor allem im Osten Deutschlands sank die durchschnittliche Wochenarbeitszeit zunächst ab und erreichte Mitte der 2000er Jahre ihren Tiefpunkt. Seitdem ist ein Wiederanstieg zu beobachten, der nur von der Coronapandemie unterbrochen wurde.«

Dann kommt noch vor dem Hintergrund einer anderen strittigen Diskussion (das die Leute angeblich immer früher in den Rente abgehen) ein interessanter Hinweis:

»Die Daten belegen, dass Männer aktuell … häufiger erwerbstätig sind als 1991, und hier vor allem im höheren Alter.«

Allerdings: Die erwerbstätigen Männer arbeiten mittlerweile im Schnitt 2,6 Stunden pro Woche weniger.

In der Bilanz kann man aber festhalten:

»In der Summe gleichen sich die beiden Faktoren aus, sodass die Arbeitszeit pro Kopf bei Männern heute ziemlich genau auf dem Niveau von vor 30 Jahren liegt.«

Die BiB-Forscher bilanzieren:

»Die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf sind gestiegen – vor allem durch die höhere Erwerbsbeteiligung bei Frauen. Der Abstand zwischen den Geschlechtern hat sich im Beobachtungszeitraum deutlich verringert. Während 1991 Frauen im Schnitt rund 14 Stunden weniger arbeiteten als Männer, beträgt der Unterschied heute nur noch gut 9 Stunden.«

Nur der Vollständigkeit halber sei hier darauf hingewiesen, dass es sich um die Erwerbsarbeitszeit handelt, die hier unter die Lupe genommen wurde. Nicht enthalten ist das, was wir als Care- oder Sorge-Arbeit bezeichnen. Auch hier kann man die Hinweise am Ende des Beitrags vom 1. August 2025 erneut anbringen: »Es gibt ja nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch die große Schattenwelt der unbezahlten Arbeit mit dem so existenziellen Bereich der Care- oder Sorge-Arbeit, wo sehr große Mengen an Arbeitsstunden geleistet werden, die aber ausgeklammert werden bei diesen Berechnungen. (vgl. nur als Beispiel für Annäherungen an den monetären Wert die Beiträge Der unsichtbare Wert der Sorgearbeit und ein Versuch, diesen in Zahlen zu pressen vom 24. März 2024 sowie Die pflegenden Angehörigen und das Geld. Eine Studie hat sich mit dem monetären Wert ihrer Leistungen beschäftigt vom 5. Juli 2025. In dem letzten Beitrag wurde über eine neue Studie berichtet, mit der abgeschätzt werden sollte, in welcher Größenordnung sich der monetäre Wert der von pflegenden An- und Zugehörigen geleisteten Sorge-Arbeit bewegt – mit beeindruckenden Befunden). 

Fußnoten

  1. Wenn ausgeführt wird, dass die Berechnungen „altersstandardisiert mit Bezug auf die Altersstruktur der Bevölkerung im Jahr 2022“ sind, dann bedeutet das, dass man die erhobenen Daten (z. B. Krankheitsraten, Sterblichkeitsraten, Unfallhäufigkeiten, in diesem Fall die Arbeitsstunden pro Kopf der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahre) so anpasst, dass Unterschiede in der Altersstruktur der Bevölkerung zwischen den Jahren keinen Einfluss auf den Vergleich haben. Ohne Standardisierung könnte ein Anstieg oder Rückgang eines Merkmalswertes nur daher kommen, dass es im Jahr 2022 z. B. mehr ältere Menschen gibt als 1991 – und nicht, weil der Merkmalswert pro Altersgruppe tatsächlich gestiegen oder gefallen ist. Die Merkmalswerte der Altersgruppen jedes Jahres werden mit den gleichen festen Anteilen der standardisierten Bevölkerung gewichtet, so dass für alle Jahre die gleiche Altersstruktur unterstellt wird. ↩︎
  2. Das BiB legt an dieser Stelle gleich nach vor dem Hintergrund der Debatten über angeblichen oder tatsächlichen Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel und adressiert vor allem an die Politik: »Dennoch seien hier weitere Potenziale vorhanden: „So liegt die von Frauen und insbesondere Müttern als ideal angesehene Arbeitszeit nochmals höher als die aktuell realisierte Arbeitszeit. Familienpolitische Reformen wie der weitere bedarfsgerechte Ausbau der Kindertagesbetreuung sind wichtige Rahmenbedingungen, damit Frauen und auch Männer Erwerbsarbeit und Familie besser vereinbaren können“, so Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB.« ↩︎