Milliarden-Beträge von der Pflege- an die Rentenversicherung und was unten ankommt. Zugleich ein weiteres Lehrstück für die Komplexität sicher gut gemeinter sozialpolitischer Systeme

Die Pflegekassen haben 2023 rund 3,7 Milliarden Euro an Beiträgen für pflegende Angehö­rige in die Rentenkasse eingezahlt. Damit hätten sich die Zahlungen fast vervierfacht. Zehn Jahre zuvor waren es 900 Millionen Euro. So eine Meldung, die Ende 2024 veröffentlicht wurde: Pflegekassen zahlen 3,7 Milliarden Euro in Rentenversicherung. Das ist schon eine Hausnummer. Der eine oder andere wird in Zeiten, in denen von massiven Finanzproblemen der Pflegeversicherung berichtet wird, angesichts der Größenordnung schlucken. Und zugleich daran denken, dass diese Summe aus Beitragsmitteln der umlagefinanzierten sozialen Pflegeversicherung aufgebracht werden muss – für eine Leistung, die man durchaus gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zuordnen kann, womit wir mittendrin wären in der Diskussion über (möglicherweise) versicherungsfremde Leistungen der Sozialversicherung.

Und vielleicht erinnert sich der eine oder andere daran, dass hier bereits vor Jahren das Thema Rentenbeiträge für pflegende Angehörige durchaus kritisch behandelt worden ist: Wieder einmal: Von gut gemeinten Verbesserungen für pflegende Angehörige, diesmal bei der Rente. Und einem nicht nur rechnerischen Irrgarten als Folge bürokratischer Differenzierung, so ist der Beitrag überschrieben, der am 15. April 2018 publiziert wurde. Nicht ohne Grund wird die damalige Überschrift erneut aufgegriffen.

Und der damalige Einstieg kann und muss auch nach Jahren als höchst aktuell wieder zitiert werden: »Je ausgereifter die sozialpolitischen Systeme werden, desto undurchschaubarer werden die Regelungen in diesen höchst ausdifferenzierten Systemen. Denn auf die seit Jahrzehnten bestehenden Regelungen werden zum einen immer weitere Detailregelungen raufgepackt, ohne – was eigentlich notwendig wäre – hin und wieder eine Generalrevision vorzunehmen, um die zwischenzeitlich zahlreich entstandene Schnittstellenprobleme zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Diese Fundamentalproblematik paart sich dann mit dem besonderen deutschen Merkmal einer – gut gemeinten – Produktion von Einzelfallgerechtigkeit bzw. dem Wunsch, unterschiedliche Belastungen auch unterschiedlich abzubilden. Das führt dann aber nicht nur auf Seiten der eigentlich positiv davon Betroffenen dazu, dass sie oftmals gar nicht wissen (können), dass es diese oder jene Regelung für sie gibt, auch die, die sie beraten sollen, sind mehr mit ihrer Fortbildung beschäftigt (oder resignieren).«

Schauen wir genauer hin, denn es geht ja um eine Leistung für pflegende Angehörige und die können Unterstützung sicher gut gebrauchen. Über deren gesamtgesellschaftliche Bedeutung – mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – und den immer wieder berichteten enormen Belastungen dieser sich oftmals aufopfernden Menschen muss hier weiter gesprochen werden. Es gibt zahlreiche und gute Gründe, die in Sonntagsreden beschworene „Pflegeressource“ Angehörige zu pflegen und zu fördern (wobei „Pflegeressource“ ein sich selbst offenbarender Terminus aus der Debatte über die Pflege ist). Folglich hat der Gesetzgeber in den zurückliegenden Jahren immer wieder – und das sei hier vorangestellt: sicher mit besten Absichten – versucht, unterstützende Regelungen für die pflegenden Angehörigen in die Welt zu setzen. Man denke hier nur an die Regelungen zur Pflegezeit oder Familienpflegezeit, deren Inanspruchnahme aber im molekularen Bereich gemessen werden muss. Gut gemeint ist bekanntlich gerade in der Sozialpolitik nicht immer gut gemacht, sondern man landet tatsächlich oftmals ganz woanders.

Und bei den Leistungen der Pflegeversicherung für pflegende Angehörige an die Rentenversicherung geht es um das Problem der (Nicht-)Alterssicherung der pflegenden Angehörigen. Man muss sich einfach nur klar machen, dass es immer noch viele Menschen gibt, die wegen der Pflege von Angehörigen aus ihrer Erwerbsarbeit aussteigen oder diese zeitlich verringern, was neben dem Einkommensausfall natürlich massive Auswirkungen hat auch die Rentenansprüche, die von den Betroffenen (nicht) erworben werden können. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder die Gruppe der pflegenden Angehörigen als eine „Problemgruppe“ in der Armutsforschung behandelt.

Nun hat sich da in den vergangenen Jahren so einiges getan, der Gesetzgeber war bemüht, das Problem für die Betroffenen anzugehen und deren soziale Absicherung zu verbessern. Dazu ein erster Blick auf die Entwicklung der Zahl der rentenversicherten Pflegepersonen in den zurückliegenden zwanzig Jahren:

Ab dem Jahr 2017 steigt die Zahl der rentenversicherten Pflegepersonen sehr stark an. Das war eine unmittelbare Folge der Leistungsverbesserungen, die im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes II zu Beginn des Jahres 2017 in Kraft getreten sind. Von Bedeutung sind insbesondere zwei Neuregelungen: Rentenversicherungsbeiträge werden seitdem für Pflegepersonen von zu pflegenden Personen mit mindestens Pflegegrad 2 (von insgesamt 5 Pflegegraden) gezahlt. Zudem wurde die erforderliche wöchentliche Pflegezeit von 14 auf 10 Stunden verringert.

»Für Angehörige, die regelmäßig und über eine längere Zeit hinweg einen pflegebedürftigen Angehörigen versorgen, werden Rentenversicherungsbeiträge gezahlt. Finanzierungsträger sind die Pflegekassen. Sie zahlten am Jahresende 2023 für rund 1,1 Mio. Personen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen betreuen, Beiträge zur Rentenversicherung«, so der Beitrag Rentenversicherte Pflegepersonen 2004 – 2023 des IAQ, aus dem auch die Abbildung zur Entwicklung der Zahl der rentenversicherten Pflegepersonen entnommen wurde. Das hört sich gut und einfach an – aber genau deswegen sollte man bei der heutigen Ausgestaltung sozialpolitischer Systeme sofort hellhörig und skeptisch werden, denn ist das wirklich so? Es wird denn auch nachgeschoben: »Ein Anspruch auf diese Beitragszahlung besteht, soweit die Pflegebedürftigkeit anerkannt ist (Einordnung in Pflegestufen), die Pflege ehrenamtlich erfolgt und den Einsatz von mindestens 10 Wochenstunden erfordert.«

Das ist aber nur der Anfang der notwendigen Differenzierung, schauen wir mal beim Bundesgesundheitsministerium vorbei. Dort finden wir unter der Überschrift Soziale Absicherung für Pflegepersonen diese Konkretisierung – und wie es sich im Sozialrecht gehört, muss man erst einmal den Personenkreis genau definieren (und abgrenzen): »Eine Pflegeperson im Sinne des Rechts der Pflegeversicherung ist eine Person, die eine Pflegebedürftige oder einen Pflegebedürftigen nicht erwerbsmäßig in ihrer oder seiner häuslichen Umgebung pflegt. Wer eine oder mehrere pflegebedürftige Personen des Pflegegrades 2 bis 5 in ihrer häuslichen Umgebung nicht erwerbsmäßig für wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, pflegt, hat als Pflegeperson Ansprüche auf Leistungen zur sozialen Sicherung.« Nur dann gelten die weiteren Konkretisierungen:

»Die Pflegeversicherung zahlt für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen, die wenigstens zehn Stunden, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage, eine oder mehrere pflegebedürftige Personen pflegen, Beiträge zur Rentenversicherung, wenn die Pflegeperson regelmäßig nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Die Beiträge werden bis zum Bezug einer Vollrente wegen Alters und Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Auch bei Bezug einer Teilrente über die Regelaltersgrenze hinaus können Beiträge weitergezahlt werden. Die Höhe der Beiträge richtet sich dabei nach dem Pflegegrad sowie der bezogenen Leistungsart.«

Die Höhe der Beiträge richtet sich nach dem Pflegegrad sowie der bezogenen Leistungsart – das liest sich so flott, aber die meisten ahnen, dass sich jetzt zahlreiche Kombinationen auftun. Die sind in der folgenden Tabelle dargestellt:

Die Zahlenangaben stammen vom Bundesgesundheitsministerium. Es handelt sich ja durchaus um stattliche Beträge, die hier jeden Monat für die anspruchsberechtigten Pflegepersonen gezahlt werden (können) – in der Spitze gut 700 Euro Beiträge monatlich. Die Höhe der abzuführenden Rentenbeiträge in Multiplikation mit der Zahl der rentenversicherten Pflegepersonen erklärt dann auch die enorme Summe, mit der dieser Beitrag gestartet ist: 3,7 Milliarden Euro, die (nur) an Beiträgen von der Pflege- an die Rentenversicherung fließen (müssen).

Und was kommt unten raus?

Bei der Beratung pflegender Angehöriger muss man nun erst einmal klären, ob sie a) überhaupt zu den Pflegepersonen im Sinne der Regelung gehören und b) in welchem Pflegegrad sich die zu pflegende Person befindet und dann muss auch noch c) abschließend berücksichtigt werden, welcher der unterschiedlichen Leistungsarten (vom Pflegegeld bis hin zur vollen ambulanten Sachleistung durch einen Pflegedienst) konkret abgerufen wird.

Erst dann – wenn der Betroffene bis dahin durchgehalten hat – kann man neben der Bestimmung der konkreten Höhe der von der Pflegekasse zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge (was ja im Hintergrund für die Pflegeperson erfolgt, die davon gar nichts mitbekommt) auch Auskunft geben über das, was das für die konkrete Rente eines pflegenden Angehörigen (mit Rentenversicherung) bedeuten könnte. Und da wird dann aus der ganz großen Hausnummer (3,7 Mrd. Euro) ein erst einmal überschaubarer Rentenbetrag pro Monat:

Und wieder zurück zu dem ganz großen Geld

Man muss zur Kenntnis nehmen, dass hier richtig viel Geld aus der Schatulle der beitragsfinanzierten Pflegeversicherung in die Kasse der ebenfalls beitragsfinanzierten Rentenversicherung fließt. Gerade weil das für einen guten Zweck ist, muss man die Frage beantworten (können und wollen), ob das wirklich von den Beitragszahlern alleine gestemmt werden muss oder gar darf. Sind das nicht gesamtgesellschaftliche Aufgaben?

Der Koalitionsvertrag sieht das genau so: Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, „versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln [zu] finanzieren“ (S. 63). Die Erfüllung der Zielsetzung des Koalitionsvertrags würde die Pflegeversicherung somit erheblich entlasten und die schon allein aus demografischen Gründen notwendigen Beitragssatzanstiege erheblich dämpfen.

Moment, wird der aufmerksame Leser hier einwerfen – es gibt doch noch gar kein Koalitionsvertrag, die vorgezogene Bundestagswahl war doch erst am 23. Februar 2025 und noch ist kein weißer Rauch aus den Berliner Hallen aufgestiegen. Stimmt. Hier wurde aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis ’90/Die Grünen und FDP zitiert, den die drei Parteien am 7. Dezember 2021 unterschrieben haben. Die mittlerweile und vorzeitig Geschichte gewordene Ampel-Koalition hatte sich das vorgenommen. Aber beide Vorhaben sind Absichtserklärungen geblieben, sowohl die Steuerfinanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige wie auch die Erstattung der pandemiebedingten Zusatzausgaben der Pflegeversicherung ebenfalls aus Steuermitteln – weil beides gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind – ist irgendwie verloren gegangen.

Man kann davon ausgehen, dass beide Punkte beim nächsten Mal erneut aufgerufen und ihren Niederschlag in einem neuen Koalitionsvertrag (diesmal zwischen CDU/CSU und SPD) finden werden.

Ob es dann wirklich zu einer Umfinanzierung kommen wird? Es könnte sein. Oder auch erneut nicht. Wer weiß das schon in diesen Zeiten.

Was man aber (leider) relativ sicher voraussagen kann: Unabhängig von einer adäquaten Finanzierungszuordnung wird der Auftrag, endlich die Komplexität der Voraussetzungen und Leistungsdifferenzierungen deutlich zu verringern und (nicht nur hier) dem dringend erforderlichen „Keep it Simple“-Prinzip zum sozialpolitischen Durchbruch zu verhelfen, wieder einmal fehlen oder in Form von wolkigen Versprechungen, jetzt aber werde man ganz bestimmt „entbürokratisieren“ bis es quietscht, ruhiggestellt werden. Bis zum nächsten Koalitionsvertrag.