Vor einigen Monaten gab es eine intensive öffentliche Debatte über die angebliche bzw. im europäischen Vergleich bei allen Problemen partieller Ländervergleiche auch tatsächlich überschaubaren Arbeitsmarktintegration der Kriegsflüchtlinge in Deutschland. Damals wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass man zum einen die Zusammensetzung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge berücksichtigen müsse (dabei vor allem der hohe Anteil an Frauen und Kindern), zum anderen die spezifische Art und Weise der Integrationsbemühungen mit einer Schwerpunktsetzung auf Sprachkurse.
Derzeit halten sich dem Ausländerzentralregister (AZR) zufolge in Deutschland 1,253 Mio. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf. 398.352 Personen, die zwischen Februar 2022 und Ende Dezember 2024 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen waren, halten sich laut AZR nicht mehr in Deutschland auf. Von ihnen sind rund 5.000 Personen verstorben.

Hinweise zu den Zahlen aus dem Ausländerzentralregister (AZR): Wie viele Personen aus der Ukraine genau Deutschland erreicht beziehungsweise verlassen haben, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Zum einen können ukrainische Staatsbürger ohne Visum in die Europäische Union einreisen und sich in EU-Mitgliedstaaten des Schengen-Raums frei bewegen. Zum anderen können Ausländerbehörden (auf deren Meldungen das AZR beruht) die Zahlen zu unterschiedlichen Zeitpunkten melden, weil sie etwa verzögert von einer Ausreise erfahren. Migrationsforscher gehen davon aus, dass die Zahlen des AZR zu hoch sind, unter anderem da Fortzüge erst verspätet dort erscheinen. Quelle: Flüchtlinge aus der Ukraine.
Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit bezieht sich bei der Angabe des Bevölkerungsstandes und der davon beispielsweise abgeleiteten Beschäftigungs- oder Hilfequoten in den monatlich veröffentlichten Ausgaben des Zuwanderungsmonitors auf Angaben, die man dem Ausländerzentralregister entnommen habe. Im Zuwanderungsmonitor Februar 2025 wird beispielsweise für den Dezember eine Zahl von 1,334 Mio. Menschen aus der Ukraine in Deutschland berichtet.
Das IAB beobachtet nicht nur die Arbeitsmarktentwicklung (und die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen), sondern das Institut ist Teil einer Forschungsinfrastuktur, mit deren Hilfe man einen umfassenderen Blick auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu werfen versucht: »Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten ist ein gemeinsames Projekt des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin. Als jährliche Panel-Haushaltsbefragung umfasst sie seit 2023 auch ukrainische Geflüchtete und schafft damit die Grundlage für eine empirisch fundierte Analyse ihrer Lebensrealitäten. Die Betrachtung zweier Zuzugskohorten (Zuzug von Februar bis Ende Mai 2022 und Zuzug ab Juni 2022) erlaubt zudem die Analyse von Veränderungen in der
Zusammensetzung der Gruppe ukrainischer Geflüchteter.« Diese Hintergrundinformation kann man dieser neuen Veröffentlichung entnehmen:
➔ Yuliya Kosyakova et al. (2025): Lebenssituation und Teilhabe ukrainischer Geflüchteter in Deutschland: Ergebnisse der IAB-BAMF-SOEP-Befragung. IAB-Forschungsbericht Nr. 5/2025, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), März 2025
Es ist wichtig, mit Blick auf die Darstellung einiger Ergebnisse der Studie darauf hinzuweisen, dass sich die auf die zweite Jahreshälfte 2023 beziehen – man kann eben nicht per Knopfdruck solche Befunde für den aktuellen Rand produzieren.
In der zweiten Jahreshälfte 2023 wird die Gruppe der ukrainischen Geflüchteten weiterhin stark von Frauen dominiert, die drei Viertel der erwachsenen Geflüchteten ausmachen. Die Anzahl alleinerziehender 20- bis 49-jähriger Frauen sank in der ersten Zuzugskohorte von 46 Prozent (2022) auf 30 Prozent (2023) und liegt in der zweiten Zuzugskohorte bei rund 20 Prozent, unter anderem deswegen, weil in diesem Zeitraum mehr Männer und Familien nachgezogen sind. Zwei Drittel der erwachsenen Geflüchteten leben in festen Partnerschaften.
Die institutionelle Kinderbetreuungsquote steigt mit zunehmender Aufenthaltsdauer der ukrainischen Kinder in Deutschland, jedoch gibt es weiterhin Bedarf, insbesondere bei Kindern im Alter von unter drei Jahren.
In der zweiten Jahreshälfte 2023 sind 60 Prozent der 11- bis 17-Jährigen vollständig in Regelklassen integriert, während 24 Prozent eine Regelklasse mit unterstützendem Zusatzunterricht besuchten und 16 Prozent ausschließlich an speziellen Willkommens- oder Vorbereitungsklassen teilnahmen. Ukrainische Kinder besuchen im Vergleich zur gesamten Schülerschaft häufiger Haupt- oder Mittelschulen, was auf Probleme bei der richtigen Schulwahl hinweist.
97 Prozent der erwachsenen Geflüchteten haben einen Schulabschluss, 75 Prozent verfügen über berufliche Abschlüsse oder Hochschulabschlüsse, und 90 Prozent haben Berufserfahrung. Nur 20 Prozent haben bisher ihre Abschlüsse anerkennen lassen. Die Mehrheit der Anträge auf Ankerkennung der Berufsabschlüsse betrifft reglementierte Berufe.
Trotz hoher Bildungsaspirationen befinden sich erst 16 Prozent in formaler Bildung oder Weiterbildung, bedingt durch sprachliche Hürden und Betreuungsprobleme.
Über die Hälfte plant, dauerhaft in Deutschland zu bleiben, besonders später Zugezogene (69 Prozent). Rückkehrpläne hängen stark vom Ende des Krieges (90 Prozent) und der wirtschaftlichen Lage in der Ukraine (60 Prozent) ab.
Die große Mehrheit (83 Prozent) der Geflüchteten wohnt in der zweiten Jahreshälfte 2023 in privaten Immobilien und ist mit der eigenen Wohnsituation zufrieden. Weniger zufrieden sind demgegenüber insbesondere Geflüchtete, die noch in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen.
Die Teilnahmerate an Integrationskursen lag im zweiten Halbjahr 2023 bei 70 Prozent. Bei Frauen mit kleinen Kindern, Geflüchteten mit gesundheitlichen Einschränkungen und älteren Geflüchteten gibt es jedoch Hürden bezüglich der Kursteilnahme.
Mit zunehmender Teilnahme an Sprachkursen, insbesondere an Integrationskursen, und einer zunehmenden Aufenthaltsdauer verbessern sich die Deutschkenntnisse: 52 Prozent bewerten diese als mindestens „ausreichend“. 40 Prozent verfügen zudem über mittlere bis gute Englischkenntnisse.
In der zweiten Jahreshälfte 2023 gehen im Durchschnitt 22 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre) in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nach. Mit der Aufenthaltsdauer steigen die Erwerbstätigenquoten der ukrainischen Geflüchteten: Bei Menschen mit kürzerer Aufenthaltsdauer in Deutschland (maximal 13 Monate) belaufen sie sich auf 17 Prozent, 22 bis 23 Monate nach dem Zuzug auf 31 Prozent.
Es zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Während etwa 26 Prozent der geflüchteten Ukrainer in der zweiten Jahreshälfte 2023 erwerbstätig sind, liegt die Erwerbstätigenquote der Ukrainerinnen bei 21 Prozent. Diese Geschlechterunterschiede hängen sehr stark von der Familienkonstellation ab, die sich zwischen den Geschlechtern stark unterscheidet.
Persönliche soziale Netzwerke spielen eine zentrale Rolle bei der Stellenvermittlung: 51 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten haben von Freunden und Bekannten – häufig deutscher Herkunft – von ihrer Stelle erfahren. Die staatlichen oder privaten Stellenvermittlungen führten dagegen nur für 7 Prozent der Geflüchteten zur Jobaufnahme.
Geflüchtete bringen häufig hohe Qualifikationen und Berufserfahrung mit, sind jedoch oft in Berufen unterhalb ihres ursprünglichen Qualifikationsniveaus tätig. Die mittleren Bruttomonatsverdienste von vollzeitbeschäftigten ukrainischen Geflüchteten liegen mit 2.600 Euro unter dem Durchschnittsverdienst aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland (4.479 Euro).
Quelle: Kosyakova et al. 2025: 3-4.