Da wird sich der eine oder andere aber die Augen reiben. Sind die denn total verrückt geworden in den Krankenhäusern? Überall liest und hört man davon, dass denen die Pflegefachkräfte fehlen, das ganze Stationen mit ihren Betten verwahrlosen (müssen), weil man nicht über ausreichend (Pflege)Personal verfügt. Zugleich wird man andauernd damit konfrontiert, dass sich die offensichtlich noch wertvoller, weil knapper gewordenen Pflegefachkräfte beklagen über Arbeitsverdichtung, Überlastung und kaum noch erträgliche Arbeitsbedingungen. Da könnte der eine oder andere auf die naheliegende Idee kommen, dass man alles versuchen muss, um diese Arbeitsbedingungen zu verbessern, dass man nach Entlastungsmöglichkeiten suchen muss, um die, die noch da sind, (möglichst lange) zu halten und andere vielleicht gewinnen zu können. Könnte man denken.
Und dann wird man mit solchen Meldungen konfrontiert:
»Sie waschen Patienten, reichen ihnen den Löffel an, versorgen sie mit Urinflasche und Schieber – und reinigen sie wieder. Pflegehelferinnen und Servicekräfte erledigen in den Kliniken grundlegende Arbeiten und sind Stütze jeder Station. Diese unentbehrlichen Kräfte werden jetzt massenhaft entlassen«, so dieser Artikel: Erste Berliner Klinik kündigt allen Pflegehelferinnen. »74 Pflegehelferinnen und Servicemitarbeiterinnen des Jüdischen Krankenhauses (JKB) in Wedding müssen gehen. Pflegenotstand und trotzdem wird erfahrenes Personal rausgeworfen?« Das fragt sich nicht nur die Verfasserin des Artikel. Die gekündigten Pflegehelferinnen sind teils bis zu 36 Jahre am Jüdischen Krankenhaus und werden nach Tarifvertrag bezahlt (rund 2500 Gehalt im Monat). „Ihre Arbeiten müssen dann Pflegefachkräfte vielerorts mitmachen, obwohl diese schon überlastet sind“, wird ein Gewerkschaftsvertreter zitiert.
Oder nehmen wir diese Meldung aus Bayern: Krankenhausreform: Klinikum Neumarkt kann Servicekräfte nicht mehr finanzieren: Wie das Klinikum Neumarkt mitteilt, können ab Januar 2025 die Mitarbeiter des Stationsservice der Service GMBH nicht mehr beschäftigt werden.
Und aus Mecklenburg-Vorpommern kommen solche Nachrichten: Helios Kliniken entlassen Service-Mitarbeiter: »Die Schweriner Helios-Kliniken lösen einen Servicebereich zum Ende des Jahres auf und haben den dortigen Mitarbeitern gekündigt … Konkret geht es um eine ausgelagerte Gesellschaft, die Service-Mitarbeiter zur Verfügung stellt. Sie bringen den Patienten ihr Essen oder übernehmen andere Aufgaben in der Küche. Aktuell sind es noch 50 bis 60 Service-Mitarbeiter.« Und dann geht es weiter: »Die Aufgaben der bisherigen Service-Mitarbeiter sollen unter anderem die Pflegekräfte mit übernehmen. Laut Helios wird die Arbeit auf examinierte Pflegefachkräfte, Pflegefachassistenten und Krankenpflegehelfer verteilt.«
Die werden sich (nicht) bedanken. Und wenn es eine starke Profession wäre, dann würde man hier von einem „no go“ sprechen und dem Arbeitgeber was wünschen.
Aber warum machen die Kliniken das, Land auf, Land ab? In allen bislang zitierten Artikeln finden sich Spuren der Auflösung dieser Frage, denn überall wird seitens der Krankenhäuser darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen die Folge einer Veränderung der Finanzierungsstrukturen sei, dass man diese Kräfte nicht mehr (direkt) finanziert bekommen würde und man deshalb leider gezwungen sei, sich von den Service-Kräften zu trennen.
Da war doch hier schon mal was. Genau, im Jahr 2020
Dieser Blog wird seit 2013 betrieben und man kann wie in einem sozialpolitischen Tagebuch an der einen oder anderen Stelle nachlesen, dass schon mal über ein scheinbar aktuell daherkommendes Thema berichtet wurde. So ist das auch im vorliegenden Fall.
Blättern wir zurück in das Jahr 2020. Kurz bevor dann die Corona-Pandemie über uns und vor allem die Gesundheitseinrichtungen mit voller Wucht gekommen ist, wurde hier am 10. März 2020 dieser Beitrag veröffentlicht, dem man bereits die Antwort auf die aufgeworfene Frage entnehmen kann: Der Irrsinn mit den Kräften in der Pflege. Oder: Folge dem Geld, dann wird aus dem offensichtlichen Irrsinn ein betriebswirtschaftlich durchaus rationales Vorgehen. Dort wurde zunächst für die Alten- bzw. Langzeitpflege unter der Überschrift „Teure und besonders knappe Fachkräfte konzentrieren, billigere und (möglicherweise) leichter zu beschaffende Hilfskräfte vervielfachen – eine Vision für die Altenpflege“ dargelegt, dass man in diesem Arbeitsfeld auch auf der Grundlage des damaligen „Rothgang-Gutachtens“ die Strategie verfolgt, das fehlende Personal vor allem in den Pflegeheimen durch Hilfskräfte zu decken, während sich die weniger werdenden bzw. schlichtweg nicht vorhandenen Pflegefachkräfte auf die qualitativ anspruchsvolleren Aufgaben konzentrieren sollen (können). Bis heute wird diese Strategie verfolgt und umgesetzt.
Nicht so in den Krankenhäusern. Unter der Überschrift „In den Krankenhäusern geht es genau anders herum: Fachkräfte sollen jetzt die Hilfskräfte ersetzen. Bitte? Klar, wenn der Euro in die andere Richtung rollt“ wurde im März 2020 ausgeführt: In immer mehr Krankenhäusern werden die Hilfskräfte abgebaut und deren Arbeit sollen und die Pflegefachkräfte „mitmachen“. Als ein Beispiel tauchte damals schon Helios auf, aber nicht in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in Schleswig-Holstein.
Pflegekräfte leiden unter einem Gesetz, das sie eigentlich entlasten sollte. Nur scheinbar ein Irrsinn. Man macht – wie sonst auch – keinen Fehler, wenn man nach der Devise „Dem Geld folgen“ vorgeht. Und dann wurde auf das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hingewiesen, nach dem die Krankenkassen die Kosten für jede ausgebildete Pflegekraft für die Krankenhäuser übernehmen sollen bzw. müssen. Damit hat der Gesetzgeber auf die vorher langjährige Kritik reagiert, dass in dem auf nach Durchschnittskosten kalkulierten fallpauschalierenden Vergütungssystem die Kliniken in der Vergangenheit einen Anreiz hatten, beim Pflegepersonal als einem der großen Kostenblöcke zu sparen. Was dann auch viele gemacht haben. Durch ein eigenständiges Pflegebudget wollte man nun die Anreizlogik dahingehend verändern, dass es für die Kliniken aufgrund der (angeblichen) Vollfinanzierung der Pflegekräfte (aber nur der) keinen Grund mehr geben würde, an diesem Posten zu sparen, sondern das im Gegenteil ein Anreiz gesetzt wird, Pflegepersonal einzustellen.
Und schon damals wurde aus den Häusern, die Service-Personal abgebaut haben, berichtet: »Laut Pflegepersonal-Stärkungsgesetz übernehmen die Krankenkassen seit Jahresbeginn die Kosten für jede ausgebildete Pflegekraft für die Krankenhäuser. Dadurch sollen diese mehr Pflegekräfte einstellen können. Ungelernte Pflegekräfte fallen bislang nicht unter diese Regelung und sind daher für die Kliniken zu teuer. Der Geschäftsführer des Helios Klinikums Schleswig John Näthke erklärt: „Das hat uns zu der Überlegung gebracht, dann auch die Servicetätigkeiten von qualifizierten Pflegemitarbeitern durchführen zu lassen.“«
Das Fazit in dem am 10. März 2020 veröffentlichten Beitrag liest sich dann so:
»Die Entwicklung mit Kopfschütten-Potenzial entspringt einer eigenen betriebswirtschaftlichen Logik, die wiederum abgeleitet werden kann aus der Tatsache, was (nicht) finanziert wird. Dass das aber in einem absoluten Mangelland, wo qualifizierte Pflegekräfte überall fehlen oder aussteigen, dazu beitragen wird, dass der Mangel noch weiter beschleunigt und vergrößert wird, muss man nicht wirklich vertiefend erläutern.
Bleibt natürlich die Frage, warum und wie lange noch die Pflegefachpersonen stillhalten und das unsinnige Spiel mitspielen, obgleich sie alle wie die Rohrspatzen schimpfen über solche Entwicklungen. Aber vielleicht ist das ja ein großes Teil des Problems: Solange die Pflegekräfte als Spatzen wahrgenommen werden, kann man sie auch so behandeln.«
Aber nun gehen wir doch auf das Jahresende 2024 zu und man kann sich fragen, warum denn nun diese Problematik, über die bereits vor Jahren berichtet wurde, offensichtlich so zugenommen hat. Hier die Hintergründe:
Das Pflegebudget wurde im Rahmen des deutschen Krankenhausfinanzierungssystems durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) eingeführt, das am 1. Januar 2019 in Kraft trat.
Das Pflegebudget trat vollständig in Kraft ab dem 1. Januar 2020. Ziel war es, die Finanzierung der Pflegepersonalkosten von der allgemeinen Krankenhausvergütung (den DRG-Fallpauschalen) zu trennen. Dadurch sollen die Pflegekosten vollständig und separat refinanziert werden, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und sicherzustellen, dass die Mittel tatsächlich in die Pflege fließen. Krankenhäuser verhandeln seitdem das Pflegebudget direkt mit den Krankenkassen, und dieses umfasst ausschließlich die Kosten für „Pflegekräfte am Bett“.
Aber nun muss man wissen, dass es eine „Übergangsfrist“ gegeben hat, die nun ausläuft: Die Regelung, dass aus dem Pflegebudget ausschließlich Pflegefachkräfte finanziert werden dürfen, tritt erst ab dem 1. Januar 2025 in Kraft. Bis dahin war es den Krankenhäusern möglich, aus dem Pflegebudget auch die Kosten für Pflegehilfskräfte und teilweise auch Service-Mitarbeiter zu finanzieren. Diese Übergangsregelung wurde eingeführt, um Krankenhäusern Zeit zu geben, sich auf die strengere Zweckbindung des Pflegebudgets vorzubereiten und ihre Personalstruktur entsprechend anzupassen.
Ab 2025 dürfen nur noch die Kosten für Pflegefachkräfte im Sinne des Pflegeberufegesetzes (wie examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger, Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger) aus dem Pflegebudget gedeckt werden.
Man darf sich also nicht wundern, dass in diesen Tagen die Entwicklung eskaliert.
In dem hier am 10. März 2020 veröffentlichten Beitrag wurde am Ende ein Fazit formuliert, das – neben allen Aufforderungen an die Politik, im Lichte der tatsächlichen Entwicklungen gegenzusteuern und die Regelungen zu verändern (was sie schon längst hätte machen können und sollen) – höchst aktuell geblieben ist und das nun erneut aufgerufen werden kann:
»Bleibt natürlich die Frage, warum und wie lange noch die Pflegefachpersonen stillhalten und das unsinnige Spiel mitspielen, obgleich sie alle wie die Rohrspatzen schimpfen über solche Entwicklungen. Aber vielleicht ist das ja ein großer Teil des Problems: Solange die Pflegekräfte als Spatzen wahrgenommen werden, kann man sie auch so behandeln.«