Was für ein desaströses Ende der als „Fortschrittskoalition“ gestarteten Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Ein Ende mit Schrecken, aber nicht nach einem kurzem, heftigen und nicht mehr lösbaren Konflikt, sondern nach monatelangem Siechtum. Man hätte sich schon längst trennen können und müssen. Aber jetzt, wo sich das Jahr seinem Ende zuneigt, kommt das Aus und die daraus resultierende fehlende Mehrheit im Bundestag zu einem der ungünstigsten Zeitpunkte, die man sich mit Blick auf die zahlreichen gesetzgeberischen Baustellen vorstellen kann, denn wann auch immer dem Bundeskanzler und seiner Reste-Regierung das Misstrauen ausgesprochen wird – alsbald im neuen Jahr wird gewählt werden müssen und ab sofort wird der Wahlkampf beginnen. Keine guten Aussichten, um noch vor dem Abschluss stehende Gesetzesvorhaben der bisherigen Ampel-Koalition über die parlamentarischen Hürden zu bringen.
In der Sozialpolitik wird das schmerzhafte Folgen haben, denn wichtige gesetzliche Neuregelungen stehen kurz vor dem Abschluss. Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung der einzelnen Vorhaben werden auch Maßnahmen hinten runterfallen, die bei sachlicher Betrachtung notwendig sind oder die (eigentlich) keinen Aufschub dulden. Auf alle Fälle werden zahlreiche sozialpolitische Baustellen bis zur Neuwahl und der dann folgenden Zeit der Konstituierung einer neuen Bundesregierung einfach stillgelegt, bis dann irgendwann im Frühjahr ein neuer Bautrupp mal vorbeischauen wird.
Hier eine erste – unvollständige – Sammlung aus wichtigen sozialpolitischen Bereichen:
Gesundheitspolitik
„Für das Gesundheitswesen ist die Legislatur beendet. Keines der verbleibenden Gesetze wird es durch den Bundestag schaffen“, wird der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, zitiert. Wenn das zutreffen sollte, dann würde das auch die Krankenhausreform treffen, konkret das „Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz – KHVVG)“. Hier liegt die Bundesregierung in den letzten Zügen und es wird darauf ankommen, ob in den kommenden Wochen bei dem an sich nicht zustimmungsbedürftigen Gesetz im Bundesrat durch Anrufung des Vermittlungsausschusses eine temporäre Blockade errichtet wird, die dann das Vorhaben auf den letzten Metern ausbremsen könnte. Wenn das passieren würde, dann verzögert sich eine grundsätzlich von allen eingeforderte und angesichts der derzeit ablaufenden „kalten Strukturbereinigung“ in der Kliniklandschaft dringend notwendige grundlegende Reform des Krankenhauswesens auf längere Zeit.
Im Windschatten der großen Krankenhausreform sind zahlreiche an sich vor der Finalisierung stehende Gesetzesvorhaben zu nennen, die wohl Opfer der Arbeitsverweigerung eines Teils der Ampel-Koalition werden:
➔ Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform – Apotheken-Reformgesetz (ApoRG). Darin war u.a. vorgesehen, dass PTA (Pharmazeutisch-technische Assistenten) zunehmend Aufgaben übernehmen sollen, die bisher von Apothekern erledigt wurden.
➔ Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG)
➔ Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune – Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)
➔ Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit
➔ Gesetz zur Reform der Notfallversorgung
➔ Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit – Gesundes-Herz-Gesetz (GHG)
Auch zu nennen wäre hier das ➔ Gesetz zur Stärkung der nationalen Suizidprävention (vgl. den Referentenentwurf vom 28.11.2024)
Wie immer?! Das Trauerspiel mit der Pflege
Hier hat der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Beitragssatzanhebung in der Sozialen Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte als Reaktion auf die höchst akuten Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung angekündigt – und die kann er auf dem Verordnungsweg auch noch über die Linie einer sich nun Bahn brechenden Ablehnung und Zurückweisung anderer gesetzgeberischer Aktivitäten bringen. Die Verordnung bedarf aber der Billigung durch den Bundesrat. Aber es sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass diese Beitragssatzanhebung der aktuellen und der demnächst neuen Bundesregierung lediglich die Galgenfrist verlängern helfen wird, denn vor dem Hintergrund der Finanzbedarfe und der Einnahmensituation in der Pflegeversicherung hätte es eigentlich eine deutlich größere Anhebung geben müssen. Vom Stabilitätsrat, einem Gremium, das die Haushaltsführung von Bund und Ländern überwacht, kam bereits zur Jahresmitte die Empfehlung, den Beitragssatz um 0,6 Prozentpunkte anzuheben. So werden die deutlich niedrigeren 0,2 Prozentpunkte wenn, dann maximal bis in das Frühjahr 2025 reichen. Auch darum wird sich eine neue Bundesregierung unmittelbar kümmern müssen.
Bedeutsame gesetzgeberische Aktivitäten im Pflege-Bereich werden nun vom Tisch fallen und nicht mehr zu ihrem parlamentarischen Ende geführt werden können – darunter durchaus wichtige gesetzgeberische Vorstöße für die Pflege-Profession. Konkret zu nennen wären hier das „Gesetz zur Stärkung der Pflegekompetenz“ – Pflegekompetenzgesetz (PKG) sowie das „Gesetz über die Einführung einer bundeseinheitlichen Pflegeassistenzausbildung“. Das wird liegen bleiben.
Rien ne va plus in der Rentenpolitik
Das Rentenpaket II, ein sozialdemokratisches Kernanliegen mit der darin enthaltenen Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent sowie der Umsetzung der ursprünglich als Aktienrente von der FDP verlangte, nun als „Generationenkapital“ geschrumpfte Einführung einer Teilkapitaldeckung in die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung, das wird es nun nicht mehr geben.
Aber auch weitere rentenpolitische Vorstöße des Gesetzgebers werden nun auf Eis gelegt bzw. völlig neu aufgesetzt: Das ➔ Zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz, in dem es um Betriebsrenten für mehr Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen geht, sowie eine verbesserte Förderung von Geringverdienern, fällt erst einmal aus. Ebenso die ➔ Reform der geförderten privaten Altersvorsorge, mit der es u.a. ein neues renditeorientiertes Altersvorsorgedepot ohne Garantien und für die Auszahlungsphase neben lebenslangen Renten auch Auszahlungspläne nur bis zum 85. Lebensjahr geben sollte.
Und weitere sozialpolitisch relevante Trümmerteile
Kindergrundsicherung: Das zentrale Reformprojekt der Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sollte Leistungen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien zusammenfassen und deren Beantragung vereinfachen. FDP und Union lehnten den Gesetzesentwurf von Anfang an ab, die Chancen, dass die Kindergrundsicherung eine Mehrheit im Parlament findet, laufen nach dem Ampel-Aus gegen null.
Tariftreuegesetz: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat geplant, staatliche Aufträge nur noch an Firmen gehen dürfen, die ihren Beschäftigten tarifvertragliche Löhne und Arbeitsbedingungen gewähren. FDP und Union waren von Anfang an gegen diesen Regulierungsvorstoß, es ist nicht zu erwarten, dass das in der auslaufenden Legislaturperiode noch das Licht der Welt erblicken wird.
Auch die Verlängerung der Mietpreisbremse wird voraussichtlich nicht mehr kommen. Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP hatten sich darauf geeinigt, den Bundesländern auch über Ende 2025 hinaus die Möglichkeit zu geben, die Mieten in Neuverträgen in angespannten Wohnungsmärkten zu regulieren. Maximal zehn Prozent mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete sind nach den Regeln der Mietpreisbremse erlaubt. Das Justizministerium hat einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt in einer abgeschwächten Variante, die eine Verlängerung bis Ende 2028 vorsah. Doch dafür fehlt nun die parlamentarische Mehrheit. In manchen Regionen könnte es in Neuverträgen schon bald keine Begrenzung mehr geben, so beispielsweise in Berlin, denn dort ist die Mietpreisbremse aktuell bis zum 31. Mai 2025 befristet.
Da wird in den kommenden Woche eine Menge zu sortieren sein,