Wieder neue Zahlen zu den Menschen mit einer Demenzerkrankung. Und warum man bei den jüngeren Menschen noch genauer hinschauen sollte

Es sind heute schon viele Menschen, die unter uns leben und an einer Demenzerkrankung leiden. »Nach neuesten Berechnungen leben in Deutschland derzeit rund 1,84 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Im Laufe des Jahres 2023 sind zwischen 364.000 und 445.000 Menschen neu an einer Demenz erkrankt. Die Lebenserwartung in Deutschland steigt erfreulicherweise immer weiter an. Infolge dieser demografischen Veränderungen kommt es aber auch zu weitaus mehr Neuerkrankungen als zu Sterbefällen unter den bereits an einer Demenz Erkrankten. Aus diesem Grund nimmt die Zahl der Demenzerkrankten auch in den kommenden Jahrzehnten kontinuierlich zu. Je nachdem, wie sich die Altersstruktur der Bevölkerung insgesamt entwickelt, wird sich die Zahl der Menschen mit Demenz über 65 Jahren bis zum Jahr 2050 auf 2,3 bis 2,7 Millionen erhöhen.« (Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft stellt neue Zahlen zur Demenz vor: In den kommenden Jahren immer mehr Menschen betroffen, 04.09.2024).

Wie kommt man auf solche Zahlen? Werden alle demenziell Erkrankten erfasst und etikettiert? Nein, werden Sie nicht. Die Zahl der Demenzerkrankten – also die für Deutschland zitierten derzeit rund 1,84 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung – wird aus den Schätzungen die Prävalenz von Demenz betreffend abgeleitet. Die aktuellsten Daten dazu sehen so aus:

Es gibt sehr viele verschiedene Demenzformen, am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz (rund 60-70 Prozent aller Demenzfälle), gefolgt von der vaskulären Demenz (etwa 15-20 Prozent), der Lewy-Körper-Demenz (etwa 10-15 Prozent) und der Frontotemporalen Demenz (etwa 5-10 Prozent, häufiger bei jüngeren Menschen, oft zwischen 45 und 65 Jahren). Weniger als 5 Prozent der Fälle betreffen seltene Demenzformen (wie Parkinson-Demenz, Kreutzfeld-Jakob-Krankheit oder Normaldruck-Hydrozephalus). Grundsätzlich kann eine Demenz in jedem Alter auftreten, allerdings steigt das Risiko mit höherem Alter stark an. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Die Zahlen zur Häufigkeit von Demenzerkrankungen in Deutschland werden von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) alle zwei Jahre aktualisiert:

➔ Deutsche Alzheimer Gesellschaft (2024): Häufigkeit von Demenzerkrankungen, Berlin, August 2024

Der Anteil von Menschen mit Demenz an der Bevölkerung unterscheidet sich zwischen den Bundesländern deutlich. Dies liegt an den Unterschieden in der Altersstruktur der Länder. Während in Hamburg und Berlin, die bundesweit den niedrigsten Altersdurchschnitt haben, weniger als 1,8 Prozent der Bevölkerung eine Demenz haben, ist der Anteil in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen prozentual mit mehr als 2,4 Prozent am höchsten.

Neben der Prävalenz ist die Inzidenz von Demenz von Bedeutung. Die Inzidenz beschreibt die Zahl neuer Krankheitsfälle in einem definierten Zeitraum. Dem World Alzheimer Report
2015 kann man die Inzidenz nach Altersgruppen für einen Ein-Jahres-Zeitraum entnehmen. Danach erkranken in Westeuropa unter den 65- bis 69-Jährigen jährlich 5 von 1.000 Einwohnern neu, unter den über 90-Jährigen sind es bereits 122 von 1.000. Auf der Basis der Angaben des Statistischen Bundesamts zum Bevölkerungsstand kommt man für Deutschland zu dem Befund, dass in Deutschland im Jahr 2023 zwischen 364.000 und 445.000 Menschen im Alter 65+ neu an einer Demenz erkrankt sind. Die Spannweite ergibt sich aus unterschiedlichen Berechnungsmethoden.

Die meisten Demenzerkrankungen verlaufen irreversibel. Die Krankheitsdauer ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich und lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen. Studien berichten mittlere Krankheitsdauern zwischen 3,3 und 11,7 Jahren ab Beginn der Demenz.

Es sind nicht nur die älteren Menschen, die von einer Demenz betroffen sind

Am 16. August 2022 wurde hier das über die damaligen Zahlen berichtet: Neue Zahlen zu Demenzerkrankungen in Deutschland. Deutlich mehr Erkrankte unter 65 Jahren als bisher angenommen, so ist der Beitrag von vor zwei Jahren überschrieben. 2022 hat die Deutsche Alzheimer Gesellschaft darauf hingewiesen: »Nun liegen erstmals genauere Schätzungen zu den Erkrankten im Alter von unter 65 Jahren vor. Demnach müssen wir davon ausgehen, dass in Deutschland derzeit mehr als 100.000 Menschen unter 65 Jahren leben, die an einer Demenz erkrankt sind.« Und 2022 hatte die DAlzG eine wichtige Einordnung dieser Zahlen mit Blick auf den Umgang damit in den Raum gestellt: „Diese neuen Zahlen machen den Bedarf an Unterstützung für jüngere Menschen mit Demenz und ihre Familien noch einmal drängender. Wenn Menschen unter 65 an einer Demenz erkranken, stehen sie meist noch im Beruf und haben oftmals noch Kinder in Schule oder Ausbildung. Konzepte, wie Berufstätigkeit ggf. auch mit der beginnenden Demenz fortgeführt werden kann, fehlen ebenso wie für diese Altersgruppe passende Betreuungsangebote oder Pflegeeinrichtungen. Aus der Beratung kennen wir diese Problematik schon lange, nun wird es Zeit, dass auch von politischer Seite darauf reagiert wird.“

Auch in der aktuellen Fassung der Häufigkeitsschätzung taucht diese Größenordnung auf: »Nach wie vor gelten Demenzerkrankungen als ein Problem des höheren Lebensalters. Tatsächlich steigt das Risiko für eine Demenz ab dem 80. Lebensjahr deutlich an. Doch sind fast 6 Prozent der Betroffenen in Deutschland – rund 106.000 Menschen – jünger als 65 Jahre. Diese Gruppe wird erst seit wenigen Jahren zunehmend wahrgenommen und es fehlt vielfach noch an geeigneten Unterstützungsangeboten für sie und ihre Familien.«

Die Forschung berichtet von einer beunruhigenden Dynamik bei den Demenz-Fällen unter jüngeren Menschen

Auch die nun erneut genannten etwas mehr als 100.000 Demenzfällen bei den unter 65-Jährigen beruhen auf Schätzungen. »Im Allgemeinen geht man davon aus, dass etwa zehn Prozent der Demenzerkrankungen – von denen Alzheimer die häufigste Form ist – schon bei unter 65-Jährigen auftreten. Doch belastbare Daten sind rar, nicht nur in Deutschland«, kann man diesem Artikel entnehmen: Große Studie zeigt: mehr Alzheimer-Fälle bei jüngeren Menschen. »Wie häufig werden sie nun aus Skandinavien geliefert. Eine große Studie der Universität Ostfinnland, der Universität Oulu und des Neurocenters Finnland bestätigt die Vermutung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, dass die Zahlen höher als früher angenommen sind; wobei der Fokus dieser Untersuchung nicht nur auf Alzheimer, sondern auf allen Formen von Demenz liegt.«

Was ist genau gemacht worden? Die Wissenschaftler »hatten 12.490 Patientenakten der Universitätskliniken Kuopio und Oulu aus den Jahren 2010 bis 2021 analysiert und jene herausgefiltert, bei denen Frauen und Männer im arbeitsfähigen Alter eine Demenz-Diagnose erhielten. Die beiden Krankenhäuser diagnostizieren praktisch alle Fälle früh einsetzender Demenz in ihren jeweiligen Provinzen, das mache die Daten „sehr robust“, heißt es in einer Mitteilung der Universität Ostfinnland. Erhoben wurde für die Studie sowohl die Inzidenz (Zahl der Neuerkrankungen), als auch die Prävalenz (Gesamtzahl der Betroffenen).«

Und was ist heraus gekommen?

»Das Ergebnis: Die Rate der Neuerkrankungen war höher als es bisher in internationalen Studien berichtet wurde. Demnach betrug die Inzidenz früh einsetzender Demenz in der Altersgruppe der 30- bis 64-Jährigen 20,5 Fälle pro 100.000 Personenjahre. In der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen waren es 33,7 Fälle pro 100.000 Personenjahre. (Personenjahre ist ein Begriff aus der Epidemiologie und bezeichnet die Summe der Jahre, die alle an einer Studie teilnehmenden Personen unter Beobachtung standen.) Insgesamt erkrankten in der Gruppe der 30- bis 64-Jährigen 110 Menschen an frühzeitiger Demenz und in der von 45 bis 64 Jahren 190 Menschen.«

»Um auf Nummer sicher zu gehen, überprüften die Forschenden alle Diagnosen im Nachhinein noch einmal und berücksichtigen dabei auch spätere Arztbesuche von Patientinnen und Patienten – unter anderem, um festzustellen, ob Diagnosen falsch waren und/oder sich im Laufe der Zeit geändert hatten.«

Einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler »vermutet, dass die beobachteten höheren Inzidenzraten damit zu tun haben, dass die Analyse auf nahezu allen Fällen aus den untersuchten Gebieten beruhte.« Darüber hinaus kann auch das gestiegene Bewusstsein für Demenz in der Öffentlichkeit und bei medizinischem Personal in Finnland zur hohen Zahl diagnostizierter Fälle beitragen, so der Epidemiologe Eino Solje.

Allerdings sind diese Erklärungsversuche nicht wirklich zufriedenstellend, denn »die hohe Zahl der früh einsetzenden Demenzerkrankungen war nicht die einzige auffällige Beobachtung: Die Forschenden stellten fest, dass keineswegs die Häufigkeit aller Formen von Demenz bei Menschen im erwerbsfähigen Alter gestiegen war – sondern lediglich die von Alzheimer. Und diese habe sich „fast verdoppelt“, wie Johanna Krüger von der Universität Oulu, Erstautorin der Studie, berichtet. „Das lässt sich nicht einfach durch bessere Diagnostik und frühere Behandlung erklären.“«

Und das hier sollte alle nachdenklich stimmen:

»Zu möglichen Gründen für die Zunahme ausgerechnet von Alzheimer bei jüngeren Menschen äußerten sich die Forschenden allerdings nicht.«

Wer die zitierte Studie im Original lesen möchte, der wird hier fündig:

➔ Johanna Krüger et al. (2024): Incidence and Prevalence of Early-Onset Dementia in Finland, in: Neurology, Volume 103, Number 4, 2024