Neue Zahlen zu Demenzerkrankungen in Deutschland. Deutlich mehr Erkrankte unter 65 Jahren als bisher angenommen

»Nach neuesten Berechnungen leben in Deutschland derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Im Laufe des Jahres 2021 sind etwa 440.000 Menschen neu an einer Demenz erkrankt. Infolge der demografischen Veränderungen kommt es zu weitaus mehr Neuerkrankungen als zu Sterbefällen unter den bereits Erkrankten. Aus diesem Grund nimmt die Zahl der Demenzerkrankten kontinuierlich zu. Je nachdem, wie sich die Altersstruktur der Bevölkerung insgesamt entwickelt, wird sich die Zahl der Menschen mit Demenz über 65 Jahren bis zum Jahr 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen erhöhen.« Das berichtet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.

Grundlage der neuen Zahlen ist diese Veröffentlichung:

➔ Deutsche Alzheimer Gesellschaft (2022): Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen, Berlin, August 2022

»Als Demenz wird ein Abbau und Verlust kognitiver Fähigkeiten bezeichnet … Zu den möglichen betroffenen Bereichen gehören Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis, Orientierung, Urteilsvermögen und planendes Handeln (exekutive Funktionen), Sprache, Motorik, und Fähigkeiten zum sozialen Austausch mit anderen (soziale Kognition). Die kognitiven Einbußen schreiten mit der Zeit voran und beeinträchtigen Alltagsaktivitäten. Es gibt sehr viele verschiedene Demenzformen, am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz, gefolgt von der vaskulären Demenz, der Lewy-Körper-Demenz und der Frontotemporalen Demenz … Grundsätzlich kann eine Demenz in jedem Alter auftreten, allerdings steigt das Risiko mit höherem Alter stark an. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.«

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lebten im Jahr 2019 weltweit etwa 55,2 Millionen Menschen mit Demenz. Für Europa werden 14,1 Millionen Betroffene ausgewiesen.

Die Tabelle am Anfang dieses Beitrags zeigt die mittlere Prävalenz für Europa nach Geschlecht und Alter (die Prävalenz beschreibt die Anzahl der betroffenen Personen in der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt). Sie ist stark alterskorreliert: »Liegt die Prävalenz bei den 65- bis 69-Jährigen noch bei 1,85 %, steigt sie auf über 36 % bei den über 90-Jährigen.«

Hochgerechnet für Deutschland gab es zum Ende des Jahres 2021 rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz, davon knapp 1,2 Millionen Frauen und 0,6 Millionen Männer. Etwa 1,7 Millionen Menschen mit Demenz waren 65 Jahre alt oder älter.

Zwischen den Bundesländern gibt es Unterschiede hinsichtlich der Prävalenzrate: »Am höchsten ist der Anteil von Menschen mit Demenz in Sachsen und Sachsen-Anhalt (2,5 %), gefolgt von Thüringen (2,4 %). Am niedrigsten ist er in Hamburg und Berlin (1,7 %).«

Laut Statistischem Bundesamt hatten in Deutschland zum Ende des Jahres 2021 knapp 2,4 Millionen Menschen im Alter 65+ einen Migrationshintergrund. Von ihnen waren nach Hochrechnungen schätzungsweise 158.000 an einer Demenz erkrankt. »Für sie werden in der Literatur besondere Versorgungsbedarfe beschrieben, beispielsweise können sprachliche Barrieren, kulturelle Unterschiede im Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fehlende kulturspezifische Informationen zu einer geringeren Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten führen.«

Die Inzidenz beschreibt die Zahl neuer Krankheitsfälle in einem definierten Zeitraum. Auf Basis der Daten für Westeuropa aus dem World Alzheimer Report 2015 nach Altersgruppen für einen Ein-Jahres-Zeitraum erkranken in Westeuropa unter den 65- bis 69-Jährigen jährlich 5 von 1.000 Einwohnern neu, unter den über 90-Jährigen sind es bereits 122 von 1.000. »Legt man die Angaben des Statistischen Bundesamts zum Bevölkerungsstand zugrunde, erkrankten in Deutschland im Jahr 2021 rund 440.000 Menschen im Alter 65+ neu an einer Demenz.«

»Die meisten Demenzerkrankungen verlaufen irreversibel, und Betroffene haben im Vergleich zu Menschen, die nicht erkrankt sind, eine kürzere Lebenserwartung. Die Krankheitsdauer ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich und lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen. Studien berichten mittlere Krankheitsdauern zwischen 3,3 und 11,7 Jahren ab Beginn der Demenz.«

Demenz betrifft auch viele Menschen unter 65 Jahren

»2021 hat die Weltgesundheitsorganisation neue Studien zum Auftreten von Demenzerkrankungen in unterschiedlichen Altersgruppen veröffentlicht. Nun liegen erstmals genauere Schätzungen zu den Erkrankten im Alter von unter 65 Jahren vor. Demnach müssen wir davon ausgehen, dass in Deutschland derzeit mehr als 100.000 Menschen unter 65 Jahren leben, die an einer Demenz erkrankt sind. „Die Ursache dafür, dass diese Zahl deutlich höher ist, als in früheren Veröffentlichungen, liegt vor allem darin, dass sich die Diagnostik in den letzten Jahren deutlich verbessert hat“, sagt Prof. Dr. Thyrian, Vorstandsmitglied der DAlzG. „Erst jetzt werden Demenzen auch bei jüngeren Menschen regelmäßig auch als solche erkannt, während früher sehr häufig andere Erkrankungen wie Depressionen diagnostiziert wurden. Von einem tatsächlichen Anstieg der Erkrankungshäufigkeit in diesem Alter ist aber nicht auszugehen“, so Thyrian weiter«, berichtet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.

Monika Kaus, 1. Vorsitzende der DAlzG, betont: „Diese neuen Zahlen machen den Bedarf an Unterstützung für jüngere Menschen mit Demenz und ihre Familien noch einmal drängender. Wenn Menschen unter 65 an einer Demenz erkranken, stehen sie meist noch im Beruf und haben oftmals noch Kinder in Schule oder Ausbildung. Konzepte, wie Berufstätigkeit ggf. auch mit der beginnenden Demenz fortgeführt werden kann, fehlen ebenso wie für diese Altersgruppe passende Betreuungsangebote oder Pflegeeinrichtungen. Aus der Beratung kennen wir diese Problematik schon lange, nun wird es Zeit, dass auch von politischer Seite darauf reagiert wird.“