Ein kleiner Teil der Zuwanderung nach Deutschland, aber sie steigt (wieder): Die Erwerbsmigration aus Nicht-EU-Staaten

Durchaus sehr öffentlichkeitswirksam wird über „die“ Zuwanderer und ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt berichtet und diskutiert. Ob es nun um die Frage geht, nach wie vielen Jahren wie viel Prozent der Flüchtlinge, die 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind, einer Erwerbsarbeit nachgehen oder warum es so schwierig ist, ukrainische Kriegsflüchtlinge auf dem Erwerbsarbeitsmarkt zu platzieren, so dass man sogar einen sogenannten „Job-Turbo“ meint ins Leben rufen zu müssen.

Und dann gibt es noch solche Meldungen: Erwerbsmigration im Jahr 2023 erneut stark gestiegen, so das Statistische Bundesamt. Ende 2023 waren in Deutschland rund 419.000 Personen aus Staaten außerhalb der Europäischen Union (EU) mit einem befristeten Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst. Damit sei die Zahl der Erwerbsmigranten, die aus Nicht-EU-Staaten zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind, seit 2010 (damals 85.000 Personen) stetig gestiegen.

Nach einer pandemiebedingten Delle geht es weiter nach oben: »Nachdem in den stark von der Corona-Pandemie geprägten Jahren 2020 und 2021 ein vergleichsweise geringes Wachstum gegenüber dem jeweiligen Vorjahr zu verzeichnen war (2020: +16.000 Personen; 2021: +21.000 Personen), stieg die Zahl der Erwerbsmigrantinnen und -migranten im Jahr 2022 im Vorjahresvergleich um 56.000 Personen oder 19 % und um weitere 68.000 Personen oder 19 % im Jahr 2023.« Ein gutes Fünftel mehr gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in den beiden letzten Jahren.

Nun muss man diese Zahlen natürlich einordnen in den Gesamtzuzug nach Deutschland, ansonsten besteht die Gefahr, dass man die Größenordnungen übertrieben wahrnimmt. Denn es handelt sich bei der Erwerbsmigration aus Nicht-EU-Staaten um eine überschaubar kleine Gruppe unter den Zuwanderern. Veranschaulichen kann man sich das mit einem Blick auf das Jahr 2022 – damals belief sich der Anteil der Erwerbsmigranten auf gerade einmal 2,9 Prozent, so der „Fachkräftemigrationsmonitor 2023“ (Abbate 2023):

Abbate (2023) kann am Beispiel der Jahre von 2015 bis 2022 zeigen, dass der Anteil der Erwerbsmigranten an allen Zuwanderern nach Deutschland insgesamt immer in einer Spannweite von 2,1 bis 5,7 Prozent gelegen hat, wenn man das an den Zuzügen im jeweiligen Jahr bemisst.

Vor diesem Hintergrund ein Blick auf die Entwicklung der Erwerbsmigration aus Nicht-EU-Staaten in absoluten Zahlen in den Jahren 2015 bis 2022, gemessen an den Zuzügen nach Deutschland:

Ulrich Kober hat in seinem Beitrag Das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz beginnt zu wirken relativierend darauf hingewiesen: »Bei aller Freude über die Dynamik der Erwerbsmigration aus Drittstaaten bleibt ihre absolute Zahl aber relativ niedrig. Das ist problematisch, weil die EU-Binnenmobilität als bisherige Hauptquelle der Arbeitszuwanderung für Deutschland zurückgeht: 2015 waren noch rund 685.000 Personen aus der EU gekommen, 2022 nur noch 482.000. Aus demografischen Gründen wird diese Einwanderung weiter zurückgehen, denn fast alle EU-Staaten haben niedrige Geburtenraten. Die Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Staaten wird in diesem Kontext für Deutschland noch wichtiger.«

Der Hinweis auf die Entwicklung einer (bis 2021) rückläufigen EU-Binnenmobilität lässt sich gemessen an den Zuzügen aus EU-Ländern in den Zahlen durchaus erkennen:

Erwerbsmigration aus Nicht-EU-Staaten: Was sind das für Zuwanderer?

Das Statistische Bundesamt liefert einige Informationen zu der Frage, aus welchen Teilgruppen die ausländische Bevölkerung mit einem befristeten Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit besteht:

Blaue Karte EU: Akademische Fachkräfte stehen seit geraumer Zeit im Fokus der deutschen und europäischen Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik. Bereits im Jahr 2012 wurde die sogenannte Blue Card beziehungsweise Blaue Karte für akademische Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten (Blaue Karte EU) eingeführt. Ende 2023 verfügten 113.000 Personen in Deutschland über eine Blaue Karte EU. Das waren mehr als ein Viertel aller Erwerbsmigranten. Die Blaue Karte EU war damit der häufigste Aufenthaltstitel im Bereich der befristeten Erwerbsmigration. Voraussetzung für die Erteilung der Blauen Karte EU ist in der Regel ein abgeschlossenes Hochschulstudium sowie ein konkretes, der Qualifikation angemessenes Arbeitsplatzangebot mit einem bestimmten Mindestgehalt. Für Inhaber einer Blauen Karte EU gelten Erleichterungen beim Familiennachzug und die Möglichkeit zur schnelleren Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis. Ab November 2023 wurde der Personenkreis der berechtigten Personen durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz erweitert.
Mit Abstand die meisten Inhaber einer Blauen Karte EU kamen 2023 aus Indien (33.000), gefolgt von Personen mit russischer (10.000) und türkischer (8.000) Staatsangehörigkeit.

Fachkraft mit akademischer Ausbildung: Akademiker aus Staaten außerhalb der EU gibt es neben der Blauen Karte EU noch weitere Aufenthaltstitel zur Erwerbsmigration, zum Beispiel eine Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung. Voraussetzung ist unter anderem ein konkretes Arbeitsplatzangebot; anders als bei der Blauen Karte EU gilt hierfür keine Mindestgehaltsgrenze. Zudem gibt es breitere Beschäftigungsmöglichkeiten, da nicht nur eine Beschäftigung im der eigenen Qualifikation entsprechenden Beruf, sondern auch in verwandten Berufen möglich ist. Die Möglichkeiten, in anderen Berufen zu arbeiten, wurden mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz ab November 2023 erweitert.
Ende 2023 verfügten 49.000 Personen über eine solche Aufenthaltserlaubnis. Am häufigsten war bei diesen Akademikern eine Staatsangehörigkeit aus Indien (6.000), China (4.000) oder der Türkei (3.000).

Fachkraft mit Berufsausbildung: Bereits seit 1. März 2020 erleichtert das erste Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch Fachkräften mit Berufsausbildung aus Nicht-EU-Staaten die Einreise und den Aufenthalt für die Ausübung einer Beschäftigung. Die Möglichkeiten, eine Aufenthaltserlaubnis mit Berufsausbildung zu erhalten, wurden ebenfalls mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz ab November 2023 erweitert.
52.000 Personen verfügten Ende 2023 über eine Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit Berufsausbildung. Die häufigsten Staatsangehörigkeiten unter den Fachkräften mit Berufsausbildung waren die bosnisch-herzegowinische und die philippinische (jeweils 7.000 Personen).

Westbalkanregelung: Die Westbalkanregelung eröffnet Arbeitskräften aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien seit 2016 unter bestimmten Voraussetzungen einen befristeten Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland. Die zunächst befristete Regelung wurde durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz entfristet.
Auf Grundlage der sogenannten „Westbalkanregelung“ hielten sich Ende 2023 rund 76.000 Nicht-EU-Staatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis für Erwerbszwecke in Deutschland auf. Mit 20.000 bildeten Staatsangehörige des Kosovo die größte Gruppe.

Überwiegend (noch) (junge) Männer

Die zum Jahresende 2023 registrierten Personen mit einem Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit waren mehrheitlich männlich (281.000 Personen oder 67 %) und zwischen 25 und 35 Jahren alt (233.000 Personen oder 56 %). Lediglich bei den Fachkräften mit Berufsausbildung überwogen die Frauen (58 %). Der Männeranteil war mit 87 % am höchsten für die Fachkräfte mit einem Aufenthaltstitel nach der Westbalkanregelung und einer Blauen Karte EU (71 %). Bei den Fachkräften mit akademischer Ausbildung war das Geschlechterverhältnis mit einem Männeranteil von 52 % fast ausgeglichen.«

➔ Auf der Suche nach Zahlen? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) veröffentlicht halbjährlich das Monitoring zur Bildungs- und Erwerbsmigration, welches über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Bildungs- und Erwerbsmigration aus Drittstaaten informiert. Das ist eine sehr differenzierte Datenquelle: »Im Monitoring zur Bildungs- und Erwerbsmigration werden alle Personen dargestellt, die im jeweiligen Berichtszeitraum von einer deutschen Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel (Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnisse) zu Bildungs- oder Erwerbszwecken erstmalig erhalten haben. Diese Personen können dann weiter danach unterteilt werden, ob Sie zuvor bereits einen anderen Titel Deutschland besessen haben (sog. Statuswechsel) oder ob von einer Neuzuwanderung ausgegangen werden kann. Neben unterschiedlichen Rechtsgrundlagen werden für Personen ohne vorherigen Titel auch Staatsangehörigkeit, Alter und Geschlecht ausgewertet. Daneben wird auch näher auf die unterschiedlichen Formen des Statuswechsels im Zusammenhang mit einer Ausbildung oder einer Erwerbstätigkeit eingegangen. Zusätzlich blickt der Bericht auf die Zahl der zum Ende des Berichtszeitraums in Deutschland aufhältigen Bildungs- und Erwerbsmigrantinnen und -migranten und deren Entwicklung. In den Jahresberichten werden außerdem zentrale politische und rechtliche Entwicklungen ausführlich beschrieben und allgemeine Daten zur Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen auf dem deutschen Arbeitsmarkt dargestellt, da auch Personen, die mit anderen Aufenthaltstiteln nach Deutschland kommen (z.B. im Rahmen des Familiennachzugs), Zugang zu Erwerbstätigkeit haben.«

Das erneut reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Schaut man sich die Entwicklung der Erwerbsmigration aus Nicht-EU-Staaten in den zurückliegenden Jahren an, dann leitet Ulrich Kober in seinem Beitrag Das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz beginnt zu wirken daraus diese Einordnung ab: »Die Mission des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, genügend Menschen aus Drittstaaten für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, ist also noch nicht erfüllt. Das sah auch die verantwortliche Politik und hat das FEG bereits nach drei Jahren überarbeitet. Die Reform, die das Erwerbsmigrationsrecht weiter liberalisiert, zieht viele Register: Von abgesenkten Gehaltsgrenzen für die Blaue Karte EU über erleichterte Zugänge für berufserfahrene Personen, Pflegehilfskräfte und Berufskraftfahrer bis zu Einführung der Chancenkarte und Entfristung der Westbalkanregelung. Sogar kurzzeitige Kontingente für Personen unabhängig von ihrer Qualifikation wurden eingeführt, um z. B. ein Reisechaos an deutschen Flughäfen wie 2022 zu vermeiden.« Wobei man darauf hinweisen muss, dass der letztere Punkt ein ziemlicher Rohrkrepierer ist, denn da ist so gut wie keiner gekommen.

Was erwartet die Arbeitsverwaltung von dem erneut reformierten Fachkäfteeinwanderungsgesetz in diesem Bereich?

»In der Arbeitsverwaltung wird damit gerechnet, dass mit der sukzessiven Umsetzung der Reform dann jährlich rund 130.000 Personen aus Drittstaaten zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland kommen können.«

„Sukzessive Umsetzung“ und dann „können“ es am Ende 130.000 pro Jahr sein.

Dazu Ulrich Kober: »Das ist allerdings kein Selbstläufer. Der erweiterte Rechtsrahmen ist notwendig für einen weiteren Anstieg der Erwerbsmigration aus Drittstaaten, aber nicht hinreichend. Die Migrationsverwaltung bleibt die Achillesferse der ambitionierten Reform.«