Eine sozialpolitisch bedeutsame Baustelle hängt in den Seilen: der Neubau von Wohnungen. Und „Scholz der Baumeister“?

Anfang des Jahres 2023 wurde hier berichtet, dass ein „Kollaps auf dem sozialen Wonungsmarkt“ drohe, so das „Verbändebündnis Soziales Wohnen“ – ein Zusammenschluss von Mieterbund, Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden (vgl. dazu den Beitrag Sozialwohnungsnot: 50 Mrd. Euro für einen Bauwumms oder braucht es etwas anderes, um die neue alte soziale Frage anzugehen? vom 1. Februar 2023). Wenn man diesen Zusammenbruch vermeiden wolle, dann müsse der Bund ein Sondervermögen auflegen. Dafür seien mindestens 50 Milliarden Euro notwendig – zumindest für den Anfang.

Ein Sondervermögen? 50 Milliarden Euro?

Was Anfang 2023 wie schon in den Jahren zuvor (denn das Archiv mit Problemdiagnosen und daraus abgeleiteten Forderungen nach Bau- und sonstigen Offensiven gerade im Bereich des halbwegs bezahlbaren Wohnens ist voll bis unter die Decke und reicht viele Jahre zurück) noch durchaus machbar daherkam, wenn man das denn gewollt hätte, erscheint diese Tage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023 zur Schuldenbremse und der damit einhergehenden höchstrichterlichen Streichung der aus dem Topf für die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie in den „Klima- und Transformationsfonds“ verschobenen 60 Milliarden Schulden-Euro in Anbetracht der dadurch ausgelösten haushaltspolitischen Erschütterungen der aktuellen Regierungspolitik als völlig aus der Zeit gefallen.

Das ändert aber – wie auch bei den anderen dringlichen Investitionsbaustellen – nichts an der Tatsache, dass der sich über viele Jahre aufgestaute Handlungsbedarf nicht einfach wegkonsolidiert werden kann. Und ein weiteres Aufschieben dessen, was getan werden müsste, ist angesichts des – neben den bereits vorhandenen massiven Mangellagen im Bereich des Wohnens für die vielen Menschen mit niedrigen und auch mittleren Einkommen – gleichzeitig weiter steigenden Bedarfs an bezahlbaren Wohnraum durch die Zuwanderung (und nein, hier sind nicht nur die Wohnbedarfe der Flüchtlinge gemeint, sondern auch die der Zuwanderer, die dringend gebraucht werden für den deutschen Arbeitsmarkt und die man mit allerlei gesetzgeberischen Maßnahmen wie einem erneut reformierten Fachkräfteeinwanderungsgesetz anzureizen versucht) eigentlich keine Option.

Man muss zur Kenntnis nehmen: Für das Jahresende 2022 ist von Wohnungsdefiziten in einer Größenordnung von 700.000 Wohnungen auszugehen. Dies ist mehr als die doppelte Jahresproduktion an Wohnungen. Und sozialpolitisch besonders brisant: Besonders problematisch ist die Tatsache, dass dort, wo der Bedarf und der bereits bestehende Angebotsmangel am allergrößten ist, am wenigstens passiert (ist) und auch keine Trendwende erkennbar ist. Ganz im Gegenteil. Gemeint ist hier der systematisch ins Abseits manövrierte soziale Wohnungsbau (und auch hier gilt: nein, das ist alles nichts Neues, vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Unten wird es immer voller und die Luft immer dünner: Das Trauerspiel mit den (fehlenden) Sozialwohnungen, der hier am 23. August 2020 veröffentlicht wurde).

Auch mit Blick auf das gesamtgesellschaftliche (Spannungs-)Gefüge des nun wahrhaften existenziellen Bedürfnisses und der realen Nachfrage nach einem Dach über dem Kopf lohnt an dieser Stelle ein Blick von ganz oben auf den Wohnungsmarkt. Und der zeichnet ein düsteres Bild, nicht nur aufgrund der Versäumnisse der vergangenen Jahre (die an sich schon nicht per Knopfdruck zu heilen wären, selbst wenn man wollte und Geld über der Baustelle abwerfen würde), sondern weil sich weitere Rahmenbedingungen für den Neubau von Wohnkapazitäten parallel erheblich verschlechtert haben.

Schon für die zurückliegenden Jahre muss man zur Kenntnis nehmen, dass das von der Bundesregierung selbst gesteckte Ziel von (mindestens) 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr nicht annähernd erreicht werden konnte (und hier wird nicht darauf eingegangen, ob diese Zielgröße wirklich ambitioniert genug daherkommt).

Aber im noch laufenden Jahr 2023 hat sich die Kulisse nicht nur weiter verdüstert, sondern man kann ohne Übertreibung von einem wohnungspolitischen Albtraum sprechen. Schauen wir uns als einen Indikator dafür die Genehmigungen neuer Wohnungen (das sind wohlgemerkt keine tatsächlich gebauten Wohnungen, denn neben dem aus der Vergangenheit bekannten Phänomen, dass zwischen erteilter Baugenehmigung und tatsächlicher Baurealisierung oftmals lange Zeiträume vergehen, werden auch gerade am aktuellen Rand zahlreiche genehmigte Bauvorhaben nicht nur zurückgestellt, sondern ganz storniert):1

1 »884.900 geplante und genehmigte Wohneinheiten standen Ende 2022 zu Buche. Dieser sogenannte Bauüberhang ist vor allem aus einem Grund bemerkenswert: Zwar spricht … wenig für eine Baugenehmigungs-Lagerhaltung. Aber seit 2015 wächst der Unterschied zwischen tatsächlich gebauten Wohnungen und Baugenehmigungen immer weiter an.« (Steiner 2023)

Man muss sich wirklich klar machen, was hier gerade passiert (ist): Im Jahr 2023 sind die Baugenehmigungen um fast ein Drittel eingebrochen. Und was das mit einer erheblichen Verschlechterung der Rahmenbedingungen zu tun hat, kann man an dieser trocken daherkommenden Formulierung des Statistischen Bundesamtes ablesen: »Zum Rückgang der Bauvorhaben dürften weiterhin vor allem hohe Baukosten und schlechte Finanzierungsbedingungen beigetragen haben.« Aber das ist noch nicht alles: »Der wichtigste Grund für den Rückgang ist die erhebliche Verteuerung der Finanzierung und der Bauleistungen. Gleichzeitig hat der Bund die Neubauförderung drastisch zurückgefahren und die Standards für den Neubau Anfang 2023 abermals verschärft.« Und in dem im Juni 2023 veröffentlichten Beitrag (vgl. Dorffmeister 2023) ist weiter zu entnehmen: »Bereits seit vielen Monaten stößt die große Mehrheit der Bauträger keine neuen Vorhaben mehr an. Die aktuell verbuchten Aufträge gehen auf Projekte zurück, die schon zu weit fortgeschritten sind, um sie abzubrechen.« Auch relevant vor dem Hintergrund, dass es ja nicht „den“ Wohnungsmarkt gibt und gerade aus sozialpolitischer Sicht vor allem die halbwegs und auch unter großen Schmerzen irgendwie noch bezahlbaren Wohnungen für die vielen Millionen Menschen nicht nur in den unteren Einkommensgruppen im Mittelpunkt der Problemanalyse und daraus abzuleitender Maßnahmen stehen sollten: »Daneben finden aber weiterhin Bauvorhaben im hochpreisigen Segment statt, für deren Kunden die gestiegenen Kosten keine große Rolle spielen.«

Der in den bislang berichteten Daten bereits erkennbare massive Einbruch hat natürlich auch Rückwirkungen auf die Bauwirtschaft und die dort beschäftigten Menschen. Das war ein Bereich, der auch in den Jahren der Corona-Pandemie stabil geblieben ist und die Wertschöpfung in Deutschland gestützt hat. Im Jahr 2022 waren allein im Bauhauptgewerbe 927.000 Menschen beschäftigt (darunter immer mehr ausländische Beschäftigte, seit 2011 gibt es einen anhaltend starken Anstieg der Zahl der Beschäftigten mit ausländischem Pass, deren Anteil an den Belegschaften des Bauhauptgewerbes hat sich seitdem von 8 % (2010) auf 23 % (2022) nahezu verdreifacht – hinzu kommt, dass sich fast der gesamte Anstieg der Beschäftigtenzahlen in den zurückliegenden Jahren des Wachstums aus dem Pool an ausländischen Beschäftigten gespeist hat). Mit Blick auf die gesamte Bauwirtschaft sprechen wir sogar über 2,6 Millionen Erwerbstätige.

»Die Wohnungsbauwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Nach Jahren des Booms brechen die Baugenehmigungen ein und die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Einer der Hauptgründe sind die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank, die die Finanzierungskosten nach oben treiben. Zudem gab es deutliche Baupreissteigerungen, auch infolge von Materialengpässen und gestiegenen Energiepreise. Die Unternehmen sehen sich einer nie dagewesenen Anzahl von Stornierungen gegenüber. Zudem wird immer häufiger von Auftragsmangel gesprochen«, so die problemanzeigende Zusammenfassung im Beitrag Zur aktuellen Lage im Wohnungsbau von Felix Leiss et al. 2023. Dort finden wir auch eine Herleitung, wie es zum gegenwärtigen Desaster hat kommen können – zugleich verdeutlichen die Ausführungen, dass man immer die Gesamtheit der Rahmenbedingungen im Blick behalten sollte und muss:

»Bereits im Frühjahr 2021 traten infolge des Coronaschocks erhebliche Engpässe beim Baumaterial auf. Durch die Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie war es entlang der Wertschöpfungsketten zu Produktionsausfällen gekommen. Zudem führte die große Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung dazu, dass die Produzenten konservativere Investitions- und Produktionsprogramme fuhren, wodurch sich das Angebot weiter verknappte. Die Bauwirtschaft erwies sich indes als robust und trotz Pandemie ging es auf den deutschen Baustellen voran. Es kam zu einer Überschussnachfrage nach Baumaterial … Nun konkurrierten die Unternehmen um knappe Baustoffe und die Preise stiegen deutlich. Ab Spätsommer 2021 schien sich die Situation langsam zu entspannen.«

»Mit der anziehenden Baukonjunktur im Frühjahr 2022, insbesondere auch infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine und den in Konsequenz erlassenen Sanktionen verschärften sich die Probleme wieder. Sowohl Russland als auch die Ukraine waren
wichtige Lieferanten für Baustahl.« Die Folge war ein Höchststand an Unternehmen, die von Materialengpässen berichteten. »Die hohen Preise für Energieträger verteuerten
das in seiner Herstellung oft energieintensive Baumaterial weiter.«

Zwischenzeitlich haben sich die Lieferketten stabilisiert und die Versorgungslage beim Baumaterial wieder entspannt. Aber die Preise blieben hoch. Und durch eine andere Entwicklung sind die Kosten für diejenigen, die bauen (wollen), insgesamt weiter erheblich angestiegen: Die Leitzinserhöhungen der EZB. Im Sommer 2022 wurde de jahrelange Niedrig- und Nullzinsphase beendet und der Leitzins wurde in zehn schnellen Schritten auf mittlerweile 4,5 Prozentpunkte angehoben.

»Mit den Leizinsen stiegen auch die Zinsen für Baugeld in bisher unbekanntem Tempo. Die Effektivzinssätze für Wohnungsbaukredite an private Haushalte mit einer Zinsbindung über fünf bis zehn Jahre sind seit dem Tiefpunkt der Niedrigzinsphase auf derzeit 3,81 % geklettert und haben sich damit mehr als verdreifacht … Gleichzeitig sind die Baukosten für Wohngebäude seit Beginn der Pandemie um mehr als 40 % gestiegen.«

Und auch von Seiten des Staates hat es einen Beitrag gegeben: Neben den gestiegenen Materialkosten werden insbesondere „hohe Nachhaltigkeitsstandards“ sowie „langwierige und kostspielige Genehmigungsprozesse“ als Kostentreiber genannt.

Bauprojekte, die noch Anfang 2022 rentabel waren, sind heute oftmals nicht mehr finanzierbar.

Seit Anfang 2022 sinken die Auftragseingänge im Wohnungsbau kontinuierlich. Im September 2023 waren 21,4 % der Firmen von Auftragsstornierungen im Wohnungsbau betroffen – so viele, wie seit elf Jahren nicht mehr. Und 46,6 % der Betriebe melden einen Auftragsmangel (und damit deutlich mehr als das langfristige Mittel von 25,6 %).

Leiss et al (2023: 50 f.) bilanzieren: »Besonders im Hinblick auf das von der Bundesregierung ausgewiesene Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr ist die aktuelle Entwicklung dramatisch. Sowohl Wohnungsbauinvestitionen als auch die Zahl der jährlich fertiggestellten Wohneinheiten werden nach aktuellen Schätzungen zukünftig schrumpfen … Dem enormen Bedarf vor allem an bezahlbarem Wohnraum in den Ballungszentren kann damit nicht begegnet werden. Verschärft wird diese Situation durch den sich zusätzlich anspannenden Mietmarkt.
Kaufinteressenten schwenken aufgrund der hohen Bau- und Finanzierungskosten in ihrer Wohnentscheidung um und drängen zusätzlich auf den Mietmarkt.« Und der Blick in die Glaskugel: »Es besteht die Gefahr, dass einmal abgebaute Kapazitäten in der Wohnungsbauwirtschaft nicht wieder aufgebaut werden können und dadurch ein potenzieller Wiederaufschwung ins Stocken gerät. Mittelfristig wird vor allem entscheidend sein, wie sich die Leitzinsen entwickeln.«

Die eingangs erwähnte durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgelöste Eskalation beim Thema Schuldenbremse spielt auch hier ein Rolle, zumindest, wenn man an die Forderungen nach einem Sondervermögen denkt oder an die Forderungen aus der Bauwirtschaft. So wird Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie mit diesen Worten zitiert: „Ein starres Festhalten an der Schuldenbremse ist in dieser Situation nicht zielführend.“ Es gehe eben nicht nur um eine Wirtschaftsbranche, sondern auch um ein sozialpolitisches Thema.

Zurück in die 1970er Jahre? Scholz der Baumeister

Was sagt eigentlich der Bundeskanzler zu dieser Thematik, die im wahrsten Sinne des Wortes das ganze Volk betrifft?

»Bundeskanzler Olaf Scholz hat ein radikales Umdenken in der Baupolitik gefordert. Das Problem für die lahmende Bauwirtschaft seien derzeit nicht die hohen Zinsen, sondern unter anderem fehlendes Bauland und der Bau nicht benötigter Wohnungen«, so dieser Artikel: Scholz will Bauboom „wie in den 70ern“. Der Bundeskanzler wird mit diesen Worten zitiert: „Für ganz Deutschland kann man sagen: Wir brauchen wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meist gefragten Städten und Regionen – so wie in 70er-Jahren“. Das Bauen auf der sogenannten grünen Wiese habe man in den vergangenen Jahren nicht gewollt, es sei aber notwendig, sagte er mit Blick auf den Wohnungsbedarf und die wachsende Bevölkerung. Man müsse nun umdenken. Und er ergänzt kritisch: „Es sind nicht die richtigen Wohnungen geplant worden.“ Scholz verwies darauf, dass viel zu viele hochpreisige Wohnungen gebaut worden seien. Tatsächlich gibt es durchaus in vielen Regionen im hochpreisigen Premium- und Luxussegment eher ein Überangebot als ein Angebotsmangel.

Der bei dem einen oder anderen, vor allem bei den älteren Semestern ambivalente Gefühle auslösende Hinweis auf die 7oer Jahre verweist auf einen besonderen Teil der Geschichte der deutschen Wohnungspolitik: den Bau von sogenannten Großwohnsiedlungen. Bereits in der Weimarer Republik entstanden die ersten Großwohnsiedlungen mit 800 bis 2000 (relativ kleinen) Wohneinheiten. »Seit Mitte der 1960er-Jahre wurde … die Vorstellung der verdichteten, kompakten Stadt u.a. durch den Bau von Großwohnsiedlungen meist in den Randbereichen von Stadtregionen (Trabantenstadt) verwirklicht. Durch die in Großserien errichteten Hochhausbauten konnten die Einwohner-Planzahlen erhöht werden. Diese Großwohnsiedlungen hatten jeweils ein eigenes Versorgungszentrum mit einer gewissen kulturellen Infrastruktur sowie Naherholungseinrichtungen, meist jedoch ein unzureichendes Arbeitsplatzangebot«, kann man diesen kurzen Erläuterungen entnehmen. Das waren durchaus erfolgreiche Maßnahmen gegen die damalige Wohnungsnot und zumindest sozialplanerisch mit guten Absichten versehen. Zugleich war das die Hochzeit der gemeinwirtschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen, man denke hier nur an die dann später so kläglich an die Wand gefahrene „Neue Heimat“. Aus der jüngeren Vergangenheit verbinden viele diese Großwohnsiedlungen eher mit „sozialen Brennpunkten“ oder „Problemvierteln“. Und viele werden die Bilder aus den französischen Banlieues vor Augen haben, denn der Bau von hochgradig verdichteten Großwohnsiedlungen ist ja keine deutsche Besonderheit (gewesen). Daher die angesprochene Ambivalenz.

Man könnte dem Kanzler auf der einen Seite zurufen, dass er doch unbedingt (wieder?) den 17. Asterix-Band lesen sollte. Darin plante Cäsar, die unbeugsamen Gallier durch eine Neubausiedlung zu zermürben. In den von Scholz angesprochenen 70er Jahren wurde dieser Band veröffentlicht: 1974 erschien „Die Trabantenstadt“ von René Goscinny und Albert Uderzo auf Deutsch. In diesem Heft wurden die Banlieues in Frankreich karikiert. Den mehr oder weniger dezenten Hinweis auf die Erkenntnismöglichkeiten aus dem in die Jahre gekommenen Asterix-Band kann man in dem Beitrag Scholz der Baumeister von Michael Pilz nachlesen. Darin auch die Hoffnungen und Enttäuschungen:

»„Leben wie Gott in Gallien.“ So versprechen es die Marmortafeln, mit denen der Baumeister Quadratus seine Neubausiedlung im Nordwesten des Römischen Reichs bewirbt: „Keine drei Wochen von der Stadtmitte Roms und knapp eine Woche von der Stadtmitte Lutetias entfernt.“ … Wie viele Architekten in den Siebzigern ist auch Quadratus vom Triumph seiner Trabantenstadt über die Barbarei des alten Bauens überzeugt: „Es lebe der Fortschritt!“ Auf der Werbetafel wird der Grundriss der genormten Wohnung, der Cenacula Typ 1, gefeiert. Für Geselligkeit sorgt „eine Orgie mit den Nachbarn“. Andere Bedürfnisse lassen sich fußläufig im Kauf-Domus befriedigen. Aber alle sozialen Utopien entzaubern sich im Alltag. Als der Barde Troubadix im Aufgang A, letzte Etage, Nummer CLV einzieht und musiziert, entmietet er den ganzen Block. Unter den Widrigkeiten des Zusammenlebens leidet auch die Attraktivität der Bauten, die architektonische Ästhetik. Der Dorfälteste Methusalix spricht es als Erster aus: Die Häuser von Quadratus seien „abscheulich“.
Auch die Zwischennutzung durch die römische Armee kann die Trabantenstadt nicht retten. Sie wird von den Galliern geräumt und rückgebaut.«

Man mag den Hauch eines Gedankens in Richtung auf eine Wiederbelebung der Ansätze vergangener Zeit belächeln oder gar karikieren – aber nicht nur eine Wahrheit bleibt hier in Umrissen erkennbar: Wir haben bereits – gerade in den Großstädten – eine vielschichtige Wohnungsnot und angesichts der Wanderungsbewegungen kann man mit guten Argumenten annehmen, dass sich diese noch verschärfen wird, vor allem angesichts des Unterbringungsbedarfs der vielen Menschen, die erst einmal über wenig bis gar kein Einkommen oder gar Vermögen verfügen. Und zugespitzt formuliert wird man den steigenden Wohnbedarf sicher nicht mit Einfamilienhäusern für alle decken können. Wenn dann der Boden eine der zentralen begrenzenden Faktoren darstellt, dann muss man über hochgradig verdichtete Neubauweisen (und Sanierungen) sprechen, ob einem das gefällt oder nicht. Zugleich sollte man die Erfahrungen, die wir in den zurückliegenden Jahrzehnten mit Großwohnsiedlungen und ihren Entwicklungen gesammelt haben, bei jeder ernsthaften Debatte über neu-alte wohnungspolitische Strategien berücksichtigen. Handlungsleitend sollte dabei natürlich die Vermeidung einer Neuauflage (und ggfs. sogar Potenzierung) schlechter Erfahrungen sein.

Und eine weitere Wahrheit besteht darin, dass selbst „kostengünstige“ Umsetzungen der Schaffung größerer Wohnraummengen, geschweige denn jede Form einer die heutigen Erkenntnisse und Anforderungen an den Neubau inkorporierende Form der Bauoffensive Geld braucht. Viel Geld. Sehr viel Geld. Das aber konfligiert mit den selbstgemachten Budget- und Kreditrestriktionen, über die diese Tage intensiv berichtet und gestritten wird. Woher also können und sollen die enormen Finanzmittel kommen, die wir aber unbestritten benötigen, um die „neue alte soziale Frage“, also die des Wohnens, auch nur näherungsweise beantworten zu können.