Viele werden in diesen Zeiten den Eindruck bekommen, dass es überall mangelt. An Fach- und überhaupt Arbeitskräften, an Kita- und Pflegeheimplätzen, aber auch an allerlei Investitionen in das, was man technisch-abstrakt „Infrastruktur“ nennt. An zahlreichen Fronten werden wir konfrontiert mit den Folgen jahrelangen „Sparens“, also der Nicht-Investition. Offensichtlich haben wir über einen langen Zeitraum von der Substanz gelebt – mit Blick auf die bauliche Substanz wurde diese vor allem in den 1970er grundgelegt, man denke hier an Schwimmbäder oder die vielen Brücken. Dort hat sich ein gewaltiger Investitionsstau gebildet, der nun den Menschen und der Wirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes auf die Füße fällt. Vgl. dazu ausführlichen den Beitrag Wie marode Brücken die Wirtschaft bedrohen: Das Institut für Straßenwesen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen sämtliche Brücken im Rheinland neu taxiert: »Das nüchterne Ergebnis: Von den insgesamt mehreren Tausend Brücken sind danach 650 schwer beschädigt und 350 sogar sehr schwer beschädigt. Mit anderen Worten: Diese Brücken haben das Ende der Nutzung erreicht.« Das bedeutet große Risiken nicht nur für die regionale Wirtschaft. Die Folgen sind bundesweit zu spüren.
Und auch an einer anderen, sozialpolitisch hoch brisanten Stelle spüren wir tagtäglich die Folgen, wenn zu wenig investiert wurde und wird: im Wohnungsbau.Vgl. dazu auch den Beitrag Sozialwohnungsnot: 50 Mrd. Euro für einen Bauwumms oder braucht es etwas anderes, um die neue alte soziale Frage anzugehen?, der hier am 1. Februar 2023 veröffentlicht wurde.
Die Diskussion über fehlende Wohnungen bewegt sich erst einmal auf der Ebene, dass quantitativ (natürlich regional sehr ungleich verteilt) irgendwelche Wohnungen fehlen – egal, wie die im Detail ausgestattet sind. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es dann darum. überhaupt ein Dach über den Kopf zu haben. Das fokussiert aktuell an vielen Orten auf die Frage, wie man die neben der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine wieder steigende Zahl an Asylbewerbern unterbringen kann (vgl. dazu den Beitrag Neben den vielen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vor allem im vergangenen Jahr kommen jetzt auch wieder mehr Asylbewerber – und eine der drängenden Fragen lautet: Wo sollen sie wohnen? vom 25. Juli 2023).
Zugleich verbinden viele aktuelle Wohnungsprobleme auch mit der aufgeregten Debatte im Umfeld des Gebäudeenergiegesetztes und dabei der Umstellung der Heizungen und der energetischen Sanierung. In diesem Kontext wurde als ein Aspekt immer auch darauf hingewiesen, dass selbst wenn man guten Willens (und zahlungsfähig) ist, der Mangel an Fachkräften viele Vorhaben begrenzen wird.
Das sollte als Merkposten abgespeichert werden, denn auch und gerade bei einem anderen Thema muss man einen (möglichen) Mangel an Fachkräften bei der Umsetzung in Rechnung stellen. Hier geht es um die schlichte Tatsache, dass wir bekanntlich in einer älter werdenden Gesellschaft leben und das viele ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause leben wollen (und angesichts des gleichzeitig sich verschärfenden Mangels in der stationären Langzeitpflege teilweise auch müssen).
»So mancher, der mit 30 noch gern in einer Dachgeschosswohnung lebt, schafft die Treppen mit 80 nicht mehr. Und die gemütliche Küche von einst ist nach einem Unfall vielleicht gar nicht mehr nutzbar, wenn der Rollstuhl nicht um die Ecke kommt. Der Wunsch, bis zum Lebensende in der eigenen Wohnung zu bleiben, ist im Alter oder bei Krankheit oft in Gefahr.« So beginnt der Artikel Millionen Wohnungen für Senioren und Pflegebedürftige fehlen von Alexander Preker. »Ein barrierearmes Zuhause benötigen dreimal mehr Menschen, als es Wohnungen gibt. Und auf dem überhitzten Wohnungsmarkt treffen die Alten und Pflegebedürftigen auch noch auf Konkurrenz.«
Er beziehet sich auf eine neue Studie aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW):
➔ Philipp Deschermeier (2023): Altersgerechter Wohnraum – Unterschätzte Herausforderung für Politik und Gesellschaft, in: IW-Trends, Nr. 2/2023, S. 115-134
Man kann die – nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche – Bedeutung eines altersgerechten Wohnens nicht überschätzen. Durch die demografische Entwicklung altert die Gesellschaft, wodurch immer mehr Menschen unter Einschränkungen der körperlichen Mobilität leiden oder einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sind. Eine altersgerechte Wohnung mit möglichst wenig Barrieren ist daher in vielen Fällen zur Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit oder zur Prävention erforderlich.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung? Für zwei von drei Haushalten, die auf altersgerechten Wohnraum angewiesen sind, gibt es derzeit keine angemessene Wohnung, so die neue Studie. Schauen wir uns die Größenordnung einmal genauer an:
»Im Jahr 2022 gab es gut drei Millionen Haushalte, in denen mobilitätseingeschränkte Menschen lebten. Damit sind alle Haushalte gemeint, in denen Menschen wegen Krankheit oder Alter nur eingeschränkt beweglich sind. Bis 2035 dürfte diese Gruppe nach IW-Schätzungen auf 3,7 Millionen Haushalte anwachsen. Der Wohnungsbau ist darauf kaum vorbereitet: Im Jahr 2022 gab es nur etwa 1,2 Millionen sogenannte barrierereduzierte Wohnungen, die ohne Stufen auskommen und mit ebenerdigen Duschen ausgestattet sind. Bezieht man nur Wohnungen ein, die zudem besonders große Räume und Flure haben, sinkt die Zahl sogar auf eine Million Wohnungen. Unterm Strich ergibt sich eine Versorgungslücke von bis zu zwei Millionen Wohnungen … Dazu kommt: Weil die oft großzügig geschnittenen Wohnungen auch für alle anderen Haushalte attraktiv sind, konkurrieren nicht nur mobilitätseingeschränkte Personengruppen um den knappen Wohnraum. Die tatsächliche Versorgungslücke fällt deshalb deutlich höher aus.«
Vermieter hätten trotz KfW-Förderung derzeit nur wenig Anreiz, Wohnungen barrierearm zu gestalten. Sie bekommen sie auch so vermietet – und das zu einem hohen Preis.
Deschermeier (2023: 129) kippt weiteres Wasser in den Wein mit Blick auf die Angebotsseite: »Denn die Zinsen sind deutlich gestiegen und damit die Finanzierungskosten. Zeitgleich brechen die Baugenehmigungen ein, was sich zeitverzögert in einen Rückgang bei den Fertigstellungen übersetzen wird. Diese Entwicklungen verhindern eine substanzielle Ausweitung des Angebots an altersgerechten Wohnungen in den kommenden Jahren und die Versorgungslücke wird sich daher voraussichtlich vergrößern. Zudem ist der Fortbestand von strukturellen Hemmnissen im Wohnungsmarkt äußerst problematisch. So bestehen etwa Informationsdefizite in der Bevölkerung über Nutzen, Kosten und Fördermöglichkeiten. Die zunehmende Akademisierung verschärft dies noch zusätzlich. Da junge Akademiker häufig räumlich mobil sein müssen, werden tendenziell weniger junge Menschen ihren Eltern regelmäßig zur Unterstützung im Alter zur Verfügung stehen, als dies bei vorangegangenen Generationen der Fall war. Auch der Aufwand bei der Planung altersgerechter Baumaßnahmen wirkt bremsend, beispielsweise bei der durch ausgelastete Betriebe erschwerten Handwerkersuche. Zusätzlich sind Umbaumaßnahmen in bewohnten Wohnungen mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden. Auch die Anspannung vieler regionaler Wohnungsmärkte hemmt die erforderliche Ausweitung des Angebots. Denn Vermieter haben weniger Anreize, erforderliche Investitionen in altersgerechte Bestände zu tätigen, da eine hohe Nachfrage auf ein knappes Angebot trifft und die Vermietung von Wohnungen auch ohne zusätzliche Investitionen unproblematisch ist.«
Man muss bzw. müsste rechtzeitig, gleichsam präventiv, den altersgerechten Umbau der Wohnungen vornehmen, denn »wenn ein Bedarfsfall nach einem Unfall oder durch eine Krankheit bereits eingetreten ist, ist eine erforderliche Anpassung der Wohnung nur schwer, kostspielig und durch den Handwerkermangel auch meist nicht in kurzer Zeit realisierbar.« Es gibt zwar Förderungen für den Umbau im Bestand – aber sie ist jedoch häufig an einen konkreten Bedarfsfall gekoppelt.
Eine Ausnahme erwähnt Deschermeier (2023: 130 f.): »Mit dem KfW-Förderprogramm „Altersgerecht Umbauen“ gibt es gleichwohl eine Förderung, die unabhängig von der Bedarfssituation der Fördermittelempfänger ist und auch (institutionellen) Vermietern offensteht. Altersgerechte Umbaumaßnahmen können dabei entweder über einen Investitionszuschuss oder einen Kredit gefördert werden. Vor allem die Zuschussvariante erweist sich in der Praxis als effizient, denn weitgehende Barrierefreiheit ist in vielen Einzelfällen nicht erforderlich. Hieraus folgt der Charme des Programms, denn es fördert auch die Durchführung von Einzelmaßnahmen (etwa bei der Beseitigung von Barrieren im Badezimmer). Dieser Förderweg ist besonders für ältere Menschen attraktiv, da sie schwerer einen Kredit bewilligt bekommen.« Hört sich gut an – wo ist der Haken? »Ein großes Problem ist jedoch, dass in den vergangenen Jahren die verfügbaren Mittel oft vergriffen waren und Maßnahmen nicht mehr gefördert werden konnten. Auch die unterjährige Aufstockung der Fördermittel im Jahr 2022 für die Zuschussvariante war rasch aufgebraucht. Dies verdeutlicht die enorme Bedeutung der Förderung. Die Verstetigung und eine Ausweitung der Fördermittel sind deshalb erforderlich … Neben der KfW-Förderung des altersgerechten Umbaus wäre eine vergleichbare Förderung im Neubau wünschenswert.«
Fazit: „Beim altersgerechten Wohnen rollt die nächste Krise auf uns zu und trifft uns fast unvorbereitet“. Mit diesen Worten wird Studienautor Philipp Deschermeier zitiert. „Wegen der langen Vorlaufzeit bei Planung und Bau brauchen wir Antworten besser heute als morgen. Die Bundesregierung muss den altersgerechten Umbau und den Neubau viel stärker fördern und erleichtern“.